Die Rose im Sand: Erzählungen

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Rose im Sand: Erzählungen' von Susan Glaspell
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Inhaltsangabe zu "Die Rose im Sand: Erzählungen"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:300
Verlag: Dörlemann
EAN:9783038201342

Rezensionen zu "Die Rose im Sand: Erzählungen"

  1. Es geht um das Leben selbst

    Die Tatsache, dass der Literaturkanon in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere die Werke von Autorinnen vernachlässigt hat, beschert uns immer wieder neue Entdeckungen von sogenannten „Klassikerinnen der Moderne“. So geschehen bei diesem wundervollen Erzählband. Susan Glaspell (1876 – 1948) arbeitete nach dem Studium als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Romane und Erzählungen. Die zehn in diesem Buch gesammelten Stories entstanden zwischen 1903 und 1927 und sind chronologisch geordnet.

    Die Themen sind vielfältig, die Protagonisten bilden verschiedene Generationen ab. Zutiefst zu eigen ist Glaspell die Fokussierung auf das Menschliche. Sämtliche Hauptfiguren befinden sich an einem entscheidenden Moment oder Wendepunkt ihres Lebens. Es gilt, die Weichen neu zu stellen, eine moralische Entscheidung zu treffen, eigenen Kummer zu überwinden oder für das Richtige zu kämpfen. Mit wenigen Federstrichen werden die Leser mit dem jeweiligen Schauplatz bekanntgemacht, werden die Figuren vorgestellt und wird zum eigentlichen Thema hingeführt. Dabei zeigt die Autorin immenses Einfühlungsvermögen, denn sämtliche Haupt- und Nebencharaktere wirken ehrlich und glaubwürdig, ihre Entwicklung wird überaus nachvollziehbar geschildert.

    Es gibt nicht eine Erzählung in diesem Band, die gegenüber den anderen in irgendeiner Weise abfallen würde. Jede besitzt eine tiefergehende Aussage, viele auch eine gute Portion Humor. Es ist faszinierend, wie es gelingt, auf nur wenigen Seiten menschliche Schicksale in ihrer ganzen Komplexität zu beleuchten. Meist nimmt sich Glaspell der einfachen Leute an, macht aber auch Ausflüge in die Welt der Politik. Dabei spiegelt sie stets verschiedene Lebensbereiche der amerikanischen Gesellschaft, die belegen, dass Fragen der ethischen oder moralischen Gesinnung keine Klassengrenzen kennen.

    Zwölf Jahre sitzt ein 23-jähriger Straftäter in Haft, als über sein Gnadengesuch abgestimmt wird. Die beiden Seiten scheinen verhärtet, bis einer der Senatoren die damaligen Tatumstände genauer beleuchtet.
    Der Fahrstuhljunge Freckles McGrath zeigt Chuzpe, als er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für umfassende Reformen einsetzt und eine wichtige Abstimmung beeinflusst.
    Differenzen in der Wahrnehmung des Amerikanischen Traums deckt der Vater-Sohn-Konflikt zwischen Herman und Fred Beckman auf.
    Zeitungsjunge Stubby stammt aus armen Verhältnissen. Er liebt seinen zugelaufenen Hund, für den sein Vater aber die Hundesteuer nicht zahlen will. Die Angst vor der staatlichen Obrigkeit bringt den Jungen um seinen Schlaf.
    Der ehemalige Direktor von ‚Crystal Sulphur Springs‘ hat sein Vermögen verloren und muss ins Armenhaus, das sich just in den Räumen seiner ehemaligen Wirkungsstätte befindet.
    Wichtige Männer besichtigen einen Tatort, wo sie über eine Farmerin urteilen, die im Verdacht steht, ihren Mann getötet zu haben. Die anwesenden „einfältigen“ Ehefrauen kommen der Wahrheit aber wesentlich näher.
    Darüber hinaus geht es um politische Ideale, nachbarschaftliche Beziehungen, um persönliches Scheitern, um die Konsequenzen eines tragischen Todesfalls auf See.
    Einen wunderbaren Schlusspunkt setzt die titelgebende Geschichte, in der sich Mrs. Paxton in ihrem Schmerz auf eine verlassene, von Sturm, Sand und Wellen umtoste Seenotrettungsstation begibt. Es dauert eine Weile, bis die Rose ins Spiel kommt.

    Die Geschichten werden durchweg in warmherzig fesselndem Ton erzählt. Sie sprechen durch sich selbst und scheinen völlig aus dem Leben gegriffen zu sein. Die Autorin enthält sich jeder Wertung, sie zeigt keinen moralischen Zeigefinger oder eine dominante Botschaft. Die Figuren dürfen sich selbst glaubwürdig entwickeln und ihren Weg finden. Mir gefällt es, dass alle Erzählungen ein versöhnliches Ende haben, bei dem sie viel Stoff zum Nachdenken bieten. In ihrer Themenvielfalt sind sie zeitlos und laden dazu ein, aktuelle Bezüge herzustellen.

    Henning Borchert hat diesen Erzählband zusammengestellt, hervorragend übersetzt und mit einem informativen Nachwort versehen. Das fadengeheftete Hardcover des Dörlemann Verlages ist eine farbenfrohe Augenweide für jeden Bücherfreund. Hier stimmen innere und äußere Werte definitiv überein.

    Große Leseempfehlung für Susan Glaspell! Ich würde mich über weitere Entdeckungen aus ihrer Feder freuen.