Ein Sommer in Niendorf
![Buchseite und Rezensionen zu 'Ein Sommer in Niendorf' von Heinz Strunk](https://m.media-amazon.com/images/I/41vgohh4B3L._SL500_.jpg)
Selbstherrlicher Jurist will in Niendorf ein Buch schreiben, blickt abschätzig herab auf die Menschen vor Ort, die saufend ihre Tage verschwenden, rutscht selber ab in den Alkoholismus und wird letztlich zum Inbegriff dessen, was er verachtet. Interessante Idee, die Umsetzung konnte mich indes nicht überzeugen. Fremdschämen, Vulgärsprache und Ekelfaktor werden gnadenlos ausgereizt, der unvermeidliche Untergang des misogynen Protagonisten liest sich klebrig-unangenehm. Abstoßende Charakterzüge werden geradezu abgehakt, dabei wenig bis gar nicht hinterfragt. Auch die Verweise auf Gruppe 47 können der Geschichte meines Erachtens nicht zu wirklichem Tiefgang verhelfen.
Für mich ist "Ein Sommer in Niendorf" daher leider die große Enttäuschung unter den diesjährigen Buchpreisbüchern! Aber vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich sehr allergisch auf Fäkalhumor reagiere, auch wenn er satirisch eingesetzt wird? Oder vielleicht habe ich einfach die Nase voll vom Blickpunkt mittelalter weißer Männer, die ihren Sexismus, ihre Überheblichkeit und ihre Privilegien selber nicht erkennen.
Protagonist des Romans ist der 51jährige Georg Roth, der sich ein Sabbatical von drei Monaten genehmigt, bevor er seine neue Arbeiststelle antritt. Er hat sich bewusst für Niendorf entschieden, um dort in Ruhe an einem Buch zu arbeiten, das er schon lange schreiben wollte. Eine besondere Familiengeschichte, in der er rücksichtslos mit seinen Vorfahren abrechnen will. Im Gepäck hat er über vierzig Tonbandaufnahmen seines mittlerweile verstorbenen Vaters.
Roth hat sich ein Appartment gemietet, der Ostsee-Strand ist nahe, die Idee von disziplinierter Arbeit und Entspannung zugleich könnte aufgehen. Wenn er denn der Typ wäre, der sich gerne entspannt. Durch Fleiß und Disziplin war er bisher in seinem Beruf erfolgreich, und es fällt ihm daher schwer, diese Attribute einfach so abzulegen. Allerdings geht es mit dem Schreiben nicht so recht voran, es will zunächst nichts Überzeugendes gelingen.
Genervt ist Roth von dem Verwalter der Appartments in seinem Haus, der ihn immer wieder kontaktiert und damit häufig genug um seine Konzentration bringt. Der schwergewichtige Markus Breda ist zudem nicht nur der Appartment-Verwalter, sondern zugleich auch Strandkorbvermieter und Spirituosenladeninhaber. Und gleichzeitg heimlich sein eigener und bester Kunde. Und freigiebig obendrein. Da etwas Entspannung nicht schaden kann, lässt sich Roth imner wieder auf Treffen mit dem Verwalter ein und damit auf die gemeinsamen Besäufnisse. Das männliche Elend nimmt seinen Lauf...
„Er tritt in etwas und ist sich sicher, dass es Aas war, obwohl er noch nie in Aas getreten ist. Er stolpert, fängt sich mit einer Hand ab, greift in etwas Weiches, Feuchtes; die Hand rutscht ab, und er schlägt mit voller Wucht aufs Gesicht.“
'Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck.' - So steht es ebenfalls im Klappentext. Tatsächlich musste ich aber eher an Guildo Horn seinerzeit beim Eurovision Song Contest ('Guiildo hat euch lieb') denken. Allenfalls kann Strunks eigenwillige "Neuinterpretation" als Persiflage von Thomas Manns Novelle (die Tragödie einer Entwürdigung) herhalten. Um eine Entwürdigung handelt es sich bei dem midlifecrisisgebeutelten "Helden" in Niendorf unbestritten auch, aber literarisch hinkt der Vergleich definitiv gewaltig.
Ein Unsympath ist dieser Roth, ein zynischer Misanthrop, der gedanklich kein gutes Haar an irgendjemandem lässt und an allen Begegnungen nur Widerwärtiges herausstreicht. Möchtegern-geil und pseudopotent säuft er sich durch die Tage und hält mit seiner scharfzüngigen Verachtung gegenüber jedermann (und jederfrau) nicht hinterm Berg. Der Schreibstil ist oft derbzotig, und ein gewisses Vergnügen an der Schilderung ekeliger Szenen muss man Heinz Strunk wohl auch attestieren.
Dieser Roman ist auf der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet (immerhin aber nicht auf der Shortlist). Manchmal staune ich nur.
© Parden
Humorvoll und tragisch
Der Jurist Roth tritt demnächst einen neuen Posten an. Den Sommerurlaub davor möchte er richtig genießen. Er mietet ein Apartment an der Ostsee, in Niendorf am Timmendorfer Strand. Er freut sich auf die Freizeit an einem Ort, wo ihn keiner kennt. Das schöne Apartment mit einer einmaligen Aussicht auf die Ostsee, die einladende Fußgängerpromenade mit vielen lokalen Ladengeschäften und die noch leerstehende Strandkörbe versprechen eine schöne erholsame Sommerzeit.
Er plant an dem Ort drei Monate zu verbringen. Die Zeit will er aber auch für das Schreiben der brisanten Geschichte seiner Familie nutzen. Als Rohmaterial dienen ihm die Tonbandaufzeichnungen von den Gesprächen, die er mit seinem bereits schwerkranken Vater geführt hat. Er selbst bezeichnet diese Gespräche als eine Generalbeichte. Roth sieht sich bereits als Autor eines Bestsellers, der sogar verfilmt werden könnte.
Doch der idyllische Ort, den er für sein Vorhaben gewählt hat und die Menschen, denen er dort begegnet, machen seine Pläne zunichte. Der Anwalt Roth, der am Anfang dieser Geschichte noch einen edlen Maßanzug trägt, passt sich schnell seiner neuen, für ihn bisher absolut abstoßenden Umgebung an. Er findet Gefallen an den Kontakten mit den Menschen, die er bis dahin verabscheut und grundsätzlich gemieden hat, und wurde zum Schluss einer von ihnen.
Der Roman von Heinz Strunk ist eine ungewöhnliche Geschichte mit einem unsympathischen Helden. Ich habe dieses Buch mit gemischten Gefühlen gelesen. Denn das Verhalten des überheblichen und doch so lächerlichen Juristen und Möchtegern-Schriftstellers konnte ich nicht nachvollziehen. Zu undurchsichtig sind seine Motive, zu unklar seine Vergangenheit und sehr merkwürdig sein jetziges Verhalten. Obwohl Roths Pläne zum Schluss scheitern, scheint er nicht unbedingt deswegen unglücklich zu sein.
Der Schreibstil des Autors – ich habe bisher kein Buch von Heinz Strunk gelesen - hat mich überrascht. Seine Sprachgewandtheit, die ausdrucksstarken Äußerungen: mal fast poetisch, dann wiederum grob und ordinär, dazu bildhaft dargestellte Szenen und Handlungen, in denen Humor mit Tragik gekonnt miteinander verwoben worden sind, haben mich an diese Geschichte gefesselt. Ich fand sie interessant und skurril zugleich. Diese sonderbare Sommergeschichte entwickelt einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.