Die Perserinnen
Sanam Mahloudji nimmt eine interessante Perspektive ein, wenn sie über einen Zeitraum von fast 80 Jahren hinweg die weibliche Seite einer iranischen Familiengeschichte erzählt. Denn sie nähert sich in ihrem Debütroman „Die Perserinnen“ den Frauen einer Familie, die vor der Islamischen Revolution 1979 zur Oberschicht des Iran gehörte. Elisabeth ist schätzungsweise in den 1930ern als Enkelin des „Großen Kriegers“ geboren. Ein Mann, der laut Familiengeschichte sein Leben im Kampf für einen demokratischen Iran ließ. Das Familienvermögen und -prestige basiert auf diesem Vorfahr. Während Elisabeth in ihrer Kindheit und Jugend wie eine Prinzessin von der Bevölkerung Teherans behandelt wurde, gab sie später dieses Bewusstsein für Stellung an ihre Kinder weiter. Zwei davon sind Sima und Shirin, welche - ebenso wie ihr Bruder Nadar - im Zuge der Islamischen Revolution über Südfrankreich in die USA „flüchteten“. Deren Kinder Bita und Mo wuchsen dann in den USA auf, während Shirins älteste Tochter Niaz bei Elisabeth im Iran zurückblieb und dort aufwuchs.
Die Gegenwartshandlung des Romans setzt im Weihnachtsurlaub des US-amerikanischen Teils der persischen Familie in Aspen in 2004/2005 ein. Wir erleben mit, in welch einem Überfluss diese Familie lebt. Und das macht für mich schon einmal einen kreativen Ansatz das Romans aus, werden doch sonst häufig Geschichten von stark benachteiligten und unterdrückten Familien aus dem Iran in der Literatur beschrieben. Auf den ersten Blick scheint diese reiche Familie in einer vollkommen sorgenfreien Sphäre zu leben. So auch Shirin, die mit um die 50 Jahren aufgetakelt in einer Bar verhaftet wird, weil sie angeblich ihre eigenen Prostitution anbahnte. Dabei liegt es eher daran, dass Shirin eine hoch theatralische Persönlichkeit hat und überall, wo sie hinkommt eine Szene machen muss. Sie möchte ununterbrochen im Mittelpunkt stehen und gerät dadurch auch sehr schnell zur anstrengendsten, aber nicht uninteressantesten Person dieses prosaischen Figurenreigens. Allerdings leitet die Autorin das Gehabe von Shirin sehr gut her, weshalb sie zu so einer „unsympathischen Figur“ wird, die man unterm Strich eigentlich doch gern begleitet. Wir folgen in wechselnden Kapiteln immer den einzelnen Frauen der Familie zu unterschiedlichen Zeiten von den 1940ern bis zum gegenwärtigen Plotverlauf, der sich um Shirins Anzeige in 2005 dreht. Dabei spricht eine Figur auch aus einer Zwischenwelt kurz vor dem Jenseits, denn wie wir gleich zu Beginn erfahren, ist Sima - Bitas Mutter - bereits im April 2004 verstorben.
Durch diese multiperspektivische Herangehensweise bekommen die Lesenden ein facettenreiches Bild zur Familiengeschichte aber auch zu den einzelnen Lebensläufen der Frauen. Durch die Figuren Elisabeth und Niaz, die die letzten 25 Jahre im Iran verblieben sind, bekommt man neben den Eindrücken einer reichen, persischen Familie in den kapitalistischen USA auch einen sehr guten Einblick in das Leben von Zurückgebliebenen, die unter den Ayatollahs nicht mehr ihrem Leben in Saus und Braus nachgehen können.
Obwohl ich schon einige informative Texte über die Geschichte und die Menschen des Irans gelesen habe, hat mir „Die Perserinnen“ doch immer wieder noch unbekannt Informationen vermittelt und neue Blickwinkel ermöglicht. Die Figuren werden in ihren Handlungen und Einstellungen sehr gut hergeleitet und man bekommt ein umfangreiches Bild ihrer Sozialisation und ihrer Lebensumstände. Auch zur iranischen Historie wurden politische Zusammenhänge leicht verständlich dargestellt, was das Buch zu eines äußerst lesenswerten Roman macht.
Immer tiefer dringt man in die einzelnen Schicksale und Köpfe der Figuren, was einen starken Sog entwickelt. Allein zum Ende hin wird mir der Roman zu verkopft und zu erklärend. Bis zum Ende wurde mir außerdem nicht klar, warum die „Elisabeth“-Kapitel die einzigen sind, die aus der personalen Perspektive heraus erzählt sind. Alle anderen Frauen berichten aus der Ich-Perspektive, selbst die verstorbene Sima.
