Oben in den Wäldern: Roman
überarbeite Rezension:
Das Buch konnte mich nicht überzeugen, da ich die verschiedenen Textsorten und die erzählten Geschichten in einem etwas chaotischen Zusammenhang fand.
Wenngleich das gelbe Haus mit seinen verschiedenen Bewohnern irgendwie als roter Faden gesehen werden kann, sind die einzelnen Geschichten zu unterschiedlich um daraus ein Gesamtprojekt ersehen zu können. Der Apfelbaum und die Apfelwiese, die zu Beginn eine große Rolle gespielt haben, verlieren im Laufe der Lektüre ihre Bedeutung, eine Änderung, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Anstelle des Baumes werden die neuen Besitzer des Hauses in den Mittelpunkt gerückt, und die werden mit der Zeit immer seltsamer. Einziger gemeinsamer Nenner sind die Morde, oder zumind. die Mordgedanken, die dann in einem Fall in Selbstmord gipfeln
Diese psychische Wandlung des Romans war mir zu viel. Was mir hingegen anfänglich gut gefallen hat, waren die naturwissenschaftlichen Betrachtungen, doch auch hier geht es bald allzu bunt zu.
Fazit
Ein Potpourri an Textformen und Geschichten, in denen ich mich nicht zurechtfand und die ich immer skurriler fand.
„Oben in den Wäldern“ steht ein gelbes Haus. Die Wälder befinden sich übrigens in Massachussetts und das Haus steht dort seit dem 18. Jahrhundert. Über die Jahrhunderte lebten und starben dort die unterschiedlichsten Menschen. Der Roman „Oben in den Wäldern“ erzählt die Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner.
Der US-Amerikaner Daniel Mason hat einen sehr besonderen Roman geschrieben. Er ist ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Charaktere, deren Geschichten chronologisch in einzelnen Kapiteln erzählt werden. Alle Kapitel haben eines gemeinsam, eben dieses besagte gelbe Haus, wobei sich die Handlung im Verlauf des Romans immer seltener in diesem Haus abspielt, sondern eher auf die Umgebung dieses Hauses verlagert wird. Dennoch taucht es immer wieder in diesem Buch und in jedem Kapitel auf, mal mehr, mal weniger bedeutsam.
Der Roman spielt über einen Zeitraum von etwa 4 Jahrhunderten, angefangen in einer Zeit als Amerika noch von Indianern und Siedlern bevölkert und die Natur noch nahezu unberührt war. Damals wurde das Haus erbaut und hat sich mit der Zeit verändert, genau wie die Natur, die das Haus umgibt. Auch an diesem idyllischen Platz geht der Wandel der Zeit nicht spurlos vorüber, Umwelteinflüsse und Eingriffe des Menschen in die Natur sind deutlich zu erkennen.
Neben dem gelben Haus gibt es weitere Elemente, welche die einzelnen Zeitabschnitte dieses Romans miteinander verbinden. Diese tauchen mal mehr, mal weniger offensichtlich auf. Zu den offensichtlichen gehören Charaktere, die einem schon früher in dem Buch begegnet sind, naturgemäß verstorben sind und den Staffelstab der Handlung an ihre Nachkommen weitergegeben haben. Mason macht dabei keinen großen Unterschied zwischen Lebenden und Toten. So begegnet dem Leser in den Geschichten der Geist manches verstorbenen Charakters und nimmt an der Handlung teil. Anfangs hat mich diese Geisterschau irritiert, doch im weiteren Verlauf fügen sich diese Figuren wie selbstverständlich in die einzelnen Geschichten ein.
Auch, wenn ich zugeben muss, dass ich zwischenzeitlich den Überblick über die Vielzahl der unterschiedlichsten Charaktere verloren habe, hat das meiner Begeisterung für diesen Roman keinen Abbruch getan.
Mason hat einen Roman geschrieben, der mich durch seinen Aufbau und seine Gestaltung fasziniert hat. „Oben in den Wäldern“ beinhaltet nicht nur ein Sammelsurium an Charakteren sondern vereint auch eine kunterbunte Mischung der unterschiedlichsten Literatur-Genres, die ich in dieser Form und Vielfalt noch nicht gelesen habe. So versucht sich Mason neben der Belletristik auch in Lyrik, scheut sich nicht innerhalb der Belletristik Ausflüge in die Kriminalliteratur zu unternehmen, hat aber genauso Spaß daran, den Leser humoristisch zu unterhalten. Eines seiner Kapitel könnte sogar einem Kinderbuch entnommen sein. Und wem das noch nicht genug ist, wird sich immer wieder an Fotografien und diversen Abbildungen erfreuen können, die immer wieder in diesem Roman auftauchen und einen Bezug zu dem angrenzenden Kapitel haben.
