Die sieben Monde des Maali Almeida
Colombo (Sri Lanka) im Jahr 1990: Malinda Albert Kabalana, genannt Maali Almeida, erwacht tot in einer himmlischen Einwanderungsbehörde. Der ehemalige Kriegsfotograf, Glücksspieler und promiskuitive Homosexuelle wurde nur 35 Jahre alt. Er wurde ermordet. Doch von wem? Das muss Maali in der Zwischenwelt herausfinden. Die Liste der Verdächtigen ist lang. Und die Zeit arbeitet gegen ihn. Es bleiben ihm im Jenseits nur sieben Tage, um seinen Mörder zu ermitteln…
„Die sieben Monde des Maali Almeida“ von Shehan Karunatilaka, der mit dem Booker Prize 2022 ausgezeichnet worden ist.
Meine Meinung:
Die Struktur des Romans ist durchdacht und schlüssig. Die acht Teile sind in mehrere Kapitel gegliedert. Erzählt wird vorwiegend in der ungewöhnlichen Du-Perspektive.
Der Schreibstil des Romans ist dialoglastig. Die Sprache ist atmosphärisch und sehr bildhaft. Trotz der ernsten Themen ist der Erzählton zynisch-salopp und ein wenig frech. Das Glossar erklärt einige Namen und Begriffe, lässt für meinen Geschmack allerdings zu viele Lücken.
Was das Personal angeht, wirkt der Roman überfrachtet. Trotz der angehängten Personenübersicht fällt es bisweilen schwer, den Überblick zu behalten und die richtigen Beziehungen zuzuordnen. Im Mittelpunkt des Romans steht Maali, ein vielschichtig angelegter Antiheld.
Auf inhaltlicher Ebene ist die Geschichte bizarr, skurril und schrill. Bürgerkrieg, Korruption und allerlei Gräueltaten dominieren. Die fremde Geisterwelt sowie die politischen und gesellschaftlichen Umstände vor mehr als 30 Jahren in Sri Lanka erfordern viel Aufmerksamkeit beim Lesen. Darüber hinaus scheinen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie manchmal zu verschwimmen. Nicht alles ist daher leicht oder überhaupt verständlich für westliche Durchschnittsleserinnen und -leser. Wer sich trotzdem darauf einlässt, kann einiges aus der Lektüre ziehen.
Dank falscher Fährten und Wendungen wird der mehr als 500 Seiten umfassende Roman nicht langweilig. In der Mitte schwächelt die Geschichte zwar etwas. Besonders das erste und das letzte Drittel haben mich jedoch überzeugt. Sehr gespannt war ich auf die Auflösung und das weitere Schicksal des Protagonisten. Das Ende hat mich in beiden Punkten zufrieden gestellt.
Das farbenfrohe, außergewöhnliche Cover erregt Aufmerksamkeit und passt gut zum Inhalt. Das gilt auch für den deutschen Titel, der wortgetreu aus dem Original übersetzt ist („The Seven Moons of Maali Almeida“).
Mein Fazit:
Mit „Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist Shehan Karunatilaka ein bunter, besonderer Roman gelungen. Eine herausfordernde, aber lohnenswerte Lektüre.
Vor der Lektüre von "Die sieben Monde des Maali Almeida" war mir der Name des aus Sri Lanka stammenden Autors Shehan Karunatilaka kein Begriff. Überhaupt kann ich mich nicht erinnern, dass ich zuvor etwas über oder auch aus Sri Lanka las. Doch neben des farbenfrohen Covers hat mich neugierig gemacht, dass der Autor für diesen zweiten Roman mit dem renomierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Als Leserin, die gerne über andere Kulturen und etwas jenseits des Mainstreams liest, war mir schnell klar, dass ich diesen Roman lesen MUSS.
Schnell wird zweierlei deutlich: 1. Es geht um eine sehr ernste Thematik: den von 1983 bis 2009 stattgefundenen Bürgerkrieg zwischen der tamilischen Minderheit und der singhalesischen Mehrheit. Die Opferzahl wird auf 100000 geschätzt. Karunatilaka will mit seinem Buch an all die namenlosen Opfer erinnern, die dieser Krieg gefordert hat. Es ist ein Kampf gegen das Vergessen, für das Erinnern. 2. Der Roman ist ein besondere Leseerfahrung mit einem ganz besonderen Erzählton. Historie und Landesmythen werden in einem temporeichen und 'schrägen' Roman zu einer äußerst unterhaltsamen Synthese gebracht, in der es vor Geistern und Dämonen nur so wimmelt. Viele fremdartig klingende Namen, exotisch wirkende Kultur und Mythen sowie zahlreiche Greueltaten stellen den Leser for eine große Herausforderung. Doch selbst, wenn man nicht alles an Informationen aufsaugen kann, den Überblick verliert, lohnt sich die Lektüre definitiv. Es ist ein Roman, der sicher auch zu einem Reread einlädt.
