Das Ende ist nah
Bei solchen Romanen bin ich hinsichtlich der Bewertung immer hin und her gerissen. Die biografischen Daten von Amir Gudarzi lassen vermuten, dass vieles von dem, was hier im Roman geschildert wird, seinem eigenen Erfahrungen entspricht, dass wir es hier also mit einer Autofiktion zu tun haben. Die schwierigen Lebensumstände verlangen einen unbedingten Respekt, den ich ihnen auch gerne zolle, aber ein Roman ist eben kein Tatsachenbericht, sondern löst auch etwas bei den Lesenden aus. Das Leseerlebnis war für mich einerseits sehr eindringlich, andererseits aber auch anstrengend und teilweise sogar nervig, vor allem zum Ende hin.
Die Erzählung gliedert sich in ein Davor und ein Danach - vor und nach der Flucht aus dem Iran. Sowohl die Schilderungen der Bedingungen im Iran zu Zeiten der Protestbewegung nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 (und auch in den Jahren davor) als auch des Daseins als Asyl-Bewerber in Österreich sind bedrückend. Dabei werden die Brutalitäten im Iran recht distanziert geschildert, was die Emotionen nahezu außen vor lässt, durch die Häufigkeit der Erwähnung erscheint die Schilderung jedoch trotzdem sehr eindringlich. Man bekommt definitiv eine Vorstellung davon, was es heißt, unter solchen Umständen im Iran heranzuwachsen und zu leben. Gerade die hier geschilderten Erlebnisse als Kind und als Heranwachsender - die Steinigung einer Frau, das Köpfen eines Mannes, das Erhängen eines weiteren Mannes an einem Kran... Was macht das beispielsweise mit einem sensiblen Kind?
Wie schwierig und bedrückend das Dasein als Asyl-Bewerber ist, wird hier ebenfalls sehr eindringlich geschildert. Das Ausgeliefertsein den Behörden gegenüber, die generalisierte Misstrauenshaltung Asyl-Bewerbern gegenüber, unzuverlässige Dolmetscher, die gegenseitigen Drangsalierungen im Asylantenheim, die Einsamkeit, die existentielle Unsicherheit, das Nichtstun, die Langeweile, der Geldmangel, der Hunger - und dazu fehlende Zukunftspläne. Stellenweise kam es mir bei der Schilderung der Zustände so vor, als würde ich etwas aus Absurdistan lesen und kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Mit der Zeit wurde es mir dann doch insgesamt zu viel des Negativen, auch wenn ich davon nur lesen und es nicht selbst erleben musste. Gab es gar keine Lichtblicke?
Nun ja, es gibt Sarah. Die deutsche junge Frau mit einem großen Engagement, das zeitweise fast schon an Besessenheit grenzt, und die A. zur Seite steht. Sie lernt Farsi und übersetzt seine Texte, da A., der im Iran die Theaterschule besucht hat, szenisches Schreiben studierte und auch fürs iranische Fernsehen Drehbücher schrieb, nicht weiß, wie es sonst mit seinem Schreiben weitergehen soll. Sarah ist für A. da, hört ihm zu, nimmt ihn als Person wahr. Aber sie verliebt sich auch in ihn - und nicht nur das. Als A. sich ihr gegenüber nicht öffnen kann und auch ihre Liebe nicht will, nimmt sie dies zum Anlass und beginnt sein Verhalten zu analysieren. Klassich nach freudschem Muster, verzerrt jedoch durch ihre eigene psychische Labilität - Sarah projeziert ihre eigenen Ängste und Probleme auf A., ihre Analysen drehen sich im Kreis, wirken immer verzweifelter. Nicht nur A. wurde dies im Verlauf zu viel. Ich fand es stellenweise unerträglich und konnte bis zum Schluss nicht erkennen, wofür es diese Figur in dieser Charakterzeichnung überhaupt gab. Statt die Erzählung voranzubringen, geriet A. zueweilen durch die Konzentration auf Sarah gänzlich aus dem Fokus. Ich rätsel immer noch.