Allein dieser Genre-Mix hat diesen Roman für mich zu einem literarischen Erlebnis gemacht und ich ziehe den Hut vor dem Übersetzer Cornelius Hartz, der die Herausforderung, die Sprachvielfalt dieses Romans in der deutschen Sprache abzubilden, bravourös gemeistert hat.
Am Ende habe ich „Oben in den Wäldern“ als Roman über den Wandel der Zeiten verstanden. Mason betont diesen Wandel durch die besondere Konstruktion seines Romans sowie dessen Genre-Mix.
Dennoch sind Vergangenheit und Gegenwart eng miteinander verbunden, was Mason wiederum durch die häufig wiederkehrenden Elemente und Charaktere in diesem Roman verdeutlicht. Diese tauchen innerhalb der unterschiedlichsten Zeitabschnitte dieses Romans immer wieder auf und haben Anteil an der Handlung.
Mason hat diese Grundideen zum Thema Wandel und Verbindung der Zeiten auf faszinierende Weise in seinem Roman umgesetzt. „Oben in den Wäldern“ hat mich daher auf eine intelligente Art bestens unterhalten. Ich bin begeistert.
© Renie
Daniel Masons viel beachteter Roman "Oben in den Wäldern" erzählt die Geschichte eines Hauses und dessen Bewohnern über den Wandel der Zeit hinweg. Ein Haus, in dem flüchtige Liebende Zuflucht finden, der verwundete Soldat Osgood sein Glück als Apfelanbauer versucht, dessen Zwillingsstöchter erfahren, wie sie an ihrer symbiotischen emotionalen Lebensweise bei gleichzeitig starker Unterschiedlichkeit der Charaktere zerbrechen. Dies setzt sich über den Wandel der Zeit weiter fort. Personen kommen und gehen. Sie haben ihre je eigenen Lebensgeschichten im Gepäck. Jeder neue Bewohner startet neu durch, jeder vergeht auf andere Weise. Doch die Kontinuität des Hauses mit der sie umgebenden Schönheit der Natur bleibt gewahrt. Der Verfall an einem paradiesischen Ort und die Kontinuität des Beginnens und Vergehens scheinen die zentralen Motive des Romans zu sein, der genremäßig und von der Sprache her so wandelbar wie ein Chamäleon scheint: Für jedes individuelle Schicksal zu jedem gegebenen Zeitpunkt findet Mason die passende Sprache und Rhetorik. Eine Kunst, die es anzuerkennen gilt. Verbunden werden die zahlreichen Einzelschicksale durch die Kontinuität des Hauses, zu dessen Geschichte sie allesamt beitragen. Vorherige Leben hinterlassen ihre Spuren in Form von auftretendem Geisterpersonal. Das hat seinen Reiz und ist unterhaltsam. Mir persönlich wurden die vielen Einzelgeschichten streckenweise jedoch etwas zu viel und ich verlor mich phasenweise darin. Das ist sehr schade, denn die Grundidee der Erzählkonstruktion gefällt mir ausgesprochen gut. Außer Frage steht für mich auch, dass Mason schreiben kann und dass ich diesen Autor im Blick behalten werde.
Es beginnt mit einem Apfel, der der beste Apfel der Welt werden soll. Gesät durch einen Soldaten, der auf einem einsam gelegenen Grundstück begraben wird, und eben diesen Apfel mit ins Grab nimmt. An dieser Stelle wächst nun diese besondere Frucht, die den Soldaten Osgood so verzaubern wird, dass er das Fleckchen Erde kauft um eine Apfelplantage zu bauen.
Die Hütte wird erweitert zu einem großen Haus, dass im Laufe der Jahrzehnte immer weiter an und umgebaut wird. Er und seine beiden Töchter, Mary und Alice, sind viele Jahre glücklich dort. Genießen die Abgeschiedenheit und leben für den Traum des Vaters, der Osgoods Wunder, so wurde die Apfelsorte getauft, bekannt gemacht hat.
