Als wir Schwäne waren: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Als wir Schwäne waren: Roman' von Behzad Karim Khani
4.2
4.2 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Als wir Schwäne waren: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:192
Verlag: Hanser Berlin
EAN:9783446281424

Rezensionen zu "Als wir Schwäne waren: Roman"

  1. Ich beiße in die Hand, die mich füttert

    Kurzmeinung: Zu sehr auf Aphorismen gebürstet - es hätte ein wenig mehr sein dürfen.

    Reza hasst Deutsche und deutsche Kinder gleichermaßen, denn er ist selber noch ein Kind, ein heranwachsender Jugendlicher, der glaubt, sich in seiner billigen Wohnsiedlung beweisen zu müssen. Er bewundert diejenigen ausländischen Jugendlichen, die einen auf dicke Hosen machen, die keine Autorität gelten lassen, alle Regeln brechen und sich ihre eigenen machen: so will er auch sein. Gewalt ist Macht. Deshalb bejaht er sie. Er begreift nicht, dass Gewalt die größte Hilflosigkeit überhaupt ist.

    Der Kommentar und das Leseerlebnis:
    Der Autor ist wie in seinem ersten Roman, Hund, Wolf, Schakal, überaus sprachmächtig. Seine Bilder beeindrucken und erzeugen Emotionen, meistens stoßen sie ab, aber sie zeigen Wirkung beim Leser. Das ist großes literarisches Können. Trotz allem ist er zu sehr auf Aphorismen fixiert und weniger auf Zusammenhänge. Das ist ein Manko. Freilich sein einziges.

    Der Botschaft jedoch, die sein Protagonist Reza übermittelt, zeige ich die kalte Schulter: Deutschland sei sch****, gemein, ein Volk voller Mörder und Neonazis und Rassisten, ein Staat, der Flüchtlinge mit dem Lebensnotwendigsten versorge, aber ansonsten im Regen stehen lässt, kurzum: ein Land, das an allem schuld ist, an inneren und äußeren Nöten, ein bescheuertes überhebliches Land, das Heimat sein will, niemals, für ihn nicht. Er wird niemals ankommen. Und anderseits können sich seine Menschen nicht wehren, sie sind Luschen oder Lesetreter und versinken im Drogenrausch. Oder sie bauen sich spießige Reihenhäuser und halten sich Gartenzwerge. Dafür hat er nur Verachtung übrig. Diese Haltung spiegelt schlecht verborgenen Sozialneid. Reza dealt selbst und erlebt wie die Jungs, mit denen er gespielt hat und deren Denke er versteht, nicht immer teilt, reihenweise abgleiten in die harte Kriminalität, im Gefängnis landen oder dumme Tode sterben.
    Es ist erstaunlich, dass ein Autor, der als 10jähriger mit seinen Eltern aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, einen solchen Roman schreibt, einen, der so voller Wut und Hass ist. Der Autor ist natürlich nicht identisch mit Reza, aber es fällt einem schwer, Reza und Behzad immer auseinander zu halten, da der Roman durchaus einen autofiktionalen Anteil hat.
    Ja, es ist schwer, in einem fremden Land anzudocken. Aber den meisten gelingt es irgendwie. Die erste und die zweite Generation zahlt drauf. Aber das ist niemandes Schuld! Das ist die Konsequenz einer Flucht! Wenn überhaupt, ist das Herkunftsland verantwortlich, dafür nämlich, dass eine Flucht überhaupt erforderlich gewesen ist. Diese Realitätssicht wird in der Migrantenliteratur überwiegend verweigert.
    Frust und Enttäuschung kann ich durchaus nachvollziehen, aber wer sagt, dass es im Herkunftsland besser war? Es gab doch einen Grund, herzukommen. Niemand hat gerufen. In diesem Roman jedenfalls, wird kein Wort hinsichtlich solcher Dinge wie Mitverantwortung, Mitgefühl für die Drogenopfer, Mitgefühl für die Opfer ausgeübter Gewalt, verloren. Verantwortlich sind alle, nur man selber nicht! Nun ist Reza natürlich nicht Behzad. Das darf man nie vergessen, wenn man diesen Roman liest. Und trotzdem: alle Möglichkeiten hat Deutschland gegeben. Nicht so viele, wie man erwartet hat, aber durchaus nicht „gar keine“. Wut und Hass bricht aus diesem Roman, beides kann ich nicht tolerieren, und nur bedingt nachvollziehen. Immerhin räumt der Autor in seinem Vorwort an seinen Sohn wenigstens die Möglichkeit einer Heimat ein, was darauf hindeutet, dass er über die Unversöhnlichkeit Rezas hinausgewachsen ist und mir hilft, mich rein auf das Literarische zu konzentrieren:

    Fazit: ein Roman, der in Kafkas Sinne Nachhall hat. Dessen Botschaft ich jedoch energisch widerspreche! Deutschland ist nicht schuld an der Migrantenmisere. Es ist überaus schlechter Stil, in die Hand dessen zu beißen, der einen füttert.