A. selbst ist jemand, der eher für sich zu sein scheint und der niemanden wirklich an sich heranlässt. Das war wohl bereits im Iran so - vereinzelte lose Kontakte, die man aber auch jederzeit wieder lösen kann, das genügt ihm offenbar. Andererseits kümmert er sich situativ durchaus um diejenigen, die um Hilfe bitten und bringt dafür auch persönliche Opfer. Die psychische Belastung, die die Entwurzelung und der Status als zunächst nicht bestätigter und später als abgelehnter Asylant im Widerspruchsverfahren mit sich bringen, wird anhand der Figur von A. ebenfalls sehr drastisch geschildert. Diese schwierige psychische Situation erscheint plausibel und schon beim Lesen unerträglich.
Gerade die psychischen Folgen des Flüchtlingsdaseins hat wohl kaum ein Außenstehender auf dem Schirm. Aber das "Verrückte" war A. auch irgendwie immer schon zueigen, für ihn gibt es da einen Zusammenhang mit dem Künstlertum. "Schon immer habe ich mich von den Menschen zurückgezogen und wollte als Verrückter, als Außenseiter gelten. Ich identifizierte mich mit van Gogh und Antonin Artaud. Ich sah in Depression und Verrücktheit eine Quelle fürs Schreiben." (S. 348) Deshalb gilt wie immer: wie Lebensumstände erlebt und verarbeitet werden, hängt eng mit der eigenen Persönlichkeit zusammen, Stichwort Resilienz... Damit negiere ich natürlich nicht all die möglichen Folgen der schrecklichen, traumatischen Erlebnisse. Das Ende des Romans setzt den "Verrücktheiten" dann jedoch noch die Krone auf, ein Akt dichterischer Freiheit, der, nun ja, noch einmal für maximale Verstörung sorgt. Muss nicht gefallen - hat es auch nicht. Aber es schmälert auch nicht die Aussage des Romans als solche.
Gewalterfahrungen, Willkür, Traumata, Folter, Unterdrückung, Flucht, Einsamkeit, Unerwünschtheit, Ungewissheit, Angst und Misstrauen - eine erschreckende Summe von Unerträglichem. Der Erzählstil wahrte jedoch konsequent eine Distanz, die ich nicht zu überbrücken vermochte. Verstörend und bedrückend - durchaus, unbequem dazu. Aber die Menschen, allen voran A. mit all seinen Erfahrungen, blieben mir irgendwie bis zum Schluss fremd.
Leider.
© Parden
"Das Ende ist nah" ist der Debutroman von Amir Gudarzi. Der Autor wurde in Teheran geboren, wo er die Theaterschule besuchte und szenisches Schreiben studierte. Seit 2009 lebt der Autor im Exil in Wien. Er erhielt unterschiedliche Literaturpreise, darunter den Kleist-Förderpreis für junge DramatikerInnen sowie den Christian-Dietrich-Grabbe Preis.
Im Mittelpunkt des Romans "Das Ende ist nah" steht A., der deutliche Paralellen zur Biographie Gudarzis aufweist: Auch er besucht die Theaterschule, auch er studiert szenisches Schreiben. Er liebt seine Heimat, doch muss er bereits im Kindheits- und Jugendalter einige gewaltvolle Erfahrungen machen. Dies setzt sich fort; Gewalt und Folter scheinen ihn überall zu umgeben. Er selbst macht auch Bekanntschaft mit der Willkür, die im Iran an der Tagesordnung zu sein scheint. Doch A. lässt sich nicht ködern, ist nicht bestechlich. Als sich die Situation für ihn zuspitzt, sieht er jedoch keine andere Wahl, als die Heimat schweren Herzens zu verlassen. Angestrebtes Ziel ist eigentlich Kanada, aber die Schleuser lassen ihn im Stich, so dass er in Wien Zuflucht sucht.
