Die englische Scheidung
Betsy Canning möchte frei sein, sie will die Scheidung von ihrem Mann Alec. Die Affären kann sie ihm verzeihen, zumindest waren sie vorher nie Grund genug sich zu trennen. Doch nun möchte Betsy diesen Schritt gehen, und zwar ohne Zwist und Streit einfach getrennte Wege gehen, frei sein.
An diesem Beispiel zeigt die Autorin dem Leser was es für Konsequenzen hat, und wie sehr das Umfeld mit solch einem Entschluss zu kämpfen hat. Natürlich spaltet sich auch das Freundeslager, und die Gerüchteküche brodelt.
Die Tatsache, dass Alec quasi mit dem Kindermädchen durchbrennt und nun mit ihm zusammenlebt, und das Betsy gewillt ist, einen reichen Verwandten zu ehelichen, befeuert es natürlich obendrein ungemein.
Die drei Kinder, Kenneth, Eliza und die jüngste Daphne, gehen auf sehr unterschiedliche Art und Weise damit um, man kann aber sagen, dass auch sie großen Veränderungen unterworfen sind. Allein schon die Frage wohin gehe ich, gerade bei den älteren Geschwistern stellt sich diese Frage. Wenn dann noch Mutter oder Vater versuchen die Kinder gegen den anderen auszuspielen ist das Chaos natürlich komplett.
Ich halte mich nicht ohne Grund sehr bedeckt, denn ich glaube man muss diesen Roman einfach unvoreingenommen erleben. Meine eigenen Eindrücke schwankten zum Beispiel hier und da, was daran liegt, dass die Figuren natürlich eine gewisse Entwicklung durchlaufen, bei der es mir schwer fiel, immer bei dem ersten gewonnen Eindruck zu bleiben.
Die Autorin hat hier ein fantastisches Bild einer Familie gezeichnet, die eine Scheidung durchläuft. Sie beleuchtet die Umstände aus allen Blickwinkeln und schafft es ganz tolle Lebensweisheiten einzustreuen. Kennedys Roman ist zwar schon in die Jahre gekommen, was man an einigen Situationen durchaus merkt, dennoch wirkt er vom Stil her doch recht zeitlos, und ist nicht mit einigen schwer lesbaren Werken zu vergleichen.
Ich halte auf jeden Fall meine Augen offen nach neuen Veröffentlichungen!
In England in den 1930er Jahren des vorherigen Jahrhunderts spielt dieser Roman (erschienen erstmals 1936), und er betrachtet die Geschehnisse innerhalb der Familie Canning. Die Eltern Betsy und Alec haben sich auseinandergelebt, und doch ist Alec überrascht von dem Vorschlag seiner Ehefrau, sich scheiden zu lassen. Diese Absicht tut Betsy auch in einem Brief an ihre Mutter kund, und von da an nehmen die Ereignisse ihren Lauf. Betsys Mutter, die die Trennung unbedingt verhindern will, nimmt Kontakt zu Alecs Mutter auf, die, von Natur aus dominant und überaus überzeugt von ihrer eigenen Person, gleich zu den Cannings fährt, um in ihrer wenig subtilen Art dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Scheidung kommt. Doch dieses Vorhaben läuft dann letztlich unter dem Motto "verschlimmbessern", und obschon Betsy zwischenzeitlich ein wenig ins Grübeln kam, ob eine Trennung wirklich der richtige Schritt ist, lässt sich die Scheidung nun gar nicht mehr verhindern. Was in aller Ruhe vonstatten gehen sollte, endet in einem Rosenkrieg, und alles verändert sich.
Leidtragende sind dabei auch die drei Kinder, Kenneth, Eliza und Nesthäkchen Daphne. Durch die entstehenden Gerüchte und das allgegenwärtige Gerede von Bekannten und Verwandten über die Eltern sehen sich die Jugendlichen Kenneth und Eliza zudem gezwungen, sich für ein Elternteil zu entscheiden. Dadurch gerät auch das Verhältnis unter den Geschwistern in eine gehörige Schieflage. Während Eliza sich bemüht, in ihrem Umfeld für Ordnung und Struktur zu sorgen und die Zügel in der Hand zu behalten, wendet sich Kenneth von der Familie ab und gerät in schlechte Gesellschaft, aus der er sich nicht mehr zu befreien vermag.
Der Aufbau des Romans gleicht der Methode des szenischen Schreibens (Margaret Kennedy schrieb u.a. auch für das Theater). In den einzelnen Szenen wird jeweils ein bestimmter Ausschnitt der Ereignisse beleuchtet, wobei jede Szene wechselnd aus der Perspektive eines der beteiligten Charaktere geschildert wird und damit jede:r seinen Auftritt hat. In der ersten Hälfte des Romans liegen die Szenen inhaltlich und zeitlich dichter aneinander, was eher wie aus einem Guss wirkt. In der zweiten Hälfte dagegen gibt es größere Zeitsprünge, und auch räumlich sind die Figuren, die zu Beginn alle in einem Haus wohnen, nun getrennt - und alles entwickelt sich auseinander. Im Grunde entspricht das ja auch der Entwicklung im realen Leben, nur dass das "Geschmeidige" im Lesefluss hier etwas fehlt und Brüche entstehen.
