Eine Liebe in Pjöngjang

Buchseite und Rezensionen zu 'Eine Liebe in Pjöngjang' von Andreas Stichmann
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4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Eine Liebe in Pjöngjang"

An der Spitze einer Delegation junger Kulturschaffender reist Claudia Aebischer ein letztes Mal nach Pjöngjang: zur feierlichen Eröffnung der dortigen Deutschen Bibliothek. Starke Empfindungen sind ihr eigentlich fremd. Doch schon kurz hinter der chinesischen Grenze sieht sie sich mit einer Erscheinung konfrontiert, die eine alte Sehnsucht in ihr weckt. Eine Begegnung, die alles neu und anders macht – gibt es das? Das Phänomen hat, wie Claudia erfährt, einen Namen. Sunmi ist Germanistin, Dolmetscherin und Agentin der DVRK. Von seiner Reise nach Nordkorea 2017 brachte Andreas Stichmann keine literarische Reportage und kein erzählendes Sachbuch heim, sondern die Idee zu einem Roman. «Eine Liebe in Pjöngjang» ist mehr als das, es ist ein Abenteuer. Die unwahrscheinliche Geschichte einer Liebe zwischen zwei ungleichen Frauen, zwei Lebensaltern, zwei Kulturen. Ein Buch, das sich das Fremde anverwandelt wie jemand, der sich verliebt: schlagartig, voller Hingabe, geblendet vom Leuchten der eigenen Projektionen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
EAN:9783498002930

Rezensionen zu "Eine Liebe in Pjöngjang"

  1. 4
    30. Dez 2023 

    Eine Reise nach Nordkorea...

    Nordkorea gilt als einer der totalitärsten und restriktivsten international anerkannten Staaten der Gegenwart. Dorthin reist die 50jährige ostdeutsche Claudia Aebischer mit einer Delegation von Journalist:innen, um die neue Deutsche Bilbliothek in Pjöngjang zu eröffnen. Ihr zur Seite gestellt wird Sunmi, eine Dolmetscherin, die viele Sprachen beherrscht und die zudem eine Agentin der Demokratischen Volksrepublik Korea ist.

    Claudia ist mit dem strengen Verhaltenskodex des isolierten Landes vertraut, und im Allgemeinen fällt es ihr nicht schwer, Emotionen zu verbergen und nur die gewünschten Antworten zu liefern. Doch obschon ihr bewusst ist, dass ihr Sunmi nicht nur aufgrund der Sprachbarrieren zugeteilt wurde, sondern auch als Spitzel, um etwaiges Fehlverhalten sofort weiterzuleiten, kann Claudia nicht verhindern, dass ihr die junge Frau zunehmend sympathisch wird. Dies scheint auch auf Gegenseitigkeit zu beruhren, doch kaum einmal ergibt sich eine Gelegenheit, sich kurz ungestört auszutauschen. Denn auch der Spitzel wird bespitzelt.

    Von Beginn an schafft Andreas Stichmann ein beklemmendes Szenario - keine Geste, kein Blick, keine Andeutung bleibt unbeobachtet, und selbst die erfahrene Claudia kann ein unbeabsichtigtes Fehlverhalten kaum vermeiden. Zudem will sie auch die sympathische Sunmi nicht in Gefahr bringen, die mit einem deutlich älteren einflussreichen General verheiratet ist und die stets versuchen muss, dessen Erwartungen zu erfüllen. Und doch gibt es da diese Anziehung zwischen den beiden Frauen, die Gedanken von einem "was wäre wenn" hochkommen lässt, die schließlich in einem gewagten Plan gipfeln...

    Claudia erscheint als eine wenig emotionale Frau, aufgewachsen in der DDR und mit dem Leistungsdenken und der Obrigkeitshörigkeit vertraut. Unleugbar zeigen sich Parallelen zwischen der ehemaligen DDR und Nordkorea, und doch gibt es beiderseits viel Fremdartiges. Kann eine bloße Zuneigung diesen kulturell-gesellschaftlichen Graben überwinden? Und spiegeln die Zuschreibungen tatsächlich die Gedanken und Gefühle der anderen Frau - oder handelt es sich dabei doch eher um eigene Projektionen? Der kurze Roman hält die Spannung, wohin sich letztlich alles entwickeln wird da in Nordkorea...