Der Roman, dies zeigt sich hier, spielt auf zwei Ebenen, zwischen denen Gudarzi gekonnt changiert: der Vergangenheitsebene, in der wir viel über die politischen und kulturellen Verhältnisse im Iran lernen. Hier gewinnen wir Klarheit bzgl. A.'s Fluchtgründen. Die andere Ebene ist die der Gegenwart, wo A. sich an den langsam mahlenden Mühlen der österreichischen Bürokratie abarbeitet in seinem Gesuch um Asyl und Zuflucht. Hier wird eindrücklich vor Augen geführt, dass Geflüchtete nicht nur in der Heimat, die sie verlassen haben, und auf der Flucht Tramatisierungen erleben. In nahezu jedem Bereich des Lebens setzt sich dies bei der Ankunft fort: beginnend vom Auffanglager, wo die Geflüchteten untereinander Konflikte austragen und nur notdürftig versorgt sind über konkrete Erfahrungen im Asylprozess, wo Willkürerfahrungen sich in der Anhörung fortsetzen durch Inkompetenz und / mangelnde Empathie von Sprachmittlern bis hin sogar zu im Grunde unterstützenden Einheimischen, die jedoch auf ihr Verständnis von Hilfe beharren und Geflüchtete somit ihrer Eigenständigkeit und Individualität berauben. Letzteres wird an der Figur Sarahs sehr deutlich, in die A. sich verliebt, letztlich aber eine sehr ambivalente Haltung einnimmt.
Man mag die endlose Kette an Negativerfahrungen von A. als einseitig kritisieren; möglicherweise konzentrieren sich hier unterschiedliche Erlebnisse in einer Figur. Insgesamt aber scheint mir die Geflüchtetenthematik sehr authentisch dargestellt, was sicher auch daran liegt, dass von einem hohen autobiografischem Anteil der Geschichte auszugehen ist. Die Geschichte geht unrer die Haut, fesselt und ist gleichzeitig sehr lehrreich. Der Roman wäre gut geeignet als Pflichtlektüre beispielsweise in Migrationsstudiengängen. Noch nie zuvor habe ich einen Roman gelesen, der die Geflüchtetenthematik derart facetten- und kenntnisreich ausleuchtet inklusive auch der Aspekte, von denen Viele so gerne die Augen verschließen: der Angst vor Fremden und Reserviertheit ihnen gegenüber und insbesondere auch der Kehrseite der "ach so gut gemeinten" Unterstützung, die auch zur Last werden kann.
Letzteres wird im Roman an der Figur Sarahs sehr deutlich aufgezeigt. Sie unterstützt ihn zwar, nurtzt ihn aber quasi auch als eine Art Studienobjekt und fühlt sich quasi magisch zu ihm hingezogen. Ihre Hilfsangebote haben mehr Zwangscharakter als dass sie eine wählbare Option wären für A. Im Roman ist die Figur Sarahs meiner Meinung nach überzeichnet. Insbesondere das Ende ist sehr "überdreht" und löst offensichtlich beim Leser starke (Abwehr)-reaktionen aus. Und doch ist ihre Figur für den Roman zentral: Sie verweist auf die fehlende Wahrnehmung von Geflüchteten als eigenständige Subjekte mit Wahlmöglichkeiten, deutet kritisch auf falsch verstandene Hilfe und Unterstützung hin. Vor allem aber wird es möglich der Kontingenz von Geflüchteten-Biografien Raum zu geben: Es könnte so wie geschildert sein, und doch ganz anders. Geflüchtete müssen ja leider zum Teil auch Strategen sein, um eine Chance auf Asyl zu haben. Entsprechend darf Wahrheit keinen Absolutheitsanspruch haben, muss dehnbar bleiben. Für Geflüchtete wird dies zu einer Überlebensnotwendigkeit.
Der Roman hat mich in jeder Hinsicht begeistert: vom Plot, der Sprache und auch der allgemeinen Konstruktionsweise her. Hier werden nämlich verschiedene Etagen unterschieden, wobei man fragen könnte, ob die nächst höhere tatsächlich auch eine Steigerung bzw. Verbesserung mit sich bringt oder nicht vielleicht eher in psychischer Hinsicht das Gegenteil. Auch hier finden wir wieder den Aspekt der Ambivalenz als zentralen Moment im Leben eines Geflüchteten.
Ein grandioses Debut, unbedingt lesen!
Amir Gudarzi schildert uns in seinem Roman „Das Ende ist nah“ das Schicksal eines iranischen Flüchtlings, der vor der alltäglichen staatlichen Gewalt in seinem Heimatland flieht und in Österreich um Asyl nachsucht. Gudarzi nennt diesen Flüchtling A., eine gewollt durchschaubare Verschlüsselung des eigenen Namens? Eine Frage, die sich der Leser über die gesamte Lektüre des Romans stellt. Wie autobiografisch ist der Roman? Wie nah ist das Erleben von A. dem Erleben von Amir?
