Rauch und Schall

Buchseite und Rezensionen zu 'Rauch und Schall' von Charles Lewinsky
4.75
4.8 von 5 (8 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Rauch und Schall"

Goethe kommt zurück aus der Schweiz und hat zu Hause in Weimar plötzlich eine Schreibblockade. Da kann sein kleiner Sohn August noch so still sein und seine Frau Christiane noch so liebevoll um sein Wohl besorgt. Ausgerechnet sein Schwager Christian August Vulpius, ebenfalls Schriftsteller und von Goethe verachteter Viel- und Lohnschreiber, kommt ihm in dieser Situation zu Hilfe. Zu einer Hilfe, die Goethe nicht will und doch dringend braucht.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072594

Rezensionen zu "Rauch und Schall"

  1. 3
    10. Dez 2023 

    Despektierlich aber amüsant...

    Es menschelt sehr bei Lewinskys Blick auf den berühmten Goethe - hier wird der verehrte Schriftsteller mal nicht auf den Thron gehoben, sondern eher in Situationen gezeigt, in denen er selbst sich sicher nicht gern präsentiert hätte. Mit Hämorrhoiden und Ringelblumensalbe, matschbesudelt und besoffen - und vor allem nach einer Studienreise in die Schweiz von einer hartnäckigen Schreibblockade befallen.

    Diese Blockade weiß er zunächst zu verheimlichen, doch als der herzogliche Hof an ihn herantritt und von ihm zur Geburtstagsfeier der Herzogin ein Festgedicht verlangt, ist guter Rat teuer. Tag um Tag verstreicht, doch dem Genius will einfach nichts einfallen - er fürchtet schon das Schlimmste. Da macht sein Schwager Christian August Vulpius ihm einen Vorschlag, den Goethe zunächst entrüstet von sich weist, dann aber wohl oder übel annehmen muss.

    Vulpius, der ebenfalls ein Schreiberling ist, allerdings von weit niedrigerem Rang, will Goethe in seiner Not aushelfen und an seiner Stelle ein Gedicht zu Papier bringen. Für den Anlass mag es schon reichen, so denkt sich Goethe zuletzt, doch welche Folgen wird das haben? Und wie, um Himmels willen, soll er jemals seine Schreibblockade überwinden? Auch da weiß Vulpius Rat, und so ungern Goethe seinen Schwager mag - einen anderen Rat hat er nun einmal nicht...

    Reichlich despektierlich, aber irgendwie auch amüsant präsentiert Lewinsky hier mal einen gewagten Blick in Goethes Privatleben. Entlang historisch korrekter Daten lässt er dabei seiner Fantasie freien Lauf. Auf mich wirkte das so, als habe Lewinsky hier selbst den Rat befolgt, den Vulpius seinem berühmten Schwager zukommen ließ und den dieser schließlich auch beherzigte. Situationskomik und unterhaltsame Dialoge wechseln sich mit von mir als doch recht langatmig erlebten Passagen ab. Dazu befleißigt sich der Autor nicht überall gleichermaßen einer authentisch wirkenden altertümlichen Schreibweise, was ich teilweise als Bruch empfand.

    Alles in allem unterhaltsam, für mich jedoch nicht herausragend...

    © Parden

  1. Herrlich

    Nachdem mir "Der Halbbart" und "Sein Sohn" hervorragend gefallen haben, war ich schon sehr gespannt auf diesen Roman von Charles Lewinsky. Gleich vorweg, ich wurde nicht enttäuscht, dennoch ist dieser Roman mit keinem der beiden mir bekannten Vorgänger zu vergleichen. Der Autor ist wahnsinnig anpassungsfähig, ihm scheint mehr als ein Thema gut zu gelingen.

    Hier dreht sich alles um den Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor nimmt sich ein paar sehr humorvolle Interpretationen heraus, die den Roman zu einem sehr erfrischenden Lesespaß machen. Ich habe mich vorher nie näher mit dem Leben und den Werken dieses berühmten Mannes beschäftigt, hielt es für eher anstrengend und trocken, doch das Buch hat mir tatsächlich diese Scheu genommen. Die Tatsache, dass Goethe ein Mensch wie jeder andere war, mit allen Stärken und Schwächen, nahm mir die Skepsis. Und wenn Lewinsky etwas gelungen ist, dann ist es definitiv das.

