Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft
Sommer 1936. Während sich Nazideutschland anschickt, wegen der olympischen Spiele ein zivilisiertes Angesicht nach außen zu zeigen, treffen sich im belgischen Ostende versprengte Exilanten, die Deutschland verloren haben, allen voran Stefan Zweig und Joseph Roth. Die beiden befreundeten Autoren sind als Juden vom deutschen Buchmarkt verschwunden und kämpfen, unterschiedlich erfolgreich, um ihr wirtschaftliches Überleben. Zweigs gelegentliche Finanzspritzen helfen Roth dabei.
Gemeinsam mit anderen Feriengästen wie Ernst Toller, Arthur Koestler, Willi Münzenberg, Hermann Kesten, Egon Erich Kisch und der neu dazustoßenden Irmgard Keun feiern sie und schmieden Pläne, wie man Nazideutschland gegenüberzutreten habe. Phantasmagorien, wie man aus der Rückschau konstatieren muss. Dem Unhold Hitler und seinem System war kein (deutsches) Kraut gewachsen. Zweig zieht sich literarisch in eine Welt von gestern zurück, ähnlich Roth, der beginnt, dass zerfallende österreichische Kaiserreich und den Katholizismus zu glorifizieren, dabei zugleich noch stärker dem Alkohol verfällt, eine Leidenschaft, in die er seine neue Geliebte, Irmgard Keun hineinziehen wird.
Die von Volker Weidemann beschriebenen Treffen der Exilanten muten bisweilen wie ein Tanz auf dem Vulkan an, auch überschätzt man sich maßlos, wenn man glaubt, man könne mit der Betonung humanistischer Werte das Dritte Reich bekämpfen, dafür waren die dreißiger Jahre zu idelogiegläubig. Auch, aber nicht nur deshalb, fiel mir beim Lesen dieses kleinen, aber wertvollen Büchleins mehrfach das Zitat "Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken" aus Joseph Roths "Radetzkymarsch" ein.
Joseph Roth und Stefan Zweig sind zwei meiner Lieblingsautoren, die deutsche Exilliteratur von 1933 - 1945 war ein Schwerpunkt meines Studiums, insofern konnte ich dieses Buch nicht nicht lesen. Und ich habe es auch nicht bereut. Wieder einmal wird deutlich, wie schwer der Verlust der Heimat und auch die Möglichkeit, in der eigenen Sprache die eigenen Landsleute anzusprechen auf die Betroffenen gewirkt hat. Entwurzelte, die selten neuen Fuß fassen konnten.
Ein literarisches Stimmungsbild zwischen Fakten und Fiktion
„Die Welt will schlafen, um in Frieden zu leben. Und die kleine Ostende-Gruppe hasst ihre Machtlosigkeit, hasst sie bis zur Verzweiflung.“ (Zitat Seite 92)
Inhalt
Im Sommer 1914 war Stefan Zweig zum ersten Mal in diesem belgischen Badeort am Meer gewesen, bis der Sommer, an dessen herrliche Tage er sich noch immer erinnert, damals am 28. Juli plötzlich geendet hatte – Österreich hatte Serbien den Krieg erklärt. Nun ist er wieder hier, in diesem Sommer 1936 und mit ihm Schriftsteller, die ihre Heimat Deutschland verlassen haben, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Joseph Roth, Irmgard Keun, Egon Kisch, Arthur Koestler, Ernst Toller, Hermann Kesten, sie alle genießen wie Stefan Zweig die ausgelassene Stimmung am Strand, Sonne und Meer, die Gespräche in den Caféhäusern und Bistros. Doch die Wehmut des Abschiednehmens schwingt in diesen Tagen mit, und die Sorge vor einer ungewissen Zukunft.
Thema und Genre
Es ist die Geschichte von deutschsprachigen Schriftstellern im Exil, deren Bücher im NS-Deutschland verboten und verbrannt worden waren, von einem letzten Sommer im berühmten belgischen Badeort Ostende, bevor sich ihre Wege trennen.
Erzählform und Sprache
Volker Weidermann erzählt ruhig fließend und einfühlsam von diesen Tagen und den Menschen. Er folgt den einzelnen Personen abwechselnd, sie treffen einander wieder, oder lernen einander hier kennen. Im Mittelpunkt steht die besondere Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Josef Roth. Der Zeitrahmen spannt sich vom Sommer 1936 bis ins Jahr 1939 und wird durch Erinnerungen an vergangene Ereignisse ergänzt. Das letzte Kapitel schildert das weitere Schicksal aller Hauptfiguren.
Fazit
Eine umfangreiche Recherche und fundiertes Fachwissen verbinden diese fiktive Geschichte des Sommers 1936 in Ostende mit den Fakten der deutschsprachigen Literatur und Schriftsteller im Exil.