Auf jeden Fall ist es eine Geschichte der Erniedrigung, die im Heimatland ganz sicher massiver ist als im Fluchtland Österreich. Aber auch dort muss der Flüchtling A. immer wieder um die eigene Würde, um Respekt und Anerkennung kämpfen.
Im Roman wechseln permanent die Zeitebenen. Aus dem Geschehen im Wohnheim in einem österreichischen Dorf werden wir als Leser häufig sehr unvermittelt herausgerissen und in die Gewaltwelt des iranischen Unrechtstaates hineingestoßen. A. ist in der Flüchtlingswelt im Aufnahmeland Österreich weiterhin vor allem umgeben von Landsleuten oder Menschen aus dem Iran benachbarten Ländern. Feindschaften, Rivalitäten oder auch Hasstiraden und Gewalt als Normalfall werden so auch in die österreichische Provinz hineingetragen. Es hat mich vor allem beeindruckt, wie Gudarzi deutlich machen kann, wie die Sozialisierung in einer von Gewalt geprägten Umwelt es sehr schwer macht, sich auf eine Gesellschaft einzustellen, die soziales Verhalten von ihren Bewohnern erwartet. Die Langzeitfolgen staatlicher, gesellschaftlicher und familiärer Gewalt kommen hier in massiver Form zum Ausdruck.
Da fallen echte Verbindungen zu der Aufnahmegesellschaft enorm schwer (und das nicht etwa nur wegen mangelhafter Sprachkenntnisse). Und so ist auch die einzige Beziehung, die A. in der geschilderten Zeit knüpfen kann (zu Sarah), enorm zwiespältig, unausgegoren und befremdlich.
„Ich war erstaunt, dass sie für alles einen komplizierten Grund findet und ganz einfache Gründe übersieht.“
Doch was ist ein einfacher, was ist ein komplizierter Grund? Das zu beurteilen, trifft die Gedankengrundlagen, wie sie in der Sozialisation gelegt wurden. Und hier treffen dann eben Welten aufeinander.
Der simple Wunsch A.s: „Warum bin ich kein Europäer? Warum kann ich nicht auch das Leben gennießen?“ traf mich bei der Lektüre tief ins Mark. Und erinnerte mich mal wieder, welche zufällige Glücksbasis Grundlage meines Lebens ist.
So hat mich also der Roman tief berührt und mich in eine Welt hineingeführt, die mitten unter uns stattfindet, über die so viel und so heftig berichtet wird, in die wir aber doch so ungeheuer wenig wirkliche Einblicke gewinnen können: die Welt der Flüchtlinge, die hier häufig als Strom bezeichnet werden und der damit jegliche Individualität genommen wird. Gudarzi gestaltet mit seinem A. (ob er das nun selber ist oder nicht) ein für mich glaubwürdiges Flüchtlingsschicksal, gefangen zwischen Gewalterfahrungen und gegenseitigem Unverständnis im Aufnahmeland, das mich sehr berühren konnte.
Verstörend an dem Roman ist dessen Ende, an dem Gudarzi selbst ein großes Fragezeichen setzt ob des Realitätsgehalts der erzählten Geschichte. Für mich ist es auch kein Wunder, dass nach dieser geografischen und psychischen Odyssee schon mal die Maßstäbe und Erkenntnisse über die Realität ins Wanken geraten können! Ich kann mit diesen Fragezeichen und den daraus erwachsenen Zweifeln deshalb leben und für mich bleibt der überzeugende Eindruck der literarischen Gestaltung dieses Schicksals absolut bestehen und führt zu einer 5 Sterne-Bewertung.
A. flüchtet aus seiner Heimat, dem Iran, nach den Aufständen in Theran 2009 nach Österreich. Er ist 26 Jahre alt und hat in Teheran die Theaterschule besucht, ist also gut ausgebildet und spricht etwas englisch. In Östtereich durchläuft er in Wien und Umgebung ein zermürbendes Asylverfahren. A. als der Protagonist dieses Romans steht autofiktional für den Autor Amir Gudarzi.
Die Geschichte wechselt zwischen zwei Zeitebenen: Zwischen der Kindheit, Jugend und dem Leben des jungen Erwachsenen im Iran bis 2009 und dem anschließenden Leben als zunächst illegaler Flüchtling in Österreich. A. scheint aus den höllischen Zuständen in seiner Heimat in die höllischen Zustände unter anderen, feindseligen Flüchtlingen und mißtrauischen Einheimischen geraten zu sein.
