Firestarter: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Firestarter: Roman' von Jan Carson
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Firestarter: Roman"

Belfast, im Sommer 2014. Überall in der Stadt entfachen Protestanten riesige Freudenfeuer zu Ehren des englischen Königs William von Oranien, der einst das katholische Irland besiegte. Die Lage eskaliert, als ein Video viral geht, in dem ein maskierter »Firestarter« dazu aufruft, die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Sammy Agnew ahnt, dass sein Sohn Mark dahintersteckt, denn er kennt die Faszination zerstörerischer Gewalt aus der eigenen Jugend. Längst hat er dem Hass abgeschworen, aber er spürt, dass er nie völlig davon loskommen wird. Soll er seinen Sohn an die Polizei ausliefern, um zu vermeiden, dass die Situation vollends aus dem Ruder läuft? Verzweifelt bittet er den Arzt Jonathan Murray um Rat. Der jedoch befindet sich selbst in einer fatalen Lage. Er fürchtet, seine Tochter könnte allein mit ihrer Stimme Leben zerstören … Mit »Firestarter« hat Jan Carson einen außergewöhnlichen Roman über Nordirland geschrieben, humorvoll und bewegend, schonungslos und doch voller Magie. Aber sie erzählt auch eine universelle Geschichte über Selbstbehauptung und Verantwortung – in einer Welt, die einmal mehr zu entgleisen droht.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
Verlag: Liebeskind
EAN:9783954381579

Rezensionen zu "Firestarter: Roman"

  1. 5
    12. Nov 2023 

    Magischer Realismus in Belfast

    Vieles hätte ich von diesem Roman erwartet, aber nicht das, was ich letztlich bekommen habe. Sehr positiv wurde ich überrascht von den unerwarteten Inhalten des Romans der nordirischen Autorin Jan Carson.

    Immer am 12. Juli eines Jahres feiern die Protestanten Nordirlands den historischen Sieg WilhelmIII. über Jakob II. Als Sieg der Protestanten über die Katholiken. Immer wieder ist es in der Vergangenheit bei den Märschen der Mitglieder des sogenannten Oranier-Ordens zu Ausschreitungen mit Katholiken und der Polizei gekommen. So auch im Roman von Jan Carson, welcher in 2014 spielt. Dort sorgt ein maskierter Unruhestifter mit Online-Videos dafür, dass schon Wochen vor dem 12. Juli die ersten Gebäude brennen. Er nennt sich der „Firestarter“, spielt im Hintergrund seiner Videos den gleichnamigen, wohl bekanntesten Song von The Prodigy ab und lässt die Gewalt immer mehr ansteigen. Sammy vermutet, dass sein Sohn hinter den Videos steckt. Zeigte der doch schon sein gesamtes Leben lang psychopathische Verhaltensweisen. Sammy, um die 50 Jahre alt, war als Jugendlicher in den 1980ern selbst einer der aggressiven Unruhestifter in Belfast. Hinzu kommt noch die Geschichte von Jonathan, welcher erst vor wenigen Wochen Vater geworden ist und ebenso mit der Gefahr, welche potentiell von seiner Tochter ausgeht, hadert.

    Carson überrascht in ihrem Roman mit ganz unerwarteten Wendungen. So ist der vorliegende Roman keiner, der den Nordirlandkonflikt historisch aufarbeiten oder erklären will, er spielt ganz einfach in Belfast und hier gehören die ständigen Unruhen und die terroristischen Akte einfach zum Alltag der Menschen dazu. So beschreibt sie die „Vorbereitungen“ auf den 12. Juli mit lakonischer Art und lässt dabei immer wieder trockenen Humor durchblitzen. So wird man vielleicht, wenn man in diesem krisengebeutelten Landstrich aufgewachsen ist und nun selbst in Belfast lebt. Gerade im ersten Teil des Romans bekommen wir also einige Alltagseindrücke beschrieben. Alles andere als alltäglich sind die eingeschobenen Kapitel in Kursivdruck, die die Schicksale von ganz ungewöhnlichen Kindern mit angeborenen, übernatürlichen Fähigkeiten beschreiben. Diese Kinder leben unter den Menschen und müssen mit ihren ganz eigenen Problemen kämpfen. Jonathans Tochter scheint auch eine dieser Kinder zu sein, ist ihre Mutter doch eine Sirene gewesen. Ein weibliches Fabelwesen, welches durch ihren betörenden Gesang Männer anlockt, um sie zu töten. Die Mutter lockte jedoch Jonathan an, nicht um ihn zu töten, sondern um sich fortzupflanzen. Nun steht Jonathan mit seiner neugeborenen Tochter allein da und muss mit jedem ihrer Entwicklungsschritte befürchten, dass sie beginnt zu sprechen und damit die Bevölkerung Belfasts in Lebensgefahr bringen wird.