Der Autorin gelingt es, sowohl die Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit einzufangen (und damit ein glaubhaftes Gesellschaftsportrait der gehobenen Mittelschicht Englands zu liefern) als auch die Gefühlslage der betroffenen Personen zu verdeutlichen und dabei alle Altersguppen gleich treffend zu charakterisieren . Das wirkte auf mich alles sehr authentisch.
Meiner Meinung nach zeigt der Roman einmal mehr, dass es sich lohnt, vergangene und womöglich oftmals schon in Vergessenheit geratene Autor:innen wieder ans Tageslicht zu zerren und ihre Bücher neu aufzulegen. Der Sprachstil wirkt keineswegs altmodisch, und auch wenn eine Scheidung damals sicher noch durch die gesellschaftliche Wirkung verstärkt ein einschneidendes Erlebnis war, so stellt dies auch heute noch oftmals eine Krise im Leben der Beteiligten dar. Vieles ist im Kontext der damaligen Zeit zu sehen, die Gefühle und Gedanken der handelnden Personen jedoch weisen auch allgemeingültige Aspekte auf. Die offenkundige Gesellschaftskritik, die Ironie sowie der immer wieder aufblitzende Humor haben mir gut gefallen, ebenso wie die eingestreuten lebensklugen Sätze, die stets treffend und keineswegs aufgesetzt wirken.
Ein ungewöhnlich aufgebauter, stilistisch ansprechender Roman, ohne überbordenede Spannung, aber durch die Allgemeingültigkeit vieler Aspekte auch heute noch aktuell. Ein Stück gehobener tragikomischer Unterhaltungsliteratur, durchaus empfehlenswert.
© Parden
Erfreulicherweise machen es sich immer mehr Verlage zur Aufgabe, unbekannte oder zu Unrecht vergessene Schätze zu heben. So auch der Schöffling- Verlag, der nach „ Das Fest“ nun einen weiteren Roman der englischen Schriftstellerin Margaret Kennedy veröffentlicht hat. Zur Freude des Lesers.
Die 1896 in London geborene und 1967 verstorbene Autorin war zu ihrer Zeit äußerst erfolgreich mit zahlreichen Romanen,
Theaterstücken und Drehbüchern.
Alec und Betsy sind ein gut situiertes Ehepaar im England Mitte der 1930er Jahre. Sie haben drei Kinder und Alec, ein ehemaliger Beamter, nun erfolgreicher Autor von Libretti, hat es zu Ruhm und Geld gebracht. Eigentlich könnte alles bestens sein. Doch Betsy fühlt sich nach siebzehn Ehejahren gelangweilt und unzufrieden. Sie möchte die Scheidung. Alec dagegen wünscht keine Veränderung und kurz scheint es so, als könne er seine Frau nochmals umstimmen. Aber zu spät! Die Schwiegermütter, von Betsy über ihr Vorhaben informiert, eilen herbei, um die Katastrophale aufzuhalten.
Deren Einmischung bewirkt allerdings das Gegenteil. Plötzlich scheinen die Fronten klar und es entwickelt sich ein Rosenkrieg, den ursprünglich keiner wollte.
Margaret Kennedy beginnt ihren Roman wie eine typisch englische Komödie, mit Sommerfrische am See, mit Dienstboten und Kindermädchen usw. Vor allem die beiden Schwiegermütter mit ihren Macken und Allüren werden vortrefflich gezeichnet.
Doch dann wird aus der Komödie eine Tragödie. Alec stürzt sich aus gekränkter Eitelkeit in eine Affäre mit dem Kindermädchen, das unglückseligerweise sofort schwanger wird. Betsy weiß garnicht mehr, was sie sich eigentlich von einer Trennung versprochen hat.
Auch der Freundes- und Bekanntenkreis äußert seine Meinung ( „ Du kannst keine Frau in Betsys Alter verlassen. Das ist nicht gerade ermutigend für uns, die wir die Zähne zusammenbeißen und bei der Stange bleiben.“) und ergreift Partei für die eine oder andere Seite.
Aber vor allem die Kinder leiden unter der neuen Situation. Langsam beginnen sie zu begreifen, dass damit das vertraute Familiengefüge zusammenbricht. „ Ihre gemeinsame behütete Kindheit war vorbei.“ An ihnen zeigt die Autorin exemplarisch, wie unterschiedlich Kinder auf eine Scheidung reagieren können.
Das alles gestaltet Margaret Kennedy souverän, mit sehr viel Witz und auch mit Seitenhieben auf diese englische Gesellschaft. Dabei stellt sie keinen Protagonisten bloß, sondern begegnet allen mit sehr viel Verständnis für ihre Schwächen und Eigenheiten.
Die Autorin versteht ihr Metier. Sie verwendet gekonnt verschiedene Textsorten, baut eine leise Spannung auf und überrascht mit unerwarteten Wendungen. Ihre Erfahrung als Schreiberin von Theaterstücken und Drehbüchern zeigt sich in pointierten Dialogen und prägnanten Szenen.