Die Lebensumstände im Iran, insbesondere die Verfolgung Andersdenkender und sexuelle Unterdrückung, wird in schockierenden, geradezu unerträglichen Szenen geschildert. Dabei bedient sich der Autor kurzer Sätze, die Beschreibung des Grauens ist sachlich, beinahe nüchtern. Diese szenischen Schilderungen wechseln sich im Verlauf des Romans ab mit einer poetischen, blumenreichen, verschnörkelten Sprache. A. dichtet, es werden lyrische Texte eingestreut, die die Emotionen des Protagonisten spiegeln. Auch Szenen aus der orientalischen Mythologie finden sich.
Der Roman liest sich gut. Dennoch hat er mir nicht gefallen. Bei dieser Wertung ist mir bewußt, dass die Geschichte auch nicht gefallen will, dies ist also kein "gefälliger" Roman. Ich habe ihn mit Entsetzen ob der geschilderten Zustände im Iran und mit Interesse für den Fortgang des Schicksals von A. gelesen. Der Einblick in die für mich bisher fremde Kultur des Geflüchteten habe ich als durchaus wertvoll empfunden. Sowohl bei der Schilderung des Alltags in Österreich mit seinen bürokratischen Hemmnissen als auch bei den vielfältigen Problemen mit anderen Flüchtlingen und Einheimischen beschönigt der Autor nichts.
Dennoch läßt mich die Lektüre ratlos zurück. Der Plot ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar. Am Ende wird mir zuviel tiefenpsychologisiert. Der Autor stellt sich und seine Geschichte in Frage. Ist alles erfunden ? Was ist wahr, was ist Lüge ? Von Anfang an spürt der Leser, dass mit A. etwas "nicht stimmt". Mehr und mehr erscheint er psychisch angeschlagen, was angesichts seiner traumatisierenden Erfahrungen auch nicht verwunderlich ist.
A. träumt viel, verwahrlost physisch und psychisch. Die Geschichte ist im Ganzen betrachtet widersprüchlich und m. E. nicht gut komponiert. Die Frage, ob und wie er wirklich in Österreich angekommen ist und welches Ende nah ist, bleibt m. E. unbeantwortet im Vagen.
Ich kann hier nur spekulieren und das gefällt mir nicht. Ich vergebe drei Sterne.
Kurzmeinung: Ohne das surrealistische Ende wäre es ein guter Roman gewesen.
Der Protagonist A. weist alle möglichen Ähnlichkeiten mit Amir Gudarzi auf, da seine Vita ihm dermassen ähnelt, dass sich der Gedanke an Autofiktion sogleich aufdrängt. Der als A. bezeichnete Protagonist kommt als junger Mann aus dem Iran nach Wien, wo er einen Asylantrag stellt.
Der Hintergrund von A. wird nicht ganz klar, einerseits lebt er mit seiner Familie in einem Problemviertel Teherans, andererseits hat er Zugang zu höherer Bildung, liest u.a. Dostojewski und besucht eine renommierte Theaterschule. Er fängt schon mit sechzehn Jahren an, für das staatliche Fernsehen zu schreiben. Er beherrscht englisch als Fremdsprache, wenngleich nicht fließend, aber doch so, dass er sich später im Ausland verständigen kann. Wo hat er das bloß gelernt?
Die Zustände im Iran, die ihn dazu veranlasst haben, das Land zu verlassen, werden nicht vollständig aufgeklärt, es steht aber fest, dass er als Intellektueller diversen Repressalien unterlag, dass er festgenommen und gefoltert wurde und mit dem Regime im Iran Probleme hat.
In Österreich angekommen, durchläuft A. alle möglichen Stufen der österreichischen Bürokratie, erlebt Schikanen, die den Schikanen, die er in Teheran erlitt, nicht unähnlich sind, erlebt Ablehnung, Einsamkeit, Isolation und Verachtung. In seinen Einlassungen, die er einerseits gegenüber den Behörden macht, andererseits aber auch gegenüber der Leserschaft, gibt es immer wieder Leerstellen, so dass sich schon früh der Verdacht einstellt, dass A. ein unzuverlässiger Erzähler sein könnte.