Doch alles schöne nimmt eine Ende……
Im weiteren Verlauf nimmt Daniel Mason seine Leser auf eine teilweise fantastisch anmutende Reise durch weitere Epochen mit. Schauplatz bleibt das Haus, das vor Osgood schon einem Liebespaar auf der Flucht Zuflucht bot. Eine Verkettung von Schicksalen, die immer wieder in der näheren Zukunft zueinander finden. Im Grunde hängt alles irgendwie zusammen. Und genau das war es, was die Handlung so spannend machte.
Im weiteren Verlauf trifft der Leser auf geisterhafte Erscheinungen, die alten Bewohner des Hauses sind teilweise noch präsent, bereit Menschen in den Wahnsinn oder sogar in den Tod zu treiben. Doch die Menschen, die die Natur achten und reinen Herzens sind, haben nichts zu befürchten…..
Daniel Mason war mir bisher nicht bekannt, doch ich bin sicher, dass dies nicht mein letzter Roman von ihm gewesen sein wird. Er hat eine besondere Art seine Texte anzupassen. So sind die Geschichten aus der früheren Zeit auch sprachlich der Zeit angeglichen. Die Charaktere wurden sehr bildhaft dargestellt, und ich konnte der Handlung sehr gut folgen und mich entspannt zurücklehnen und dieses Lesespektakel in vollen Zügen genießen?
Dieser Generationen übergreifende Roman, ist übrigens trotz der gelegentlichen Heimsuchungen nicht als Schauerroman zu verstehen. Er vereint nur ein paar dieser Elemente, das meiste spielt sich unter normalen Bedingungen in der jeweiligen Zeit ab. Viele Lebensgeschichten braucht es um zum Ende zu kommen. Geschichten, die mit dem Haus, und der Natur in Verbindung stehen und zum Ende hin, schließt sich der Kreis. Osgoods Wunder ist vollbracht!
Dieser ungewöhnliche Roman von Daniel Mason hat mich zu Beginn völlig bezaubert, da ein Ort, ein Haus, eine Landschaft im Mittelpunkt stehen.
Mit rasantem Tempo beginnt die Story, zwei Liebende fliehen wegen ihrer ungebührlichen Liebe aus einer Kolonie in die Berge und finden einen Ort, an dem sie bleiben möchten. Die Handlung beginnt Mitte des 18.Jahrhunderts, spielt in den Wäldern von Massachutsetts.
Dann folgt ein Brief, den eine Frau aus eben jener Kolonie geschrieben hat, die die Liebenden verlassen haben. Sie wird gemeinsam mit ihrem Säugling von Indianern verschleppt. (Der Begriff wird im Roman verwendet, da er die entsprechende Epoche charakterisiert. Darauf wird in einer editorischen Notiz hingewiesen, S.429).
Diese Frau gelangt zu eben jenem ersten Haus und trifft eine inzwischen alte Frau vor, die sich um sie und ihr Baby kümmert.
Um noch mehr Blutvergießen zu verhindern, töten sie drei weiße Soldaten, die vorhaben, ein Dorf der Ureinwohner anzugreifen. Dabei stirbt die alte Frau (die Liebende) und die andere verlässt den Ort mit ihrem Kind, nachdem sie ihre Geschichte, also den Todesengel-Brief, in einer Bibel niedergeschrieben hat, die am Ende des Romans noch einmal eine Rolle spielen wird.
Der Verwesungsprozess der drei Soldatenleichen wird sehr plastisch beschrieben - aus dem "Herzen" des einen Soldaten wächst ein Apfelbaum. Dieser Apfelbaum hat wiederum einen ehemaligen Soldaten bewogen genau dort eine Apfelplantage zu gründen. Charles Osgood macht das Haus in den Bergen und auch den Garten zu einer Art Paradies, auf das immer wieder Bezug genommen wird. In einem Brief, den er seinen beiden Mädchen schreibt, erfahren wir, wie es ihn an jenen Ort verschlagen hat und wie das neue Haus entstanden ist. Im folgenden Kapitel wird aus der Sicht seiner Tochter Alice, die gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Mary die Plantage übernommen hat, erzählt, wie sie in dem Haus aufgewachsen sind, wie ihr Leben verläuft und auch, wie es zu Ende geht.
Dieser Wechsel aus traditionell erzählten Passagen aus jeweils einer personalen Perspektive, aus Briefen, aus Balladen, die jeweils kleine Puzzleteile liefern, um die ganze Geschichte zusammensetzen zu können und auch Sprichwörtern, die kommentiert werden sowie Bildern ist sehr ungewöhnlich und originell.
