Der Sonnenschirm des Terroristen
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Inhaltsangabe zu "Der Sonnenschirm des Terroristen"
Gebundenes BuchAn einem sonnigen Samstagmorgen im Oktober geht in einem Park mitten in Tokyo eine Bombe hoch. Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte. Die Polizei vermutet einen terroristischen Anschlag. Im Park genehmigt sich der abgehalfterte Barkeeper und schwere Alkoholiker Shimamura gerade den ersten Whiskey des Tages, wie immer bei schönem Wetter. Nach der Detonation geht Shimamura sofort auf die Suche nach einem kleinen Mädchen, das ihn wegen seiner zitternden Hände zuvor angesprochen hatte, und sorgt dafür, dass es ins Krankenhaus kommt. Der heroische Akt hat allerdings einen Preis: die Whiskeyflasche mit Shimamuras Fingerabdrücken bleibt im Park zurück. Shimamura, der wegen der mutmaßlichen Beteiligung an einem Bombenanschlag im Zusammenhang mit den Studentenunruhen der 60er Jahre auf den Fahndungslisten der Polizei steht, lebt unter falschem Namen im Untergrund. Nun wird er wieder gejagt, von der Polizei und von mysteriösen Hintermännern. Ihm bleibt nur die Flucht nach vorne: Er beschließt, der Explosion im Park selbst auf den Grund zu gehen. Dabei bekommt er von unerwarteter Seite Hilfe - von einem Yakuza.
ein Krimi besonderer Machart
Allein die Entstehungsgeschichte zu „Der Sonnenschirm des Terroristen“ könnte die Vorlage zu einem Krimi sein.
Iori Fujiwara hat diesen Roman geschrieben, weil er Geld brauchte. Na gut, wer braucht das nicht. Aber in seinem Fall nahm seine Finanzknappheit lebensbedrohliche Ausmaße an. Denn er hatte Spielschulden bei den Yakuza, der japanischen Mafia, die ja bekanntlich nicht zimperlich ist, wenn es um das Eintreiben ihrer Forderungen geht.
Also hat er aus der Not heraus ein Buch geschrieben, in der Hoffnung, dass die Tantiemen für die Begleichung seiner Schulden ausreichend sind. Seine Rechnung ging auf. Denn innerhalb kürzester Zeit hat er mal eben 2 japanische Literaturpreise abgesahnt. Einer davon war mit 10 Mio Yen (irgendwas zwischen 75 und 80 TEUR) dotiert. Ob die Yakuza mit in der Jury saßen?
Zumindest hätten sie Geschmack bewiesen. Denn dieser Krimi ist ein Besonderer. Seine Entstehungsgeschichte ist eine Besondere und seine Machart ebenso.
Von Anfang an fühlte ich mich an die legendären Philip Marlowe Geschichten von Raymond Chandler erinnert: Typ einsamer (und alkoholisierter) Wolf klärt ein Verbrechen auf.
"Ich sah auf meine Hände. Anders als sonst zitterten sie nicht. Kein Wunder: Ich hatte die ganze Nacht praktisch durchgetrunken. Mit soviel Alkohol im Blut sah ich vielleicht halbwegs wie ein anständiger Mensch aus, dachte ich, und warf einen Blick in den Spiegel. Aber nein. Alles, was ich sah, war ein vom Alter gezeichneter, ausgelaugter Alkoholiker."
Fujiwaras „einsamer Wolf“ ist jedoch kein Privatdetektiv, er hat einen anderen Hintergrund. Welcher genau das ist, klärt sich mit Fortschreiten der Handlung. Zumindest kennt der Ich-Erzähler Shimamura die Abläufe der Polizeiarbeit sehr genau. Als er Zeuge eines Bombenattentats wird, weiß er, was zu tun ist, um unerkannt vom Tatort zu verschwinden. Spätestens hier wird bewusst, dass Shimamura in der Vergangenheit Schwierigkeiten mit der Polizei hatte, die ihn zwangen unterzutauchen. Shimamura war in den 60er Jahren in den Studentenunruhen aktiv. Durch seine damalige Beteiligung an einem Bombenattentat kam er auf die Fahndungsliste der Polizei. Grund genug, sich mit falschem Namen ein neues Leben in der Unauffälligkeit aufzubauen. Durch Shimamuras Erinnerungen erfährt der Leser, was damals wirklich passiert ist.
Unter den Toten des gegenwärtigen Bombenanschlags befinden sich zwei seiner engsten Freunde aus der Studentenzeit. Zufall? Zumindest Grund genug, dass sich Shimamura in der Pflicht sieht, das Verbrechen auf eigene Faust aufzuklären. Dabei erhält er Unterstützung von der Yakuza, die ein ganz eigenes Interesse an dem Bombenattentat haben.
"'Irgendwo passiert was. Zur selben Zeit passiert woanders auch was. Zufall? Nein, in den meisten Fällen stellt sich heraus, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat, ...'"
Der Roman hat mich durch seine stetige unterschwellige Spannung überzeugt. Es gibt so gut wie keine Hochspannungsmomente. Und trotzdem war ich gefesselt und bin völlig in der Handlung versunken.
Ich fühlte mich ein bisschen an ein Puzzlespiel erinnert, in dem man versinkt, an dem man sich festbeißt und die Welt um sich herum vergisst.
Und wie bei einem Puzzlespiel ist man auf der Suche nach den wichtigen Teilen, die dazu beitragen, dass man am Ende ein Gesamtbild hat. Fujiwara liefert viele Hinweise, die ich anfangs nicht miteinander in Einklang bringen konnte. Doch mit der Zeit ließen sich die Hinweise richtig anordnen. Man wird unweigerlich als Leser gefordert, kombiniert, verwirft die Hinweise wieder. Am Ende hat man tatsächlich das Gefühl, selbst zur Aufklärung beigetragen zu haben.
Leseempfehlung!
© Renie