Ein Leben lang

Buchseite und Rezensionen zu 'Ein Leben lang' von Christoph Poschenrieder
4.15
4.2 von 5 (16 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ein Leben lang"

Sie kennen sich seit der Kindheit und beginnen gerade, ihre eigenen Wege zu gehen, als plötzlich einer von ihnen als Mörder festgenommen wird. Er soll seinen Onkel aus Habgier erschlagen haben. In einem schier endlosen Indizienprozess wird das Unterste zuoberst gekehrt. Die Freunde kämpfen für den Angeklagten, denn er kann, er darf kein Mörder sein. Doch als 15 Jahre nach dem Urteil eine Journalistin sich der Sache noch mal annimmt, stellt sich die Frage der Loyalität wieder neu.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
Verlag: Diogenes
EAN:9783257071955

Rezensionen zu "Ein Leben lang"

  1. Was hält Freundschaft aus?

    Seit ihrer Schulzeit waren sie Freunde: Emilia, Sabine, Benjamin, Till und Sebastian und er. Unbeschwerte Jugend, abhängen im Sommer in der Hütte am See. Nach dem Schulabschluss zerstreuten sie sich. Der Kontakt blieb lose aufrecht. Doch dann wurde er unter Mordverdacht verhaftet Der reiche Erbonkel lag erschlagen in der Wohnung. Beweise gab es keine, Indizien zahlreiche. Wer wurde verurteilt. Einige Jahre nach dem Urteil will eine Journalistin den Fall neu aufrollen und wendet sich an den Freundeskreis, bitte um Interviews.

    Ein Leben lang, so heißt der Roman von Christoph Poschenrieder. Es geht um einen Mordfall, ein Gerichtsverfahren, ein zweifelhaftes Urteil. Aber vor allem geht es um Freundschaft. In bester „oral history“ Methode erzählen Emilia, Sabine, Benjamin, Till und Sebastian von ihrem Freund, dem Verurteiltem, dem vermeintlichen Mörder. Er - der Freund - wird nie beim Namen genannt, bekommt nur selten eine eigene Stimme.

    Die Leserschaft erfährt die Geschichte multisperspektivisch und sehr subjektiv. Jeder aus dem Freundeskreis baut aus der eigenen Erinnerung einen Teil der Wahrheit nach. Dabei sind die Frauen – Emilia und Sabine – klar unterscheidbar, die Männer verschwimmen immer wieder. Am ehesten sticht für mich hier Benjamin heraus, der als Jurist wiedererkennbarer ist als Till uns Sebastian.
    In den Tagen unmittelbar nach dem Mord noch fassungslos, während des Prozesses immer noch unterstützend, regt sich bei den Freunden mit der Zeit immer stärker die Frage: Kann einer von uns tatsächlich ein Mörder sein?

    „Jeder ist alles, und aus jedem kann alles werden.“

    Ganz nebenbei stellt sich für die Leserin auch die Frage – schuldig oder nicht schuldig?

    Es ist kein Krimi, kein Justizdrama. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir die Geschichte nur aus Sicht der Freunde, gelegentlichen Informationen durch den Verteidiger und die Reflexionen des Verurteilten kennen, sollten wir gelegentlich die Zuverlässigkeit der Berichtenden in Frage stellen.

    Christoph Poschenrieder hat hier einen wahren Fall aufgerollt. Das kann man wissen, muss man aber nicht, es bringt aber zum Schluss noch ein gewisses Aha-Erlebnis.

  1. "Was nicht sein kann, das nicht sein darf!"

    München im Jahr 2006. Die Millionärin Charlotte Böringer wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Ihr Neffe wird des Mordes bezichtigt. Sein Motiv soll die Angst vor einer Enterbung als Konsequenz seines abgebrochenen Jurastudiums, das widerum seine Tante als Bedingung für die Erbschaft festgelegt hatte, gewesen sein. Es folgt ein Indizienprozess, in dem Einiges auf den Neffen als Täter hindeutet, nichts jedoch die Täterschaft zweifelsfrei belegt. Dennoch wird der Neffe am Ende für schuldig befunden und wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil gilt als umstritten. 

    "Ein Leben lang" basiert auf diesem sog. Parkhausmord, räumt Poschenrieder im Rahmen eines Interviews ein. Der reale Fall habe als Vorlage für den Roman gedient. Poschenrieder nahm sich jedoch die Freiheit heraus, auf dieser Basis eine fiktionale Geschichte zu erzählen. Der Autor verweist im Interview auf vorgenommene Modifikationen des fiktiven Falls. Auch betont er, dass sein Interesse nicht in der Klärung der Schuldfrage liege. Ihm gehe es vielmehr um die ausgelösten Dynamiken im Freundschaftskreis, die infolge der (Vor-)Verurteilung des Freundes einsetzten. Diese Intention des Autors soll im Folgenden die Grundlage sein für die Beurteilung des Werkes.

    Grundzüge des Inhaltes lassen sich zwar vom realen Fall ableiten, doch hier nochmal eine Kurzfassung. Die Rahmenhandlung ist die Auseinansdersetzung einer Journalisitin mit dem Fall. Sie hat verschiedene Dokumente zum Fall gesammelt (Notizen, Zeitungsausschnitte, Protokolle etc.) und außerdem rückwirkend die Freunde von X, der namenlos bleibt, befragt. In Poschenrieders Fassung geht es um die Auseinandersetzung der Freunde mit der Frage nach der Schuld des Freundes und deren rückwirkendem Erleben des Geschehens - angefangen vom Tatverdacht, über den Indizienprozess bis hin zur lebenslänglichen Verurteilung des Täters. Es geht um die Dynamik innerhalb des Freundeskreises, nicht aber um die Klärung der Schuldfrage oder aber eine Kritik am durchgeführten Indizienprozess. Das ist wichtig für die Diskussion und Einschätzung des Romans. Unterschiedliche Materialien und Stimmen werden wie kleine Mosiksteinchen nach und nach zusammengetragen und ergeben schlussendlich ein Mosaikbild des fiktiven Falls. Neben X als Neffen des ermordeten Erbonkels, der Journalistin sowie dem Ankläger stehen insbesondere der Freundeskreis von X im Vordergrund. So heterogen er zusammengesetzt ist (Naturwissenschaftlerin, Lehrerin, Musiker, Jurist, Pressesprecher), so homogen ist - zumindest über weite Strecken- deren Einschätzung zum Fall: Der Freund- ein Mörder? Nein, das kann (und darf) nicht sein! 

    Die Dynamik innerhalb des Freundes ist wirklich interessant: Waren die Freunde zwischenzeitlich fremde Wege gegangen, so führt das Geschehen sie nun wieder zusammen: Sie diskutieren die Frage der Täterschaft des Freundes, entwickeln Strategien, die vielleicht am ehesten sie selbst von der Unschuld des Freundes überzeugen sollen. Doch während dies sie zunächst fest zusammenschweißt, bröckelt die Fassade zunehmend und der ein oder Andere beginnt doch Zweifel zu hegen. 

    Tatsächlich ist diese Beobachtung der Dynamik und Veränderung innerhalb des Freundeskreis das Spannende an der erzählten Geschichte. Persönlich finde ich, dass es Poschenrieder äußerst gut gelungen ist, diese Dynamik aufzuzeigen. Das Buch wird so zu einem Psychogramm des Freundeskreises, in dem es nicht mehr um Wahrheiten geht, nicht um die Klärung der Frage, ob der Freund gemordet hat oder nicht. Vielmehr geht es darum, was es auslöst, wenn Freunde gezwungen werden, sich damit auseinanderzusetzen, dass einer von ihnen - jemand, den man gut zu kennen glaubte, plötzlich ein potentieller Mörder ist. Wurde man jahrelang getäuscht, indem der Freund vorgab jemand anders zu sein als der, für den er sich ausgab? Oder hat man sich selbst in dem Freund getäuscht? Wurde man vom Freund getäuscht und belogen? Und falls ja, lügt man sich selbst jetzt in die Tasche? Wenn ja, warum das eigentlich? Im Vordergrund steht die Frage, ob ein Freund ein Mörder sein kann. Vielleicht auch die Frage, ob ein Freund, der alle bereits einmal hereingelegt und an der Nase herumgeführt hat, es verdient, ein Freund zu sein. Oder auch, warum man geneigt ist, dem Freund nichtsdestotrotz beizustehen. 