Neben den unterschiedlichen Genres hat auch jeder Abschnitt einen der jeweiligen Epoche angepassten Stil - insofern ist die Aussage auf dem Buchrücken, es sei ein "sprachmächtiger spannender Roman" zutreffend.
Das nächste Kapitel besteht aus Briefen von William Henry Teale (Maler) an Erasmus Nash (Autor). Obwohl beide sehr authentisch geschildert werden, sind sie (leider) fiktiv.
Teale hat das Haus der Osgoods von einem ihrer Nachfahren gekauft, verändert und vergrößert, das ursprüngliche wird sogar verschoben, aber nichts abgerissen:
"Hier draußen reißt sowieso niemals jemand etwas ab - man fügt immer nur hinzu, agglutiniert, Haus an Haus, Schuppen an Schuppen, wie ein monströses deutsches Substantiv." (S.167)
In dieser Aussage beschreibt Mason den Aufbau seines Romans. Schicht für Schicht entsteht das Haus und wir lesen die Geschichten, die zu den Veränderungen geführt haben. Es wird immer wieder etwas hinzugefügt. Gleichzeitig knüpft er immer wieder an vorangegangene Kapitel an und offene Fragen klären sich. Dadurch wird deutlich, dass alles miteinander verwoben ist. Sogar die Toten bleiben, Geister, die dem Haus und der Natur verbunden bleiben. Sie verleihen dem Roman das Märchenhafte. Aber wer weiß schon, was nach dem Tod geschieht?
Nicht nur das Haus unterliegt dem Wandel der Zeit, sondern auch die Natur verändert sich. In Zwischenkapiteln wird dargestellt, wie auch Kleinstlebewesen vieles verändern können.
Die Handlung erstreckt sich bis in die Gegenwart und sogar in die Zukunft hinein. Was wird bleiben, von dem Haus, der Umgebung, den Menschen, die es bewohnt haben?
Ein faszinierender Roman, der mehrere Genres und Stile gekonnt zu einem organischen Ganzen vereint und darüber hinaus sehr unterhaltsam ist.
Der Roman hat einen ungewöhnlichen Protagonisten: ein Haus, ein Haus in den Wäldern Massachusetts, das zunächst in den Pioniertagen einem jungen Paar Unterschlupf gewährt. Kapitel für Kapitel wird die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner erzählt, ausgehend von der Kolonialzeit bis hin zur Gegenwart.
Eine besondere Bedeutung kommt den beiden Schwestern Osgood zu. Mit ihrem Vater zusammen, dem Major, verwandeln sie die umliegende Brache in einen blühenden Apfelgarten. Ein Garten Eden entsteht hier, und die biblischen Anklänge sind unüberhörbar. Diese fruchtbare Idylle dieses Paradieses wird mit dem Haus zusammen zu einem Zentrum des Romans. Aber schon bei der Schaffung des Paradieses taucht das andere zentrale Motiv des Romans auf: der Verfall. Der Roman erzählt zwar vordergründig die Geschichte des Hauses und des Gartens, aber das eigentliche Thema ist das Werden und Vergehen, der Kreislauf des Lebens. Zeiten kommen und gehen, das Paradies verfällt, Neues entsteht, alles ändert sich, alles fließt. Und am Schluss schließt sich der Kreis: die Kraft des purgatorischen Feuers zerstört das Haus und „dann beginnt alles von Neuem“.
Die Erzählung besteht aus einzelnen Episoden, die zunächst elliptisch wirken, aber vom Autor kunstvoll und unaufdringlich mit wiederkehrenden Motiven miteinander verzahnt werden. Jede Szene hat ihre Berechtigung. Viele Szenen erzählen von der engen Verbundenheit, fast Verwobenheit des Menschen mit den anderen Geschöpfen der Natur, Fauna und Flora eingeschlossen. Alle sind miteinander verbunden, und es nicht nur der gefährliche Puma, der die Schafherde dezimiert, sondern es sind auch winzigste Organismen wie Käfer und Milben, die weitgehenden Einfluss auf die Natur und deren Gleichgewicht nehmen. Alles Lebende fügt sich in den Kreislauf aus Werden und Vergehen ein.