Der auktoriale Erzählstil wird heute nur noch selten verwendet, doch hier passt er bestens. Damit erlaubt uns die Autorin einen Blick in die Gedanken- und Gefühlswelt aller Charaktere. Dadurch ist der Leser oft schlauer als die Akteure, was für zusätzliche Komik sorgt.
Der englische Titel „ Together and apart“ ist weitaus passender als „ Die englische Scheidung“. Denn das Leben geht für alle Beteiligten auch nach der Scheidung weiter, möglicherweise nicht ganz so, wie anfangs gedacht und geplant, doch mit Bedingungen, mit denen man sich arrangieren kann.
Es ist nicht nur das Paar, das sich trennt. Es gibt auch andere Konstellationen, die sich voneinander entfernen und wieder annähern, so z.B. die Freunde des Paares, die Beziehungen der Kinder untereinander, die Beziehung zwischen Eltern und Kinder, das Verhältnis Schwiegertochter und Schwiegermutter. Alle durchlaufen einen Prozess der Veränderung. Alle wachsen an den Herausforderungen, nicht sofort, aber mit der Zeit. Dass dabei die einzelnen Figuren unterschiedlich gestärkt hervorgehen, ist nur realistisch. Von einer Scheidung sind immer mehr als zwei Menschen betroffen und das fängt die Autorin sehr gut ein.
Neben dieser klugen Betrachtung über Ehe, Familie und Trennung finden sich zahlreiche allgemein gültige Lebensweisheiten, wie z.B. folgende Sentenz: „ Menschen wurden nicht über Nacht netter. Oft steckte eine bittere Erfahrung dahinter. Es war mühsam und kostete viel Kraft, sich zu verändern. Trotzdem war es besser, sich auf schmerzenden Füßen auf einen Berg hinaufzuquälen, als ein Leben lang im Morast aus Apathie und Selbstmitleid festzustecken.“
Der Roman bietet kein Happy-End ( das hätte auch nicht gepasst ), aber ein Ende, das den Leser zufrieden zurücklässt.
Für mich war „ Die englische Scheidung“ ein perfektes Lesevergnügen, klug und unterhaltsam. Und es ist zu wünschen, dass der Schöffling- Verlag noch weitere Romane der Autorin folgen lässt.
Das Verdienst vom Verlag Schöffling & Co ist es, die Romane von Margaret Kennedy neu übersetzt und so die Werke der Autorin vor dem Vergessen ihrer Erzählkunst bewahrt zu haben. Letztes Jahr las ich "Das Fest", nun den Roman "Die englische Scheidung"., welcher mir alles in allem besser gefiel.
Der Titel ist Programm: Es geht um eine Scheidung im England der 1930er Jahre. Betsy ist eigentlich die Einzige, die die Scheidung will. Sie möchte ein neues Leben führen, einen Neustart wagen. Zur Zeit, in der die Geschichte spielt, gleicht dies fast einem Skandal. Tatsächlich heißt keiner die von Betsy angestoßene Scheidung gut: Ihr Noch-Ehemann Alec hat sich viel zu sehr auf die bequeme Arbeitsatmosphäre im funktionierenden Heim eingestellt, die drei heranwachsenden Kinder scheuen ohnehin jegliche Veränderung, die Schwiegermütter sind entsetzt und starten eine Gegenoffensive, und im Freundeskreis dominiert Klatsch und Tratsch über das Ehedesaster. Inhaltlich ist das eine Art neuer Wein in alten Schläuchen, doch Kennedy versteht es, ihre Charaktere und deren Entwicklung minituös nachzuzeichnen. Sie mischt die Umsicht einer Autorin mit den inneren Stimmen der einzelnen Protagonisten und zeichnet so sehr authentisch Veränderungs- und Entwicklungsprozesse nach. Dabei wechselt der Erzählton vom Satirischen ins Tragische und wieder ins Normale. Alles wirkt gleichermaßen authentisch.
Am Besten gefallen hat mir persönlich die Wende vom Zeitpunkt als alles zu zerbrechen droht und die Schreidung auf Gegenwehr stößt hin zur Einrichtung in einem neuen Leben mit einhergehender Akzeptanz des Geschehenen: Betsy heiratet eineneinflussreichen Cousin, Alec erkennt nun, dass das Kindermädchen, das ihn lange bereits anhimmelte, ihm eine neue Zukunft bietet, die heranwachsenden Kinder konzentrieren sich zunehmend auf die eigene Entwicklung und auch die moralisierenden Freunde geben Ruhe. Nichts wird im Endeffekt so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und eine Scheidung mag zwar unkoventionell und ein EInschnitt sein, aber sie ist längst nicht das Ende von allem. Das Leben geht weiter.
Insgesamt habe ich das Buch gerne gelesen, wenngleich es für mich kein persönliches Highlight darstellt.
Frei nach dem Motto "man kann aus einer Ehe zwar ohne Koffer verschwinden, aber nicht ohne seelisches Gepäck" erzählt Margaret Kennedy in "Die englische Scheidung", übersetzt von Petra Post vom Ende einer Ehe - und dem weiteren Weg "danach". Betty und Alec leben zusammen mit ihren drei Kindern Kenneth, Eliza und Daphne ein recht wohlsituiertes, stabiles Leben in England Mitte der 1930er Jahre. Doch auch wenn Zeit und Gesellschaftsschicht differieren, ist es eine Geschichte, die man letztlich genauso heute erzählen könnte.