    Zugegeben, mich hat die Schuldfrage nicht kalt gelassen. Gerade infolge einer Wendung gegen Ende des Romans hat sich meine Einschätzung diesbzgl. als fragil erwiesen. Mehr Klarheit bekommt man als Leser vielleicht, wenn man Wildes "Das Leben des Dorian Gray" kennt. Leider habe ich dieses Werk noch nicht gelesen und verstehe daher den Wilde-Bezug und dessen vermeintliche Bedeutung bezüglich der Schuldfrage nicht. Wer "Ein Leben lang" noch als Lektüre vor sich hat, der könnte gegebenfalls davon profitieren, das Wilde-Buch vorher zu lesen. 

    Letztlich kann ich gut mit der für mich offen bleibenden Frage der Täterschaft leben - zumal diese zu klären ja auch nicht die Intention des Autoren ist. Insgesamt hat mich die Geschichte sehr gefesselt. Sie lies sich auch durch die häufigen Perspektivwechsel und kurzen Materialien sehr gut lesen und gewann dadurch an Fahrt. Ein wenig fühlte ich mich an die Picoult Romane erinnert, wo auch oft aus mehreren Perspektiven auf eine Frage geschaut wird. Im Unterschied zu Poschenrieder, bietet Picoult in der Regel trotz aller Vielstimmigkeit aber eine Auflösung an. 

    Sehr gerne und uneingeschränkt empfehle ich die Lektüre dieses Romans weiter. 

  1. In der trüben Brühe rühren

    Die Anfrage der Journalistin kommt unerwartet. 15 Jahre ist der aufsehenerregende Mord her, für den ihr gemeinsamer Freund verurteilt worden ist: lebenslänglich. Nun sollen die promovierte Astronomin Sabine, die Lehrerin Emilia, der Jurist Benjamin, der Musiker Till und der Pressesprecher Sebastian erzählen, woran sie sich von damals erinnern.

    „Ein Leben lang“ ist ein Roman von Christoph Poschenrieder.

    Meine Meinung:
    Der Roman verfügt über eine sehr klare Struktur. Er gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste aus zwei Hälften besteht. Darüber hinaus gibt es insgesamt rund 25 Kapitel.

    Die Geschichte wird weder zeitlich noch räumlich genau verortet. Erzählt wird mit einem Abstand von 15 Jahren in chronologischer Reihenfolge über einen Kriminalfall.

    In stilistischer Hinsicht ist der Roman sehr interessant. Es gibt einerseits die als „Memo“ bezeichneten Niederschriften einer nicht näher definierten Journalistin und andererseits die Antworten der fünf Freunde, des Anwalts und des „Gefangenen“. Ein ungewöhnliches und ansprechendes Konzept.

    Sprachlich ist der Roman unauffällig und durch die vielen Redeanteile literarisch wenig herausragend. Etwas gestört hat mich, dass sich die verschiedenen Perspektiven in Bezug auf die Sprache kaum unterscheiden.

    Die fünf Freunde stehen im Fokus des Romans. Man lernt sie jedoch nur im Gespräch mit der Journalistin kennen. Ihre Biografien bleiben recht blass. Die einzelnen Charakterzüge werden allerdings gut deutlich.

    Der Roman basiert auf einem tatsächlichen Mordfall, der 2006 in München passiert ist. Das an sich ist für mich kein Minuspunkt. Geärgert hat mich aber, dass der Autor fast jedes Detail des echten Falls abgekupfert hat und sich lediglich die Mühe gemacht hat, zwei Fakten geringfügig abzuändern. Mit nur einer kurzen Internetrecherche lässt sich der Inhalt des Romans herausfinden. Das ist mir zu wenig Eigenleistung.

    Am Ende hat sich bei mir Enttäuschung breitgemacht. Es bleiben viele Fragen offen. Das mag daran liegen, dass der echte Mord ebenfalls nicht komplett eindeutig ist. Man kann natürlich auch argumentieren, dass es dem Autor vorwiegend darum ging, die Freundschaft zu einem verurteilten Mörder zu beleuchten. Das zumindest schildert der Schriftsteller in einer angehängten Notiz. Aber in diesem Aspekt stellt mich der Roman ebenfalls nicht zufrieden. Zu diffus sind die beschriebene Freundschaft zum Verurteilten und die Dinge, die diese ausmachen. Mir war am Schluss immer noch nicht klar, warum die Freunde zu dem Angeklagten so loyal waren. Sein eigentliches Ziel hat der Roman damit meiner Ansicht nach also verfehlt.

    Positiv anzumerken ist, dass sich der Roman dennoch süffig liest und nur wenige Längen aufweist. Über weite Strecken bietet er keinen geringen Unterhaltungswert.

    Mein Fazit:
    „Ein Leben lang“ von Christoph Poschenrieder ist leider kein ungetrübtes Lesevergnügen. Der gelungene Aufbau und das vielversprechende Konzept gefallen mir gut. In der Umsetzung schwächelt die Geschichte jedoch an mehreren Stellen.

  1. "Es geht um die Haltung"

    Poschenrieders Roman ist eigentlich keiner. Es ist die Notizensammlung einer namentlich nicht genannten Journalistin, die an einer Dokumentation über einen fünfzehn Jahre zurückliegenden Mord arbeitet. Verurteilt wurde der (damals) junge Neffe des Getöteten - mit dem Attribut "besondere Schwere der Schuld", also zu lebenslanger Haft. Gestanden hat er die Tat nicht.

    "Alle Gespräche, mitgeschrieben und Transkripte von Aufnahmen, die Mails, die Memos, das alles ausdrucken, die bekritzelten Zettel, Servietten, Zeitungsausdrucke dazu und in Reihenfolge bringen. (...) Struktur, Struktur, Struktur." So beginnt der Roman, der keiner ist. Das zusammengetragene Material der Journalistin besteht fast ausschließlich aus mitgeschriebenen oder transkribierten Kommentaren der Jugendfreunde des Verurteilten, zwei Frauen und drei Männern. Zusammen bilden sie eine Clique, die von der Kindergarten- bzw. Grundschulzeit her befreundet ist und immer Kontakt gehalten hat, wenn auch mit Unterbrechungen, nachdem sie beruflich unterschiedliche Wege eingeschlagen haben.

    Im Wechsel, oft nur in wenigen Sätzen und hin und wieder unterbrochen von kurzen "Memos" der Journalistin, berichten der Anführer Sebastian, der forsche Till, der besonnene Benjamin, die treusorgende Emilia und die ruppige Sabine von ihren Kindheitserlebnissen, gemeinsamen Unternehmungen, der Schulzeit. Die Erinnerungen passen nicht immer zusammen, es entsteht ein facettenreiches Bild. Jener Onkel des Verurteilten, der in seiner Wohnung brutal erschlagen wurde, war ein schwerreicher Junggeselle, übergriffig und autoritär gegenüber seinem Neffen; mal versprach er Geld, mal drohte er mit Enterbung. Motiv und Gelegenheit zur Tat waren also vorhanden, ein anderer Verdächtiger nicht in Sicht - nach Ansicht der Freunde waren Polizei und Staatsanwaltschaft von Anfang an befangen und nicht gründlich genug. Und so taten sie sich zu einer beispiellosen Kampagne zur Rettung ihres Freundes vor der Justiz zusammen. Sie verteilten Handzettel, suchten Zeugen, gaben Solidaritätsbekundungen ab. "Wir haben uns angesehen, und jeder einzelne von uns wusste: er nicht", bemerkt Benjamin. Sebastian: "Als bester Freund war es für mich nicht nur eine Pflicht, sondern eine Ehre." Till: "Es geht um die Haltung."