Zu der Vielfalt der Natur und der Zeiten passt auch die Vielfalt der Genres. Mason bietet seinem Leser eine unglaubliche Fülle an Erzählformen an, von Tagebucheinträgen über Balladen bis hin zur Parodie eines True crime-Reporters aus dem 20. Jahrhundert. Jede Erzählform hat ihren eigenen Ton und passt sich der Zeit und dem Genre an.
Und das alles leicht und phantasievoll von Cornelius Hartz übersetzt.
Ein wunderbares Lesevergnügen!
Da ist das flüchtige Pärchen, das in höchster Not eine Lichtung in den Wäldern Massachusetts' erreicht. Da ist Charles Osgood, ein englischer Soldat, der von den Äpfeln eines Baumes so begeistert ist, dass er kurzerhand zum Apfelbauern wird. Und da ist William, ein Maler, der sich auf der Suche nach den passenden Motiven in die Wälder zurückzieht und von dort den Briefwechsel mit einem befreundeten Autoren pflegt. Sie alle sind Bewohner:innen eines Hauses im Wald. Und sie alle sind zentrale Figuren in Daniel Masons neuen Roman "Oben in den Wäldern", der kürzlich in der deutschen Übersetzung von Cornelius Hartz bei C.H. Beck erschienen ist.
Es ist ein Buch, das vor allem in formaler Hinsicht sämtliche literarische Grenzen der Gattung "Roman" sprengt. Denn Daniel Mason experimentiert mit zahlreichen erzählerischen und bildhaften Elementen, und es gleicht fast einem Wunder, dass dennoch alles wie aus einem Guss wirkt. Zudem gelingt es ihm, kaum einmal Ähnlichkeiten im Sprachstil aufkommen zu lassen. Nahezu jeder Text hat seinen eigenen Tonfall, seine eigene Erzählstimme. Das ist gerade zu Beginn des Romans auffällig. Mason konzipiert ein Gesamtkunstwerk, bei dem nichts beliebig ist. Neben erzählenden Texten gibt es beispielsweise Briefe, Tagebucheinträge, Gedichte, Balladen, Zeichnungen, Fotos und Reden.
Überwältigend schön und von Cornelius Hartz kongenial ins Deutsche übertragen sind vor allem die Naturbeschreibungen Masons. Diese sind so plastisch, dass man sich als direkten Teil der Wälder Massachusetts' wähnt. In Verbindung mit den Gedichten und Bildern sorgen sie für eine erzählerische Intensität, die bisweilen an Lars Myttings Glockenschwestern-Trilogie erinnert. Eine weitere Besonderheit ist, dass Daniel Mason auf den knapp 430 Seiten des Buches nicht weniger als einen Zeitraum von etwa 300 Jahren berücksichtigt. So hangelt man sich fast nebenbei gerade zu Beginn des Werks auch an der amerikanischen Geschichte entlang. Von den Kämpfen der Kolonien mit der indigenen Bevölkerung über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis zum Abolitionismus lässt Mason nichts aus.
Der Star des Romans - und die einzige Konstante - ist das gelbe Haus in den Wäldern von Massachusetts. Während die Menschen dort leben und sterben, bleibt es immer bestehen, auch wenn es manchmal ausgebaut wird oder gar teilweise einstürzt. Das erinnert in seiner Emotionalität an den großartigen Film "A Ghost Story" von David Lowery. Auch in "Oben in den Wäldern" kommen im Verlaufe des Buches einige Gespenster zu ihrem großen Auftritt. Wobei dies nicht die einzigen filmischen Bezüge bleiben. Im ersten Drittel lugt Alfred Hitchcocks "Psycho" recht unvermittelt um die Ecke, in der zweiten Hälfte veralbert Mason in einer Szene die zahlreichen Séance-Filme, deren Verlauf immer gleich scheint - inklusive betrügerischem Medium.
Möchte man an "Oben in den Wäldern", dessen Originaltitel "North Woods" ungleich träumerischer wirkt, etwas kritisieren, so ist es die Tatsache, dass Daniel Mason die hohe Messlatte der ersten Hälfte im zweiten Teil des Buches reißt. Einerseits stellt sich so etwas wie ein Gewöhnungseffekt ein, auf der anderen Seite übertreibt es Mason ein wenig mit dem Spuk-Faktor. Unbestritten hoch bleibt allerdings der Unterhaltungsfaktor, auch wenn die Intensität in recht hohem Maße nachlässt.
