Ich stelle mich schlafend
Obwohl ich den Debütroman von Deniz Ohde „Streulicht“ wirklich geliebt habe und mir gleichzeitig das Anliegen der Autorin im vorliegenden Roman „Ich stelle mich schlafend“ - Frauen, denen Schuld, Scham und fehlende Abgrenzungsfähigkeit bezogen auf sexuelle Übergriffe über Generationen anerzogen werden - persönlich sehr wichtig ist und mich grundsätzlich sehr interessiert, konnte mich die Autorin diesmal nicht überzeugen.
Eine personale Erzählstimme folgt größtenteils Yasemin durch ihr Leben bis ins Alter von 35 Jahren. Dort beginnt auch der Roman, denn sie steht nicht nur vor einer Brache zwischen den Häuserblocks, in denen sie aufgewachsen ist, sondern scheinbar auch gleichzeitig vor den Trümmern ihres eigenen (Liebes-)Lebens. Nach 20 Jahren traf sie ihre Jugendliebe Vito wieder, die schon damals nicht perfekt war, wie wir durch Rückblicke erfahren, und in der Gegenwart auch nicht besser wird.
Schon der Einstieg in den Roman fiel mir unglaublich schwer. So kompliziert wird die Eingangsszene, in der Yasemin vor der Brache steht, beschrieben, dass ich das erste Kapitel gleich dreimal lesen musste, um überhaupt eine Ahnung davon zu bekommen, welches Haus jetzt nicht mehr steht und was mir die Autorin überhaupt damit sagen möchte. Besserte sich dann zwar der Lesefluss ein wenig, hatte ich weiterhin das Gefühl, dass häufig Formulierungen zu poetisch gewollt und nicht einem Zweck folgend angewendet wurden. Schon innerhalb der ersten 30 Seiten beschlich mich immer wieder das Gefühl, die Autorin wolle dringend einen gesellschaftskritischen Inhalt unterbringen, habe dafür aber nicht immer zwingend erzählerische Anlässe dafür. Das wirkte auf mich häufig holprig, inhomogen, wenig geschmeidig und aufgepfropft. Gerade zum Ende hin geht es mit der Autorin durch und die Erzählstimme, die dann in die Gedankenwelt von Yasemin rutscht, wird unglaublich erklärend und psychologisierend. So kommt es dann zu Sätzen wie beispielsweise diesen hier: „Aus dem Bedürfnis heraus, mich selbst zu bestrafen, habe ich *Männername* enttäuscht. Der Rausch meiner Verliebtheit bestand darin, endlich die Gewalt zu erfahren, die ich glaubte verdient zu haben. Ich bin in Vito gelaufen wie in ein offenes Messer. Ich habe geglaubt, in ihm ein neues Leben zu finden, dabei war es Vernichtung, die ich mir in Wirklichkeit erhoffte.“ Ganz ehrlich, wer denkt denn so, außer er bzw. sie kommt gerade aus einer psychotherapeutischen Sitzung, in der über zehn Stunden hinweg an dieser Erkenntnis gearbeitet wurde? Aber auch schon sehr frühe Ereignisse in der Kindheit Yasemins werden von der da noch personalen Erzählstimme immer gleich mit einer Deutung aufgeladen.
Bei mir konnte während der Lektüre leider kaum Nähe zu den Protagonist:innen, nicht einmal ein konkretes, inneres Bild von ihnen hergestellt werden. Zu schwammig blieben mir die Personen Yasemin, ihre beste Freundin Immacolata oder die verhängnisvolle Jugendliebe Vito, sowie ihre Beziehung untereinander. Auch die Familienverhältnisse, in denen Yasemin aufgewachsen ist, bleiben größtenteils im Dunkeln. Nur sehr spärliche Schlaglichter gibt es, die aber gleich vollkommen aufgeladen sind mit gesellschaftlichen Missständen gegenüber Frauen.