Inmitten dieses farbenfrohen Potpouris stellt der homosexuelle Kriegsfotograf Maali Almeida die Hauptfigur dar. Er blickt auf sein Leben zurück, denn er ist nun tot. Während sein Leichnam in einem See in Colombo versenkt wurde, fühlt Maali sich selbst doch recht lebendig. Er befindet sich nebst zahlreicher Anderer, von denen viele im Bürgrkrieg ihr Leben verloren, in einem überfüllten Wartesaal. Noch ist er nicht bereit, diese Zwischenwelt zu verlassen und ins Licht zu gehen, zu vergessen, evtl. wiedergeboren zu werden. Er muss erst wissen, wer ihn ermordet hat. Dafür bleiben ihm gerade mal sieben Monde Zeit. Darüber hinaus will er zwei Menschen, die ihm von großer Bedeutung sind, retten: seinen Geliebten Dilan sowie dessen Cousine Jaki, die seine beste Freundin war. Wird ihm Beides gelingen?
Um dieses herauszufinden, muss man den Roman selbst lesen. Ich empfehle diesen Roman, auch wenn ich dessen Lektüre als sehr herausfordernd empfand und zu ihm zurückkehren werde, um mehr über Sri Lanka zu lernen, als es mir bei der Erstlektüre möglich war. Die Lektüre braucht Zeit und Muße, aber etwas Mühe ist sie zweifelsohne wert!
Maali Almeida ist ein 35jähriger Laberkopf, ein trinkfreudiger Spielsüchtiger, ein promiskuitiver Schwuler, ein Kriegsfotograf für wechselnde Parteien, ein Sohn, ein Freund - und vor allem ist er tot. Das begreift er jedoch erst allmählich, als er am Empfangstresen der Verwaltung für gerade Verstorbene über die nun anstehenden Formalitäten aufgeklärt wird. Doch Maali ist noch nicht bereit für das Licht, das Vergessen und die Wiedergeburt. Er will zum einen herausfinden, wer ihn umgebracht hat und weshalb - und zum anderen will er, dass seine heimlich geschossenen und hochbrisanten Aufnahmen aus den Kriegsgebieten in einer Ausstellung veröffentlicht werden, damit die Welt erwacht und der langjährige Bürgerkrieg in Sri Lanka (u.a. zwischen der singhalesischen Regierungspartei und tamilischen Seperatisten) womöglich endlich ein Ende findet. Wie Maali erfährt, bleiben ihm für diese Aufgaben genau sieben Monde - dauert seine Mission länger, muss er als Geist für immer im Zwischenreich verbleiben.
Eines gleich vorweg: der Versuch, bei diesem Roman im Detail den Überblick zu behalten, ist gnadenlos zum Scheitern verurteilt - da hilft auch das angehängte Glossar nur bedingt. Zahllose Personen und Geister bevölkern die Erzählung, verschiedenste politische Organisationen und ihre Anführer bekriegen sich gegenseitig und jeweils mit genau den Mitteln, die sie den anderen vorwerfen, Fremdstaaten mischen sich ein:
"Die Forensiker der UN waren (...) eingeladen worden, um die örtlichen Behörden in der Identifikation von Leichen anhand von Vermisstenlisten zu schulen. Es hieß, dass gleichzeitig die CIA unsere Folterknechte ausbildete." (S. 285)
Shehan Karunatilaka schildert hier ein zerrissenes Land, einen Sumpf aus Korruption, Intrigen, Doppelmoral, Machtgier, Skrupellosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Hass - die Menschlichkeit und der moralische Kompass bleiben da komplett auf der Strecke. Dieses Verhalten spiegelt sich auch in der Geisterwelt, und Maali hat Mühe, sich da hindurch zu lavieren ohne in die Fänge einiger ganz übler Dämonen zu geraten. Ein verwirrender, unruhiger, dialoglastiger, aus ungewöhnlicher Perspektive geschriebener Roman über eine politisch haltlose Situation, in der Recht und Ordnung nichts gelten, jeder jedem misstraut und man nur versuchen kann, bei allen politischen Organisationen möglichst unterm Radar zu bleiben, weil man ansonsten womöglich schon sein Todesurteil unterschrieben hat.
All dies ist überaus bedrückend, gewaltvoll, unmenschlich - und im Gegensatz dazu agiert der Laberkopf Maali Almeida, der durch seine ungezwungene und sarkastische Art diese fürchterlichen Zustände halbwegs erträglich weden lässt. Tatsächlich mochte ich das das Schräge, Skurrile, Zynische und Sarkasitische hier sehr. Ohne diesen zynisch-sarkastischen Ton wäre die Lektüre stellenweise wohl auch kaum erträglich - immer wieder geht der Autor in seinen drastischen Schilderungen auch deutlich über Ekelgrenzen hinaus. Massaker hüben wie drüben, sinnloses Töten, alles im Namen von irgendwelchen vorgeschobenen Zielen und Werten. Abschlachten, Foltern, Verschwindenlassen. Never ending... Unfassbar und sinnlos. Dabei zeigt der Autor wie nebenher auch auf, dass beispielsweise die Weltreligionen auch keine Antwort bieten auf die drängenden Fragen oder auch nur zu einer moralischen Orietierung beitragen...
Jede Zivilisation beginnt mit einem Völkermord. Das ist die Regel des Universums. (...) die Reichen versklaven die Mittellosen. Die Starken zermalmen die Schwachen. (S. 199)
Mir gelingt es in der Rezension irgendwie nicht so richtig rüberzubringen, dass hier im Roman bei aller Schwere der Themen doch eher eine gewisse Leichtigkeit dominiert. Maali fungiert als Erzähler, wählt dafür jedoch die Du-Perspektive (redet sich selbst als du an) und schafft damit schon einmal Distanz zum Geschehen. Gerade gegen Ende konnten mich dann jedoch trotz aller Dinstanz doch auch einige Szenen berühren. Das Verweben der realen Welt mit der Geisterwelt war für mich nur anfangs etwas befremdlich, aber vermutlich spiegelt dies den Glauben der Bevölkerung Sri Lankas wider und wirkt daher doch passend. Maali bewegt sich in der Gegenwart wie in der Vergangenheit, und er kann als Geist zu jedem Ort gelangen, an dem sein Name genannt wird. Dies sorgt immer wieder für abrupte Szenenwechsel, treibt jedoch die Handlung voran.