Insgesamt ist "Oben in den Wäldern" dennoch eine Ausnahmeerscheinung, gerade mit Blick auf die zahlreichen Übersetzungen aus dem Amerikanischen. Es ist unglaublich kreativ, abwechslungsreich, unterhaltsam und berührend - und in der ersten Hälfte gar überwältigend groß. Verlag und Autor ist zu wünschen, dass sich auch auf dem deutschen Markt eine entsprechende Zielgruppe findet, die sich auf dieses erzählerische Experiment vorbehaltlos einlassen wird.
Dieser Roman erstreckt sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten. Er beginnt in den Wälder Massachusetts, wo puritanische Engländer Mitte des 17. Jahrhunderts Siedlungen errichtet hatten. Aus den puritanischen Zwängen einer solchen Ansiedlung flüchtet ein junges Paar in die Wälder. Am siebten Tag ihrer Flucht gelangen sie "oben in den Wäldern" an den Ort, an dem sie den Grundstein für eine Hütte legen. Aus der Hütte wird im Lauf der Jahre ein Haus mit vielen Anbauten, Dreh- und Angelpunkt dieser generationenübergreifenden Geschichte.
Das Haus und der Wald, den es umgibt, werden Zeuge kriegerischer Auseinandersetzungen. Soldaten und indianische Ureinwohner tauchen auf. Ein ehemaliger verwitweter Major mit zwei Töchtern erschließt einen Teil des Waldes, indem er dort eine Apfelplantage anlegt. Die Plantage trägt köstliche Früchte, genannt Osgoods Wunder. Dank der Bewirtschaftung als Apfelplantage erlebt das Haus seine Blütezeit.
Dann ein Stilwechsel im Erzählton ein Jahrhundert später. Der Leser hatte sich auf eine sprachmächtige, die Natur in all ihren Facetten grandios beschriebene Erzählung mit biblischen Anklängen eingestellt. Doch nach den Apfelbauern hat sich ein Landschaftsmaler das Haus als Wohnsitz für seine Familie auserkoren. In einem überschwänglich gefühlvollen Briefwechsel erfährt der Leser von der homoerotischen Beziehung des Malers zu einem berühmten Schriftsteller, die im Haus und der es umgebenden Natur ausgelebt wird.
Es geht weiter bis in die heutige Zeit. Das Haus wird u. a. von einem Jäger gekauft, der ein Hotel plant. Vieles passiert im und rund um das Haus, bis schließlich ein Amateurhistoriker dort Entdeckungen macht, die Jahrhunderte zurückreichen und eine junge Studentin auf ganz besondere Weise Kontakt zu den ehemaligen Bewohnern des Hauses erlangt. Alles hängt hier irgendwie mit allem zusammen.
Dieser Roman ist außergewöhnlich. Es wird in verschiedenen Sprachstilen erzählt, die Erwartungen des Lesers werden nach den ersten Kapiteln regelrecht gebrochen, um am Ende des Romans wieder zur anfänglich getragenen, die Natur in den Vordergrund rückenden Sprache zurückzufinden. Auch Parallelen zu biblischen Themen tauchen wieder auf. Zwischen einzelne Kapitel sind Balladen, Ausschnitte aus Kalenderblättern und botanische Zeichnungen eingestreut. Das mutet zunächst seltsam an, ergibt für mich am Ende der Lektüre aber durchaus Sinn.
Ich habe diesen Roman sehr gerne gelesen. Besonders gefallen haben mir die sprachmächtigen Naturbeschreibungen der Flora und Fauna dieser wunderschönen Wälder Nordamerikas. Der Autor erzählt jeweils aus der Position der Handelnden und der Zeit, in der sie leben. Der Apfelbauer Osgood: altertümlich, gediegene Sprache. Jahrhunderte später ein True Crime Reporter: schnoddrig, freche Sprache. Die Beschreibung einer Seancen legenden Betrügerin, die die Hausherrin von ihrer Angst vor im Haus spukenden Gespenstern befreien soll: von entlarvender Komik.
Überhaupt spielen Geister in diesem Roman ein große Rolle. Sie spuken als tote Seelen der einstigen Bewohner über all die Jahre im Haus herum. Das Haus verfällt im Verlauf der Zeit, die Wälder und die klimatischen Gegebenheiten verändern sich, die Apfelplantage verwildert, Ulmen und Kastanien werden von diversen Käferplagen vernichtet, Tierarten sterben aus. Was bleibt sind die immer wieder auftauchenden Geister, die dem Haus und den Wäldern ihre Seele verleihen.