Für mich stellt „Die Perserinnen“ ein starkes Debüt dar, welches eine klare Leseempfehlung von mir erhält. Ich freue mich darauf, von der Autorin noch mehr zu lesen.
4,5/5 Sterne
PS: Ein Kuriosum, welches ich so noch nie gesehen habe: Das Buch wurde in englischer Sprache verfasst, da die Autorin schon als Kind aus dem Iran in die USA auswanderte. Die deutsche Übersetzung des Romans ist allerdings die allererste Veröffentlichung des Textes. Der englischsprachige Orignaltext wird erst in 2025 (!) erscheinen, ebenso wie die Veröffentlichungen in anderen Ländern. Siehe sanammahloudji.com:
„Her debut novel THE PERSIANS will be released in February & March 2025 with Fourth Estate (UK) and Scribner (US). It will also come out in translation in Germany (Piper), the Netherlands (Ambo Anthos), Hungary (Europa), Croatia (Fraktura) and Romania (Polirom). The German edition will be released first on May 31, 2024!“
PPS: Falls jemand vom Verlag meine Rezi lesen sollte: Für eine (hoffentlich gedruckte) zweite Auflage: Auf S. 319 heißt es, dass Sima am „1. April 1994“ gestorben sei. Das ist ein Fehler, sie ist in 2004 gestorben. Das könnte beim Lesen so einige irritieren. ;)
Habe etwas anderes erwartet
Ich hatte mir hier etwas völlig anderes erwartet.
Fünf Frauen aus unterschiedlichen Generationen, eine davon aus dem Jenseits, erzählen ihre Geschichte über ihr Leben im Iran, ihre Flucht, ihr Leben im Exil bzw. ihr Leben als Frau mit persischen Vorfahren. Die Geschichten fallen so unterschiedlich aus, wie die Frauen sehr unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Die Frage und die Auseinandersetzung, wie jede von ihnen zu ihren Wurzeln steht, habe ich aber nur teilweise gesehen.
Die Geschichten von Bita und Niaz, den jüngsten Frauen der Runde, fand ich dabei noch am interessantesten. Sie sind Nachfahrinnen der geflüchteten Elterngeneration. Bita ist in den USA groß geworden, sie kennt die Heimat ihrer Eltern nur aus Erzählungen. Dementsprechend hat sie nur eine vage Vorstellung der politischen Lage vor Ort. Das wird deutlich, wenn Telefonate mit Niaz beschrieben werden, die den Iran nie verlassen hat. Hier prallen nicht nur unterschiedliche Vorstellungen aufeinander, sondern auch unterschiedliche Lebensentwürfe und Zukunftsträume. Niaz' Kapitel sind auch die, die dem Leser am ehesten ein Leben unter dem Mullah-Regime verdeutlichen und den Wandel in der iranischen Gesellschaft näher bringen. Bei beiden Frauen ist das Beharren auf den Namen und das Prestige, der damit einst einherging, wenig ausgeprägt.
Die Geschichten von Shirin und Elizabeth haben den Vogel in negativer Hinsicht für mich allerdings komplett abgeschossen. Von dem vielen Alkohol (immer ein Glas Champagner in der Nähe... das hat schon fast was von Claudia Obert) und dem Drogenexzess zu Beginn des Buches mal abgesehen - ich habe selten so unsympathische Hauptfiguren gelesen. Man lebt von einem einst im Iran bekannten Namen, aber von Eleganz war da nicht viel zu sehen. Völlig empathielos werden da Aussagen über Familienmitglieder in den Raum getätigt, die einfach sehr weit weg von liebevoller Ironie sind. Mir ging diese Figur schon nach kurzer Zeit furchtbar auf die Nerven. Empathie- und lieblos, beharrend auf totalem Dünkel und einer schon abstoßenden Dekadenz, in der das Geld regelrecht verschleudert wird.
Eigentlich schade, denn Simas Geschichte zeigt, dass die Autorin es auch besser kann. Dort werden Themen wie Ausgrenzung und Integration auf ganz andere Weise verarbeitet.
Auch wenn es sicherlich sehr schwer ist, seine Heimat aufgeben zu müssen um nicht Gefahr zu laufen, getötet werden, aber das hier Geschriebene ist mir einfach viel zu abgehoben und verdreht. Es gelang mir einfach nicht für eine der Figuren Mitgefühl oder Verständnis zu entwickeln. Die Geschichte hat mich diesen Frauen leider kein Stück nähergebracht und war für mein Empfinden auch häufig zu sehr in die Länge gezogen. Trotz eines insgesamt gut zu lesenden Stils, war es nicht ganz so einfach bei der Stange zu bleiben. Daran ändert auch ein eilig herbeigezaubertes (wenn auch früh absehbares) Familiengeheimnis leider nichts.