    Carson schlüsselt durch die beiden Vaterfiguren, Sammy und Jonathan, auf, wie konfliktbeladen Vaterschaft ganz grundsätzlich, aber auch im Speziellen sein kann, wenn sich das eigene Kind als potentielle Gefahr für die Allgemeinheit herausstellt. Wie damit umgehen? Was tun als Vater, der sowohl das Beste für die Allgemeinheit aber auch für das eigenen Kind erreichen möchte? Wir folgen den beiden Protagonisten mithilfe von ganz unterschiedlichen Erzählperspektiven, die manchmal eine Ich-Perspektive sein kann, manchmal aber auch auktorial, wenn der Alltag der Bevölkerung in Belfast beschrieben wird. Letztlich fokussieren wir immer stärker auf die beiden Einzelschicksale und den entsprechenden Weg, den die Väter als Umgang mit der belastenden Situation für sich wählen. Das ist geschickt gemacht und überrascht einfach immer wieder.

    Letztlich konnte mich das Ende von Sammys Erzählstrang nicht gänzlich überzeugen. Zu unplausibel erscheinen hier die Geschehnisse im Finale. Trotzdem ist der vorliegende Roman für mich die Überraschung des Jahres. Somit bekommt „Firestarter“ eine klare Leseempfehlung von mir für alle, die etwas Unerwartetes lesen möchten und gleichzeitig schon ein paar Vorkenntnisse zum Nordirlandkonflikt mitbringen, denn man sollte nicht erwarten, hier alle Zusammenhänge noch einmal erklärt zu bekommen.

    4,5/5 Sterne

  1. 5
    11. Apr 2023 

    Belfast brennt!

    Denkt man an Belfast, denkt man an Bürgerkrieg, denn die Hauptstadt Nordirlands war ab 1969 Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen militanten Gruppen der katholischen und protestantischen Bevölkerung. Dieser Konflikt, der bei der Bevölkerung unter dem verklärten Ausdruck „troubles“ bekannt ist, dauerte bis 1998 an. Auch danach kam die Stadt nicht zur Ruhe, so kam es bspw. im Jahr 2009 zu rassistischen Ausschreitungen gegen ansässige Rumänen. Bis zum letzten Jahr galt in Nordirland offiziell noch die zweithöchste Terrorwarnstufe. Belfast ist also eine Stadt, die immer wieder brennt. Die Einwohner sind daran gewöhnt. Glaubt man Jan Carsons Roman "Firestarter" genießen die Einwohner sogar dieses Leben auf einem Pulverfass. Die Alten schwelgen nostalgisch in Erinnerungen, die Jungen sind ein wenig neidisch auf diese Erinnerungen und hoffen, sich irgendwann ihre eigenen schaffen zu können.