Alec, der seinem Beamtenjob den Rücken gekehrt hat und nun erfolgreich Libretti schreibt, hat sich in seinem Leben gut eingerichtet. Doch Betsy, chronisch unzufrieden und gelangweilt, wünscht sich nun mit 37 Jahren mehr vom Leben. Die Kinder sind aus dem Gröbsten rausgewachsen, werden überwiegend von Personal und Internaten erzogen und gehen ihren eigenen Weg. Und so beschließt Betsy, dass sie und Alec sich scheiden lassen sollten, sie seien ja nicht mehr glücklich miteinander. Letztlich zum Wohle aller, ganz freundschaftlich und einvernehmlich, ein Neuanfang für beide, so schreibt sie es ihrer Mutter. Doch nicht nur die findet diese Entscheidung grundverkehrt, auch Alecs Mutter hält gar nichts von einer Scheidung und plant, diese unter allem Umständen zu verhindern. Was folgt ist ein Einflussnahme, die letztlich wie Brandbeschleuniger wirkt und dazu führt, dass aus der geplanten einvernehmlichen Trennung ein Rosenkrieg mit weitreichenden Folgen wird.
Durch fehlende Kommunikation, Gerüchte und viel verletzten Stolz kommt es schließlich zur Trennung von Alec und Betsy. Auch Kenneth und Eliza werden durch das Gerede und die Gerüchte beeinflusst und sehen sich bemüßigt, eine Seite zu wählen. Letztlich zerbricht die Familie, alle sind verwundet und müssen jetzt irgendwie weitermachen.
Die Autorin schafft es, dass man beim Lesen einen tiefen Einblick in den Charakter der Familienmitglieder bekommt. Unsentimental und ehrlich lernt man die Familie kennen und ihre Entscheidungen nachzuvollziehen. Ohne über sie zu urteilen beschreibt Kennedy die nicht immer sympathischen Charaktereigenschaften und teils unklugen Entscheidungen der Cannings.
So wendet sich Alec, enttäuscht von Betsys heimlichen Plan, ihren adeligen Cousin zu heiraten, dem Kindermädchen Joy zu, die rettungslos in ihn verliebt ist. Bald schon findet er sich ohne Job und mit überschaubaren finanziellen Mitteln in einer möblierten Wohnung mit seiner überforderten Ehefrau und einem Neugeborenen wieder. Betsy, der die Freiheit so wichtig war, wendet sich trotz fehlender Gefühle dem Cousin zu und findet dann ihre Bestimmung in der Einrichtung von dessen Landsitz. Doch nicht nur durch die Kinder bleiben die Geschiedenen weiter verbunden. Das seelisches Gepäck bleibt und so zweifelt am Sterbebett der Schwiegermutter die einst so entschlossene Betsy an ihrer Entscheidung. Wunderbar hat Margret Kennedy hier Alecs Entwicklung gezeigt: Trotz aller Widrigkeiten und entgegen seiner früheren Art bekräftigt er seine Entscheidung für seine neue Gattin.
Auch die Kinder entwickeln sich, Kenneth und Eliza, die initial "ihre Seite" gewählt hatten, gehen auf ihrd Eltern zu.
Besonders eine Bedrohung von außen erfordert wieder eine gemeinsame Kraftanstrengung der Familie.
Und so erzählt das Buch realitätsnah, mit großer Präzision vom Ende einer Liebe, dem Zerbrechen einer Familie und dem Neuanfang. Fasziniert hat mich die feine Beobachtungsgabe der Autorin, die zu intensiven Charakterstudie führt, die immer wieder eingestreuten sprachlichen Perlen und der diffizile kritische Blick auf die Gesellschaft ihrer Zeit. Es ist ein wunderbares Buch, thematisch immer aktuell, unterhaltsam, klug und für mich persönlich ohne Längen. Für alle, die gerne komplexe Familiengeschichten und entsprechende Dynamiken lesen, sehr zu empfehlen!
Nach vielen Jahren Ehe ist Betsy der Ansicht, dass sie und ihr Mann nicht mehr zusammenpassen und sich trennen müssen. Es ist eine für sie anscheinend wohlüberlegte Entscheidung, hat sich doch ihr Ehemann von einem „normalen“ Beamten mit erhofften Karriereaussichten zu einem Künstler entwickelt, der recht erfolgreich Texte für Operetten schreibt. Sein Freundes- und Bekanntenkreis hat sich damit deutlich verändert und entspricht nicht mehr Betsys Vorstellungen, die sehr viel traditioneller sind und die in diesen Kreisen vor allem Zweitklassigkeit vertreten sieht.
Der Roman „Die englische Scheidung“, den Margaret Kennedy schon vor vielen Jahrzehnten geschrieben hat, setzt sich eindrücklich mit den Folgen dieser Entscheidung für alle Beteiligten auseinander. Die Autorin und auch das Buch war in Vergessenheit geraten und wurde für den deutschen Leser nun neu im Schöffling Verlag in einer sehr schönen Ausgabe aufgelegt.