    Die "Haltung" täuscht die fünf Freunde lange Zeit darüber hinweg, dass sie sich keineswegs so einig sind, wie sie sich anfangs geben. Der Prozess dauert zwei zermürbende Jahre, und die aufkommenden Zweifel der Freunde, die sie teilweise voreinander verbergen, die Ungeduld und das Erlahmen der Kräfte werden in den abwechselnden Kommentaren der Freunde einfühlbar deutlich. Die Berichte sind übersichtlich in drei Zeiträume eingeteilt: vor, während und nach dem Prozess. In wenigen Abschnitten kommen auch der Prozessanwalt des Verurteilten und schließlich er selbst zu Wort.

    Man kann, wenn man will, dieses Buch als Krimi lesen und versuchen, die vielen kleinen Bausteine zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenzusetzen. Das ist gar nicht so einfach, denn die Äußerungen der fünf Freunde sind widersprüchlich, und vermutlich sind sie auch nicht in allen Einzelheiten immer ehrlich. Gerade das macht aber den Reiz des Buches aus, und so tut man besser daran, es als Psychogramm zu lesen - sowohl der fünf Einzelpersonen als auch der Gruppe, die ihre eigene Energie und Dynamik entwickelt, oft unabhängig vom Willen der Einzelnen. Wie weit geht die "Freundespflicht"? Gilt sie unter allen Umständen und wie befangen macht sie? Und gilt sie wirklich "ein Leben lang"? Der Roman ist - trotz des auf den ersten Blick verwirrenden Aufbaus mit den vielen kurzen und unverbundenen Abschnitten - gut strukturiert und nicht schwer zu lesen. Die fünf Erzählstimmen sind nach kurzer Eingewöhnung gut auseinanderzuhalten. Trotzdem - "Ein Leben lang" ist ein listiges, ein vertracktes Buch, in dem der Teufel im Detail steckt und die Auslassungen oft genauso wichtig sind wie das Gesagte. Bis zum Schluss kommen zum Gesamtbild immer neue Mosaiksteinchen hinzu, so dass man am Ende mit gewachsenem Leseverständnis eigentlich gleich wieder von vorne beginnen möchte. Ein sehr originelles Buch mit Tiefgang, das viel Nachdenk- und Diskussionsmaterial anbietet.

  1. Was hält Freundschaft aus?

    Eine Journalistin soll einen fünfzehn Jahre zurückliegenden Fall noch einmal aufrollen. Sie setzt sich mit den Freunden des vermeintlichen Mörders, den nach einem Indizienprozess ein hartes Urteil ereilt hat, in Verbindung. Die Freunde haben seinerzeit viel unternommen, um ihren Freund, der seinen Onkel aus Habgier erschlagen haben soll, zu helfen. Während des gesamten Prozesses waren sie im Gerichtssaal, um ihre Freundschaft und Treue zu beweisen.
    Der Autor Christoph Poschenrieder hat sich von dem Parkhausmord 2006 in München inspirieren lassen. Doch er hat keinen Krimi geschrieben, sondern wirft einen Blick auf die Freunde, was die Tat mit ihnen macht und wie die Freundschaft sich unter diesen extremen Bedingungen entwickelt hat. Interessant wird es dadurch, dass die Freunde das Erlebte abwechselnd rückblickend betrachten. Auch der Beschuldigte kommt zu Wort. Dazu kommen die Memos der Journalistin und Kapitel aus der „Einführung Kriminalistik“ von H.de Vries
    Es ist den Freunden damals unmöglich, ihren Freund als Täter zu sehen. Sie kennen ihn schon so lange und es darf nicht sein, was in ihren Augen nicht sein kann. Sie versuchen Zeugen zu finden, mobilisieren die Medien und sind im Gerichtssaal. Der Angeklagte äußert sich nicht zum Vorwurf und der Anwalt tut alles, was möglich ist. Im Prozess hören sie Dinge über ihren Freund, die ihnen unbekannt waren. Es kommen Zweifel auf, doch die Gruppe lässt dies nicht zu. Sie kennen doch ihren Freund.
    Die Freunde Sabine, Emilia, Benjamin, Till und Sebastian sind sehr unterschiedlich und sie haben auch jeweils ihren eigenen Blick auf das Geschehene. So treten auch Widersprüche zutage. Freundschaft gilt ihnen viel. Sie sind loyal und zeigen das auch während des Prozesses nach außen. Doch „kann ein Mörder ihr Freund bleiben?“
    Dieser Roman beschäftigt sich mit den Themen Beziehungen, Freundschaft und Loyalität. Welche Dynamik entsteht, wenn es Störungen von außen gibt?
    Ein interessantes Buch, das mir gut gefallen hat und das nachdenklich macht.

  1. Hält eine Freundschaft ein Leben lang?

    Hält eine Freundschaft alles aus?

    Dieser Roman hat den Fokus auf eine sehr interessanten Thematik gelegt. Kann eine Freundschaft bedingungslos alles verkraften? Können und müssen Freunde in jeder Lebenslage für den oder die andere da sein? Lässt sich diese Frage überhaupt mit ja oder nein beantworten?

    Der Autor Christoph Poschenrieder befasst sich mit dieser Frage anhand einer Gruppe Freunde, die damit konfrontiert wird, dass einer von ihnen des Mordes verdächtigt wird.
    Die Presse interessiert sich nach vielen Jahren wieder für diesen Fall und interviewt die damals Beteiligten. Sie schildern, wie es damals für sie war, und wie es ihnen heute damit geht, nach dem Urteil.
    Die Freunde setzen sich für den Angeklagten ein, erzählen nur das Beste von und über ihn. Sie sind immer anwesend an den Prozesstagen und signalisieren nach außen eine unverbindliche Einheit, sie wollen allen zeigen, dass ihr Freund unschuldig ist.

    Der Leser bekommt viele Infos zum Mordgeschehen, aber auch vieles aus dem Leben der Freunde wird angerissen. Er zeigt so ein recht umfangreiches Bild der einzelnen Personen und deren Sorgen und Ängsten. Es kristallisierte sich stark heraus wie unterschiedlich alle sind. Das Opfer wird sehr negativ von allen wahrgenommen. Hier bleibt der Autor bewusst vage.

    Der Autor schafft durch die Interviews eine interessante Atmosphäre. Zu Beginn war ich genauso von der Unschuld überzeugt wie die Freunde. Doch im weiteren Verlauf streut der Autor Zweifel. Er lässt den Gedanken zu, dass die Gruppe sich irrt. Doch er lässt trotzdem auch den Gedanken zu, dass Freunde sich auch dann noch unterstützen sollten. Oder etwa nicht?

    Die unterschiedlichen Eindrücke der Personen regt ebenfalls zum nachdenken an. Man erkennt schnell, dass die Wahrnehmungen der Einzelnen doch in einigen Punkten stark voneinander abweichen. Wer hat Recht? Was ist richtig was ist falsch. Eine Frage, die auf persönlicher Ebene nicht immer eindeutig beantwortet werden kann. Doch auch bei den Fakten, die einen Angeklagten bekanntlich ja entweder überführen oder entlasten, ist hier oft eine Grauzone am Werk, vieles ist nicht klar weiß oder schwarz.