    Inmitten dieser reizbaren Stadt leben die Protagonisten dieses Romans:
    Jonathan, Sohn aus reichem Haus, mittlerweile in den Dreißigern und Arzt in einem Krankenhaus in Belfast. Er ist ein introvertierter Einzelgänger, dessen zwischenmenschliche Beziehungen auf seine Arbeit beschränkt sind … bis zu diesem einen zufälligen Moment, der sein Leben verändern wird.
    Sammy, Familienvater und ehemaliger Kämpfer der katholischen Iren, der in der Zeit der „troubles“ seinen Hang zur Gewalt voll ausleben konnte; mittlerweile hat er jedoch sein Aggressionsproblem unter Kontrolle – so hat es zumindest den Anschein.
    Jonathan und Sammy kennen sich zunächst nicht, werden sich auch über weite Teile des Romans nicht begegnen. Sie werden ein- bis zweimal im Krankenhaus aufeinandertreffen, wenn Sammy einen ärztlichen Rat benötigt. Dennoch haben sie eine große Gemeinsamkeit: sie sind Väter von „Problemkindern". Die Kinder selbst haben keine Probleme, sie könnten jedoch Probleme verursachen, die unvorstellbare Auswirkungen auf ihre Umgebung haben könnten.
    Sammys Sohn Mark, Anfang 20, hat den Hang zur Gewalt scheinbar von seinem Vater geerbt. Schlimmer noch, denn Mark ist ein Sadist, dem das Leid anderer Menschen sehr viel Freude bereitet. Noch größeren Spaß hat er, wenn er selbst der Auslöser für das Leid anderer Menschen ist. So war er als Kind schon. Warum sollte sich das geändert haben?
    Im Sommer 2014 wird Belfast in diesem Roman von einem Feuerteufel heimgesucht, der in Videobotschaften seine Drohungen gegen die Stadt ausspricht. Der Sprecher ist vermummt. Dennoch glaubt Sammy, seinen Sohn Mark in dem Brandstifter zu erkennen.
    Der Arzt Jonathan hat als alleinerziehender Vater ganz andere Sorgen. Die Mutter, eine Zufallsbekanntschaft, hat ihn und Baby Sophie direkt nach der Geburt verlassen. Ein Verhalten, welches kaum vorstellbar und unmenschlich erscheint - misst man mit normalen Maßstäben.
    Jetzt ist Jonathan auf sich gestellt, wächst in die Vaterrolle hinein, kümmert sich um sein Baby und hat Angst vor einem Moment, den die meisten Väter herbeisehnen: Der Moment, wenn die Tochter, die ersten Worte spricht. Denn er befürchtet, dass Sophies Stimme Leben zerstören könnte.
    Das hört sich verrückt an, ist aber ein Hinweis darauf, dass die Geschichte, welche die Autorin Jan Carson in „Firestarter“ erzählt, ungewöhnlich ist und sich durch einige kreative Besonderheiten auszeichnet, so dass sich dieser Roman schwerlich in eine Genre- Schublade stecken lässt.
    - Magischer Realismus
    „Firestarter" ist ein Roman, der in Teilen dem magischen Realismus zuzuordnen ist. Diese Teile fließen anfangs still und unauffällig in die Handlung ein und gehören von da an zur Geschichte dazu. Die Grenze zwischen Mystik und Realität verschwimmt, so dass man die fantastischen Elemente dieses Romans schnell und selbstverständlich akzeptiert.

    - Vaterrollen
    Bei Jonathan und Sammy haben wir es mit Vätern zu tun, die ihre Kinder lieben und den Pflichten, die das Vatersein mit sich bringt, bedingungslos nachkommen. Doch mit ihren besonderen Kindern wird die Vaterliebe an ihre Grenzen getrieben. Jonathan und Sammy geraten an einen Scheideweg. Hier müssen sie sich zwischen dem Wohl des Kindes und dem Gemeinwohl der Gesellschaft entscheiden. Dadurch kommen bei der Lektüre dieses Romans unweigerlich ethische Fragen auf: Wie weit darf die Liebe eines Vaters zu seinem Kind gehen? Wie weit muss die Liebe eines Vaters zu seinem Kind gehen?

    - Erzählperspektiven
    „Firestarter“ ist ein Roman, der aus mehreren Perspektiven erzählt wird und aus zwei Handlungssträngen (Jonathan und Sammy) besteht, die sich zwischenzeitlich kreuzen.
    Jonathan und Sammy erzählen ihre Geschichten sowohl als Ich-Erzähler genauso wie als personale Erzähler. Insbesondere die Ich-Erzählperspektive ermöglicht einen Einblick in die unvorstellbaren Seelennöte der beiden Väter.
    Eine weitere Perspektive bildet diejenige des auktorialen Erzählers, die insbesondere dann zum Tragen kommt, wenn sich der Blick auf Belfast und seine Bevölkerung richtet.

    - Belfast
    Ein ungewöhnlicher Protagonist dieses Romans ist Belfast. Die Autorin Jan Carson beschreibt diese Stadt und ihre Einwohner in allen Facetten, wozu natürlich auch der historische Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, Iren und Engländern gehört. Dieser Konflikt hat die Stadt nie losgelassen, die Einwohner haben sich damit arrangiert, auf einem Pulverfass zu leben und sind stolz auf ihre explosive Geschichte.
    Jan Carson erweckt den Anschein, dass Belfast etwas fehlen würde, sollten die Erinnerungen an seine Geschichte verblassen. Daher erscheinen die Brandanschläge, welche die Stadt in diesem Roman heimsuchen, weniger bedrohlich, sondern eher als freudige Vorboten für die Fortsetzung eines Kampfes, der zwar 1998 offiziell für beendet erklärt wurde, aber in den Köpfen der Menschen fortbesteht.

    Fazit:
    „Firestarter“ ist spannend, kurzweilig, aber auch fordernd und stellt eine faszinierende Mischung aus den unterschiedlichsten Literaturgenres dar. Dieser Roman wurde im Jahr 2019 mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet – zu Recht!
    Ich hoffe, dass er darüber hinaus noch mehr Beachtung findet. Denn eine derartige schriftstellerische Kreativität, wie sie Jan Carson mit diesem Buch an den Tag legt, muss belohnt werden. Leseempfehlung!