Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman' von Bodo Kirchhoff
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman"

Vier Tage vor dem Höhepunkt des Sommers, dort, wo sich Louis Arthur Schongauer, einst düsterer Deutscher in Hollywood-Filmen, nach dem Tod seiner Frau zurückgezogen hat. Jetzt will er nur noch mit seiner Hündin leben, inmitten alter Oliven oberhalb des Gardasees. Doch dann strandet eine Reisebloggerin beim Wenden in seiner Zufahrt, und am nächsten Tag erwartet er eine Autorin, die ihn mit einem Porträt aus der Vergessenheit holen will: zwei Frauen mit Gespür für die Wunden in seinem Leben. Umso wichtiger wird ihm nun sein Tier, für das es nur ein Hier und Jetzt gibt … In Bodo Kirchhoffs neuem Roman geht es um die Sehnsucht nach dem Menschen, der uns erkennt, und die Abgründe, die sich auftun, wenn wir dieser Sehnsucht folgen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
EAN:9783423283571

Rezensionen zu "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman"

  1. 4
    22. Jun 2024 

    der alte Mann und die Liebe

    Schauplatz des neuen Romans von Bodo Kirchhoff ist, wie schon in "Widerfahrnis" und in "Die Liebe in groben Zügen", Italien, dieses Mal Italien oberhalb des Gardasees, ein Haus von Olivenbäumen und Steinmauern umgeben mit Blick auf den See. Hierhin hat sich L. A. Schongauer, fast 75 Jahre alt und verwitwet, zurückgezogen. Einzige Mitbewohnerin ist seine junge Hündin.

    Es ist Hochsommer, kurz vor Ferragosto, dem 15. August, ein wichtiger Feiertag in Italien, der heißeste Tag des Jahres und Wendepunkt des Sommers zum Herbst hin. Die 24 jährige Reisebloggerin Frida strandet mit ihrem Wohnmobil in der Auffahrt zum Haus Schongauers und muß tagelang auf die Reparatur des fahruntüchtigen Fahrzeugs warten. Fast zeitgleich erwartet Schongauer die 49jährige Almut Stein, eine Autorin, der er eher unwillig ein Interview zugesagt hat.

    Schongauer bezeichnet sich selbst als knochigen Mann, älter als alt. Er, ein ehemaliger und eher unbekannter Filmschauspieler Hollywoods, möchte eigentlich nur seine Ruhe haben, zusammen mit seiner Hündin, einziger lebender Bezugspunkt nach dem tragischen Tod seiner Frau, einer berühmten Tierfotografin.

    Diese erwünschte Ruhe wird gestört durch die zwei Besucherinnen, die im Verlauf des Romans immer mehr von Schongauer "erwünscht" sind und ihn aus seiner Einsamkeit aufschrecken. Schongauer öffnet sich den beiden Frauen, insbesondere der Autorin Almut Stein, die ein Porträt über ihn plant und der er peu a peu seine Lebensgeschichte erzählt. Einst der attraktive Deutsche, der in Hollywood nur als Nebendarsteller böse Nazischergen darstellen durfte und seine erste große Liebe tragisch verlor, als er zum einzigen Mal den "Guten" in einem Film darstellen konnte. Seine zweite große Liebe, die berühmte Tierfotografin, befreite ihn von dem ungeliebten Job des "bösen Nazidarstellers". Jetzt, als Witwer, ist seine Hündin, so scheint es, die letzte Liebe seines Lebens.

    Was mir an diesem Roman wieder sehr gefallen hat, war die Art, wie Kirchhoff die typische Atmosphäre dieser wunderschönen Region Italiens beschreibt. Die Hitze des Hochsommers kurz vor dem Gewitter, "drückende Luft wie in Treibhäusern für empfindliche Pflanzen"; das Geräusch der Zikaden; die Vegetation aus Oliven- und Feigenbäumen, Zypressen, Rosmarin, Oleander; der stille See; eine Bootsfahrt zu einer einsam gelegenen Badestelle kurz vor den Felsen; Wetterleuchten und abrupter Wetterumschwung mit Sturm und Hagel.

    Der Roman ist voller Symbolik, z. B. das fast verlassenen Herrenhaus eines Grafen am Seeufer, sogar vom Weltall aus sichtbar, im Dunkel liegend, ein Totenreich. Die bildhafte Sprache ist melancholisch, teilweise philosophisch. Schongauer betrachtet, ausgelöst durch die Fragen Fridas und vor allem Almuts, rückblickend sein Leben. "Ein dumpfes Gefühl, dass etwas fehlt, etwas verpaßt zu haben im Leben, von dem man nur ahnt, dass es existiert ?": eine Frage die Almut aufwirft. Aber am liebsten würde Schongauer wie seine Hündin im Augenblick leben, losgelöst von der Vergangenheit nur noch sein pures Dasein wahrnehmen.

    Gegen Ende hatte der Roman einige Längen. Dennoch entfaltet er einen Lesesog, will der Leser doch endlich wissen, wie es mit dem alternden, von Herzschmerzen geplagten Protagonisten und seinem geliebten Tier weitergeht. Trotz des Sturms in der Mitte der Geschichte ist dies ein leiser Roman, schwermütig, altersweise und dennoch nicht hoffnungslos.

    Ich habe ihn gern gelesen und vergebe 4 Sterne.

  1. 4
    15. Feb 2024 

    Was bleibt noch?

    "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt, denk Schongauer in schlaflosen Nächten sogar manchmal daran, dass er gern als dieses Tier auf die Welt gekommen wäre, nur mit dem Gedächtnis für Gut und Ungut, Freund oder Feind, und ohne Wissen um die Zeit." (S. 10)

    Besagtes Tier ist ein Hund, genauer gesagt eine Hündin, die L. A. Schongauer seinerzeit mit seiner mittlerweile vestorbenen Frau aus einem Haufen Asche gezogen hat und das seither aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Schongauer hat sich mit seinen fast 75 Jahren an den Gardasee zurückgezogen, wo er allein mit seiner Hündin lebt und kaum noch Kontakte pflegt. Doch er hat einer Autorin gestattet, ihn für einige Tage aufzusuchen, da sie ein Portrait über ihn schreiben will. Und unerwartet strandet ein Wohnmobil auf seinem Grundstück, defekt nach einem missglückten Wendemanöver. Schongauer gestattet der jungen Frau, einer Reisebloggerin, bis zur Reparatur ihres Gefährts auf dem Grundstück zu verbleiben.

    Das beschauliche Leben, in dem Schongauer sich in seinem Alterssitz eingerichtet hat, gerät nun zunehmend in Aufruhr. Die Fragen der Autorin bringen Dinge, die er lieber hatte vergessen wollen, wieder an die Oberfläche, sorgen für Unruhe und Abwehr. Seine Vergangenheit als Schauspieler in Hollywood - stets die Rollen des verkniffenen bösen deutschen Nazis -, die Frauen in seinem Leben, Unglücksfälle und das Bild, das er von sich selbst hat, all dies hinterfragt die Autorin. Obschon Schongauer oft nur knappe Antworten gibt, beschäftigen ihn die Fragen. Und die Frau, die sie stellt. Gibt es in seinem Alter noch einen Platz für Sehnsüchte?

    "...und fragt, ob es in seinem Leben eine Frau gegeben habe, eine Familie, ein Kind, ein Zuhause (...) Mehr als nur eine Frau, sagt er. Aber keine Familie. Ich bin kein Inhaber von Verwandtschaftsgraden, abgesehen von toten Eltern. Schlimm?" (S. 36)

    Einen leisen Roman präsentiert Bodo Kirchhoff hier, sprachlich und atmosphärisch sehr dicht. Träge fließen die Tage in der sommerlichen Hitze dahin, ebenso wie die Erzählung, doch so wie die Hitze sich zunehmend aufstaut bis hin zu einem großen Unwetter, so sehr brodelt es auch unter der Oberfläche in einer eigentümlich aufgeladenen Stimmung - ein Schwebezustand voller Andeutungen und halbgarer Wünsche, mehr Wehmut als Begehren. Das Schriftbild spiegelt das ineinander Fließende: alles geht ineinander über, es gibt kaum einmal Absätze, dafür komplexe und anspruchsvolle Satzkonstrukte ohne Kennzeichnung der wörtlichen Rede. Ein sehr konzentriertes Lesen ist da erforderlich.

    Ein Eintauchen in die Vergangenheit, das Sichstellen seiner Dämonen, der Trost des Tieres, das bedingungslos liebt, aufflackernde Sehnsüchte, die vielleicht nur Erinnerungen an längst vergessene Begegnungen sind, ein altersschwaches Herz, das die Endlichkeit begreiflich macht - viele angerissene Themen, zahlreiche Rückblenden und ein Blick auf das, was noch bleibt.

    "Zwei Möwen fliegen ihre Schleifen über dem Nachbargrund, auf dem bis vor kurzem für ein dort grasendes Pferd altes Brot über den Zaun geworfen wurde, auch von ihm. Inzwischen ist das Pferd geschlachtet, und sein Fleisch liegt in der Metzgerei des Orts als Schinken und dunkle Filets, aber die Möwen glauben immer noch an das Brot, wie er daran glaubt, vom Leben noch etwas abzubekommen, obwohl es eigentlich hinter ihm liegt." (S. 101)

    Melancholisch aber nicht kitschig kommt dieses Alterswerk mit autobiografischen Anklängen über die Liebe, das Leben und das Alter daher, nimmt einen mit in seinem trägen Fluss. Gefühle klingen leise an, Landschaftsbilder werden gemalt, am Ende wartet eine kleine Überraschung.

    In jüngeren Jahren hätte mich das Buch vermutlich nicht so sehr angesprochen, doch da sich Kirchhoff eher an eine etwas reifere Leserschaft wendet, hat mich der Roman sehr angesprochen. Ich wünsche ihm eine wohlgesonnene Leserschaft...

    © Parden