    Erstaunt war ich, als mir bewusst wurde, dass es einen echten Fall gibt, der bis auf wenige Veränderungen durch den Autor , exakt so dokumentiert ist wie wir es hier erleben.
    Am Ende bleibt die Ungewissheit. Hier, in diesem Fall lastet sie extrem auf den Freunden und auf den Lesern.

  1. 4
    05. Mai 2022 

    „ Wir spielen die anderen und werden von ihnen gespielt.“

    Christoph Poschenrieders neuester Roman „ Ein Leben lang“ basiert auf einem realen Fall, dem sog. „ Parkhausmord“ von München im Jahr 2006. Dabei hält sich der Autor, wie der Vergleich ergeben hat, ziemlich nah an die Fakten.
    Im Roman wird ein junger Mann wegen Mordes an seinem Erbonkel angeklagt. Er soll den alten Mann heimtückisch erschlagen haben, da er befürchten musste, dass dieser sein Testament zu seinen Ungunsten verändern würde.
    15 Jahre später rollt eine Journalistin den Fall erneut auf, um daraus ein Buch zu machen. Dazu nimmt sie Kontakt auf zur früheren Freundesclique, die sich damals vehement für den Angeklagten eingesetzt hat. Durch Interviews mit denen will sie sich ein genaues Bild machen. „ Fünf Blickwinkel, fünf Mal Vergessen, fünf Mal Erinnern, fünf Mal das Gleiche und am Ende doch nicht dasselbe.“
    Sabine, Benjamin, Till und Emilia sowie der namenlose Angeklagte waren seit Schultagen befreundet. Zwar hat man sich danach etwas aus den Augen verloren, die Lebenswege nach dem Abitur waren verschieden, doch dieser furchtbare Verdacht bringt sie wieder zusammen.
    „ Auch wenn ein Mörder nur einen einzigen Menschen umbringt, Opfer hat er noch einige mehr. Das zieht eine Schneise der Verwüstung durch all ihre Beziehungen. Familie, Bekannte und Freunde, da geht ein Tornado durch, und nachher ist nichts mehr wie vorher.“
    Völlig überzeugt von der Unschuld des Angeklagten setzen sie alle Hebel in Bewegung, um das Gericht und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen. Als“ stumme Charakterzeugen“ wohnen sie jedem Gerichtstag bei. Doch immer neue Indizien tauchen auf, die gegen den Freund sprechen. Erschüttert erfahren sie von Geheimnissen, die er ihnen verschwiegen hat und leise Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit machen sich breit.
    Christoph Poschenrieder geht es in seinem Roman weniger um den Kriminalfall. Sein Fokus liegt auf der Freundesclique und auf deren Gruppendynamik.
    Was passiert, wenn plötzlich einer von ihnen eines solchen furchtbaren Verbrechens angeklagt wird? Was hält Freundschaft aus ? Wie weit geht Loyalität ? Und was, wenn der Freund doch schuldig ist? Kann man mit einem Mörder befreundet sein?
    Zeitweilig fragt man sich auch, ob dieser ganze Aktionismus nicht eher der Freundesclique dient und ob die Vier mit ihrer offen demonstrierten Nibelungentreue dem Angeklagten nicht vielmehr geschadet haben.
    Dazu wählt Poschenrieder eine ungewöhnliche Erzählstruktur. Gekonnt montiert er die einzelnen Interviewpassagen der Freunde aneinander. Dazwischengeschoben sind kurze Memos der Journalistin, Infotexte aus der Kriminalistik, Beiträge des Anwalts und hin und wieder lässt er den Angeklagten selbst zu Wort kommen. Das entwickelt einen unglaublichen Lesesog.
    Gleichzeitig bekommt jede Figur Kontur. Da ist Sebastian, der Wortführer, der genau wie Till unerschütterlich an die Unschuld des Freundes glaubt. Benjamin, zum Zeitpunkt des Prozesses Jurastudent, versteht sich als sachlich abwägender Kopf und fungiert zunehmend als Bindeglied zwischen dem Anwalt und den Freunden. Sabine,klug und rational, lässt von Anfang an Zweifel zu und hinterfragt die Dinge, während Emilia sich als die harmonisierende Kraft im Gefüge versteht.
    Diese multiperspektivische Erzählweise erlaubt es, das Geschehen von vielen Seiten zu betrachten und die Veränderungen spürbar zu machen. Der Leser verfolgt dabei gespannt die Entwicklung der Dinge, bewertet die häppchenweise gelieferten Hinweise mal in die, mal in jene Richtung. Dabei bleibt immer im Hintergrund die Frage: War er es oder war er es nicht?
    Der mutmaßliche Täter selbst ist eine schwer zu durchschauende Figur. Wie im bekannten Vexierbild sieht man mal „ die hübsche junge Frau“ oder „ die warzige alte Hexe“. Mit seinem Hinweis auf „ Dorian Gray“, die Figur aus Oscar Wildes berühmter Erzählung, liefert er einen zusätzlichen Interpretationsansatz.

    „ Ein Leben lang“ ist ein gekonnt konstruierter und spannend zu lesender Unterhaltungsroman, der philosophische Fragen anreißt und sehr viel Raum für Interpretationen lässt.

  1. Zwischen Vielstimmigkeit und Selbstreflexion

    Was wäre, wenn jemand aus deinem Freundeskreis einen Mord begeht? Was wäre, wenn er es nicht war und trotzdem zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt wird? Was wäre, wenn dir Zweifel an seiner Unschuld kommen, du dich aber nicht traust mit deinen Freunden darüber zu sprechen?

    Auf der Suche nach Antworten zu diesen Fragen lässt Christoph Poschenrieder in seinem Roman „Ein Leben lang“ fünf Freunde zu Wort kommen, die sich in genau diesem Szenario wiederfinden. Vor 15 Jahren wurde ein Mitglied ihrer Clique für den Mord an seinem reichen Onkel festgenommen und verurteilt – eine Entscheidung, die die Freunde mehr oder weniger akzeptieren können bzw. müssen, beeinflusst von der durch den zeitlichen Abstand bedingten Veränderung ihrer Einstellung zum Freund, zum damaligen Geschehen und zueinande. Der Clou an der kriminalistisch anmutenden Story ist jedoch weniger die eigentlich offensichtliche Frage nach Schuld und Unschuld, vielmehr sind es die sich ganz allmählich verschiebenden Positionen, die unterschiedlichen Sichtweisen und die sich langsam Schritt für Schritt offenbarenden Ereignisse der Vergangenheit. Um das Beziehungsgeflecht und die Vorkommnisse rund um die Tat und den Prozess Schicht für Schicht bloßzulegen, erzählt Poschenrieder die Geschichte des Freundeskreises nicht auf herkömmliche Weise, sondern fächert das Geschehen multiperspektivisch auf, lässt jede der Personen direkt und ungefiltert zu Wort kommen. Der Roman weckt so deutliche Assoziationen an einen Dramentext mit langen Monologen. Das Gegenüber der jeweils sprechenden Figur, eine Journalistin, die ein Buch über den Fall zu veröffentlichen plant, ist nur durch die Reaktionen des Sprechers wahrnehmbar bzw. dadurch, dass Fragen oder Behauptungen von ihr wiederholt werden. Eine eigene Stimme wird ihr nicht zugestanden, allerdings erhält der Leser bisweilen Einblick in ihre Notizen. Durch die Wahl der in dieser Konsequenz für einen Roman doch eher ungewöhnlichen Erzählform wird nicht nur viel Authentizität und Unmittelbarkeit und Raum für Unzuverlässigkeit geschaffen, es entsteht auch der Eindruck einer Sammlung von Zeugenaussagen. Sicherlich erhält die Leserschaft so auch die Möglichkeit, sich ein sehr persönliches Bild vom Charakter des jeweiligen Sprechers zu machen, allerdings gelingt dies nicht immer gleich gut, da der Ausgestaltung der Stimmen – besonders den Figuren Sebastian und Till – ein wenig die Trennscharfe untereinander fehlt. Die Frauenfiguren sind da deutlich leichter zuzuordnen.