    Schnörkellos, prägnant und passagenweise nahezu sachlich erscheint der Schreibstil von Andreas Stichmann, der mit seinem Werk für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 nominiert wurde. Er liefert einen erschreckenden Einblick in das Leben in Nordkorea, wobei eigene Erfahrungen im Rahmen einer Reise in dieses Land Pate gestanden haben dürften. George Orwells Großer Bruder aus dem Roman "1984" ist hier beklemmende Realität.

    Eine interessante Herangehensweise an ein Land, ein spannendes Gedankenexperiment mit einer letztlich passenden Auflösung. Mich beschäftigt der kurze Roman deutlich über das Lesen hinaus. So soll es sein...

    © Parden

  1. »Spielzeug. Zirkus. Das clowneske Böse.«

    Andreas Stichmann erzeugt in prägnanten Worten ein Bild von der tiefgehenden Fremdheit, mit der Nordkorea auf westliche Besucher wirkt. Das Pjöngjang des Buches ist eine Farce, ein Schauspiel, und jede:r weiß es; alle Beteiligte sind gefangen in ihrer jeweiligen Rolle. Alle lächeln, lächeln, lächeln, aber deinen Pass musst du abgeben, dein Handy hat keinen Empfang. Alle sind so herzlich, so hilfsbereit, aber sag bloß nichts, was nicht ins Skript passt.

    Ach, kein Grund zur Sorge, in den letzten Jahren ist nur ein einziger Tourist zu Tode gefoltert worden. Das soll beruhigend klingen für die jungen Menschen, die in Nordkorea Material sammeln für ihre Blogs, ihre Artikel oder einfach den beeindruckend exotischen Lebenslauf. Hier liegt eine große Stärke des Romans, wohl auch, weil dieser Aspekt der Geschichte getragen wird von den tatsächlichen Erlebnissen des Autors.

    »Vielleicht, dass es beides war und gar nicht auseinander zu halten: spontan und auswendig gelernt. Gelogen und wahr.«

    Abgesehen davon lässt der Roman vieles offen, und am Ende steht die Frage im Raum: Wie echt waren die Gefühle zwischen den beiden ungleichen Frauen? Denn das ist keineswegs eindeutig zu bestimmen. White-Savior-Komplex oder Stockholm-Syndrom, die Deutsche Claudia könnte ihre Gefühle in einer Situation, in der sie ständig unter Druck steht und die jederzeit eskalieren kann, schlichtweg falsch interpretiert haben. Umgekehrt lässt sich nicht eindeutig sagen, inwieweit Sunmi nur ihre Rolle gespielt hat, um Claudia dazu zu bewegen, sich für die Propaganda instrumentalisieren zu lassen. Fest steht, Sumni spielt ein falsches Spiel, aber in welche Richtung geht die Täuschung?

    »Flucht? Ein Wahnsinn, der nie so konkret gewesen war.«

    Und in dieser Offenheit des Romans liegt seine zweite große Stärke: Stichmann verzichtet auf verkitschte Eindeutigkeiten.

    Sogar die Szenen, die aus Sunmis Sicht geschildert werden, sind keineswegs unmissverständlich; die junge Frau trägt schon seit vielen Jahren die ihr anerzogene höfliche Maske, hat die Scharade bis auf Blut verinnerlicht. So sehr Claudia auch nach Gemeinsamkeiten sucht, nach einer möglichen Balance, die Welten dieser beiden Frauen scheinen unvereinbar – oder etwa nicht? In der DDR aufgewachsen, ist Claudia immerhin vertraut mit staatlicher Freiheitsbeschränkung, aber reicht das aus für die Herstellung eines echten Rapports? Bis zur letzten Seite zieht sich ein Soundtrack der furchtsamen Ungewissheit durch die Geschehnisse.

