Reichlich spät
Sabine, das ist die zierliche Brünette, mit guter Figur und grünen Augen. Das eine Auge nicht ganz wie das andere, leicht nach innen gestellt. Er hatte sich von ihrem Kleidungsstil angezogen gefühlt, an dem Tag, als sie sich kennenlernten. Sabine in einem weißen Hosenanzug mit Sandalen, eine bunte Perlenkette um den Hals. Ihre Art, als ruhe sie still in sich, wäre jedoch jederzeit aufnahmebereit. Kochen konnte sie, das machte ihr wirklich keiner so schnell nach. Bloß, dass er das Geschirr erst abspülen musste, bevor er es in die Maschine räumte, ärgerte ihn. Den Bräter weichte sie über Nacht ein und manchmal stand er noch auf der Spüle, wenn er Montags nach Hause kam. Sie war aus der Normandie, Vater Engländer, Mutter Französin.
Der Ring, den sie sich wünschte, kostete ein kleines Vermögen und musste ihr angepasst werden. Für diese Anpassung wollte der Juwelier 128 Pfund Aufpreis. Das sah er nicht ein. Er sei kein Dukatenesel sagte er ihr. Sabine stieß hart Luft aus, drehte sich um und begann, die Straße entlang zu gehen. Er lief hinter ihr her, entschuldigte sich sofort und der Tag wurde doch noch schön.
Jetzt aber sitzt er hier und schlägt Zeit tot. Er will seine Gedanken nicht mehr hören, aber es ist zu früh zum Schlafen.
Das war ein Teil des Problems: dass sie nicht hören und gut die Hälfte der Dinge auf ihre Weise tun wollte. S. 35
Fazit: Ich liebe die Geschichten von Claire Keegan. Wieder ist ihr eine Essenz gelungen. Sie bringt das, was sie sagen will ohne Umschweife auf den Punkt. Dieses Mal spricht sie ohne Wertung über einen Mann, von denen es viele gibt. Solange er bestimmen darf und die Frau sich anpasst und unterordnet, begegnet er ihr mit Wohlwollen. Tut sie das nicht, vergrößert sich seine Abneigung, bis zur Feindlichkeit. Im Grunde kann er Frauen nicht leiden und meidet sie, so gut er kann, aber Alleinsein ist auch nicht schön. Sie reden ihm zu viel, werden im Alltag gewöhnlich, schwitzen, lassen sich gehen und stellen allerlei Ansprüche. Das ist wirklich kein Spaß.
Diese Geschichte mag ich sehr. Sie entspricht dem Zeitgeist, liest sich in einem Haps weg und wirkt lange nach.
Buchumschlag und Cover sind wieder, typisch für den Steidl Verlag, sehr sorgfältig und liebevoll gestaltet.
Können 48 Seiten überhaupt ein Buch sein? Ja, wenn sie nämlich von der Autorin Claire Keegan geschrieben wurden, von der ich auch schon die Vorgänger-Bücher gelesen habe und jeweils begeistert war! Da sitzt einfach jeder Satz!
Oberflächlich wird nur ein Tag, der 29. Juli, im Leben von Cathal in Dublin geschildert. Je tiefer wir jedoch in die Geschichte eintauchen, umso mehr lernen wir vom Charakter des Protagonisten kennen: z.B. sein negatives Einstellungsmuster gegenüber Frauen, dessen Ursache schon im Elternhaus begründet ist. (Sein Vater und seine Brüder waren kein positives Vorbild – bei der Szene am Familientisch stellten sich meine Nackenhaare auf! Wertschätzung ist etwas anderes!)
Cathal blickt zurück auf die Beziehung mit Sabine: auf das Kennenlernen vor gut 2 Jahren, auf ihren Einzug vor ca. einem Monat und was ihn alles an ihrem Verhalten störte. Was eine harmonische Partnerschaft ausmacht, dass beiderseitiges Bemühen nötig ist – dieses Wissen fehlt ihm!
Das Ende fand ich sehr stimmig (und freute mich mit Sabine)! Fünf Sterne vergebe ich gerne für das neueste Meisterwerk (mit dem äußerst passenden Cover) dieser Autorin und empfehle dieses Buch allen, die wie ich ein Faible für Beziehungspsychologie haben.
Der kleine ´Roman beginnt mit einer alltäglichen Szene: ein Mann sitzt an einem Schreibtisch im Büro und ist mit der Buchhaltung beschäftigt.
Diese alltägliche Szene entwickelt sich zu einem Blick auf Cathals Leben. Absatz für Absatz wird der präsentierte Alltag dubioser. dubioser. Warum meidet Cathal die Begegnung mit anderen? Warum ist sein Chef so fürsorglich-freundlich? Was ist passiert? Satz für Satz dringt der Leser in die Situation ein, und dieses Eindringen wird umso intensiver, als die Autorin strikt bei Cathal als Erzählinstanz bleibt und das Geschehen und die Rückblicke immer durch Cathals Bewusstsein laufen lässt.