Ein vielschichtiger, fein ausgedachter und sprachmächtiger Roman, der mir sehr gefallen hat. Ich vergebe 5 Sterne. Für Naturliebhaber und solche, die ein Faible für Gespenster und Mystik haben, sehr zu empfehlen.
Dieses Buch ist schwerer verdaulich als die Äpfel, die darin beschrieben werden. Man muss sich darauf einlassen, denn die Erzählweise ist ganz anders als gewohnt.
Im Mittelpunkt steht ein kleines Haus mitten in den Bergen, und der Sprachstil mäandert um die Bewohner dieses Hauses herum. Es gibt keinen roten Faden, keine strukturierte Handlung. Jeder der Bewohner hat seine eigenen Gründe, dieses Haus zu seinem Zuhause zu machen. Ob Lebensüberdruss, Apfelbesessenheit, Flucht vor den eigenen Gefühlen, all diese Mischungen werden in Beziehung zur Natur gesetzt. Was bleibt, wenn man geht? Apfelbäume? Geister?
Es gibt viele eingewobene Textformen wie Briefe, Gedichte, Zeitungsartikel, die den Text ergänzen, aber nicht zum besseren Verständnis beitragen. Ein kleines Problem des Buches ist, dass es fast zeitlos wirkt. So verschwinden alle Personen in einem Nebel von Vermutungen und sind somit für den Leser nicht greifbar oder erfahrbar. Das ist eine durchaus poetische Stärke, macht das Buch aber nicht leichter lesbar. Die Botschaften des Buches sind ebenso unklar formuliert, es ist wie eine Zeitreise, aber der Leser fragt sich hinterher, was er eigentlich erfahren hat. Schön zu lesen ist es allemal, denn der Sprachstil ist sehr poetisch, vielschichtig und wortgewaltig, nur der Inhalt ist manchmal etwas zu diffus.
Fazit: Ein Buch für Menschen, die eine zeitlose, wortgewaltige Sprache mögen, um die Verwobenheit von Mensch und Natur zu erfahren.
Kurzmeinung: Anfängliche Begeisterung flaute ab!
Der Roman „Oben in den Wäldern“ besteht aus 12 lose zusammenhängenden und aufeinander aufbauenden Kurzgeschichten, von denen keine ohne die andere funktionieren würde. Diese Kurzgeschichten sind freilich spooky und enden meist mit einem Knalleffekt. Ein Hauch Edgar Alan Poe lässt grüßen.
Robert Mason spielt in seinem neuen Roman „Oben in den Wäldern“ mit verschiedenen Versatzstücken der Literatur, die ab und an Artikeln aus der Bildzeitung ähneln, insofern, als die einzelnen Stories oft wie eine Schlagzeile wirken und mit einem Knalleffekt enden. Allerdings sind seine Stories viel, viel besser geschrieben als Artikel in der Bildzeitung. Die Qualität von Masons Sprache entreißt seinen Roman immer wieder, allerdings nur knapp, der Trivi.
Gedichte, Lieder, TrueCrimeArtikel, eine Rede, ein Briefroman, eine Séance, Legenden um einen Schafe reißenden Berglöwen, alles dies kommt in des Autors Mappe, alles wird „verwurschtet“, ein Sammelsurium an Texten, alledings meisterhaft zusammengeheftet. Halbe Menschenkörper hängen in den Bäumen. Mord und Totschlag, Liebe, Sex und Besessenheit. Diese Textmixtur ist für mich wie ein Karussell, das sich dreht, mir wird schwindlig.
Die Handlung: Ein verstecktes Haus in Massachusetts dient diversen Sonderlingen und Ausbüchsern als Heim. Morde, Comingouts und Geister nicht zu knapp, verschmähte Liebe, Eifersucht, Geheimnisse, sonderbare Hobbies, sind die Zutaten des Romans. Das ist nicht der Stoff, woraus Träume sind, sondern der Stoff, mit dem Trivialliteratur gemacht wird. Wenn es nur nicht so kunstfertig geschrieben und komponiert wäre. „Sprachmächtig“ sei der Autor, verspricht der Klappentext. Das ist keine Lüge.