    Neben den Veränderungen im Freundeskreis lauert im Hintergrund natürlich die Schuldfrage. Der Gefangene ist notwendiger- und verständlicherweise häufig Thema der Äußerungen der Freunde, auch kommt er selbst zu Wort. Ohne zu viel verraten zu wollen: in der Entschlüsselung des Charakters des mutmaßlichen Täters und der Auflösung der Frage verwendet Poschenrieder einen sehr gelungenen Bezugsrahmen, der jedoch nur dann wirklich hilfreich ist, wenn man über das entsprechende Vorwissen verfügt. Mir hat diese Idee außerordentlich gut gefallen, ich stehe ihr dennoch kritisch gegenüber, da ich es immer etwas schwierig finde, wenn „spezielles Wissen“ zur Interpretation oder zum Verständnis vorausgesetzt wird.

    „Ein Leben lang“ ist ein ungemein abwechslungsreicher, spannender, interessanter Roman, der auf ungewöhnliche Art und Weise einem Verbrechen und einem Charakter nachspürt, dabei so einiges enthüllt, aber auch vieles weiter unter Verschluss lässt. Poschenrieders Buch ist eine äußerst lohnenswerte Lektüre, die mir ausgesprochen gut gefallen hat, aber es meiner Meinung nach nicht schafft, ausgewogen und komplett überzeugend die Balance zwischen der Entwicklung der Freundschaften und der Selbstreflexion des „Täters“ zu halten, denn während es über fast den gesamten Roman um die eingangs aufgelisteten Fragen zu gehen scheint, verschiebt sich der Fokus zum Ende sehr deutlich.

  1. Was macht Freundschaft aus?

    Der sogenannte Münchner „Parkhausmord“ von 2006 an einer Millionärin lieferte Christoph Poschenrieder die Anregung zu seinem fiktionalen Roman "Ein Leben lang". Was zunächst wie einer der derzeit beliebten True-Crime-Krimis wirkt, ist vielmehr das Psychogramm einer Clique, der lauten Freundesgruppe des Tatverdächtigen, deren Treue über den Schuldspruch mit dem Prädikat „besondere Schwere der Schuld“ hinaus währt. Erst in zweiter Linie interessiert sich Poschenrieder für die brutale Tat selbst und das Whodunit.

    Die fiktive Bearbeitung
    15 Jahre nach dem Mord an einem reichen Unternehmer und 13 Jahre nach der Verurteilung seines Neffen in einem langwierigen Indizienprozess lässt eine Journalistin die fünf Mitglieder seiner engsten Freundesgruppe in getrennten Sitzungen für ein eventuelles Buchprojekt erzählen:

    "Fünf Blickwinkel, fünf Mal Vergessen, fünf Mal Erinnern, fünf Mal das Gleiche und am Ende doch nicht dasselbe." (S. 22)

    Sebastian („der Boss“), Till („der Stellvertreter“), Benjamin („der Beflissene“), Sabine („die schnippische Altkluge“) und Emilia („die Allesumsorgende“, S. 91) waren sofort fest von der Unschuld ihres im Roman namenlosen Freundes („der Spaßmacher") überzeugt. Obwohl sie zum Zeitpunkt des Mordes bereits um die Dreißig und nur noch in loser Verbindung waren, formierten sie sich spontan neu:

    "Wir haben uns – quasi ein Reflex – darauf verständigt, dass er es nicht war. Eigentlich ohne Worte. Es war klar, und keiner musste das sagen.“ (Benjamin, S. 59)

    Ein Roman in Montagetechnik
    Die kurzen Erzählsequenzen, überschrieben mit dem Namen des Berichtenden, werden von Beiträgen des Anwalts, des Gefangenen sowie Memos der Journalistin unterbrochen. Man erfährt von ihrer Freundschaft in einer typischen Vorstadtsiedlung und vom Alleinstellungsmerkmal des Freundes: dem reichen Erbonkel, Fluch und Segen zugleich, denn er mischte sich maßgeblich und unangenehm in sein Leben ein.

    Nach der Festnahme setzten die Freunde auf der Suche nach dem „wahren Täter“ Himmel und Hölle in Bewegung, versuchten, die Berichterstattung zu beeinflussen, und erklärten den Justizapparat zum befangenen Feind.

    Den euphorischen Tatendrang stellte ein zermürbender Prozess auf eine lange Geduldprobe, dessen von der Clique empfundene Kleinteiligkeit sich beim Lesen sehr gut überträgt. Erschreckende Indizien tauchten auf, aber auch unerklärliche Fakten, die den Optimismus immer wieder anheizten. Trotzdem und trotz des bestehenden Drucks innerhalb der Gruppe ließen sich aufkommende Zweifel nicht verhehlen, insbesondere als überraschend andere Unaufrichtigkeiten des Freundes ans Tageslicht kamen.

    Viele offene Fragen
    Obwohl ich zusammenhängende Texte in Romanen bevorzugen, sorgt die geschickt eingesetzte Montagetechnik mit den sich immer wieder in Nuancen widersprechenden Aussagen für einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Natürlich schwebt die Frage von Schuld oder Unschuld des Freundes über allem, doch stand die Gruppendynamik für mich deutlich im Vordergrund: Was ist Freundschaft? Wie weit muss Loyalität gehen? Kann ein Mörder ein Freund bleiben? Kämpft die Clique nur um des Freundes oder auch um ihrer selbst willen? Sabine, promovierte Astronomin, klug, reflektiert, direkt, sarkastisch und für mich das ehrlichste Gruppenmitglied, stellt nach dem Prozess die vielleicht interessanteste Frage:

    "Wäre das vielleicht alles anders gelaufen, wenn wir unserem Freund nicht von Anfang an den Heiligenschein verpasst hätten? Könnte es sein, dass wir ihn in diese Rolle [..] hineingezwungen haben?" (S. 276)

    "Ein Leben lang" ist ein empfehlenswerter Roman mit viel Diskussionspotential, der einen garantiert grübelnd zurücklässt.

  1. 4
    05. Mai 2022 

    Eine Frage der Loyalität...

    Christoph Poschenrieder schrieb diesen Roman nach einer wahren Begebenheit. Unter den Stichworten "Parkhausmord, München, 2006" findet man alle Details zu dem umstrittenenen Indizienprozess mit dem ebenso umstrittenen Urteil: lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Die Besonderheit dieses Falls liegt u.a. in dem Umstand, dass die Freunde des Angeklagten viel unternommen haben, um dessen Unschuld zu beweisen. Freunde, die ihm die Treue hielten, bis zum Schluss.

    Der Autor widmet den Roman eben diesen Freunden bzw. der Dynamik der Gruppe. Wie weit geht Loyalität? Was und wieviel verträgt eine Freundschaft, um noch Freundschaft genannt zu werden? Die Details des Mordfalls selbst sind deutlich angelehnt an den o.g. Parkhausmord, abgesehen davon, dass hier keine Tante erschlagen wurde, sondern der Onkel des Angeklagten, der hier bis zum Schluss namenlos bleibt. Die Schuldfrage erscheint im Roman nur sekundär von Bedeutung, wichtiger ist der Umgang aller Beteiligten mit einer fundamentalen Verunsicherung.

