Lincoln im Bardo: Roman
Inhaltsangabe zu "Lincoln im Bardo: Roman"
Gebundenes BuchWährend des amerikanischen Bürgerkriegs stirbt Präsident Lincolns geliebter Sohn Willie mit elf Jahren. Laut Zeitungsberichten suchte der trauernde Vater allein das Grabmal auf, um seinen Sohn noch einmal in den Armen zu halten. Bei George Saunders wird daraus eine allumfassende Geschichte über Liebe und Verlust, wie sie origineller, faszinierender und grandioser nicht sein könnte.
Im Laufe dieser Nacht, in der Abraham Lincoln von seinem Sohn Abschied nimmt, werden die Gespenster wach, die Geister der Toten auf dem Friedhof, aber auch die der Geschichte und der Literatur, reale wie erfundene, und mischen sich ein. Denn Willie Lincoln befindet sich im Zwischenreich zwischen Diesseits und Jenseits, in tibetischer Tradition Bardo genannt, und auf dem Friedhof in Georgetown entbrennt ein furioser Streit um die Seele des Jungen, ein vielstimmiger Chor, der in die eine große Frage mündet: Warum lieben wir überhaupt, wenn wir doch wissen, dass alles zu Ende gehen muss?
Überragend
„Seltsam, nicht wahr? Dass man sein Leben einem ganz bestimmten Ziel verschreibt, dafür andere Seiten seines Lebens vernachlässigt, und am Ende bleibt von diesem Ziel einfach nichts übrig, die Früchte der eigenen Arbeit geraten restlos in Vergessenheit?“ (S. 270)
Willie Lincoln – geboren am 21. Dezember 1850, gestorben am 20. Februar 1862. Moment mal – Lincoln? War das nicht…? Ja, genau – der 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Abraham Lincoln, war der Vater des kleinen Willie, der an Typhus gestorben ist. Soweit die Fakten.
Wie es als Eltern ist, ein geliebtes Kind zu verlieren – nun, diese Erfahrung will man gar nicht erst machen. Doch manchmal schreibt das Leben seine eigenen Regeln.
Wie sich aber ein Vater fühlen könnte (oder auch getan hat), dem selbiges widerfahren ist, ist Teil von George Saunders überragendem – ja, was ist es eigentlich? Roman? Theaterstück? Ich würde sagen: eine Mischung aus beidem – „Lincoln im Bardo“. Es gibt kaum längere Textpassagen – hier regiert „In der Kürze liegt die Würze“. Das mag auf den ersten Blick verwirrend, zusammenhanglos, zerstückelt wirken, ergibt aber in der Summe ein grandioses Stimmenwirrwarr.
George Saunders gibt hier nämlich den Toten eine Stimme, die im Bardo „hängen“. „Bardo“ ist die Bezeichnung für die nach der Lehre des Tibetischen Buddhismus möglichen Bewusstseinszustände im Diesseits wie im Jenseits. Klingt skurril? Oh ja, das ist es. Aber es ist mit dem nötigen Respekt geschrieben – Respekt vor den Menschen, die ALLE Fehler haben und damit umgehen müssen (egal ob es ein Reverend ist oder ein Leutnant, ein Druckereiarbeiter oder ein Wissenschaftler, dessen Arbeit nicht anerkannt wurde) und gleichzeitig eben skurril, abgedreht, einzigartig.
Saunders verbindet auf grandiose Art und Weise erfundene „Lebensläufe“ mit realen und fiktiven Quellen über den Tod von Willie (wobei die geneigte Leserschaft nie weiß, welche Quellen real und welche erfunden sind), die tief empfundene Trauer von Abraham Lincoln und bindet selbst den zu der Zeit herrschenden Krieg zwischen Nord- und Südstaaten in die Handlung mit ein. Auch bezieht Saunders klar Stellung gegen Rassismus.
Dieser erschütternde, nichts desto trotz wohlschmeckende Cocktail ergibt das mit Abstand außergewöhnlichste Buch, das ich jemals gelesen habe. Es wird einen Ehrenplatz in meinem Regal erhalten und trotz des immens hohen SuBs DEFINITIV ein weiteres Mal gelesen werden.
5* deluxe und eine absolute Leseempfehlung!
©kingofmusic