.Für mich stellte der Roman eine große Herausforderung dar. Aber: ich habe noch nie Vergleichbares gelesen, ein verwirrendes Potpourri aus fremd klingenden Namen, Gruppierungen, Handlungen, Welten, Kriegen, Gräueltaten, präsentiert in einem zynisch-sarkastischen Ton und aus einer außergewöhnichen Perspektive. Auch wenn ich nicht behaupte, immer den Durchblick behalten zu haben, hatte ich ausreichend Vertrauen zum Autor und ließ mich einfach durch die Handlung treiben. Sicher würde man bei einem zweiten Lesen noch viel mehr Details erkennen und zuordnen können, aber auch so kann ich sagen: hier gab es für mich gleich zu Jahresbeginn ein Highlight.
Shehan Karunatilaka präsentiert hier einen außergewöhnlichen Roman, in dem sich magischer Realismus mit einer Kriminalgeschichte und einer hochpolitischen Erzählung über den Bürgerkrieg in Sri Lanka verbindet. Hierfür erhielt er 2022 den Booker Prize. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!
© Parden
Ein buntes Cover, das die Sinne anspringt, freundliche Farben, aber eine Zähne fletschende Grimasse – passender kann man das Cover dieses Romans kaum gestalten. Der Protagonist Maali Almeida ist gewaltsam zu Tode gekommen. An die näheren Umstände erinnert er sich nicht, stattdessen findet er sich in einer skurrilen Dazwischenwelt wieder, in der es vor guten wie bösen Geistern nur so wimmelt (das Namenregister am Ende des Buches ist sehr hilfreich). Diese Welt ist vieldeutig, voller Schatten, Gerüchte und Unsicherheiten – sie wird höchst anschaulich skizziert. Maali war zu Lebzeiten Fotograf und Abenteurer. Er scheute keine Risiken, traute sich auf sämtliche Frontlinien seines von Terror, Hass und Fehden zerschundenen Landes Sri Lanka, wo seit 1983 ein blutiger Bürgerkrieg mit unzähligen Toten tobte. Er fotografierte für verschiedene Auftraggeber eindrucksvolle Bilder, die das Grauen dokumentierten. Dabei schien sich Maali offenbar für keine politische Seite besonders zu erwärmen, auch wenn er als „Mischling“ zur tamilischen Minderheit zählte. Aufgrund seiner Homosexualität lief er ohnehin latent Gefahr, die Repression des Staates zu spüren zu bekommen. Maali war ein Freigeist.
In der Zwischenwelt hat man sieben Monde Zeit, in denen man überprüft, gewogen und vermessen wird. Wer Glück hat, darf am Ende der Prozedur ins Reich des Vergessens weiterreisen. Wer Pech hat, muss bleiben und läuft Gefahr, in den Einflussbereich der wirklich bösen Dämonen zu geraten, die sich von reiner Verzweiflung ernähren. Maali ist viel zu abenteuerlustig, um den leichten Weg zu gehen. Zudem möchte er herausfinden, wer ihn umgebracht hat. Und dann sind da auch noch seine Fotos im Geheimversteck, die Beweise für geschehenes, politisch initiiertes Unrecht liefern. Soll denn von seiner Arbeit, seinem Leben wirklich nichts zurückbleiben? Maali begibt sich auf die Suche. Wie bereits zu Lebzeiten kooperiert er mit der Halbwelt, deren Regeln es ihm zu bestimmten Konditionen möglich machen, durch die Lüfte zu den Orten getragen zu werden, an denen er bereits gewesen ist. Er muss nur seinen Namen erlauschen und dem Laut folgen. Auf diese Art und Weise trifft er seine Freunde, Kollegen und Familienmitglieder wieder. Dabei erfährt er manche Neuigkeit, manche Überraschung. Selbstverständlich darf er sich nicht zu erkennen geben, er ist für die Lebenden unsichtbar. Dadurch wird seine Mission sehr erschwert, fast unmöglich. Es gilt Hindernisse zu überwinden, Kompromisse zu schließen und Gefahren auch für die Lebenden zu parieren. Dabei lernen wir lernen Maali in all seiner Komplexität immer besser kennen. Die Lösung zu den offenen Fragen gleicht einem komplizierten Puzzle.