Der Kommentar:
Der Roman ist dem Aufbau eines Wohnhauses nachempfunden, vom Erdgeschoss bis zum Vierten Stock arbeitet sich der Autor/Erzähler hinauf, es ist sozusagen ein Theaterstück in 5 Akten!
Als Erzählfigur wählt Gudarzi die Figur des A. als Icherzähler und Briefe von einer ominösen Frauensperson namens Sarah, mit der A. Kontakt hat. Da A. sich stark zum Film hingezogen fühlt und sich als Dramatiker und Künstler empfindet (und es wohl auch ist), schreibt er Gedichte und Drehbücher, die teilweise im Buch zu „genießen“ sind. Man merkt hier schon die auch ausdrücklich genannte Nähe zum Filmemacher Pier Paolo Pasolini, von dem es in Wikipedia heißt: „Seine Figuren changieren zwischen Profanität und Transzendentalität, bewusst inszeniert Pasolini diesen Zwiespalt“. Entsprechend mystisch und geheimnisvoll sind die abgedruckten Drehbücher (zum Glück nur kurze Passagen).
Die ersten vier Fünftel des Romans widmen sich sowohl der Traumabewältigung wie auch ganz allgemein dem schwierigen Ankommen in einer fremden Kultur und Sprache. Glaubhaft und authentisch wird der Figur des A. Heimweh, Isolation, Beziehungsunfähigkeit, Lügen, Betrügen und Alkoholexzesse zugeschrieben, die Entwurzelungsdepression wird klar herausgearbeitet. Nirgendwo findet die Figur des A. eine Möglichkeit anzudocken: die Asylanten untereinander sind sich nicht grün, sie beklauen einander, sie bekämpfen sich, sie hegen ihre mitgebrachten Ressentiments bezüglich Religion, Rasse und Stand; die Asylanten leiden an Langeweile und Spachlosigkeit. Das alles ist nachvollziehbar und macht betroffen. Der Roman wäre klassische Gesellschaftskritik - wenn nicht das Ende alles verderben würde.
Im letzten Fünftel bzw. im letzten Stockwerk des Romans eifert der Autor jedoch Pasolinis Vorbild nach, überlässt sich künsterischem Ehrgeiz und führt den Roman in ein implodierendes Ende von Wahn und Surrealismus. Ergo: der Roman ist hin.
Fazit. Vier Fünftel des Romans lassen sich bestens lesen und nachfühlen, das implodierende Ende kann man „Kunst“ nennen, wenn man will, ich will nicht oder aber auch Unwillen, einen Roman vernünftig zu beenden. Wäre ja auch zu einfach! Ich bin nachhaltig verärgert.
Kategorie: Migrationsroman
Verlag: Dtv. 2023
In Amir Gudarzis Debütroman „Das Ende ist nah“ entwirft er die Geschichte des jungen Mannes A., welcher nach den Protesten 2009 in seinem Heimatland Iran eigentlich nach Kanada flüchten will, aber in Österreich hängen bleibt. Wir begleiten ihn nun nicht nur auf seinem Weg durch den unbarmherzigen Dschungel der Bürokratie und des gesellschaftlichen Lebens in Österreich hin zum anerkannten Asyl, sondern auch durch Rückblicke in seine Vergangenheit und zu den Geschehnissen, die ihn letztlich zur Flucht gezwungen haben.
A. ist Student des Faches „Szenisches Schreiben“ in Teheran als die Proteste gegen das Mullah-geführte Regime immer dringlicher und auch gefährlicher für die Teilnehmenden wird. Im sozialen Brennpunkt im Süden Teherans aufgewachsen, geht A. den Weg der Bildung, der ihn mitten ins Herz der Proteste führt und damit auch zu polizeilichem Arrest und Folter. Als ihm später eine Gefängnisstrafe droht, verlässt er das Land und landet in Österreich. Dort wird zwar zum Glück keine Folter mehr angewandt, trotzdem scheint der Aufenthalt im Transit zwischen anerkanntem Asyl und einer unvorhersehbaren Ausweisung zurück nach Iran psychisch immer belastender für A. zu werden. Häufig mit Ignoranz und Hass konfrontiert und nur selten mit Mitmenschlichkeit und Wärme verschlechtert sich A.s Zustand rapide. Die wankelmütige Beziehung zur deutschen, in Wien lebenden Sarah scheint A. eine Zeit lang Halt zu bieten, ihn jedoch auch zunehmend zu belasten.