    Die Handlung unterdessen rankt sich um eine Schreibblockade seitens Goethes, die er mit Hilfe des Bruders seiner Lebensgefährtin Christiane löst. Das hin und her zwischen den beiden Männern, und die daraus entstehenden Diskrepanzen sind herrlich in Szene gesetzt und vermitteln außerdem einen interessanten Blick auf das Leben der "Familie Goethe". Goethe war hoch angesehen, wirkt oft arrogant und überheblich, das blitzt auch beim lesen durch, dennoch stellt der Autor ihn nicht ausschließlich in dieses Licht. Szenen mit seinem Sohn und seiner Partnerin zeigen, dass er auch eine andere Seite gehabt haben wird.
    Weimar, der Wohnort der sicher durch seine Stellung als Geheimrat bei Hofe sehr reizvoll war, bleibt im Roman eher blass, der Herzog hingegen wird in die Handlung eingebettet. Mich persönlich hat es nicht gestört, dass keine Beschreibung des Ortes und der Umgebung eingeflossen sind, der Fokus liegt woanders, und das war für mich ausreichend.
    Absolute Leseempfehlung von mir!

  1. Famoses Porträt eines Genies zwischen Dichtung und Wahrheit

    „Rauch und Schall“ ist ein köstlicher Roman, der fulminant zu unterhalten versteht und charmant-respektlos zwischen Dichtung und Wahrheit changiert. Der berühmte Johann Wolfgang von Goethe leidet unter zunehmenden körperlichen Gebrechen und einer geistigen Blockade, die sein Schwager in spe Christian August Vulpius in bester Therapeutenmanier wieder aufzulösen versucht. Was nun folgt ist ein herrlich possierliches Lustspiel, voller kleiner Ränke, Verwechslungen und Situationskomik, das prächtigen Eskapismus bietet.

    So ist neben der Tatsache, dass Goethe bereits mit dem ersten Satz des Romans vom Podest der ehrfürchtigen Anbetung geholt wird – eine Tendenz, die der weitere Text völlig unerschrocken weiterverfolgt – besonders der Schlagabtausch mit Vulpius eine Freude. In den niemals langweilig werdenden Gesprächen erhält der Leser so einigen Einblick in den Gegensatz von anspruchsvoller Hochliteratur und marktorientierter Unterhaltungsliteratur, wirft einen Blick hinter die Kulissen des Schreibprozesses und lernt Tricks und Kniffe bei der Produktion von Lesbarem (z.B. Kämpfe detailliert beschreiben und Philosophie, die keiner versteht, einbauen) kennen. All dies ist zwar nicht neu, aber es ist trotzdem überaus vergnüglich und kurzweilig.

    Goethe selbst ist zu Beginn ein ziemlich aufgeblasener Unsympath, der aber dadurch, dass er in die Sphären des Trivialen hinabsteigt, immer weiter vermenschlicht und so zugänglicher und liebenswerter wird. Es ist ein großer Spaß den etwas aus der Form geratenen Dichterfürsten mit (trotz versiegender Musenquelle) unumstößlichem Genieverdacht gegen sich selbst bei seinen Bemühungen zu beobachten, wieder zu altem Anspruch zu finden. Hierzu trägt auch seine Beziehung zu Christiane Vulpius bei, die als sehr vernunftbegabte und bodenständige Person porträtiert wird, die die Schrullen des Genies geduldig und diplomatisch erträgt.

    Der Text ist gespickt mit lateinischen Bonmots und Goethe-Referenzen, die mir diebische Freude bereiteten. Die leicht ironisch eingeflochtene höfische Ehrerbietung tat ihr Übriges dazu. Lewinsky verwendet leichtfüßig antiquierten Sprachgebrauch, lässt sich sprachlich völlig auf die Zeit und den Sprachduktus ein, die Wortwahl ist famos und unterstreicht so noch den komödiantischen Charakter des Textes, der perfekt zu seinem Thema und eben auch zu Goethe passt.