Dieser Roman ist etwas Besonderes. Man kann ihn kaum in Worte fassen. Erzählt wird in einer eigenartigen „Du“-Perspektive, die teilweise als besseres Maali-Ich auftritt, teilweise aber auch als allwissender Erzähler rüberkommt. Die zahlreichen Namen und Figuren können zu Beginn verwirrend wirken. Relativ schnell bekommt man einen Eindruck von der Brutalität des Bürgerkrieges. Es wird gefoltert, gemordet, gemeuchelt, bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und verscharrt. Es gibt nicht nur Tote, sondern auch unzählige Vermisste, die nie wieder auftauchen. Die am Krieg beteiligten Parteien (die erfreulich auf Seite 42/43 erklärt werden) gehen mit äußerster Rücksichtslosigkeit zur Sache, ein Menschenleben gilt nichts. All diese Fakten kann man nur durch die außergewöhnliche Perspektive, durch die Distanz der Zwischenwelt ertragen, in der sich übrigens auch Geister bewegen, die es in der Realität wirklich gegeben hat, bevor sie in den 1980er Jahren gewaltsam zu Tode kamen. Maali wird allmählich vom Beobachter zum Akteur. War er zu Lebzeiten alles andere als ein sympathischer Zeitgenosse, geht nach und nach ein Wandel mit ihm vonstatten.
Dieser Roman ist wie ein Sturm, von dem man sich mitreißen lassen sollte. Zugegeben, macht er es dem Leser nicht immer leicht, das bunte bildreiche Figurenkarussell zu sortieren, einzuordnen, wer zu den Guten oder zu den Bösen gehört. Die Sprache ist salopp, jugendlich keck, manchmal vulgär und respektlos, schließlich spricht der Protagonist selbst. Er ist der Filter, durch den wir alles beobachten und wahrnehmen. Zahlreiche spritzige Dialoge durchziehen den Text. Maali hat viele Facetten. Er hadert mit seinem Glauben, mit den Göttern. Er flucht und schimpft. Als Lebender bewegte er sich überwiegend in einem windigen Milieu aus Heuchlern, Opportunisten und Scheinheiligen – so scheint es zumindest. Maali ist ein wahrer Anti-Held, der mitunter aber auch über große Fragen nachdenkt, philosophiert und gedankenschwere Weisheiten zum Besten gibt. Wie es dem Autor gelingt, dass wir dieser schrägen Figur in ihrem grotesken Umfeld mit Interesse folgen, zeigt großes schriftstellerisches Können. Zum Ende hin gewinnt die Geschichte an Fahrt und ihren Ausgang möchte ich als regelrecht bravourös bezeichnen.
Der Roman ist für den europäischen Leser gewiss eine Herausforderung. Die Wiedergeburt, die Geister-, Mythen- und Aberglauben der asiatischen Religionen sind uns weitgehend fremd. Man muss sich deshalb auf diesen Roman einlassen. Leicht kann man sich angesichts der vielfältigen Charaktere, des Surrealen und der eigenwilligen Schauplätze überfordert fühlen. Mut zur Lücke!, möchte ich jedem raten. Auf höchst unterhaltsame Weise wird einem der Horizont erweitert, man lernt etwas über eine fremde Kultur und einen grausamen Krieg, der sich leider an anderen Stellen nur mit leichten Nuancen immer aufs Neue wiederholt. Insofern bleibt der Roman bestechend aktuell und erhielt höchst verdient den Bookerpreis 2022.
Große Lese-Empfehlung!
Ein Roman, der die normalen Dimensionen außer Kraft setzt
Maali Almeida ist Fotograf, aber keiner der sich mit schönen Dingen befasst. Im Gegenteil, er lichtet das Grauen ab, das durch den Bürgerkrieg in Sri Lanka entsteht. Da dort quasi jeder jeden bekämpft, ist es sehr undurchsichtig, wer nun zu welcher Gruppierung gehört, was es für mich am Anfang erstmal sehr schwer machte mich zurecht zu finden. Erschwert wird alles zusätzlich dadurch, dass der Leser bereits am Anfang des Buches in eine bizarre Zwischenwelt katapultiert wird, denn Maali ist tot! Man erfährt alles aus seiner Sicht, während er in einer bizarren Zwischenwelt herum geistert. Er kann noch nicht ins Licht, er setzt alles daran seine noch lebenden Freunde zu schützen und dafür zu sorgen, dass seine versteckten Fotos gefunden werden. Und genau das wollen viele verhindern.
Der Autor, Shehan Karunatilaka, schafft es den Leser erstmal gehörig durcheinander zu bringen. Vieles lässt sich sicher damit erklären, dass für uns die Gepflogenheiten und die politische Situation in den 80er in Sri Lanka nicht allzu geläufig sind. Hinzu kommen noch die fremd klingenden Namen, derer es nicht wenige gibt, und die Idee der Welt nach dem Tod, die er erschaffen hat.
Wenn man sich erstmal eingelesen hat, ist die Handlung allerdings sehr spannend. Wenn man es lieber geradlinig mag, dürften Schwierigkeiten vorprogrammiert sein.
Ich persönlich mochte Maali nach kurzer Zeit. Zu Beginn hielt ich ihn für oberflächlich und egoistisch, aber seine Figur machte eine enorme positive Wandlung durch. Ganz nebenbei erfuhr ich zusätzlich einiges zum geschichtlichen, was allerdings fast in der Fülle der anderen Informationen unterging. Die Suche nach den Fotos verlief spannend, zumal wirklich jeder sie in die Finger bekommen wollte.
Viele Anspielungen, wie die auf korrupte Polizisten und Homosexualität, bettet der Autor ebenfalls fließend in die Handlung mit ein.
Ich persönlich habe diesen Roman nach leichten, anfänglichen Schwierigkeiten sehr genossen, und bin auch mit dem Ende zufrieden. Es versöhnt den Leser, sowohl mit der Figur, als auch mit der Zwischenwelt. Eine überraschende Entwicklung brachte sogar nochmals richtig Spannung mit hinein.