    "Auch wenn ein Mörder nur einen einzigen Menschen umbringt, Opfer hat er noch einige mehr. Das zieht eine Schneise der Verwüstung durch alle ihre Beziehungen. Familie, Bekannte und Freunde, da geht ein Tornado durch, und nachher ist nichts mehr wie vorher." (S. 53)

    Eine neutrale Journalistin, die die Freund:innen des mutmaßlichen Täters 15 Jahre nach dem Urteil interviewt, um Material für ein geplantes Buch zu sammeln, trägt die Aussagen chronologisch zusammen und stellt sie einander gegenüber. So kann lesend verfolgt werden, wie sich die Gedanken, Gefühle und die Dynamik untereinander im Verlauf des Geschehens verändern. Von der Nachricht der Festnahme bis hin zur Urteilsverkündung begleiten die Freund:innen den Angeklagten im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Zweifel inbegriffen.

    Die unterschiedlichen Charaktere spiegeln das Spektrum möglicher Empfindungen und Prozesse, die solch einen Einschlag in das Leben und das Bild von einem anderen nach sich ziehen kann. Da gibt es diejenigen, die Zweifel an der Unschuld des Freundes auf gar keinen Fall zulassen wollen und können, die anderen, die das ganze nüchterner zu betrachten versuchen und die Möglichkeit einer Schuld des Freundes zumindest nicht ausschließen, und diejenigen, die unschlüssig sind. Doch unabhängig von der eigenen Überzeugung gibt es ein gemeinsames Credo, dem sich offenbar niemand entziehen kann: unbedingte Loyalität und deren Präsentation nach außen. Doch ist diese Loyalität wirklch unverbrüchlich?

    "Kann man Freund eines Mörders bleiben, oder darf einer einfach kein Mörder sein, damit wir Freunde bleiben können?" (S. 270)

    Der Beginn des Romans entwickelt einen ungeheuren Sog und zieht einen gleich in das Erleben der Freund:innen hinein, man spürt ihren Unglauben, ihre Empörung, ihre Fassungslosigkeit. Mit Beginn des Prozesses erlahmt dieser Sog dann sichtlich. Angelehnt an den wahren Fall, dessen Prozess 93 Verhandlungstage in 15 Monaten währte, ziehen sich auch im Roman die Gerichtssitzungen sehr in die Länge. Das ist insofern sehr authentisch, zumal die Empfindungen der Freund:innen die zunehmende Ermüdung spiegeln, war jedoch im Verlauf in seiner Langatmigkeit nicht immer angenehm zu lesen.

    Wieder einmal präsentiert Poschenrieder einen geschickt konstruierten Roman, der Schreibstil so leicht wie passend, das Thema faszinierend und glaubhaft dargestellt. Eine Frage der Schuld? Nein, eher weniger. Eine Frage der Freundschaft aber unbedingt.

    Empfehlenswert!

    © Parden

  1. "Jeder ist alles und aus jedem kann alles werden“

    Eine Journalistin recherchiert in einem längst abgehandelten Mordfall für ihr neues Buch. Seit Prozess und Urteil sind über 15 Jahre vergangen. Seinerzeit wurde ein betagter Geschäftsmann in seiner Wohnung erschlagen, dringend der Tat verdächtigt wurde sein Neffe. Rund um den Prozess waren dessen Freunde Sebastian, Till, Emilia, Benjamin und Sabine unermüdlich im Einsatz, um seine Unschuld zu beweisen. Diesen Freundeskreis stellt die Journalistin ins Zentrum ihrer Recherchen. In zahlreichen Gesprächen und Interviews werden nach und nach die damaligen Geschehnisse zusammengetragen. Es geht nicht nur um die Tat im engen Sinne. Es geht um die Beziehungen der Freunde untereinander, die sich überwiegend seit Kindertagen kennen. Die einzelnen Aussagen dazu finden sich mit dem jeweiligen Namen des Sprechenden überschrieben. Diese verschiedenen Perspektiven entwickeln schnell eine Dynamik, die den Leser in ihren Bann zieht. Jeder Befragte geht auf andere Umstände ein, schildert Vorkommnisse aus seiner eigenen Sicht, die nicht immer mit der der anderen übereinstimmt. Schnell wird klar, wer Meinungsführer oder Mitläufer, Illusionist oder Realist ist. Nach und nach erfährt man auf diese Art und Weise, warum der namenlose Freund ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten ist. Es werden allerdings auch Zweifel gesät: Haben sich Polizei und Ermittler zu schnell auf den einen Verdächtigen festgelegt? Hat man andere wichtige Spuren unberücksichtigt gelassen? Wurde am Tatort gar gepfuscht?

    Der Roman beleuchtet multiperspektivisch diese zwei Ebenen: Einerseits die Tat im engen Sinn, also auch den darauf folgenden langwierigen Indizienprozess, das Urteil sowie die Zeit danach. Man fiebert mit, möchte erfahren, ob es sich vielleicht um einen tragischen Justizirrtum gehandelt hat. Andererseits die Beziehung der Freunde untereinander: Kann es tatsächlich sein, dass der Freund ein Mörder ist? Kann man trotzdem weiterhin mit ihm und untereinander befreundet sein? Welche Konsequenzen zieht eine solche Tat nach sich? Wo liegt das verbindende, wo das trennende Element? „Was passiert, wenn passiert, was nicht passieren darf? Was ist Freundschaft, was hält sie aus?“ (S. 293)

    Für den Leser sind beide Ebenen ungemein fesselnd, wobei man früh spürt, dass der Kriminalfall untergeordnet behandelt wird. Es geht mehr um das Zwischenmenschliche, um die Psychologie, um die Interaktion des Freundeskreises, der frühzeitig beschlossen hat, dass der Gefangene unschuldig sein muss. Absolut loyal und tatkräftig setzen sie sich für den Unschuldsbeweis ein und stärken ihrem Freund den Rücken. Im Laufe der langen Verhandlung bekommt die Einigkeit allerdings Risse…

    Die Freundesperspektiven werden ergänzt durch die des verteidigenden Anwalts sowie die des Delinquenten selbst. Die Journalistin ergänzt juristisches und kriminalistisches Fachwissen, das z.T. aus einschlägiger Fachliteratur zitiert wird und zu interessanten Aha-Effekten führt. Leichte Längen habe ich im zweiten Teil „Prozess“ wahrgenommen. Diese sollen vielleicht aber auch gerade die langsamen Mühlen der deutschen Rechtsprechung widerspiegeln. Durch Überlastung der Gerichte kann sich ein Prozess über einen irrsinnig langen Zeitraum erstecken.

    Poschenrieder versteht es meisterhaft, die einzelnen Aussagen so zu verknüpfen, dass sich für den Leser ein äußerst fesselndes Leseerlebnis ergibt. Puzzlestein für Puzzlestein wird das Gesamtgeschehen retrospektiv zusammengetragen, die Erzählung nimmt schnell Tempo auf und hält es. Die Charaktere bekommen durch die verschiedenen Perspektiven viele Gesichter, die den Leser zu eigenen Gedankenspielen veranlassen. Insbesondere der Blick auf den Täter selbst verändert sich mehrfach. Das Ende des Romans hat der Autor aus meiner Sicht perfekt komponiert. Durch den intertextuellen Bezug auf den Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde schafft er Freiräume für Interpretation und Diskussion, so dass verschiedene Leser zu unterschiedlichen Antworten auf zentrale Fragen kommen werden. Genial gemacht! Der Autor weist in seinem kurzen Nachwort selbst darauf hin, dass er sich vom Münchner Parkhausmord aus dem Jahre 2006 hat inspirieren lassen.

    Der Roman dürfte sowohl Krimileser ansprechen als auch solche, die sich gerne mit der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen beschäftigen. „Ein Leben lang“ liest sich leicht und verständlich, ohne ein Leichtgewicht zu sein. Unbedingte Leseempfehlung!