    »Schon komisch. Wie wir beide uns jetzt. In diesem Moment. In diesem immer länger werdenden Moment. So bewusst anstarren. So unangenehm bewusst.«

    Ob der Frage, wie glaubhaft Sumni als Charakter ist, haderte ich jedoch immer wieder mit mir. Trotz einer komplexen Hintergrundgeschichte wirkte sie auf mich des Öfterens wie eine Ansammlung all dessen, was wir Deutschen von außen, aus einer unvermeidlichen Distanz heraus, über Nordkorea wissen können. Möglicherweise ließe sich diese Distanz letztlich nur von einer Person überbrücken, die in Nordkorea gelebt hat und in der Lage ist, die Wahrheit zu erzählen – die also aus Nordkorea geflüchtet ist. Gerade der Kontrast zu Claudia, die sich sehr authentisch liest, streicht dies umso deutlicher heraus.

    Die Sprache ist mal knapp und schnörkellos, geradezu abgehackt, mal geprägt von einer blumigen anachronistischen Rollenprosa – Sumnis hat über deutsche Romantik promoviert (ihre Doktorarbeit ist ein explosives, wucherndes Wortgebilde, das von ihrem Mann direkt aus dem Verkehr gezogen wurde) und spricht ein altmodischeres Deutsch als Claudia. Nur manchmal rutscht der Stil ab ins allzu Gewollte; hier verunglückt ein Vergleich, dort schleicht sich unverhofft ein unnötiger denglischer Begriff ein.

    »Bald zogen sich rote Striemen über das Fleisch, unter dem sich drachenhaft die Wirbelsäule versteckte.«
    »Den Ginsengschnapps liebte sie inzwischen. Eine scharfe Egalness lag darin.«

    Aber im Großen und Ganzen liest sich der Roman sehr flüssig, lehrreich und auf beklemmende Art und Weise unterhaltsam.

  1. 4
    10. Mär 2022 

    Verlieben vor politischem Hintergrund

    Geht’s noch komplizierter? Eine Frau verliebt sich in eine Frau (wäre allein gesehen noch kein Problem), aber in Nordkorea? In eine wesentlich jüngere und außerdem Agentin der DVRK?

    Aber Liebe sucht nicht, sie findet! Und so erlebt die Leserschaft das Kennenlernen zwischen Claudia, der nüchternen 50jährigen, in Jena geborenen ‚intellektuellen Lebefrau, Glossistin, Autorin‘, und der 33jährigen selbstbeherrschten Fremdenführerin Sunmi in Pjöngjang, verfolgt ihre Gemeinsamkeiten (Liebe zur deutschen Sprache) und das zarte Prickeln, das schnell zwischen ihnen aufflammt. (Ich fand die Beschreibungen äußerst erotisch und das ohne Sexszenen!)

    Sehr interessant fand ich zudem die Beschreibungen von Nordkorea, vielmehr das von der Führung Nordkoreas zugelassene ‚Theaterstück Pjöngjang‘: das Pjöngjang der Ausländer, der Lebensumstände (Sunmi ist verheiratet mit einem älteren Kriegsveteranen mit nur einem Bein, denn eine Ablehnung seines Heiratsantrages hätte einen Affront bedeutet: sie hätte damit den Status der ‚Volksfreundin‘ den sie durch die Ehe erreichte, zurückgewiesen) und der Regeln ( z.B. darf man nicht mal bei einer Rede in die Namen der Würdenträger hineinhüsteln).

    Bezüglich Sunmi erfahren wir, was ‚umschmeichelnder Begleitservice‘ bedeutet, dass alles gehört wird: ‚nicht von menschlichen Ohren, sondern von denen in ihren Kleidern‘. Auch ihre Erklärung der Vielzahl der westlichen Angebote zur Flucht fand ich aufschlussreich und nachvollziehbar.

    Die Fahrt zum Vulkan Packtusan mit Sunmi, Wi und Kim mit Besichtigung des Palastes, der Blick auf den Himmelsee und der verlogensten Ansprache in Claudias Laufbahn bedeuten den Abschluss und die Entscheidung (die ich als sehr realistisch empfand).

    ‚Eine Liebe in Pjöngjang‘ hat nur 144 Seiten, aber die sind geballt voller Informationen über ein uns fremdes Land und Emotionen. Mir hat diese Mischung gefallen! Wer auch für diese Kombination anfällig ist, dem empfehle ich dieses Buch! Ich gebe vier Sterne von fünf!