Für mich ist dieser Roman leider sprachlich nicht gut gelungen, bleibt in bekannten Mustern hängen und die Figuren sind nicht greifbar. Und so verpufft für mich das Anliegen des Romans und schon kurz nach der Lektüre entschwinden die Erinnerungen daran. Sinnbildlich wie die Pfütze auf dem Cover (welches inhaltlich trotzdem sehr gut zum Roman passt!) verdunstet jeglicher Nachhall zu diesem Roman und es bleibt nicht wirklich etwas hängen. Schade. So konnte Deniz Ohde mich mit ihrem zweiten Roman nicht überzeugen. Aber vielleicht ja wieder mit dem nächsten.
2,5/5 Sterne
Der wiederkehrende Willensbruch
Das Gebäude des KlickKlack steht nicht mehr. Dort, wo Yasemin einmal gewohnt hat, ist nur noch eine Brache. Die 35-Jährige ist in diesem Teil der Stadt aufgewachsen. Dort hat sie im Alter von 13 Jahren den drei Jahre älteren Vito kennengelernt. Eine Begegnung mit fatalen Folgen…
„Ich stelle mich schlafend“ ist ein Roman von Deniz Ohde.
Meine Meinung:
Der Roman beginnt mit einer Art Prolog, dem sich acht Kapitel anschließen. Erzählt wird aus einer personalen Perspektive, vorwiegend aus der Sicht von Yasemin. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren und spielt an verschiedenen Schauplätzen in Deutschland. Ein aufmerksames Lesen ist aufgrund vieler Zeitsprünge nötig.
In sprachlicher Hinsicht hat mich die Autorin beeindruckt. Der Schreibstil ist unaufgeregt, aber sehr atmosphärisch. Starke, teils ungewöhnliche Bilder tauchen immer wieder auf.
Yasemin, die Protagonistin, ist keine leicht zugängliche Figur, aber ein psychologisch ausgearbeiteter und lebensnaher Charakter. Ihre Gedanken und Gefühle sind bisweilen ambivalent, jedoch nachvollziehbar dargestellt. Auch Vito erscheint durchaus authentisch und nicht zu überzeichnet. Allerdings hätten sowohl er als auch die übrigen Personen ausführlicher beschrieben werden können, da so manche Hintergründe im Verborgenen bleiben.
Inhaltlich wiederholen sich mehrere Motive. Das sind beispielsweise die verlorene Unschuld, der Willensbruch, die verinnerlichte Scham und sexuelle Übergriffe. Alles in allem geht es insbesondere um sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen - in jeglicher Form. Eine schwierige, aber so wichtige Thematik. Dieser feministische Blick macht die Geschichte zeitgemäß und bietet viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.
Auf den knapp 250 Seiten baut sich eine subtile Spannung auf. Die Auflösung erschließt sich und passt ins Bild. Leider schwächeln die letzten Kapitel sehr. In pathetischem Ton steigert sich die Selbstreflexion der Protagonistin ins Unglaubwürdige und es werden Verknüpfungen hergestellt, die ich als zu verallgemeinernd und überzogen empfunden habe. Die Umsetzung ist alles andere als elegant. Zum Schluss drängt sich der Eindruck auf, die Autorin wollte auf den wenigen verbleibenden Seiten noch möglichst viele ähnliche Aspekte unterbringen.
Das aussagekräftige Cover sticht aus der Masse hervor und passt in mehrfacher Hinsicht hervorragend zur Geschichte. Auch der Titel ist eine gute Wahl.
Mein Fazit:
Mit „Ich stelle mich schlafend“ hat Deniz Ohde einen Roman zu einem gesellschaftlich bedeutsamen Thema geschrieben, dem eine große Aufmerksamkeit zu wünschen wäre. Zwar schmälert das letzte Drittel meinen ansonsten positiven Gesamteindruck. Dennoch eine durchaus lesenswerte Lektüre.