    Kategorie: Migrantenliteratur
    Verlag: Hanser, Berlin, 2024

  1. Die Möglichkeit einer Heimat

    Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was den Vater zu einem Job als Taxifahrer zwingt. In einer Wohnung im Plattenbau in Bochum leben sie als drei Ausländer unter vielen.

    „Als wir Schwäne waren“ ist ein Roman von Behzad Karim Khani.

    Der Roman setzt sich - nach dem Prolog - aus drei Teilen zusammen. Sie bestehen jeweils aus kurzen, teils sehr knappen Kapiteln.

    Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Reza. Geschildert werden seine Kindheit, seine Jugend und die Zeit als junger Erwachsener. Trotz der chronologischen Erzählweise wirkt der Roman in den ersten beiden Teilen auf mich wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Das liegt möglicherweise an den thematischen und zeitlichen großen Sprüngen zwischen den Kapiteln.

    In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman dennoch überzeugt. Der Stil ist geprägt von kurzen Sätzen, einer reduzierten Sprache und treffenden Bildern. Dabei wird viel Atmosphäre und Zeitgeist vermittelt, etliche Assoziationen werden geweckt. Kein Wort ist dabei zu viel, keins zu wenig.

    Im Mittelpunkt des Romans steht die dreiköpfige Familie. Nicht nur Rezas Innenleben wird anschaulich dargestellt, sondern auch die Ansichten und Gefühlslage der Eltern werden deutlich. Diese und weitere Figuren wirken lebensnah. Dem Roman ist anzumerken, dass der Autor autobiografische Elemente verarbeitet hat.

    An der Lektüre hat mich gereizt herausfinden, wie Migranten Deutschland empfinden und welche Schwierigkeiten das Ankommen bereitet. Zwar begegnet Reza hin und wieder Alltagsrassismus. Dieser wird jedoch nur am Rande thematisiert. Das mag auch damit zu tun haben, dass seine Familie im Ghetto lebt und der Junge viel mehr Zeit mit anderen Ausländern als mit Deutschen verbringt, obwohl er es aufs Gymnasium schafft. Wieso er eine riesige Wut auf Deutschland entwickelt, warum er trotz des höheren Bildungswegs zwischenzeitlich abrutscht und weshalb er der Ansicht ist, im Ausland mehr Glück zu haben, all das wird leider nur in Ansätzen erklärt. Zwar mag dies damit begründet sein, dass der Lebenslauf exemplarisch für so viele Migrantenbiografien stehen soll. Diese und sonstige Leerstellen auf den nur knapp 190 Seiten machten es für mich allerdings schwierig, alles nachzuvollziehen und zu verstehen.

    Auf inhaltlicher Ebene geht es stattdessen zumeist um Gewalt und Kriminalität. Dennoch hat die Geschichte auch ihre witzigen Momente, wobei ich nicht sicher bin, ob die Komik an all diesen Stellen beabsichtigt ist.

    Gut gefallen hat mir, wie toll das ungewöhnliche Cover und der Titel miteinander harmonieren. Der Schwäne-Vergleich klingt nicht nur poetisch, sondern passt auch hervorragend zur Geschichte.

    Mein Fazit:
    Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen sprachlich beeindruckenden Roman geschrieben, der zwar einige Fragen offen lässt, aber durchaus lesenswert ist.

  1. Eine Jugend im Bochumer Sozialbaugetto

    Seit einem Jahr leben sie in der Hochhaussiedlung im Ruhrpott. Seine Eltern haben mit ihm den Iran verlassen, weil die Zustände lebensgefährlich wurden. Sein Vater fährt in der Nacht Taxi und am Vormittag verkauft er im Kiosk Zeitschriften, Schnaps und Bier, damit seine Frau von vorn anfangen kann. Sie wiederholt das Soziologiestudium, das Deutschland ihr aberkannt hat.

    Am Abend, zu einer Zeit, als er längst im Bett ist, klingelt es an der Tür. Sein Vater weckt ihn, seine Mutter öffnet die Tür. Da stehen sie, die drei Straßenköter, halten seiner Mutter eine Mark hin und wollen etwas Persisches essen. Seine Mutter nimmt das Geld nicht, wärmt den Reis mit den Datteln und Pistazien auf und deckt den Tisch. Sie fragen nach Ketchup. Mutter schenkt ihnen kein Wort der Verachtung und gibt ihnen den Ketchup. Es werden immer mehr, klingeln jeden Abend. Dann spricht einer seine Mutter auf der Straße an: „Was gibt es heute zu essen?“ Da weiß er, was er zu tun hat. Er wartet nach der Schule auf den Jungen und schlägt sein Gesicht zu Brei, danach ist Ruhe.

    Nach der Kohl – ära verlassen die Bausparvertragsdeutschen die Siedlung. Im Tausch ziehen die Roma ein, legen Matratzen in die Flure und zelten im Hinterhof. Vor einer 60 Quadratmeter Wohnung stehen jetzt zwei Dutzend Schuhe. Seit die Roma da sind, sind die Perser das kleinere Übel für ihre deutschen Nachbarn, die grüßen jetzt sogar. Deshalb beginnt sein Vater, sie zu verachten.

    Mir gefällt die Dunkelheit in seiner Stimme, wenn er gegrüßt wird und etwas zurück raunt, das mit „Guten Tag“ oder „Guten Morgen“ keinerlei Ähnlichkeit hat. Ich sehe seine Unbeugsamkeit und seine Kraft. Ich sehe das Unbestechliche in ihm und es gefällt mir, dass es sich in einer alltäglichen Unfreundlichkeit äußert. Ich sehe meinen Vater, wie er einmal war. Lebendig. S. 106

    Fazit: Ich bin verliebt in den Schreibstil von Behzad Karim Khani, der voller schöner Metaphern ist, die seine Gefühle versinnbildlichen. Schon bei seinem Debüt „Hund Wolf Schakal“ fand ich ihn außergewöhnlich. Hier spricht der Autor durch seinen Protagonisten über eine Jugend, im „Sozialbau“ – Getto mitten in Bochum. Sieht mit an, wie andere Jungs reihenweise abstürzen, lässt sich selbst in den Sumpf der Kriminalität ziehen. Es herrscht Perspektivlosigkeit. Irgendeiner ist immer stärker. Er spricht über die Werte seines Vaters, die Weisheit seiner Mutter. Seine Wut und die Sorge seines Vaters. Er gibt ein sehr genaues Bild der Deutschen wieder, den Argwohn, mit dem sie allem Fremden begegnen. Die Langeweile, die im Suff enden kann. Der Selbstbetrug, der darin liegt, sich die Dinge schönzureden, so wie Grönemeyer Bochum als „Perle im Revier“ besungen hat. Der Vater, der sich mit der Deutschen Vergangenheit besser auskennt, als viele Deutschen, die Augen nicht vor Konzentrationslagern verschließt und als Mahnmal versteht. Hierin liegt eine angemessene Kritik, für die es an der Zeit ist. Nicht, weil wir die Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, aufnehmen und grundversorgen, sondern weil es die Tendenz des deutschen Staates ist, die sozialen Brennpunkte an die Ränder zu verschieben und dann die Augen zu verschließen und zu hoffen, dass alles gut gehen wird. Und dann so viele Mentalitäten zusammenpfercht, dass nichts gut gehen kann. Es ist ein wichtiges Buch und ich wünsche den richtigen Leuten, dass sie es auch lesen, weil Lesen bildet und den Horizont erweitert.

  1. 4
    11. Aug 2024 

    Ein poetisches Mosaik aus Erinnerungsfetzen

    Das Wort „Erinnerungsfetzen“ habe ich für meine Überschrift durchaus bewusst gewählt. Besteht der Text „Als wir Schwäne waren“ doch durchaus aus mitunter recht brutalen Gewaltszenen, die sich im Bochum der 1980er und 1990er zwischen Jugendlichen abspielten. So berichtet Behzad Karm Khani in seinem zweiten Roman aus der Sicht eines Jungen, dessen Eltern mit ihm aufgrund der Islamischen Revolution aus dem Iran 1979 geflohen sind und nun versuchen im Ruhrgebiet wieder fuß zu fassen und vielleicht eine neue Heimat zu finden.

