Besessen: Roman (insel taschenbuch)

Buchseite und Rezensionen zu 'Besessen: Roman (insel taschenbuch)' von Antonia S. Byatt
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Besessen: Roman (insel taschenbuch)"

Format:Taschenbuch
Seiten:631
Verlag: Insel Verlag
EAN:9783458357582

Rezensionen zu "Besessen: Roman (insel taschenbuch)"

  1. Drei Liebesgeschichten in einem Buch

    Diese Rezension habe ich lange vor mir hergeschoben. Warum? Weil die Beschreibung, die Einordnung und die Charakterisierung des Romans „Besessen“ ungemein schwierig ist, was schon an der Hilflosigkeit der obigen Überschrift, die auch auf die Besprechung eines Romans von Rosamunde Pilcher hinweisen könnte, deutlich wird.

    Vielleicht ist es deswegen am besten, wenn ich zunächst kurz schildere, wie ich zu diesem Buch gekommen bin. Vor einigen Jahren habe ich den Film „Besessen“ gesehen. Dieser Film, eine amerikanische Produktion und in den Hauptrollen mit Gwyneth Paltrow und Aaron Eckhart recht prominent besetzt, schildert die Entwicklung von zwei Liebesgeschichten auf unterschiedlichen Zeitebenen, nämlich im späten 19. und im späten 20. Jahrhundert. Die Geschichte, die sich im 20. Jahrhundert ereignet, entwickelt sich aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts. Ich habe den Film als originell empfunden und war lediglich mit dem Ende, das nach meinem Geschmack recht konventionell ausgefallen war, nicht so richtig zufrieden. Der Film blieb mir allerdings in Erinnerung.

    Einige Jahre später habe ich durch einen Zufall herausgefunden, dass der Film auf dem hier besprochenen Buch beruhte (wenn ich den Filmabspann etwas aufmerksamer gesehen hätte, wäre diese Erkenntnis schon früher möglich gewesen). Da mir der Film als ungewöhnlich im Gedächtnis geblieben war, habe ich das Buch sofort nach Entdeckung gekauft und mit großen Erwartungen gelesen.

    Damit sind wir bei „Besessen“ von Antonia S. Byatt, die für dieses Buch im Jahr 1990 den Booker Prize erhalten hat. Und jetzt wird es schwierig, die Faszination, die von diesem Buch ausgeht, zu beschreiben. Während der Film wegen der originellen Verknüpfung von zwei Geschichten auf unterschiedlichen Zeitebenen für einen Hollywood-Film schon recht ungewöhnlich war, ergibt sich aus dem Buch nämlich eine dritte, nur zwischen den Zeilen erzählte Liebesgeschichte, nämlich eine Liebeserklärung zur Literatur selbst, zur Poesie und -ja tatsächlich- zur Literaturkritik. Wie soll man das aber in einer Rezension beschreiben?

    Also, welche Geschichte erzählt Byatt in „Besessen“? Ganz ähnlich wie im Film ergibt sich die erste Erzählebene aus einer sich langsam entwickelnden Liebesgeschichte zwischen einer Literaturwissenschaftlerin und einem Literaturwissenschaftler, beide etwas akademisch versponnen, die durch einen Zufall im späten 20. Jahrhundert auf Anhaltspunkte für eine mögliche Beziehung zwischen zwei bekannten Literaten des 19. Jahrhunderts stoßen. Literaturwissenschaftlich wäre die Entdeckung einer derartigen Beziehung, ja vielleicht sogar einer Liebesbeziehung, eine Sensation. Also verfolgen die beiden Literaturwissenschaftler im 20. Jahrhundert die entdeckte Spur und decken dabei in akribischer und detektivischer Art und Weise nach und nach eine geradezu tragische, nicht glücklich endende Liebesbeziehung zwischen einem sehr bekannten (von Byatt erfundenen) Schriftsteller und einer absolut ungewöhnlichen, für das 19. Jahrhundert sehr emanzipiert lebenden Literatin auf. So viel zu den ersten beiden Liebesgeschichten.

    Und die dritte Liebesgeschichte, also die, die dieses Buch so ungewöhnlich macht? Nun, diese dritte Geschichte wird nicht direkt erzählt. Sie ergibt sich vielmehr insbesondere aus dem argumentativen und brieflich geführten Austausch, den die Protagonisten der Liebesgeschichte des 19. Jahrhunderts in dem Buch praktizieren. Dieser Austausch bezieht sich hauptsächlich auf ein in Versform geschriebenes Werk der Literatin, das sie dem bekannten Schriftsteller vor der Veröffentlichung zugänglich macht und das auch für den Roman „Besessen“ einen zentralen Bestandteil darstellt. Daraus resultiert eine Vielfalt von unterschiedlichen Interpretationsansätzen für dieses Versepos, die alle in sich schlüssig sind und die in den ausgetauschten Briefen angesprochen werden. Diese unterschiedlichen Interpretationsansätze eines Textes werden dem Leser und der Leserin von den beiden Protagonisten und damit von Byatt auf sehr liebevolle Art vor Augen geführt, wobei die Besonderheit darin besteht, dass jeder einzelne Interpretationsansatz in sich schlüssig ist und das Ergebnis nahezu ausschließlich von den subjektiven Empfindungen der beiden Protagonisten abhängig ist. Byatt erklärt damit durch die erzählte Geschichte selbst, warum es in der Literaturkritik zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. All dies ist keinesfalls belehrend, sondern geradezu liebenswürdig be- und geschrieben.

    Gerade das macht für mich den eigentlichen Wert dieses Buchs aus. Wie oft kommen Leser und Leserinnen bei einem bestimmten Buch zu völlig unterschiedlichen Bewertungen und Kritiken. Dies haben wir alle -auch bei Whatchareadin- bereits mehrfach erlebt. Diejenigen, die „Besessen“ gelesen haben, werden -wenn sie das nicht schon ohnehin getan haben- vielleicht trotz aller Aufregung um einander sich diametral entgegenstehende Kritiken eines Buchs besser erkennen können, dass es darauf ankommt, sich überhaupt mit einem Buch zu beschäftigen und hierzu eine Meinung zu entwickeln und diese gegebenenfalls auch nach außen zu vertreten. Das Lesen an sich ist also wertvoll. Daran sich anschließende Diskussionen sind wertvoll. Das Akzeptieren und der Versuch des Nachvollziehens der Meinungen anderer Leser und Leserinnen sind wertvoll. Bücher, die unterschiedliche Kritiken zur Folge haben, sind wertvoll. Und gerade das ist die dritte und eigentlich schönste Liebesgeschichte in diesem Buch, nämlich die Liebesgeschichte zwischen einem Buch und seinen Lesern und Leserinnen.

    Eine absolute Leseempfehlung also, allerdings verbunden mit dem Hinweis, dass sich das Buch nicht leicht liest. So ist der bereits mehrfach erwähnte Briefwechsel zwischen den beiden Protagonisten des 19. Jahrhunderts zur Erzielung von Authentizität im Sprach- und Schreibstil dieses Jahrhunderts gehalten. Es kommt hinzu, dass insbesondere Leser und Leserinnen, die mit Poesie und Versen nichts anfangen können (dazu zähle ich mich übrigens selbst), zumindest zu Beginn möglicherweise Schwierigkeiten mit dem Text haben werden. Das relativiert sich aber alles mit fortschreitender Lektüre. Das „Dranbleiben“ lohnt sich also.