Amir Gudarzi, dessen Erlebnisse aus seinem eigenen Leben sicherlich in diesem Roman mit eingeflossen sind, wobei das Ausmaß nicht abzuschätzen ist, brilliert in seinem im Deutschen verfassten Debütroman mit einer überraschenden Romankonstruktion und einer fesselnden Sprache zwischen poetischen Formulierungen und berichtartigen Beschreibungen von grauenvollen Erlebnissen sowohl im Iran als auch in Österreich. Wie klar und ungeschönt sich Gudarzi mit seinem Heimatland aber auch der österreichischen Gesellschaft und ihre Reaktion auf den Geflüchteten A. auseinandersetzt, ohne ausschließlich einseitig zu erzählen, hat mich vollends überzeugt. Ist der Roman noch zu Beginn von schwer verdaulicher, physischer Gewalt geprägt, nimmt mit dem Wechsel nach Österreich immer stärker die psychische Gewalt zu, die auf A. trifft. Grandios ist letztlich gemacht, wie Gudarzi unter anderem durch die Einteilung des Buches in die Abschnitte von „Mezzanin“ (für alle, die es nicht wussten – ich gehöre dazu – ist dies ein in Österreich gebräuchlicher Begriff für ein Halbgeschoss) bis „Vierte Etage“ den bürokratischen Aufstieg A.s bis zur Anerkennung des Asylantrags darstellt und gleichzeitig in einer Gegenbewegung sich der psychische Zustand der Figur aufgrund der massiven Belastungen, unter denen er zu leiden hat, zunehmend verschlechtert. Die Figur Sarah, welcher immer ausgedehntere Kapitel für ihre Sichtweisen zur Verfügung gestellt werden, spielt dabei eine wichtige Rolle. Sind teilweise ihre Passagen durchaus anstrengend in der Lektüre, hat das alles doch einen Sinn, den wir allerdings erst zum Schluss erfahren. Somit lohnt sich bei diesem Roman eine Zweitlektüre ganz besonders.
Mir hat der Roman wirklich ausgesprochen gut gefallen. Sowohl der Erzählstil als auch die Konstruktion des Romans haben mich von Beginn an ganz fest gepackt und bis zuletzt nicht mehr losgelassen. Ich konnte mit jedem Szenenwechsel sofort in die Atmosphäre der Szenerie, ob nun Rückblick in die Vergangenheit oder Geschehen in der Gegenwart des Romans, eintauchen und habe alles bildlich vor mir gesehen. Gudarzi spielt auch mit den Zeitformen und den Erzählperspektiven, begründet dieses Spiel aber ganz klar mit Hinweisen Text:
„Ich schreibe auch jetzt im Präsens, weil ich versuche, alles zu rekonstruieren, alles aufs Neue zu erleben. Ich könnte auch in der Vergangenheitsform schreiben, aber ich schaffe es nicht, weil ich offensichtlich etwas verloren oder vergessen habe und es dort wiederfinden muss. Beim Schreiben springe ich immer zwischen den Zeiten hin und her – die Sprache als Zeitmaschine.“
Ich habe durch den Roman von Amir Gudarzi wirklich sehr viel Neues sowohl über die Zustände im Iran als auch bezogen auf die Zeit nach dem Ankommen in einem Land, welches noch nicht das Asylgesuch einer geflüchteten Person anerkannt hat, entdecken können, weshalb er von mir definitiv die volle Punktzahl bekommt. Diesen Autor werde ich auf jeden Fall im Blick behalten, denn er ist eindeutig für unkonventionelle Überraschungen gut.
5/5 Sterne
Das Leben eines Flüchtlings
Amir Gudarzi, 1986 in Teheran geboren, ging 2009 ins Exil nach Wien, wo er seitdem als Dramatiker und Autor arbeitet. „Das Ende ist nah“ ist sein erster Roman, in dem er die Geschichte eines iranischen Studenten erzählt, der aus seiner Heimat nach Österreich flieht und hofft, vom Asylantendasein in ein normales Leben zurückfinden zu können.