Erwähnenswert ist sicher, dass dieser Roman Gewinner des Booker Price 2022 gewesen ist!
Maali, 35 Jahre jung, schwul, Fotograf, bekennender Spieler und selbsternannte Schlampe, meldet sich aus dem Zwischenreich. Er wurde soeben vom Dach des Arts Center Clubs gestoßen und steht nun vor dem Tresen der Verwaltung der kürzlich Verstorbenen. Dr. Ranee Sridharan erklärt ihm die Formalitäten. Er soll sich im 42. Stock (der Antwort nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, eine Adams Hommage) zur Ohrenuntersuchung zwecks Bewertung seines Lebens melden. Anschließend darf er ins Licht gehen, vergessen und wiedergeboren werden. Er darf sich 7 Monde lang im Zwischenreich aufhalten, wenn diese Frist überschritten wird, muss er für immer als Geist auf der Erde wandeln. Die Zeit möchte Maali nutzen, herauszufinden, wer ihn vom Dach gestürzt hat... denn es ist das Jahr 1990 und Sri Lanka, dessen Hauptstadt Colombo das ACC beherbergt, befindet sich seit Jahren im Bürgerkrieg. Maalis Aufträge als Fotograf haben ihn an alle Schauplätze von Anschlägen und Massaker des Landes zwischen Singhalesen und Tamilen gebracht. Dort schoss er sowohl Fotos fürs Militär, als auch für eine kanadisch-norwegische Hilfsorganistaion CNTR. Am brisantesten waren allerdings die Fotos, die Maali heimlich schoss, die Fotos, die er nicht verkaufte, sondern unter Verschluss hielt, die Fotos, die die Regierung stürzen könnten und die Fotos, an die er jetzt nicht mehr herankommt.
Das Zwischenreich ist bevölkert von allerlei Pretas, Ghouls und Yakas. Der harmlos erscheinende Ghoul Sena macht Maali das verlockende Angebot, mit ihm zu kommen, sich dem strikten Verwaltungsablauf dieser Zwischendimension zu entziehen und verspricht ihm sogar die Kontaktaufnahme zu Maalis noch lebenden Freunden, Dilan und Jaki, mit denen er in einer Wohngemeinschaft gelebt hat. Maali erhofft sich nämlich durch Jaki eine Veröffentlichung der versteckten Fotos. Er möchte für Sri Lanka das sein, was "das nackte Napalmmädchen für Vietnam war". Gleich Simon Wiesenthal, der mit Fotos nach den wahren Naziverbrechern fahndete, sollen Maalis Fotos die eigentlich Strippenzieher der Greuel enttarnen. Waffenhändler, Minister und Militär. Diese sind nach Maalis Tod alarmiert und versuchen ebenfalls der Fotos habhaft zu werden.
Eine wilde Jagd beginnt, latent gelenkt von den Geistern, während Maali sich an die Schauplätze seines Lebens zurückerinnert. Langsam aber sicher kommt ihm die Erkenntnis, wer im letzten Augenblick seines Lebens an seiner Seite stand.
Nicht nur das überreiche Personal machen den Roman zu einer zwar lebendigen, aber auch anstrengenden Lektüre, auch das raffinierte Zusammenspiel des Totenreichs mit den Lebenden sperrt sich dem Konventionellen. Das Personenregister und der Kartenausschnitt Colombos am Ende des Buches wurden von mir oft zu Rate gezogen.
Der Ich-Erzähler Maali, der mit seinem Tod in die auktoriale Ebene befördert wird, hat kein Interesse daran, sich oder andere zu erklären. Allein die Erinnerungen an sein Leben liefern die Erkärungen für seine ungewöhnliche Lebenssituation. Karunatilakas Witz und Esprit hilft über die anfänglichen Verwirrungen hinweg. Der Leser darf sich auf zwei Ebenen niederlassen, dem Geisterreich und/oder der Jagd nach den Fotos. Derart beschäftigt, schiebt der Autor dem Leser die schwere Kost des Bürgerkreigs unter. Kurz bevor es bitter wird, serviert uns Karunatilaka einen hoffnungsvollen Ausblick ins Jenseits, mit der Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. (Wer weiß, ob unsere Bauchgefühle nicht doch Einmischungen aus dem Jenseits sind, haha.)
Der Roman wurde 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet, die Gestaltung des Hardcovers aus dem Hause Rowohlt gleicht einer Farbexplosion auf einem Festival und verspricht eine lebensfrohe Leichtigkeit, die Hannes Meyer erfolgreich ins Deutsche übersetzt hat. Shehan Karunatilaka wurde 1975 in Sri Lanka geboren, Colombo war und ist wieder seine Heimat.
Die Komposition des Romans mag eine ungewöhnliche sein, die Herausforderung groß, doch mit viel Kreativität und Fantasie bringt uns der Autor die probelmatische Geschichte Sri Lankas näher. Exotisch, politisch, menschlich, genial.
Der Autor Shehan Karunatilaka war in Deutschland bisher ein Unbekannter. Doch die Tatsache, dass sein zweiter Roman „ Die sieben Monde des Maali Almeida“ mit dem renommierten Booker Prize 2022 ausgezeichnet wurde, weckte mein Interesse.