    Nicht immer chronologisch ordnet Khani sein Mosaik aus Rückblicken an, die das Leben im neuen Land beschreiben und die soziologischen Zusammenhänge verschiedener Milieus erforschen. Sprachlich arbeitet Khani auf sehr hohem Niveau und verpackt seine Gedanken bzw. die Gedanken des Ich-Erzählers in poetische Aphorismen, Gleichnisse und Metaphern. Bei der Schilderung von Gewalt, die in seinem Viertel vorherrscht, bleibt er hingegen recht sachlich, was dem Text sehr gut steht. Ich muss allerdings zugeben, dass für mich einige poetische Bilder nicht durchdringbar waren und ich ab und an einfach nicht in der Tiefe verstanden habe, was der Autor mir mit der ein oder anderen Formulierung sagen möchte. Hier könnten die persischen Einflüsse zum tragen kommen, denn wie wir aus dem Text erfahren, gibt es im Persischen „zehn, fünfzehn verschiedene Begriffe für Stolz“. Dafür hat sich der Autor in diesem deutschsprachigen Roman recht kurz gehalten, packt er doch die Geschichte der Familie ab dem Ankommen in Deutschland auf nur knapp 190 recht locker bedruckten Seiten zusammen. Dies geschieht vor allem durch das bruchstückhafte Herausgreifen einzelner Anekdoten und Geschehnisse.

    Dadurch lernen wir auch ein breites Personal an Nachbarn, Freunden und Bandenmitgliedern kennen, die – ebenso wie die Eltern des Erzählers – durchweg vielschichtig angelegt sind und die Zerrissenheit zwischen dem Weggang aus der alten Heimat und dem Ankommen in einem neuen System zeigen. Das finden einer eigenen Identität für die Kinder von Migranten steht im Mittelpunkt des Buches. Während dabei die meisten Figuren aus verschiedenen Kulturen facettenreich rüberkommen muss ich allerdings darauf hinweisen, dass mir die Darstellung der Roma, die eines Tages im Viertel auftauchen, recht einseitig negativ erschienen ist.

    Insgesamt kann ich den Roman aufgrund seiner eindringlichen Sprache als auch des unverblümten Inhalts empfehlen, wenngleich ich keinen Vergleich zum Debütroman des Autors anstellen kann, da dieser bei mir noch auf eine Lektüre wartend im Regal steht.

    3,5/5 Sterne

  1. Deutschland – doch keine ideale Heimat für Zugewanderte?

    Das Cover zeigt einen dunklen, großen Flügel, vielleicht als Röntgenbild dargestellt mit leichten Andeutungen von Federn und Knochen. Der Buchtitel Als wir Schwäne waren deutet an, dass diese Familie wie diese großen Zugvögel dorthin zieht, wo sie Ruhe und Sicherheit vermutet. Der Schwan ehemals für die Mutter Sinnbild für Eleganz verliert hier jedoch seinen hohen Wert.
    Der Autor beschreibt in drei Teilen seinen Werdegang in einem sozialen Brennpunkt am Rande von Bochum in den 1990er Jahren. Neben Freiheit, Kränkungen, Gewalt, Kriminalität, Arbeitslosigkeit geht es auch um Würde und Stolz in der Welt der Eltern. Als Kind noch Automatik Cobra mit seinem Ninja-Namen zwischen seinen multikulturellen Freunden genannt, verwandelt sich Reza und seine nähere Umgebung hin zu mehr Kriminalität. Er sieht Armut, Misshandlung, Raub, Eigentumsdelikte, während Grönemeyer Bochum als »Blume im Revier« besingt. Angst, Schrecken und Furcht sind stabilere Währungen als Liebe, Vertrauen oder Freundschaft. Das sind ausdrucksstarke Bekundungen, die erschrecken. Überhaupt wandelt sich der Schreibstil bis zum dritten Teil über ihn und seine Kanaken-Freunde zu härterer Verbissenheit, stärkerer Anklage – immer unterwegs mit einem Messer versteckt im Hosenbein. Die bildliche Wortwahl z.B. beim PARASITENBAUM, der in seiner Wirkungsweise mit gewissen Orten verglichen wird, imponiert. Dieser Roman erzählt nicht nur von unangenehmen Erinnerungen des Autors, sondern rechnet auch mit diesem ihm immer noch fremden Land ab. No Happy-End!