    „Rauch und Schall“ erinnerte mich in seiner Fabulierlust und der Grundidee an den Erfolgsfilm „Shakespeare in Love“. Ich habe jede Seite genossen und kann diesen großen, intelligenten Lesespaß uneingeschränkt weiterempfehlen: ein auf jeder Ebene gelungenes, nicht ganz ernst gemeintes, Porträt des Dichters und seiner Zeit.

  1. Die heitere Demontage eines Denkmals

    „Rauch und Schall“ – mit diesem Titel übernimmt Lewinsky die Wendung „Name ist Schall und Rauch“ aus Goethes FAUST und macht mit der Verdrehung sogleich deutlich, um was es ihm geht: nämlich um amüsante Verdrehungen. Der 1. Satz setzt gleich nochmal eins drauf: „Goethe hatte Hämorrhoiden.“ Der Leser ist geschockt und muss zugleich lachen, und jetzt weiß er: es geht in diesem Buch nicht nur um Verdrehungen, sondern auch um die Demontage eines Denkmals.

    Die Demontage eines Denkmals bringt immer die Lacher auf die Seite des Demontierenden. Hier ist es der arrivierte Dichterfürst Goethe, der Mittelpunkt des Weimarer Musenhofs, Vertrauter des Weimarer Herzogs Carl August, Soldat während der Koalitionskriege gegen Napoleon, Theaterdirektor, Naturforscher, Minister für das Bauwesen und vielerlei öffentliche Aufgaben und seit „Die Leiden des jungen Werther“ eine internationale Berühmtheit. Die Demontage eines solchen Denkmals verspricht neue Perspektiven.

    Goethe kehrt von einer seiner Schweizer Reisen zurück, offenbar der dritten im Jahre 1797, und leidet an einer Schreibblockade. Seine Lebensgefährtin Christiane erkennt seine Not und empfiehlt ihn ihrem schriftstellernden Bruder Christian August Vulpius. Vulpius ist zwar einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit, aber trotzdem: Goethe verachtet seinen Schwager und seine gefälligen Werke, er hält ihn für einen Dilettanten und will mit einem Schriftsteller der Unterhaltungsliteratur nicht auf eine Stufe gestellt werden.
    Hier trägt der Autor vielleicht ein bisschen dick auf, aber Vulpius' selbstloser Unterricht im Kreativen Schreiben für den Dichterfürsten ist eine wirklich witzige Idee. Vulpius‘ Rat „Den Leser beeindruckt immer am meisten, was er nicht versteht“ (S. 228) führt zu einem zwar anspruchsvoll formulierten, aber inhaltlich unsinnigem Geschwafel mit esoterischem Anstrich. Der Leser amüsiert sich. Und dass Goethe nicht immer "edel, hilfreich und gut" war, lesen wir auch, und ich habe es gerne gelesen und mich daran erinnert, dass Schiller ihn einmal als "gefühlskalt" bezeichnet hatte.

    Der Leser hat seinen Spaß. Hier wird ein Dichterfürst von seinem Dichterthron heruntergeholt und aufs Menschliche reduziert. Das macht der Autor mit einem heiter-ironischen Augenzwinkern, ohne jede Grobheit oder Peinlichkeit. Gleichzeitig aber erweist er diesem ehemaligen Denkmal wieder seinen Respekt, wenn er den Erzählton der Goethe-Zeit nachahmt und seinen Text mit intertextuellen Bezügen und Zitaten spickt. Damit rückt er Goethe allerdings wieder in dessen Zeit zurück, während er ihn mit seinen menschlichen und beruflichen Problemen, also mit - äh - und dieser Schreibblockade, in unsere Zeit hineinversetzt.