Betsy berichtet zu Beginn des Romans ihrer Mutter in einem Brief von ihrem Entschluss zur Scheidung und setzt damit einen Prozess in Gang, den sie zuvor wohl vollkommen unterschätzt hatte. Die Mutter versucht vieles, um die Scheidung noch zu verhindern, wird daran aber durch eine Krankheit gehindert. Als ihr Ersatz tritt dafür die Schwiegermutter auf den Plan, die gleiches im Sinne hat.
Margaret Kennedy greift mit dem Thema Scheidung eine Situation auf, die zu ihrer Zeit noch wesentlich weniger angesehen und etabliert war, die aber genau wie heute das Leben aller Beteiligten auf den Kopf stellt. Bei der Lektüre erhält der Leser/die Leserin dann einen Einblick in die Reaktionen möglicher neuer Partner, der Kinder und des gesellschaftlichen Umfelds allgemein. Kennedy nutzt dafür mehrfach wechselnde Erzählperspektiven oder auch die Briefform, was die Lektüre sehr kurzweilig und interessant macht, zumal da sie immer wieder mit „spitzer Feder“ die englische Gesellschaft mit ihrem Klassendenken demaskiert und ihr mit einer Prise Humor immer wieder den gnadenlosen Spiegel vorhält. Zwischendurch wird der Leser immer wieder an den Rand des Zweifels gebracht zu der Frage, ob die Entscheidung zur Scheidung und letztlich die Scheidung selbst wirklich Bestand haben wird. Die Beteiligten gehen durch viele Stadien der Neuorientierung, in denen sie manchmal deutlich schlechter dran sind als zuvor, in denen sie aber letztlich auch ankommen und eine Neuorientierung und ein Wandel gelingt.
In Teilen des Romans erschien die Story als Appell gegen die Scheidung, und doch geht daraus am Ende ein neues Familiengeflecht hervor, das so große Zukunftsperspektiven hat wie zuvor die erlahmte Ehe der Cannings.
Diese Vielschichtigkeit möglicher Wertungen und Haltungen zum Geschehen war für mich die große Stärke des Romans. Zusammen mit einer treffend gewählten Sprache und einer sehr einnehmenden Personenbeschreibung schafft der Roman Bilder, die filmreif sind und den Leser in die Situationen sehr intensiv mitnehmen. Ich gebe für diese kleine, aber feine Perle gern 5 Sterne.
Die Ehe von Betsy und Alec ist am Ende - findet Betsy, die Ehefrau. Zeit, dass man sich trennt. Sie informiert ihre gerade im Ausland weilenden Eltern und setzt damit eine Kaskade von Ereignissen in Gang, die nun tatsächlich direkt in die Krise führen - zumal Joy, das Kindermädchen, mit Blick auf dennEhemann Alec bereits eigene Pläne hat. Was als turbulente und sehr britische Komödie beginnt, kippt im zweiten Teil der Geschichte ins Drama, denn die Folgen der Ehekrise sind für alle Beteiligten nicht ohne. Insbesondere gilt das natürlich für die Kinder, deren junges Leben unerwarteten Belastungsproben ausgesetzt ist. Während Tochter Eliza versucht, energisch dem Schicksal Paroli zu bieten, wirkt ihr Bruder eher Kenneth eher hilflos und überfordert. Seine Verstrickungen in einen Autounfall sind es, aus denen sich am Ende neue Wege und Lösungen entwickeln. Der Roman entwirft ein gesellschaftliches Panorama der dreißiger Jahre in Großbritannien. Die bürgerliche Oberschicht eifert dem Adel nach und strebt nach einer vergleichbaren Lebensweise voller Annehmlichkeiten und Müßiggang. Insbesondere Betsy ist es extrem wichtig, dazu zu gehören und einen Titel zu tragen. Die Autorin arbeitet die Charaktere der Story sehr präzise heraus. Sympathieträger allerdings ist hier niemand auf Dauer. Das Buch liest sich sehr flüssig, spart auch nicht an humoristischen Einlagen. Insgesamt eine unterhaltsame Lektüre mit kleinen Schwächen, wenn es um die Entwicklung der Figuren und ihre Stringenz geht.
Es beginnt fast wie eine Komödie, aber es wächst sich zu einem Drama aus, mehr oder weniger. Wie könnte es auch anders sein, wenn ein Ehepaar mit drei noch nicht erwachsenen Kindern Trennungsabsichten hat, wobei es scheint, als ob dies von der notorisch unzufriedenen Betsy ausginge, die nur diffuse Vorstellungen hat, was sie danach machen will. Freiheit schwebt ihr vor, aber was genau sie darunter versteht, weiß sie selber nicht. Ihr Ehemann Alec, anfangs ein 'braver Ministerialbeamter', der aber ziemlich willenschwach gezeichnet wird, hatte sich zum künstlerisch erfolgreichen Librettisten entwickelt, der auch einem Seitensprung nicht abgeneigt war. Doch erstaunlicherweise war es nicht das, was Betsy gestört hat. Was aber dann?
