Kleine Grausamkeiten
!ein Lesehighlight 2022!
Klappentext:
„Drei Brüder bei einer Beerdigung, einer von ihnen liegt im Sarg, betrauert von seinen Geschwistern. Aber welcher? Und warum? Nur jeweils ein Jahr sind die Drumm-Brüder William, Brian und Luke auseinander und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. William hat als Filmproduzent Karriere gemacht und glaubt, ihm stehe einfach alles zu, Brian, der mittlere Bruder, Lehrer und Künstleragent betätigt sich als wenig selbstloser Friedensstifter, Luke, psychisch instabiles Nesthäkchen, ist ein international gefeierter, sehr einsamer Popstar. Aber keiner von ihnen ist der, der er zu sein scheint. Vom Tag ihrer Geburt an hat ihre narzisstische, ziemlich abgefeimte Mutter die Brüder darauf abgerichtet, um ihre Aufmerksamkeit zu buhlen. Sie spielen Spielchen, doch im Laufe der Jahre werden diese Spiele – die kleinen Grausamkeiten – immer unheimlicher, gnadenloser und gefährlicher. Toxisch geradezu, denn nur zwei der Brüder werden überleben.“
Welch ein Buchtitel, welch ein Cover und welch eine Geschichte! Im ersten Augenblick scheint es eine Geschichte von 3 Brüdern zu sein aber das täuscht, denn wir werden immer mehr mit ihrer Mutter vertraut gemacht und das ist der Abgrund selbst für uns Leser. Autorin Liz Nugent scheint hier entweder allen Hass in dieser, ihrer Figur der Mutter abgeladen zu haben, denn so jemanden kann es doch nicht geben, dass man ihn sich als Abbild für diesen Roman vornimmt. Oder doch? Nugent‘ Schreib-und Sprachstil sind brillant, klar und ungemein scharfzüngig. Ihr Ausdruck ist wechselnd und das passt sehr gut um in die Geschichte weiter einzusteigen. Sie treibt nicht nur ihre 3 männlichen Brüder an den Rande des Wahnsinns, sondern auch uns Leser. Ich weiß nicht wie oft ich bei diesem Buch die Luft angehalten habe oder nach Fassung gerungen habe! Meine Güte! Wir werden recht kühl und auch etwas stoisch an die Erzählung heran geführt. Wir erleben die Situation am Grab, dann die einzelnen Stricke und Gedanken der Brüder, alles scheint verschwommen und nicht richtig greifbar. Sie scheinen sich selbst verloren zu haben und warum? Ihre Mutter ist der Grund, nur stellt sich bei diesem Kriminalroman immer wieder die Frage „Wer hat den einen Bruder umgebracht?“ „Ist er überhaupt umgebracht worden?“. Fragen über Fragen und ein sehr gekonntes Fallkonstrukt bildet sich hier. Seelische Gewalt? Innere Zerstörtheit? Mir blieben die Protagonisten bis zum Schluss distanziert und das ist auch gut so. Wir sind hier stille Beobachter, haben nichts zu melden oder zu denken. Das einzige was uns erlaubt ist, ist uns aufzuregen, zu staunen, zu grübeln…einfach nur Aufregung. Der rote Faden ist schnell erkennbar. Nugent spinnt hier aber gekonnt Zwischenfäden ein und lässt uns immer wieder verwirren. Dieser Fall ist so sonderbar, unheimlich, so sprachgewaltig und das Cover hätte besser nicht gewählt sein können. Das Buch wird als „toxisch“ bezeichnet und das ist es in jeder Seite. Man könnte meinen die Seiten sind vergiftet. Die Mutter speit förmlich mit ihrer Art aus dem Buch heraus und will uns verunsichern. Nugent hat hier alle psychologischen Tricks angewendet um uns Leser auf falsche Fährten zu schicken. Das war einfach nur großartig und so extrem giftig…giftig gut… Dafür gibt es 5 von 5 Sterne.
Was für eine Familie!
Die Geschichte beginnt mit einer Beerdigung. Drei Brüder, einer davon ist tot, vielleicht sogar ermordet, aber welcher?
Im ersten Teil des Buches erzählt jeder der Brüder Episoden aus der Kindheit, aber auch der jüngeren Vergangenheit, diese sind nicht chronologisch geordnet. Es beginnt William, der Älteste und schnell wird klar, dass in dieser Familie vieles nicht stimmt. Die drei Brüder, alle nur knapp 1 Jahr auseinander, konkurrieren heftigst miteinander um die Gunst der Eltern oder eigentlich um alles. Die Mutter, eine alternde Sängerin und Schauspielerin, ist eine lupenreine Egomanin, der ihre eigenen Bedürfnisse über alles gehen. Der Vater, der noch ausgleichend wirkte, stirbt früh. Luke, der jüngste der Brüder, der als zweiter Erzähler an der Reihe ist, hat große psychische Probleme und schwankt zwischen Alkohol- und Drogenexzessen und kurzen „klaren“ Phasen hin und her. Brian, der Mittlere, gibt sich zwar als der Soziale, der alles zusammenhält, aber auch hier ist alles nur Fassade. Im zweiten Teil des Buches, der in der Jetzt-Zeit spielt, spitzt sich die familiäre Situation immer mehr zu. Auch hier erzählen die Brüder abwechselnd, allerdings ist die Handlung fortlaufend.
Ich habe die Geschichte dieser fürchterlichen Familie mit faszinierter Abscheu gelesen. Es ist fast so wie bei einem Autounfall, an dem man vorbeifährt und eigentlich nicht hinschauen mag. Durch die drei Perspektiven erscheinen manche Erzählungen des einen Bruders plötzlich in einem völlig anderen Licht, aber es wird schnell deutlich, dass keiner der Brüder auch nur einen Funken Zuneigung für den Rest der Familie empfindet. Trotzdem scheinen sie auf irgendeine Art und Weise aneinander gekettet zu sein. Da von Anfang an klar ist, dass einer der Brüder nicht überlebt, verfolgt man mit Spannung die Entwicklung dieser Geschichte. Hier muss ich allerdings zugeben, dass ich am Ende erheblich mehr Knalleffekt erwartet habe, weswegen ich meiner Bewertung einen Stern Abzug gebe. Ansonsten hat mich das Buch gut unterhalten, auch wenn ich niemals in meinem Leben solchen Menschen begegnen möchte.