Der Kommentar: Wenn man von diesem Roman nichts erwartet, wird man bestens unterhalten. Er rangiert auf einer Ebene mit den Erzeugnissen der Autorin Charlotte Link, jedoch nicht auf einer Ebene mit ihren Anfangswerken, die eindringliche Psychogramme enthalten, sogar an die Historie gelehnte Geschichte. „Oben in den Wäldern“ ähnelt vom Niveau her Charlotte Links späteren Kriminalgeschichten, die spannend sind oder seicht oder banal, je nach Betrachtungsweise, auf alle Fälle nicht einmal in die Nähe von Hochliteratur kommen, sondern massentauglich sind. Gegen Unterhaltungsliteratur ist per se nichts allzu Negatives zu sagen, außer, dass sie entweder keine Kunst oder schlechte Kunst ist. Und dass sie meine Zeit verschwendet.
Von den ersten Seiten des Romans „Oben in den Wäldern“ hätte man jedoch mehr als reine Unterhaltung erwarten können, da die Naturbeschreibungen eines Waldes und der Landschaft, welche beide ein abgelegenes Landhaus umgeben, wahrlich gelungen sind. „Gelb kommt vom Berg herabgekrochen und schleicht sich in die Adern der Hainbuchen, Eiche und Ahorn färben sich rot, und im Unterholz werden die Blätter des Schneeballs violett. Laub fällt in den Bach, der den Hang durchschneidet wie ein Riss im Gewebe der Erde.“ Das ist Naturlyrik pur, davon bin ich begeistert. Dazu kommen Witz und Esprit, beides könnte den Romanen von Mark Twain entsprungen sein, jedoch, leider, ohne dessen Hintersinn: keinerlei Gesellschaftskritik ist vorhanden und höchstens ein winziger Hauch echter Historie. Die Historie von „Oben in den Wäldern“ streift Umweltschädigungen. Urkomisch wird tragischer Käfersex erzählt, welcher den Ulmensplitkäfer erzeugt. Wie der Name schon sagt, fielen diesem fiesen Käfer weltweit Populationen der Ulmen zum Opfer; Mason erzählt so komisch, dass man Mitleid mit dem Insekt bekommen könnte. Auch thematisiert Mason den Kastanienrindenkrebs, wodurch in ganz Amerika der Bestand an der Amerikanischen Kastanie vernichtet wurde. Erst 2022 (steht nicht im Buch) erlauben die US-Behörden eine genveränderte Variante anzupflanzen und so die Amerikanische Kastanie zu revitalieren. Möge es gelingen! Umweltschäden, die der Mensch anrichtet, sind also ein weiteres immanentes Thema. Damit hätten wir einen Mehrwert. Ist der Verdacht der Trivi damit erledigt? Nicht ganz, denn letztlich behält der Klamauk die Oberhand, die Geister sind los und toben. Dazu kommt, dass Richard Powers in „The Overstory“ (Die Wurzeln des Lebens) das Kastaniensterben bereits unübertroffen literarisch dokumentiert hat. Da kommt keiner ran. Und last but not least: habe ich wenig übrig für Klamauk.
Fazit: Handwerklich tadellos, hinreißend spooky, jedoch hauptsächlich Klamauk.
Kategorie: Geistergeschichte
Verlag: C.H. Beck, 2024
Was ist Zeit
Ein gelbes Haus inmitten eines Waldes scheint uns seine Geschichte erzählen zu wollen und macht es sehr unauffällig, als sei es nur eine Randfigur.
Der Wald rückt ins Zentrum, vor allem aber die vielen Menschen, die kommen und gehen, angezogen und abgestossen, inmitten der Natur oder diese zu beherrschen versuchend.
Es ist die Zeit an sich, die verdeutlicht wird, von den Strukturen eine Anpassung, eine Wandlungsfähigkeit verlangt, von Menschen, Natur und Geschichten. Aber Zeit an sich braucht nicht einmal eine feste Form, nur die vergangene scheint einer zu folgen. Ausserhalb der festen Formen bleiben nur Geister, die auch einer Bewegung folgen, solange sie noch etwas wollen.
Daniel Mason vermag es meisterhaft, uns diese Bewegungen zu verdeutlichen, facettenreich Geschichten und Schicksale ganz unaufgeregt zu verknüpfen und so mehr und mehr ein Bild wie ein Puzzle entstehen und nebelhaft alles vielleicht wieder vergehen zu lassen.
Eine ganz wunderbare Leseerfahrung.