    Der ironische und leichte Erzählton macht das Lesen leicht. Aber braucht Lewinsky wirklich diese entschieden zu vielen Wiederholungen von modischen Firlefanz-Wörtern wie "Nicht wirklich"? Teilweise 2 x pro Seite? Da muss ich mich bei Schiller bedienen und wende mich „mit Grausen“.
    Um mich dann aber wieder versöhnt (halbwegs) mit dieser vergnüglichen und witzigen Lektüre zu amüsieren.

    Manche Details, z. B. die Episode um Karoline Jagemann herum, zeigen, dass Lewinsky sich sorgfältig belesen hat, aber trotzdem der Versuchung nicht nachgibt, sein Wissen auszubreiten. Man kann bei dieser Episode den sich anbahnenden Streit zwischen der Schauspielerin und Goethe zwar schon erahnen, aber Lewinsky hält sich streng an die Perspektive Goethes und verzichtet auf jeden Vorgriff.

    Am Ende hat Goethe seine Schreibblockade überwunden, er hat Ideen für „Auerbachs Keller“ gesammelt, seine körperlichen Beschwerden sind vorbei – und der Leser klappt den Deckel zu und wünscht sich mehr Bücher dieser heiteren, klugen und leichten, aber niemals seichten Art.

  1. Köstlich humorvolles Lesevergnügen um Goethes Schreibblockade

    Wird der große Dichterfürst zu Weimar seine Schreibblockade überwinden? Ein witziges, lustiges Buch auf hohem Niveau

    Was für ein herrlicher Klamauk – und das durchaus geistreich und auf hohem Niveau!

    Es beginnt mit einem Rums: der große Dichterfürst ist vom Sockel gefallen bzw. Lewinsky hat ihn mit seinem ersten Satz heruntergeholt und schon den ersten Lacher kassiert. Goethe auf Reisen leidet unter seinen Hämorrhoiden und ist somit ein Mensch wie jeder andere. Auch eine Bauerstochter hat keinen Respekt, als er sich von ihr einen Kuss erkauft, den sie ebenso über sich ergehen lässt wie das Abschlabbern durch ihren Hund.

    Und so geht es weiter: es gibt etliche Szenen, wo sich der Leser köstlich amüsieren und schmunzeln oder lachen kann. Zu Hause erwartet Goethe seine liebevolle, lebenspraktische Gefährtin Christiane Vulpius, aber auch ein böse Überraschung: er soll rasch für den Hof in Weimar ein Festtagsgedicht mit verteilten Rollen liefern, kann es aber nicht, denn er leidet unter einer handfesten Schreibblockade und kriegt nicht mal den harmlosesten Reim zustande.

    Lewinsky versteht es sehr gut, die Personen durch ihre Gedanken und ihr Handeln zu charakterisieren: Goethe, der Abgehobene, leicht Blasierte, unglaublich von sich Eingenommene – was ziemlich unsympathisch wirkt. Dagegen die ganz und gar pragmatische Christiane, die ihn aber herzlich zu lieben scheint und geschickt und diplomatisch vorgeht, erst recht, als sie Goethes Schwierigkeiten bemerkt. Sie bittet ihren Bruder um Hilfe, der eine Art Archivar ist und sein kärgliches Gehalt durch Auftragsschreibarbeiten aufbessert. Goethe mag ihn nicht und ist ihm gegenüber besonders überheblich. Aber Vulpius schafft, was Goethe nicht kann und so ist der große Dichterfürst erst mal ohne Blamage davongekommen.

    Es gibt interessante Gedanken zur Literatur, vor allem warum man schreibt: um die Welt zu verbessern, die Menschheit mit Weisheit zu beglücken oder um dem Leser unterhaltsame Stunden verschaffen?

    'Liebe und Verbrechen, damit verkauft man am meisten Bücher.' (128) oder 'Der Dichter muss die Auster sein, die aus den Sandkörnern des Alltags Perlen macht. Aus kleinem Anlass Großes schaffen – das ist die wahre Kunst.' (144)

    Wie auch immer, Vulpius stellt die richtige Diagnose, dass nämlich Goethes Schreibblockade darauf beruht, dass er zu viel von sich erwartet und nicht einfach drauflos schreiben kann, dass er meint, er müsse jedes Mal etwas besonders Wertvolles oder Geistreiches schreiben. Und der lebenskluge Vulpius hat auch 'die richtige Medizin', um Goethe zu heilen und gibt ihm praktische Tipps, wie er vorgehen soll. Man könnte meinen, Lewinsky hätte selbst eine Schreibblockade gehabt, Ratgeber gelesen und das jetzt in einem Roman verarbeitet. Und es funktioniert!

    Mir hat gefallen – das darf man ruhig verraten – dass sich alles in Wohlgefallen auflöst und man das Buch mit einem Seufzer zuklappen kann. Wie schade, dass es schon zu Ende ist. Selbst der arrogante Goethe wirkt zum Ende hin menschlicher und sympathischer.

    Fazit

    Dieses Buch kann ich nur empfehlen. Nach schwierigen, problematischen oder fordernden Lektüren kann man sich genussvoll zurücklehnen, lachen, schmunzeln und sich an den manchmal sogar slapstickartigen Szenen erfreuen. Eine volle Leseempfehlung!

  1. Ein Dichterfürst in Not

    Goethe fehlt die Inspiration? Er bringt keine Zeile mehr zu Papier? Da ist guter Rat teuer. In seiner Not vertraut der Meister sich seinem Schwager an. Christianes Bruder Carl Vulpius ist ein Vielschreiber, ein Unterhaltungskünstler, einer, der für Geld fast alles zu Papier bringt, was gerade gewünscht wird. Kann ausgerechnet dieser Mann dem großen Goethe helfen? Er kann…
    Das Buch von Charles Lewinsky ist ebenso kurzweilig wie unterhaltsam. Der Autor nähert sich dem großen Meister Goethe recht respektlos, aber durchaus humorvoll. Es macht einfach Spaß, den Dichterfürst durch seine Krise zu begleiten - und auch aus ihr hinaus, denn Lewinsky findet einen sehr guten Schluss für den Plot. Das Einzige, was ich gelegentlich vermisst habe, war eine Spur Lokalkolorit: Das diese Geschichte in Weimar spielt, ist kaum zu spüren, was ich schade finde. Doch das ist Kritik auf hohem Niveau: Deshalb fünf Sterne!

  1. Untreue Musen

    Sind es die abwesenden Musen, oder doch die juckenden und brennenden Hämorrhoiden die dem schlecht gelaunten Goethe in Weimar gerade den Termin für die Abgabe einer dringlich geforderten Festtagsrede verhageln? Jedenfalls ist es wenig hilfreich, dass sich ausgerechnet Christian August Vulpius zum Abendmahl einfinden will, dieser Lohnschreiberling und Bruder seiner langjährigen Lebensgefährtin Christiane. Mit dem Hinweis, dass der Hausherr Wichtiges zu Papier bringen müsse lässt sich dieses ungeliebte Treffen verschieben. Doch nur einen Tag später muss sich Goethe eingestehen, dass er gar nichts zu Papier gebracht hat, dass es pressiert und dass es der feinen Gesellschaft vielleicht gar nicht auffallen kann, wenn es diesesmal nichts Hochgeistiges vom Meister persönlich ist, was sie da in ihrer Kunstbanausität unangemessen aufführen. So darf Vulpius aushelfen und das Stück geht unter falschem Namen auf die Bühne. Schwein gehabt, lieber Goethe. Aber ach weh! Die Feder will ihm immer noch nicht gleiten, die Worte nicht sprudeln.

    Christianen, nicht nur intimste Kennerin von Goethes Interna , guter Geist und regelnde Hand, weiß ihren Bruder auf die Schwierigkeiten des Großen Mannes hinzuweisen. Die kleine Krise hat sich zu einer üppigen Schreibblockade ausgewachsen, die bekommt man auch nicht mit den verordneten Blutegeln in den Griff. Ein Liebesgedicht ist es, welches Goethe in des Herzogs Namen, doch wieder von Vulpius verfasst wird, also des Ghostwriters Ghostwriter. So kanns ja nicht weitergehen, also spricht Vulpius Tacheles und gibt Tipps, wie man sich wieder freischreiben kann, so dass die Gedanken wieder fließen können.

    Absichts- und hoffnungslos setzt sich Goethe in sein Gartenhäuschen und schreibt drauf los, alles was ihm ohne Druck und Erwartungen so aus dem Tintenhalter tropft. Die von Vulpius ins Leben gerufene Gestalt des Rinaldini nimmt unter Goethes Strich Form und Abenteuer an und erweist sich als Retter in der Not. Die Musen haben ein Einsehen und helfen dem Prinzipal aus dem Loch und geradewegs in die Stuben des Doctor Faustus. Rinaldini darf den Feuern übergeben werden, das will Vulpius erledigen. Ein Blick in die große Suchmaschine sagt uns allerdings... aber das darf jeder selbst herausfinden, oder Lewinsky uns auf sehr vergnügliche Art erzählen. Auch wenn es Fabulierkunst à la Lewinsky ist, Goethe, Vulpius, Faust und Rinaldini sind verbürgt!

    Mit leichter Feder und handfestem Latein hebt Lewinsky Goethe sanft vom Sockel, poliert ihn mit etwas Menschlichkeit und stellt ihn auf den Boden, wo die geneigte Leserschaft das Genie aus nächster Nähe besser betrachten kann. Daneben sehen wir Christiane und ihren Bruder Christian August Vulpius, keiner der drei kommt schlecht weg und so bleibt es mit etwas Skepsis und gesundem Menschenverstand ein rundum gelungenes Lesevergnügen.

  1. Das Denkmal Goethe wackelt...

    Welch genialer Anfang: "Goethe hatte Hämorrhoiden." (S.7)
    Der große Dichterfürst, bewunderter Klassiker wird von einer so unsäglichen Krankheit geplagt. Goethe wird in diesem Roman von Lewinsky von seinem Sockel gestoßen und als Mensch dargestellt - etwas arrogant, sehr von sich eingenommen.
    Gerade auf dem Rückweg von seiner Schweizer Reise 1797 wird er in der Kutsche durchgeschüttelt und leidet. Zudem muss er feststellen, dass er eine Schreibblockade hat. Die bedeutungsschweren Sentenzen, die leichten Verse, nichts gelingt ihm mehr. Zurück in Weimar wartet der Herzog auf das für seine Frau bestellte Festgedicht - doch die Verse wollen nicht fließen,
    "als hielten ihm tausend Dämonen die Hand fest und hinderten ihn daran, auch nur einen Buchstaben zu Papier zu bringen, dass die Gedanken schneller vor ihm flohen, als er sie erspähen konnte" (S.46).
    In seiner Verzweiflung nimmt Goethe das Angebot des Vielschreibers Christian August Vulpius, Bruder seiner Geliebten Christiane, an und lässt sich von ihm das Festgedicht schreiben. Und das, obwohl er ihn dafür verachtet, Literatur zur Unterhaltung zu verfassen - heute würde man sagen Belletristik oder Massenliteratur.
    Und doch ist es gerade Vulpius, der ihm zu helfen vermag und ihm letztlich die Weiterarbeit am Faust ermöglicht - das zumindest ist Lewinskys Version, der laut Klappentext "minuziös recherchierte Fakten, versetzt mit fantasievollen Lügen" zusammengefügt hat.
    Nebenbei nimmt er die höfische Gesellschaft Weimars aufs Korn und zeichnet Christiane als lebenstüchtige, pragmatische Frau, die ihren Bruder und Goethe geschickt zusammenbringt.
    In bilderreicher Sprache, im Ton Goethes mit vielen Bezügen zur griechischen Mythologie und intertextuellen Verweisen unterhält Lewinsky die Lesenden.
    Neben der guten Story überzeugt v.a. die Komik vieler Szenen, die teilweise Slapstick-Charakter haben. Ich musste tatsächlich beim Lesen öfter lachen.

    Eine klare Lese-Empfehlung, nicht nur für Goethe- und Lewinsky-Fans.