  1. Von der Menschenkenntnis

    Kurzmeinung: Komplexe Vorgänge hüsch heruntergebrochen - ein wenig mehr Tiefgang hätte sein dürfen.

    Christoph Poschenrieder greift einen alten Kriminalfall auf, den es in München gab. Doch er schreibt weder einen Kriminalroman noch erstellt er ein Täterprofil. In kurzen Sentenzen versucht er, dem Feeling des Freundeskreises beizukommen. Wie ist es den Freunden eines Täters gegangen, der einen brutalen Mord begangen hat. Oder, da es sich um einen Indizienprozess handelt, ist der vermeintliche Täter sogar unschuldig? Die Freunde jedenfalls glauben fest daran. Die ethischen Fragen, die sich anknüpfen könnten an die Darstellung dieses Falles, lauten, ob man Freund eines Mörders sein kann oder - ob einfach nicht sein kann, was nicht sein darf. Oder auch: wie gut kennt man seinen Nächsten? Menschenkenntnis ist gefragt.

    Es ist unterhaltsam, wie Christoph Poschenrieder seinen Roman aufstellt. An dem Geschehen nimmt man nur indirekt teil, man schaut durch die Augen der Clique. Das ist insofern geschickt gemacht, als der Autor die Komplexität und Langwierigkeit eines Strafverfahrens so kleinteilig herunterbrechen kann. Dennoch kommen alle Indizien auf den Tisch. Man mag sich selber ein Urteil bilden, ein Geständnis gibt es nicht.

    Die gewählte Erzählweise, ganz kurze, häufig wechselnde Passagen jeweils von einem der Freunde aus gesehen, bietet Vor- und Nachteile. Die kurzen Sentenzen ergeben durchaus eine Gesamtschau. In die Psyche des Verdächtigen blickt man jedoch kaum und auch die Gefühlswelt der Freunde ist nur peripher erlebbar. Von äußeren Fakten abgesehen, erfährt man nicht viel von den Charakteren dieser Leute oder von ihrem Leben. Und die ethischen Konflikte, die sich in einer solchen Situation auftun, können nur angerissen, aber nicht vertieft und schon gar nicht beantwortet werden.

    Fazit: Ein Roman angelehnt an den sogenannten „Parkhausmord“ in München, 2006. Durchaus unterhaltsam und informativ, ein wenig mehr Interpretation hätte jedoch sein dürfen, was dann auch mehr Tiefgang ergeben hätte.

    Kategorie: Belletristik: 2 Punkte / Unterhaltung: 4 Punkte
    Verlag: Diogenes 2022

  1. Die Belastbarkeit von Freundschaft

    Kann es wirklich sein, dass der Freund (seit Kindertagen) seinen Onkel aus Habgier erschlagen hat? Seine fünf Freunde können sich das nicht vorstellen und halten es für unmöglich. Sie setzen alle Hebel in Bewegung und unterstützen ihn tatkräftig.

    15 Jahre später rollt eine Journalistin den Fall noch einmal auf und befragt die einzelnen Mitglieder der Gruppe und den Anwalt. In kurzen Sequenzen lässt sie jeden zu Wort kommen. Und so erfahren wir nach und nach die ganze Geschichte, angefangen mit der Kontaktaufnahme, die Entstehung und Entwicklung ihrer Freundschaft, die Tat selbst, die Verhaftung, der Prozess und das Urteil. Und je nachdem was und wie jeder über den anderen spricht, verrät derjenige auch nach dem Motto ‚Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul aus‘ sehr viel über sich selbst.

    Aufgelockert wird diese Reihe kurzer Beiträge von den ‚Memos‘ der Journalistin, teilweise ergänzt durch Paragraphen der ‚Einführung Kriminalistik‘ von H.de Vries, die ich als sehr informativ empfand.

    Mich hat das Buch begeistert, konnte ich doch meiner Leidenschaft, dem Analysieren, frönen. (Ein Faible für Psychologie habe ich sowieso!) Außerdem erfuhr ich sehr viel Wissenswertes über den Ablauf eines Strafprozesses. So packte mich die Geschichte ab der ersten Seite und regte auch sehr zum Nachdenken an!

    Ein abschließendes Highlight war noch die Erwähnung des kurzen Romans ‚Bildnis des Dorian Gray‘ von Oscar Wilde durch den verdächtigten Freund, der immer namenlos blieb. Ich vergebe fünf überzeugte Sterne für dieses vorliegende Meisterwerk und empfehle diese Lektüre wärmstens!

  1. Unkonventionelle Mischung aus True Crime und Roman

    Eine Journalistin wird von ihrem Verlag damit beauftragt, ein Buch über einen aufsehenerregenden Mordfall und den verurteilten Mörder zu schreiben. Aus diesem Anlass kontaktiert sie die damalige Clique des Mannes, die während des Gerichtsprozesses mit aller Macht versuchte, die Unschuld ihres Freundes zu beweisen. Wie lebt es sich, wenn ein nahestehender Mensch seit mehr als 15 Jahren im Gefängnis sitzt? Und kann man überhaupt mit einem Mörder befreundet sein? Diese Fragen stellt Christoph Poschenrieder in seinem neuen Roman "Ein Leben lang".

    Wobei ich gleich zu Beginn die Frage voranstellen möchte, ob es sich überhaupt um einen klassischen Roman handelt? Denn "Ein Leben lang" erzählt nahezu bis aufs kleinste Detail die Geschichte des sogenannten Münchner "Parkhausmordes" nach und ist mitnichten das erste Buch, das zu diesem Thema erscheint. Warum also noch ein Buch dazu? Poschenrieder beantwortet dies im Nachwort damit, dass ihn vor allem die Dynamik der Freundesgruppe interessiert hätte. Da jüngst eine neue Webseite zu diesem Fall aufgetaucht ist, die Zweifel an der Schuld des Verurteilten aufkommen lässt, kann man dem Buch zumindest eine gewisse Aktualität nicht absprechen.

    Anfangs war ich sehr angetan, denn Poschenrieders Erzählweise entpuppt sich als durchaus originell. In einer Mischung aus Interviews, Memos und Zitaten aus Sachbüchern zieht er die Leser:innen direkt und unmittelbar ins Geschehen hinein. Allerdings nutzt sich diese Form doch relativ schnell ab, und spätestens ab der zweiten Hälfte des Buches empfand ich sie als einigermaßen zäh. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Figuren überhaupt keine Entwicklung zeigen und stattdessen quälend langsam die Details von den Vorwürfen an den Verdächtigen bis zur rechtskräftigen Verurteilung erzählen. Stück für Stück setzt sich daraus die Geschichte des Verurteilten zusammen.

    Mein Hauptkritikpunkt ist jedoch, dass Poschenrieder der eigentlichen Frage "Was hält Freundschaft aus" wegen seiner gewählten Erzählart gar nicht gerecht werden kann. Schon die Ausgangssituation "Journalistin soll Buch schreiben, an dessen Veröffentlichung sie selbst nicht glaubt" entpuppt sich als veritabler Rohrkrepierer. Ihre Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Projektes übertrugen sich unmittelbar auf mich als Leser, so dass ich mich irgendwann fragte, was das Ganze überhaupt soll. Poschenrieder schreibt im Nachwort, alles was die Figuren "denken, fühlen und sagen" sei fiktiv. Das Problem dabei ist allerdings, dass man es kaum für bare Münze nehmen kann, was sie in den Interviews von sich geben. Denn letztlich kann ich mir kaum vorstellen, dass man seine "wahren Gefühle" vor einer nahezu fremden Journalistin so ausbreitet. Hier fehlen dem Buch dringend notwendige innere Monologe der Figuren, die aus ihm gleichzeitig auch eher einen Roman gemacht hätten. Seinen Teil dazu bei trägt zudem auch die zeitliche Einordnung des Geschehens. Hätte man die Gedanken und Gefühle der Beteiligten nicht viel besser nachvollziehen können, wenn der Autor nicht grundlos die Perspektive "15 Jahre später" ausgewählt hätte?