Fast scheint es so, als ob sie sich doch noch einmal zusammenraufen würden, doch dann nimmt das Unheil in Person einer intriganten Schwiegermutter, vermeintlichen Freunden und einer gestörten Kommunikation, ein Aneinander-Vorbei-Reden seinen Lauf. Und dann ist da noch das Kindermädchen Joy, das ein Auge auf den doch ziemlich willenschwach erscheinenden Alec geworfen hat. Was soll mit den Kindern werden, der noch kleinen Daphne, die das alles nicht so sehr zu berühren scheint, der älteren Eliza, die zwischen Mutter und Vater hin- und hergerissen ist und dem Lieblingskind von Betsy, Kenneth, der es sehr missbilligt, dass seine Mutter nach der Scheidung eine erneute Heirat mit ihrem adligen Cousin Max ins Auge fasst?
Irrungen und Wirrungen und ein unvorhergesehenes Ereignis lassen Alec und Betsy in diese Scheidung hineinrutschen. Bis hierhin passt der deutsche Titel 'Die englische Scheidung', danach wäre der vom englischen Original 'Together and Apart' besser gewesen, denn es beginnt eine Zeit der Neuorientierung für alle.
Wie wird es enden? Werden sie alle doch noch ihren Platz im Leben finden? Das erzählt uns Margret Kennedy (Geburtsjahr 1896, also mit Fug und Recht eine Klassikerin zu nennen) in verschiedenen Textsorten, so auch in fiktiven Klatsch-Briefen der Freunde, aber auch auktorial in langen Passagen. Die Personen werden in all ihrer Ambivalenz, ihren Schwächen und Stärken gezeichnet, wobei manche Wandlung ein klein wenig unglaubwürdig erscheint. Die hin und wieder leicht schwülstigen Formulierungen sind der Zeit geschuldet und werden durch viele zitierenswerte Lebensweisheiten wett gemacht.
Alles in allem habe ich den Roman sehr gerne gelesen und ordne ihn der gehobenen Unterhaltungsliteratur zu. Margret Kennedy versteht ihr Handwerk, beherrscht unterschiedliche erzählerische Techniken und besticht mit ausgefeilter Personenzeichnung, die manchmal – wie schon erwähnt – ein wenig übertrieben daherkommt. Dennoch: ein lesenswerter neu entdeckter Klassiker, den man empfehlen kann.
Betsy eröffnet ihren Eltern in einem Brief ihren Entschluss, dass sie und ihr Mann getrennte Wege gehen wollen. Dass sie es ist, die die Ehe mit Alec beenden möchte und er nicht wirklich mit ihrer Entscheidung einverstanden scheint, zumal 3 minderjährige Kinder zur Familie zählen, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Doch Betsy lässt sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Schnell überschlagen sich die Ereignisse und alles verläuft ganz anders als gedacht.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Der Beginn ist fulminant und ich genieße es, diese in sich schlüssige, mit Nuancen ausgeschmückte Familiengeschichte zu lesen. Die Darstellung einer Trennung und der sich daraus ergebenden Dynamiken, die vollkommen aus dem Ruder laufen, ist extrem aktuell. Margaret Kennedy hat ein unglaubliches Gespür, eine spannende Konstellation und interessante Figuren in einem Plot zu vereinen. Dabei spielt sie mit Textsorten, verändert die Perspektiven und präsentiert eine Reihe von Figuren, von denen ich mir kaum vorstellen kann, was sie mit ihnen alles "anstellen" wird. Die alles wird durch den angenehmen, sorgfältig ausgewählten Sprachstil und der herausragenden deutschen Übersetzung, die die Stimmung, die das Buch von Anfang an bestimmt, sehr gut ins Deutsche und in unsere Literaturgegenwart transportieren kann, noch unterstrichen.
Diesen Teil des Romans habe ich mit Begeisterung gelesen.
Dann jedoch ändert die Autorin Struktur und Geschehen der Geschichte. Die Scheidung ist durch und die einzelnen Protagonisten erleben auf unterschiedliche Weise das Leben "danach". Es folgen zu ausführliche Beschreibungen, in einem nacheinander Erzählendem, einzelner Familienmitglieder, was für mich sehr ermüdend war. Es interessierte mich nicht so stark, welchen Wandel einzelne Romanfiguren durchlebten. Dazu gesellte sich ein Gefühl, dass Margaret Kennedy vieles angerissen und vieles schnell abgefertigt hatte, so als wäre sie in Eile geraten. Ich hätte mir gewünscht, sie wäre mit der Intensität und der Fulminanz der ersten Romanhälfte weitergefahren! Man muss doch nicht immer alles über alle erzählen. Da gab es eine Stelle bei Saunders (Bei Regen in einem Teich schwimmen) wo Tschechow schreibt: „Wenn man die Leute langweilen will, liegt das Geheimnis darin, ihnen alles zu erzählen.“ Das ist bei mir passiert, irgendwann war meine Leseenergie zu Ende.
Für mich gibt es deshalb einen Bruch zwischen der ersten Hälfte, die sich mit der Scheidung beschäftigt und die ich fulminant geschrieben fand, und der 2. Hälfte, die das Leben einzelner Familienmitglieder in den Jahren danach beleuchtet. Damit kam ich nicht zurecht.
Fazit
„Die englische Scheidung“ ist ein niveauvoller Roman über die feine englische Gesellschaft, in der ein zur damaligen Zeit ungewöhnliches gesellschaftliches Ereignis einige Personen aus ihrem gewohnten Trott wirft. Unterhaltend, weise und mit einer feinen Spur von Humor erzählt Margaret Kennedy von der Familie Canning, dem Wirbel der Scheidung und den damit einhergehenden Veränderungen.
Betsy und Alec ‚schlittern‘ mehr oder weniger nach 17 Jahren Ehe in eine Scheidung. Ja, ‚schlittern‘, denn ohne die überflüssige Mitwirkung ihrer Mütter, Freunde und Bekannte wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen. (Herrlich zu verfolgen in ‚Teil zwei‘, der in Form eines regen Schriftverkehrs vom Fortgang der Geschichte erzählt.)
Und diese Scheidung wirbelt das Leben aller 5 Familienmitglieder gewaltig durcheinander. Die englische Autorin, die selbst aus einer großbürgerlichen Londoner Familie stammt und schon 1967 verstorben ist, lässt uns dann am unterschiedlichen Umgang mit diesen Veränderungen teilhaben. Mir fiel dazu der Spruch ‚Es ist nicht schlimm, in ein Loch zu fallen, schlimm wird es erst, wenn man anfängt, dieses Loch zu tapezieren‘ ein.
Außerdem katapultiert sie uns damit in die 30er Jahre der englischen feinen Gesellschaft, in der Landhäuser und Dienstpersonal zum Standard gehörten. Die Aktualität mancher Aussagen war jedoch erschreckend!
Begeistern konnten mich wunderschöne Sätze voller Lebensweisheiten, wie z.B.: ‚Menschen wurden nicht über Nacht netter. Oft steckte eine bittere Erfahrung dahinter. Es war mühsam und kostete viel Kraft, sich zu verändern. Trotzdem war es besser, sich auf schmerzenden Füßen einen Berg hinaufzuquälen, als ein Leben lang im Morast aus Apathie und Selbstmitleid festzustecken.' Oder: 'Die beste Waffe gegen Unehrlichkeit und Eigennutz ist, die anderen durch die eigene Großmut zu beschämen.' Oder auch: 'Denn Mitgefühl ist wie eine Heilsalbe, Sie muss auf die richtige Stelle aufgetragen werden, damit sie wirkt.'
Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen, er hat mich bestens unterhalten, auch das Ende - kein kitschiges happy-end, aber das jedoch für jeden Hoffnung bedeutete. Tiefe Einblicke in die Charaktere und Seelen der Protagonisten krönten für mich diesen Roman, so dass ich vollkommen begeistert 5 Sterne vergebe und ihn wärmstens empfehle.
Betsy ist in ihrer Ehe mit Alec unglücklich und will ihn zur Scheidung überreden, weil sie von der großen Freiheit träumt. Ihre Mutter und Schwiegermutter wollen diese Scheidung verhindern, machen damit aber alles noch viel schlimmer.
Margaret Kennedy lässt und in ihrem Roman „Die englische Scheidung“ eindrucksvoll miterleben, wie eine ganze Familie durch Einmischungen, Intrigen, Klatsch und Tratsch, gutgemeinte Ratschläge und Missverständnisse zerstört wird.
Hierbei gelingt es Kennedy, die Gefühle und Gedanken aller handelnden Personen greifbar werden zu lassen. Wir können sowohl mit der unzufriedenen Ehefrau, ihrem untreuen Ehemann, ihrer intriganten Schwiegermutter, als auch den verstörten Kindern mitempfinden, welche Lawine ausgelöst wird, die schon sehr bald niemand mehr unter Kontrolle hat.
Auch wenn der Roman schon 1936 erschienen ist, erscheint er an vielen Stellen erschreckend aktuell.
Durch die gelungene deutsche Übersetzung lässt sich der Roman sehr angenehm lesen, obwohl die anfangs locker leicht anmutende Komödie im Laufe der Handlung immer mehr zum Drama wird, weil es hier letztendlich keine Gewinner geben kann.
Margaret Kennedy ist eine Wiederentdeckung für den deutschen Buchmarkt. Die 1967 verstorbene Britin zeichnete sich durch dramaturgische Gesellschaftsromane aus. „Die englische Scheidung“ ist eine zunächst heitere Komödie, die sich zu einem Drama mit einem versöhnlichen Ausgang entwickelt.
Im Zentrum der Handlung steht das wohlsituierte Ehepaar Alec und Betsy Canning, das sich aufgrund ihrer unglücklichen Partnerschaft zu einer Scheidung entschließt. In den 1930 haftet einer ehelichen Trennung etwas Anrüchiges an. Hinzu kommen die drei Kinder im Jugendalter, die auf dem Weg ins Erwachsenenleben eigene Ziele anstreben und sich zwischen einen der beiden Elternteile entscheiden müssen. Wie von selbst drängen sich Familienangehörige und Freunde in diese Affäre, allen voran die intrigierenden Schwiegermütter. Doch selbst eine Scheidung bedeutet nicht, dass eine der beiden Ex-Eheleute auf Rosen gebettet ist. Sie geben ihrem Leben eine neue Richtung und müssen lernen, mit den Konsequenzen zu leben.
Der Roman ist hervorragend von Petra Post und Andrea von Struve in die heutige Alltagssprache übersetzt worden. Dem Verlag Schöffling und Co. ist es zu verdanken, dass solche Perlen wieder aus dem Strom des Vergessens auftauchen. Kennedy versteht es, zeitlose Themen und Metaphern zu schaffen, die auch heute einen erstaunlichen und manchmal auch besorgniserregenden Wiedererkennungswert haben (insbesondere in Sachen Frauenfeindlichkeit und die Ängste vor einer Welt am Abgrund). Wer jedoch einen Spannungsroman oder eine durchweg verdrehte, heitere Komödie erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Die Geschichte ist eine Achterbahnfahrt der familiären und gesellschaftlichen Verquickungen und dürfte vor allem Klassikfans, deren Herz für Jane Austen oder Henrik Ibsen schlägt, begeistern. Der allwissende Erzähler lässt uns in alle Köpfe schauen und mit querfeldein laufenden Gedankensprüngen durch ein England vor etwa hundert Jahren hopsen. Wer das mag, ist hier gut aufgehoben. Die Schlüsse, die sich aus den Entwicklungen und Schicksalen der Figuren ergeben, sind auch heute noch lehrreich (und bleiben wohl auch zeitlos). Für meinen Geschmack hätte es eine stärkere Fokussierung auf die eigentlichen Schwerpunkte geben dürfen. So werden immer wieder ausschmückende Nebenhandlungen und Figuren angeführt, die den eigentlichen Plot manchmal verstellen, als diesen voranzubringen. Daher von mir 4 von 5 Sternen.
Ein erstaunlich moderner Klassiker
Alec und Betsy gehören der gehobenen Mittelschicht an. Alec hat seine Beamtenexistenz hinter sich gelassen, um sich seinen künstlerischen Neigungen zuzuwenden. Er arbeitet nun äußerst erfolgreich als Librettist und genießt die Welt des Theaters nebst seiner amourösen Versuchungen. Die drei Kinder sind aus dem Gröbsten heraus und in Internaten untergebracht, so dass Betsy sich als Hausfrau vernachlässigt fühlt und ihr Leben zu überdenken beginnt. Sie beschließt nahezu aus einer Laune heraus, sich von ihrem Mann zu trennen. Da die Ehe keineswegs zerrüttet ist, hätte es gewiss alternative Möglichkeiten gegeben, tatsächlich hatten sich die Eheleute bereits auf ein gemeinsames Wochenende zwecks Aussprache geeinigt, doch dann schalten sich mit Macht die Schwiegermütter ein, die in vermeintlich guter Absicht Öl ins Feuer gießen und nicht revidierbare Fakten schaffen.
Was wie eine Komödie beginnt, nimmt schnell tragische Züge an. Die Autorin versteht es, den Blick nicht nur auf die Eheleute, sondern auch auf die Mitbetroffenen zu richten. Allen voran auf die drei Kinder, die jedes auf seine Weise durch die Scheidung aus der Bahn geworfen werden. Kinder lieben in der Regel beide Elternteile. Sie geraten in Loyalitätskonflikte, fühlen sich im Stich gelassen und aus dem Nest geworfen. Erschwerend kommt hinzu, dass Vater Alec sich schnell einer deutlich jüngeren Partnerin zuwendet und auch Mutter Betsy Sehnsucht nach einer gesellschaftlich höheren Verbindung hegt. Sehr sorgfältig schildert Kennedy die Dynamiken, die eine solch schmerzhafte Trennung für alle Beteiligten nach sich zieht. Sie begleitet die Familie über Jahre mit großer Hin- und Beobachtungsgabe, betreibt dezidierte Charakterstudien, die immense Menschenkenntnis beweisen. Die Autorin zeigt sich als Sprachvirtuosin, die unterschiedliche Textgattungen verwendet, Perspektiven wechselt oder auch mittelbar betroffene Figuren aus Familien- und Freundeskreis zu Wort kommen lässt. Man darf sich über zahlreiche lebenskluge Sentenzen freuen. Zwischendrin gibt es zwar dem Handlungsverlauf geschuldete Entwicklungen, die ich nicht durchgängig nachvollziehen kann, mit dem gekonnt konzipierten Ende, das durch eine dramatische Wendung Raum für Reflektionen einräumt, sowie einer meisterhaft gestalteten Abschlussszene bin ich aber wieder völlig mit dem Buch im Reinen.
Margaret Kennedys (1896 – 1967) Roman erschien bereits 1936, als eine Scheidung wohl noch eine Seltenheit war. Es ist erstaunlich, wie passgenau sie die Emotionen und Seelenzustände der einzelnen Familienmitglieder einfängt. Die Empfindungen dürften in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts fast dieselben sein, in dem Scheidungen fast zur gesellschaftlichen Routine gehören.
Nach „Das Fest“ war „Die englische Scheidung“ ein weiteres Leseerlebnis dieser fast vergessenen Autorin. Herzlichen Dank an den Verlag fürs Wiederentdecken und Kompliment an die Übersetzerinnen Petra Post und Andrea von Struve.