Zunächst ist der Leser auf Cathals Seite und empfindet Mitleid mit ihm, aber dieses Mitleid wandelt sich allmählich in Befremden, wenn Cathal auf die Beziehung zu Sabine zurückschaut. Das Befremden steigert sich bei seinem Rückblick auf seine eigene Kindheit. In subtilen Formulierungen, fast wie hingetupft, entwickelt die Autorin das Bild eines misogynen Mannes, der von Kind auf lernte, Frauen zu verachten. Seine Verachtung zeigt sich jetzt nicht mehr in Gewalt, sondern in Geiz und Egozentrik. Er ist enttäuscht, weil seine Partnerin zu viel Geld für Lebensmittel ausgibt; er fühlt sich gestört, weil sie eigene Möbel in den Haushalt mit einbringt; er ist verärgert, weil sie eigene Kontakte knüpft, kurz: er hat sie sich anders vorgestellt und ist enttäuscht, weil sie sich seinen Erwartungen nicht anpasst.
Erst im letzten Satz lässt der Erzähler den Leser direkt in den Abgrund blicken, um den es geht. Und der Leser bleibt betreten zurück, da er bei Cathal keinerlei Selbstreflexion oder Entwicklung erkennen kann.
Ein desillusionierender Blick auf die irische Männerwelt.
Claire Keegan ist eine wunderbare Erzählerin Wie sie behutsam von der Anfangsszene weg quasi den Schleier über dem Alltag hochhebt, wie sie einen kleinen Einblick nach dem anderen gewährt und den Leser so zu einer unverstellten Gesamtschau führt – das ist ihr grandios gelungen. Jedes Wort sitzt, kein Satz und keine Szene sind zuviel, ihre wohltuend klare Sprache begeistert mich nicht zum ersten Mal!
Ein literarisches Kleinod über eine gescheiterte Beziehung
Wer die feinen, intensiven Erzählungen von Claire Keegan bereits kennt, ist ihrer Schreibkunst in der Regel sofort verfallen. Dass der Göttinger Steidl Verlag es dazu versteht, diese Kleinodien auch noch haptisch wunderschön in Szene zu setzen, sollte Grundstein für den Erfolg der Autorin auch in Deutschland sein. Hans-Christian Oeser hat den unvergleichlichen Keegan-Sound kongenial ins Deutsche übertragen.
„Am Freitag, den 29. Juli war das Wetter in Dublin genau wie vorhergesagt.“ (Erster Satz)
Cathal sitzt unmotiviert an seinem Büroschreibtisch. Die Kollegen begegnen ihm ungewöhnlich verständnis- und rücksichtsvoll, sie erinnern ihn an den Feierabend. „Du weißt, dass du nicht bleiben musst“, sagt sein Chef. Eigentlich, ja eigentlich, hätte dieser 29. Juli Cathals Hochzeitstag sein sollen, der aber nicht wie vorhergesagt verlaufen ist. Sabine heißt seine Braut, die zwar angeblich keine Schönheit sein soll, ihn aber dennoch faszinierte und zudem wunderbar kochen konnte.
Cathal scheint nicht glücklich über die Tatsache zu sein, dass heute keine Hochzeitsglocken läuten. Durch seine Augen dürfen wir den Weg der beiden jungen Leute noch einmal von ihrem Kennenlernen an zurückverfolgen. Das erste Treffen, Unternehmungen, gemeinsam verbrachte Zeit in seiner Wohnung. In die anfängliche Verliebtheit schleichen sich Missstimmungen und Unbehagen ein, denn Cathal scheint ein Geizhals zu sein, zudem intolerant und engstirnig.
Es sind viele kleine Episoden, die Claire Keegan schildert und die uns teilweise den Atem anhalten lassen. Gibt es solche Machos im 21. Jahrhundert noch? Fühlt sich Cathal in den dargestellten Konfliktsituationen tatsächlich im Recht? Lernt er im Zeitablauf gar nichts dazu? Es ist eher die alltägliche, für viele (irische?) Männer selbstverständliche Misogynie, die hier thematisiert wird. Es geht nicht um körperliche oder sexuelle Gewalt. Fragen bleiben bewusst offen und geben Raum zum Nachdenken.
Claire Keegan schreibt sehr ruhig und leicht verständlich. Sie ist eine Meisterin der Sprache. Sie versteht es, mit wenigen Federstrichen Atmosphäre zu schaffen, indem sie Schauplätze detailliert und mit viel Fingerspitzengefühl ausleuchtet, die das eigentliche Geschehen bildreich untermalen. Jeder Satz, jedes Wort sitzt an der richtigen Stelle. Langsam nähert man sich durch Cathals subjektiven Blick des Pudels Kern. Gelingt es ihm anfangs noch, sein Verhalten zu erklären, lüften sich die verklärenden Schleier für den Leser doch zunehmend. Man erhascht wie nebenbei auch einen vielsagenden Blick in Cathals Herkunftsfamilie, der als alleinige Rechtfertigung für seine Misogynie aber nicht ausreicht.
„Reichlich spät“ ist eine fast unglaubliche, Augen öffnende, kluge Lektüre und doch gleichzeitig eine raum- und zeitlose Erzählung, die lange nachhallt und zum mehrfachen Lesen einlädt. Großartige Schreibkunst! Ich habe mit Claire Keegan längst eine neue Lieblingsautorin entdeckt, die ich allen Freund/innen guter Literatur ans Herz lege.
Große Leseempfehlung!