Wir sind im bürgerkriegsgeschüttelten Sri Lanka der 1990er Jahre. Hier tobt seit Jahren ein blutiger Kampf zwischen der singhalesischen Regierungspartei und tamilischen Seperatisten. Aber auch verschiedene andere Gruppierungen sind in die Kämpfe verwickelt. Zwischen 80.000 und 100.000 Menschen sind in diesem Bürgerkrieg, der erst 2009 sein Ende fand, umgekommen
Hauptfigur ist der 35jährige Maali Almeida, eine schillernde Figur. Er arbeitet als Kriegsfotograf und verkauft seine Bilder an jeden, der sie haben will. Nebenbei ist er leidenschaftlicher Spieler und heimlicher Homosexueller mit einer großen Liebe und vielen sexuellen Bekanntschaften. Und er ist tot, ermordet. Gleich zu Beginn des Romans befindet er sich in einem seltsamen Zwischenreich und ihm bleiben sieben „ Monde“, also sieben Tage, um herauszufinden, wer ihn ermordet hat.
Maali macht sich auf die Suche, begleitet von zahlreichen Geistern und Dämonen, die ihn unterstützen oder zu behindern versuchen. Aber noch eine andere Mission treibt ihn an. Maali plant eine Ausstellung mit unveröffentlichten Photos, die er sicher versteckt hat, brisante Bilder, die die Verantwortlichen eines Massakers zeigen. Von der Veröffentlichung erhofft sich Maali einen Skandal, der zu einem Politikwechsel führen soll. „ Vielleicht konntest du für den Bürgerkrieg in Sri Lanka tun, was das nackte Napalmmädchen für Vietnam getan hat.“ Deshalb versucht er Kontakt aufzunehmen zu den beiden Menschen, die ihm am nächsten standen: sein Geliebter DD und seine beste Freundin Jaki.
Tatsächlich wird Maali beide Missionen erfolgreich beenden: er findet seinen Mörder und die Ausstellung findet statt, allerdings ohne groß Wirkung zu erzielen.
Shehan Karunatilaki hat für seinen Roman eine ungewöhnliche Perspektive gewählt; Maali erzählt seine Geschichte sich selbst in der Du - Form. „ Du wachst auf mit der Antwort auf die Frage, die sich jeder stellt. Die Antwort lautet : Ja, und die Antwort lautet: Genau wie hier, bloß schlimmer. Mehr ist nicht drin an Erkenntnis. Also schlaf ruhig weiter.“ So rätselhaft beginnt das Buch.
Die Du- Perspektive ermöglicht eine genaue Innensicht der Figur, baut aber gleichzeitig eine Distanz zum Leser auf.
Wir begleiten die Hauptfigur zu vielen unterschiedlichen Schauplätzen in der Gegenwart, gehen aber mit ihm auch in die Vergangenheit zurück. Dabei entwirft der Autor ein erschreckendes Bild seines Heimatlandes. Verschiedene Ethnien und Religionen kämpfen um die Vorherrschaft. Korrupt und skrupellos sind alle Beteiligten.
In einer bilderreichen, oft drastischen und derben Sprache und vorrangig über Dialoge erzählt der Autor seine Geschichte. Zynischer Witz kann nicht über die Grausamkeiten hinwegtäuschen.
Doch der Roman erwies sich schon bald als anstrengende Lektüre. Normalerweise schreckt mich so etwas nicht ab, sondern ich nehme die Herausforderung gern an. Aber hier war für mich bald klar, dass das Buch und ich nicht zusammenfinden werden. Die überbordende Phantasie des Autors, die von vielen Lesern positiv bewertet wurde, war mir einfach zu viel. Die skurrile Welt der Geister und Untoten und die geschilderten Grausamkeiten haben mich eher abgestoßen. Und die enorme Anzahl an Figuren mit für mich kaum unterscheidbaren Namen und die schnellen Szenenwechseln ließen mich eher verwirrt zurück. Eine Nähe zu irgendeiner Person ließ die Erzählweise nicht zu. Es gab einzelne Passagen und Sätze, die mich packen konnten und die ich interessant fand, doch die gingen im geschwätzigen Gesamttext beinahe unter.
Wenn man wie ich mit der politischen Lage in Sri Lanka und mit der dortigen Religion nicht vertraut ist, bleibt manches unverständlich.
Diese Lektüre war eine Aufgabe, an der ich gescheitert bin.
Shehan Karunatilaka hat sich in seinem Werk „Die sieben Monde des Maali Almeida“ das düstere Thema des Bürgerkriegs im Sri Lanka der 1980er-Jahre vorgenommen. Dieses politische Geschehen, das in Europa weitgehend unbeachtet blieb, obwohl es von Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten geprägt war, dient als Kulisse für eine literarische Verarbeitung, die Karunatilaka auf ungewöhnliche Weise angeht. Die Hauptfigur Maali Almeida, ein Kriegsfotograf, der, wie man gleich zu Beginn des Romans erfährt, ermordet wurde, findet sich zusammen mit anderen Verstorbenen in einem mysteriösen „Dazwischen" wieder. Er wird von den unterschiedlichsten übernatürlichen Wesen in Empfang genommen, die ihn davon in Kenntnis setzen, dass er sieben Monde, also Tage, Zeit hat, um zu entscheiden, wie es mit seiner Seele weitergehen soll. Überzeugt davon, wichtige Fotografien angefertigt zu haben, versucht er, Einfluss auf die Menschenwelt zu nehmen und die Veröffentlichung dieser Fotos zu bewirken, um womöglich den Krieg zu beenden.
Im Verlauf der Handlung erfährt der Leser rückblickend Details aus Maalis Leben, einschließlich der Beziehungen zu Eltern, Freunden, Geschäftspartnern und Geliebten, die nicht nur deshalb Konfliktpotential bergen, da er als Homosexueller in Sri Lanka als „unnatürlich" betrachtet wird. Die Handlung klärt nicht nur seinen Mord auf, sondern beleuchtet auch die Hintergründe des Bürgerkriegs mitsamt seiner korrupten, gewaltbereiten Politiker und Militärs und gewährt Einblick in die vielfältige Geister- und Dämonenwelt dieses Kulturkreises, die meist aus der buddhistischen und hinduistischen Mythologie stammt, aber auch christliche und westliche Elemente enthält.
Die zuweilen hektische, detail- und bilderreiche, mitunter auch zynische und ordinäre Erzählweise mit der Darstellung verschiedener Konzepte über den Sinn des Lebens und die Ursache für Leid machen diesen Roman zeitgemäß für das 21. Jahrhundert. Die Geschichte stellt sich im Grunde der klassischen Theodizee-Frage, aber auf eigenwillige Weise.
Besonders auffällig ist die Verschmelzung von (politischer) Realität und unsichtbarer Geisterwelt, die eine starke Präsenz der asiatischen Erzählkultur zeigt, vergleichbar mit Erzählungen in Mangas. Die Geisterwesen, bekannte oder neu geschaffene bzw. neu interpretierte, intervenieren auf geheimnisvolle Weise im Leben der Menschen. Dieser Ansatz erreicht eine Zielgruppe, die über die klassische Epik hinausgeht.
Erzähltechnisch besticht der Roman einerseits durch die Du-Form, die eine Distanz der Hauptfigur, einen über sich selbst erhabenen Erzählerstandpunkt, suggeriert. Die zahlreichen Dialoge andererseits erwecken einen Anschein von Neutralität und Authentizität. Der Leser wird dadurch stark gefordert, sich eine eigene Meinung zu den dargestellten Personen und Ereignissen zu bilden, die nie eindeutig schwarz oder weiß sind.
Dieses faszinierende Buch weckt während des Lesens bereits die Vorstellung einer möglichen Verfilmung und ist absolut lesenswert.
Sieben Tage für die Suche nach der Wahrheit
Shehan Karunatilaka hat sich ein düsteres Thema vorgenommen, den Bürgerkrieg im Sri Lanka der 1980er-Jahre. Ein Teil des politischen Weltgeschehens, das an Europa wohl eher unbemerkt vorübergegangen ist, obwohl hier Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten geschehen sind, die ebenso unvorstellbar wie unerträglich sind. Wie verarbeitet man so etwas literarisch? Karunatilaka hat dafür eine ungewöhnliche Lösung gefunden.
Der Leser begleitet die Hauptperson Maali Almeida, einen Kriegsfotografen, der, wie gleich zu Beginn klar wird, in den Wirren der politischen Auseinandersetzungen ermordet wurde und sich in einem mysteriösen „Dazwischen“ wiederfindet. Er hat sieben Monde, also Tage, Zeit, sich zu entscheiden, wie es für ihn als Seele danach weitergehen soll. Da er glaubt, kriegsentscheidende Fotografien angefertigt zu haben, versucht er fortan als Geist in der Menschenwelt Einfluss zu nehmen, damit diese Fotos veröffentlicht werden und womöglich den Krieg beenden.
Dabei erfährt man, welches Leben Maali geführt hat. Sowohl die Beziehung zu seinen Eltern als auch seine Liebesbeziehungen werden enthüllt, die nicht zuletzt dadurch Konfliktpotential bergen, da er als Homosexueller in Sri Lanka als „unnatürlich“ bewertet wird. Im Verlauf der Handlung werden sowohl sein Mord aufgedeckt, die Zusammenhänge des Bürgerkries beleuchtet und man erfährt so einiges über die vielfältige Geister- und Dämonenwelt dieses Kulturkreises. Die schier zahllosen Wesen entstammen der buddhistischen und der hinduistischen Mythologie, zuweilen finden sich aber auch christliche Bezüge und Bezüge zu westlichen, pseudoreligiösen Konstrukten wie der Welt der Superhelden.
Was verwirrend klingt, ist es stellenweise auch, genau das aber ist zeitgemäß für das 21. Jahrhundert. Der Roman steht für eine neue Art des Erzählens, etwas hektisch, bunt, durchzogen von verschiedensten Konzepten bezüglich des Sinns des Lebens, allen Arten von Religionen und am Ende auch ohne eine klare Antwort. Wo findet sich ein Sinn, wenn die Gesetze des Universums und sämtliche religiösen Konzepte zwar per Internet für jeden zugänglich, aber angesichts der grauenvollen Ereignisse auf der Erde unverständlich sind? Eigentlich die klassische Theodizee-Frage, die hier ganz eigenwillig kommentiert wird.
Eine weitere Besonderheit ist die Vermischung von (politischer) Realität und einer unsichtbaren Geisterwelt. Hier kommt sehr stark die asiatische Erzählkultur zum Vorschein, die sich auch in Mangas findet. Geisterwesen, schon bekannte oder auch neu erschaffene, greifen in das Leben der Menschen auf geheimnisvolle Art ein. Das ist zeitgemäßes Erzählen, das sicherlich eine Zielgruppe jenseits der klassischen Epik erreicht.