Die Geschichte wird über zwei Zeitebenen erzählt:
1. 1986 bis 2009 Schauplatz ist der Iran
2. ab 2009 Schauplatz ist Österreich
Gudarzis Protagonist A., geboren 1986, verbringt seine Kindheit bis zum Alter von 23 Jahren in Teheran. Es ist die Zeit der Islamischen Republik im Iran, der Alltag wird von dem Dauerkonflikt zwischen religiösen Konservativen und liberalen Reformern dominiert. Angst und Gewalt sind ständige Begleiter in der Kindheit und Jugend von A.. Die iranische Gesellschaft ist von Hass und Fanatismus geprägt. Hier wird nach dem Gesetz des Stärkeren gelebt, das sich bis in die Familien eingeschlichen hat. Nach seiner Schulzeit studiert A. Theaterwissenschaften und beteiligt sich als Student an den Demonstrationen gegen das Regime. Durch diese Aktivitäten gerät er in das Visier der Behörden, so dass er, der bereits Erfahrungen mit Folter und Gefängnis machen musste, um sein Leben fürchtet. Daher verlässt er 2009 den Iran. Seine Flucht führt ihn nach Österreich.
Das Jahr 2009 und folgende sind gleichbedeutend mit der Gegenwart und stellen die zweite Zeitebene in diesem Roman dar. Gudarzi verknüpft dabei beide Zeitebenen miteinander, indem er gerade zu Beginn seines Romans kapitelweise zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt.
Während in der Vergangenheit sein Protagonist den Namen A. trägt, haben wir es in der Gegenwart mit einem Ich-Erzähler zu tun, wobei Gudarzi mit diesem einfachen stilistischen Mittel einen deutlichen Bruch zwischen dem Leben im Iran und dem Leben als Asylbewerber in Österreich dokumentiert.
Trotz dieser Abgrenzung gibt es eine große Gemeinsamkeit zwischen den beiden Erzählebenen. Denn das Leben des Asylbewerbers wird auch weiterhin von Angst dominiert: die Angst vor der Gewaltbereitschaft anderer Flüchtlinge, die Angst vor Behörden, die Angst vor Abschiebung. Der Ich-Erzähler, der sich selbst im Iran als selbstbewussten Intellektuellen betrachtet hat, wird in Österreich tagtäglich Erniedrigungen ausgesetzt, wird ausgebeutet und ausgegrenzt. Er ist einsam und verzweifelt. Diese nicht enden wollende seelische Dauerbelastung macht ihn krank.
Endlich wird sein Asylantrag bewilligt, Ob damit sein Leben eine positive Wendung nehmen wird, bleibt jedoch offen.
„Das Ende ist nah“ ist ein gewaltiges Buch, gewaltig durch seine Sprachkraft, aber auch gewaltig durch die Brutalität und Aggressivität, welche diese Geschichte eines Flüchtlings und Asylsuchenden dominieren, so dass zermürbende Angst und Verzweiflung ein gefühlsmäßiger Dauerzustand in dessen Leben sind. Man muss als Leser schon hartgesotten sein, um von diesen Empfindungen unberührt zu bleiben.
Gudarzi erzählt diese Geschichte auf eine sehr kraftvolle und schnörkellose Art. Lediglich, wenn er erzählerisch Ausflüge in die iranische Literatur unternimmt, indem er Auszüge aus orientalischen Werken wiedergibt, wird der Leser mit einer sehr blumigen und überbordenden Sprache konfrontiert, die einen krassen Gegenpol zu Gudarzis eigenem Sprachstil bildet.
Fazit:
„Das Ende ist nah" ist ein eindrucksvoller Roman, der einen Flüchtling und Asylsuchenden aus der Anonymität unzähliger Leidensgenossen holt und ihn, stellvertretend für Menschen mit einem ähnlichen Schicksal, sein Seelenleben offenlegen lässt. Ein Funken Empathie reicht aus, dass man sich als Leser von diesen sehr intensiven Erfahrungen des Protagonisten vereinnahmen lässt und sich in der Pflicht sieht, die Flüchtlingsthematik im Alltag differenzierter zu betrachten. Ein wichtiger Roman in unserer heutigen Zeit.
Leseempfehlung!
© Renie