    So wirkte "Ein Leben lang" wegen der schier unglaublichen Nähe zum "Parkhausmord" für mich eher so, als sei Poschenrieder selbst die Journalistin aus dem Buch und hätte in Wahrheit lieber ein Sachbuch über die damaligen Figuren geschrieben. Immerhin gelingt es ihm im Finale nahezu zum ersten Mal, mich doch noch zu berühren. In den Gedanken des "Gefangenen", wie er im Buch heißt, macht der Autor bewegend klar, was eine Gefängnisstrafe aus einem Menschen macht und lädt zum Reflektieren und Hinterfragen des deutschen Justizsystems ein.

    In einem anderen Buch aus dem Diogenes-Verlag - "Der große Fehler" von Jonathan Lee - stellte der Autor vor, wie sich Protagonist Andrew Haswell Green die Welt erlas: zunächst die ersten zehn Seiten des Buches, dann die letzten zehn. Schließlich noch einmal fünf von vorn und fünf von hinten. Den Rest versuchte er, sich selbst zusammenzureimen. Verwendet man diese Vorgehensweise bei "Ein Leben lang", ist man zumindest auf der sicheren Seite, die besten Teile des Buches gelesen zu haben. Den Rest kann man sich entweder zusammenreimen - oder man gibt einfach mal "Parkhausmord" im Internet ein.

  1. Was hält Freundschaft aus?

    „Wir stehen für ihn ein, denn wir wissen etwas, was alle anderen nicht wissen: Wer er ist, woher er kommt.“ (Zitat Seite 95)

    Inhalt
    Schon in ihrer Kindheit sind sie eine eingeschworene Clique von sechs Freunden. Einer aus dieser Gruppe fehlt heute. Er war vor fünfzehn Jahren als Mörder zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden, obwohl er seine Unschuld beteuerte. Nun tritt eine Journalistin an die Freunde und den Anwalt heran, der den Angeklagten damals engagiert vertreten hatte. Sie will ein Buch über diesen Fall schreiben, recherchiert, kontaktiert die Mitglieder des Freundeskreises und aus vielen Erinnerungen und Aussagen der fünf Freunde, des verurteilen Freundes und des Anwalts fügt sich die Geschichte einer langjährigen Freundschaft, einer Anklage und eines langwierigen Indizienprozesses zusammen. Im Hintergrund immer präsent ist die Frage: Hat er, oder hat er nicht?

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Freundschaft, Loyalität und gegenseitiges Vertrauen. Was passiert, wenn plötzlich einer aus einer Freundesgruppe, eine Freundschaft seit Kindertagen, einen Mord begangen haben soll.

    Charaktere
    Wir kennen nur die fünf Personen der Clique mit Namen: Sebastian, Unternehmer, dem eine alte Hütte an einem See gehört, wo sie sich oft treffen; Till, der Musiker; Sabine, die studierte Astronomin, die mir ihrer direkten Art die Dinge beim Namen nennt; Benjamin, der sachliche, präzise Wirtschaftsanwalt; Emilia, Lehrerin, ruhig und immer irgendwie dazwischen. Dazu kommen der „Anwalt“ und natürlich der angeklagte Freund, „der Gefangene“, sowie die Notizen der Journalistin unter „Memo“. Diese Figuren mit ihren Aussagen, den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Blickwinkeln und Widersprüchen bilden das Kernstück der Geschichte.

    Handlung und Schreibstil
    Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt, diese wiederum in Kapitel, chronologisch erzählt. In jedem Kapitel werden die Aussagen, Erinnerungen, Meinungen, oft auch unterschiedlichen Gedanken, der zu den verschiedenen Themen und Eindrücken einzeln befragten Personen in der Ich-Form geschildert, jeweils mit dem Namen versehen und daher klar zuordenbar. Eine Journalistin recherchiert, führt die Interviews und schreibt ihre Notizen und weitere Hintergrundinformationen unter „Memo“. Somit besteht dieser Roman ausschließlich aus den Mitschriften von Aufnahmen, Mails, Notizen, Zeitungsausschnitten, von der Journalistin gesammelt, sortiert und zu einer geordneten, stimmigen Geschichte zusammengefasst. Durch diese Erzählweise gerät man sofort in den Sog dieser spannenden Ereignisse und Fragen, verfolgt mit Interesse die Entwicklung und Veränderung der einzelnen Figuren. Die Sprache des Autors überzeugt mit vielen feinen Zwischentönen, Andeutungen, Fragen und man liest diesen Roman mit Vergnügen.
    +
    Fazit
    Dieser Geschichte liegt ein realer, noch heute heftig umstrittener Indizienprozess zugrunde, der, nahe an den Fakten, zu einem fiktiven Roman wurde. Eine packende Geschichte über Freundschaft, Vertrauen, unterschiedliche Facetten von Wahrheit, und damit verbunden die Frage, die sich die Freunde stellen: „Und geht uns die Wahrheit überhaupt irgendetwas an, solange wir Freunde bleiben wollen?“ (Zitat Seite 221)

  1. Es darf und kann nicht sein!

    Klappentext:

    „Sie kennen sich seit der Kindheit und beginnen gerade, ihre eigenen Wege zu gehen, als plötzlich einer von ihnen als Mörder festgenommen wird. Er soll seinen Onkel aus Habgier erschlagen haben. In einem schier endlosen Indizienprozess wird das Unterste zuoberst gekehrt. Die Freunde kämpfen für den Angeklagten, denn er kann, er darf kein Mörder sein. Doch als 15 Jahre nach dem Urteil eine Journalistin sich der Sache noch mal annimmt, stellt sich die Frage der Loyalität wieder neu.“

    Autor Christoph Poschenrieder hat „Ein Leben lang“ verfasst. Ich will hier wirklich nicht zu viel vom Inhalt verraten, aber die Geschichte ist wirklich richtig, richtig gut. Da meint man, man kennt sich und dann DAS! Das ist doch nicht möglich! Oder doch? Ein Freund wird des Mordes bezichtigt? Kann nicht sein! Poschenrieder nimmt sich hier nicht nur einfach mal so einen Krimi/Thriller an sondern geht mit seinen Figuren auch sehr tief in psychologische Themen. Ich habe immer wieder dieses Buch zur Seite gelegt und überlegt. Einerseits die Lage für die Protagonisten aber wie würde man selbst damit umgehen? Man würde es doch keinem Freund aus Kindertagen zutrauen! Man kennt sich doch! Und genau darum geht es. Kennt man sich wirklich? Reicht es sich zu kennen? In die Seele eines Einzelnen kann man nicht blicken und da beginnt Poschenrieder mit dem feinen „Dreck“ im Prozessverlauf als Erstes. Hier erlesen wir eine besondere Situation und auch da bleibt das Gedankenkarusell nicht aus. Das war einfach nur „wow“! Hier stellt sich ein bisschen mehr die Frage nach der Wahrheit, hier würde es auch um Verrat an der Freundschaft gehen…Aber reicht das alles für Ehrlichkeit und Vertrauen seinen Freunden gegenüber?

    Christoph Poschenrieder hat hier klare Worte gewählt und einen guten Leselauf eingeflochten. Sein Ausdruck ist klar und der Situation entsprechend sehr gut gewählt. Die Art und Weise wie er den Leser anspricht lässt viel Spiel für eigene Gedanken und genau das ist Sinn und Zweck. Diese Geschichte hallt unweigerlich nach und war, für meine Begriffe, in allen Punkten rund und sehr gelungen. Hierfür gibt es 5 von 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung!