Alle Zeit: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Alle Zeit: Roman' von Kathrin Gerlof
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Alle Zeit: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:240
EAN:9783746626796

Rezensionen zu "Alle Zeit: Roman"

  1. "Da hat doch jemand gepfuscht"

    Fünf Generationen von Frauen umfasst dieser Roman. Die junge Juli, hochschwanger und mutterseelenallein (in diesem Fall ist das Klischeewort sehr treffend!), begegnet beim Spazierengehen der alten Klara, einer Heimbewohnerin, die immer wieder von Attacken des Vergessens heimgesucht wird. Sie hat aber noch genug lichte Momente, um sich über ihren Zustand klar zu sein. Kurz nach ihrer Begegnung bekommt Juli ein kleines Mädchen, das sie Svenja nennt. Zu ihrem Glück wird sie von der Hebamme in Obhut genommen. Klara hingegen erlebt im Heim noch eine späte Liebe.

    In einem zweiten Erzählstrang geht es um Elisa, die ihre Großmutter kennen lernen möchte, und um Elisas Mutter Henriette, die das ungern sieht. Die beiden haben kein leichtes Leben gehabt. Henriette hat in der DDR eine kleine Karriere als Funktionärin gemacht, aber ihr Privatleben ist ein Scherbenhaufen. Und es gibt eine Art Familiengeheimnis, das sie Elisa verschweigt. Ein Geheimnis, das zum Zerwürfnis zwischen ihr, Henriette, und ihrer Mutter geführt hat.

    Es ist ein kompliziertes Familiengewebe, das die Autorin hier entwickelt. Und ein wenig "herbeigeschrieben" wirkt es schon, das sich die Geschichte über fünf Generationen von ausschließlich Frauen entlanghangelt. Vielleicht hilft es ein wenig, sich bewusst zu machen, dass es in der Vergangenheit genug Generationenromane gegeben hat, in denen es ausschließlich um Väter und Söhne ging. Die beiden Erzählstränge wachsen erst auf den letzten Seiten zusammen und in eine Weise, die - auch wenn die Leserin einiges ahnt - doch völlig unerwartet kommt. Tragisch und verheißungsvoll zugleich wirkt es, wie hier dementielles Vergessen und Verschweigen zusammenwirken, aber gleichzeitig eine Chance auf unbelastetes Hinausgehen ins Leben erwächst.

    Mit dem Thema Demenz geht die Autorin äußerst geschickt und behutsam um, durchaus mit Humor, aber jederzeit einfühlsam und ohne jede Bloßstellung. "Sterben dauert viel länger als Leben, murmelt sie. Da hat doch jemand gepfuscht. Sie legt sich angezogen ins Bett, knipst das Licht aus an einer Schnur, die extra für Lahme an der Wand angebracht wurde. (...) Ich bin hohl im Kopf. Hohl im Bein. Ein Hohlbein. Den hab es doch. Irgendeinen Hohlbein. Jünger oder älter. Hat gepinselt. Oder Hackfleisch aus Marmor gemacht? Vergessen. Alles vergessen. Wieso kann ich dann noch träumen? Müsste doch auch alles verschwunden sein. Oder nur verlegt? Egal. Jetzt geht's ans Schlafen. Und das wird harte Arbeit." Kathrin Gerlof traut sich aber auch etwas, was sich sonst kaum ein Autor, eine Autorin traut: Sie erzählt uns eine Liebesgeschichte zwischen zwei steinalten Leuten, mit allem, was dazugehört. Und das mit einer unfassbaren Dezenz und Einfühlsamkeit, die absolute Höchstwertung verdient. Das Buch hat ein paar Stolpersteinchen, hin und wieder darf man sich auch ein wenig ärgern, aber aus dem zuletzt genannten Grund gebe ich auf jeden Fall sehr gute vier Sterne.