Auch erzähltechnisch ist der Roman bemerkenswert. Einerseits wird in der Du-Form erzählt, so als hätte die Hauptperson schon einen über sich selbst erhabenen Erzählerstandpunkt, aus dessen Distanz sie von den Ereignissen berichtet. Die zahlreichen Dialoge andererseits erwecken einen Anschein von Neutralität und Authentizität, sodass der Leser sehr stark gefordert ist, sich eine eigenständige Meinung zu den dargestellten Personen zu bilden, die nie nur gut oder nur böse sind.
Ein faszinierendes Buch, dessen Verfilmung ich schon während des Lesens förmlich vor Augen hatte.
Mit dem Roman “Die sieben Monde des Maali Almeida“ befinden wir uns in Sri Lanka, das von Bürgerkrieg und Misswirtschaft gebeutelt ein sehr unfreundlicher Ort zum Leben ist. Maali ist dort geboren und hat sich als Fotograf darauf spezialisiert, Fotos zu schießen immer dort, wo Sri Lanka am brutalsten und gewalttätigsten ist. Dabei wechseln die Gewalttäter von einem Lager ins andere, mal sind es die Singhalesen, mal die Tamilen, oder auch die Kolonialmächte. Und so ergreifen Maalis Fotos nicht Partei für die eine oder andere Seite in den Konflikten dieses kleinen Inselstaates, sind dafür aber um so politischer und bringen alle Parteien gegen ihn auf. Aus gutem Grund hält er deshalb seine gewichtigsten Fotos unter Verschluss, in dem er sie in einer Kiste unter dem Bett aufbewahrt.
Doch dann holt ihn der Hass seiner aufgebrachten Gegner doch eines Tages ein und er wird einer der so vielen „Verschwundenen“ in Sri Lanka, von denen im Grunde alle wissen, dass sie nicht mehr auftauchen werden, sondern tot sind. Als Toten treffen wir Maali dann in einem Zwischenreich („Dazwischen“), in dem die Toten ähnlich chaotische Zustände antreffen wie sie sie in ihrem sri-lankischen Leben gewahr werden mussten. Eine absurde Situation aus Bürokratie, Machtspielchen und Chaos charakterisiert diese Zwischenwelt, in der die Toten 7 Monde (= 7 Tage) Zeit haben, einem bürokratischen Plan zu folgen, bevor sie dann in das Licht eingehen. Maali hat diesen bürokratischen Plan von Beginn an über, folgt ihm nicht, sondern stürzt sich als Geist wieder in die Realität hinein. Das Licht nämlich bedeutet Vergessen. Und das ist etwas, was Maali auf jeden Fall vermeiden möchte, denn etwas Wichtiges hat er noch zu erledigen: seine Fotos an die Öffentlichkeit zu bringen. Bei der Flucht aus der Zwischenwelt ist er aber bei weitem nicht der einzige. Die reale Welt der Lebenden, die sich ihm als Geist zeigt, erscheint fast überbevölkert von weiteren Geistern, die um die Lebenden herumschweben, ohne aber auf sie Einfluss nehmen zu können. Genauso wenig kann das auch Maali bei seinem Bemühen, seine Freunde dazu zu bringen nach der Fotokiste zu suchen, sie zu finden und damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Und doch bringt er diesen Plan erfolgreich zum Abschluss. Eine Ausstellung zeigt Maalis Bilder in ihrer vollen Pracht und Macht, was allerdings doch nur wenig Einfluss auf die Lebenden erhält. Und so enden irgendwann Maalis sieben Monde nach Erfolg und gleichzeitigem Misserfolg und er schreitet ins Licht, das sich allerdings auch nicht als Erlösung oder Erbauung zeigt.
Diese Geschichte zwischen Realität und Geisterwelt erzählt der Autor in einer wirklich sehr herausfordernden Art und Weise. Er fokussiert sich auf die Widergabe von Dialogen, lässt keinen Blick in die Innenwelt der Handelnden zu und erschafft einen Erzähler, der Maali mit „du“ anspricht und keinerlei Erklärungsfunktionen übernimmt. Eine Unmenge von Figuren tauchen auf, deren Beziehungsgeflecht, Rollen und Motivationen nur schwer vom Leser zu durchschauen sind. So lässt der Autor keine Nähe zu seinem Personal zu und hält den Leser einerseits auf Abstand, wirft ihn aber gleichzeitig tief hinein in die gewalttätige Welt des Inselstaates Sri Lanka. Aus dieser besonderen Erzählhaltung heraus entsteht ein Roman, der mich durch seine Story wirklich beeindrucken konnte, der mich auf der anderen Seite durch seinen Stil aber auch über weite Strecken so auf Abstand gehalten hat, dass mir der Handlungsablauf oft nur sehr schwer verständlich war. So war es eine mühsame Lektüre, die ich manches Mal gern auch abgebrochen hätte. Das Buch und ich – wir waren nicht füreinander gemacht. Bei mir kommen deshalb auch nur 3 Sterne zusammen.
Kurzmeinung: Gleich springe ich "in den Wind" - für diese Fortbewegungsart, völlig emissionsfrei, könnte ich mich begeistern.
Als der einheimische Kriegsfotograf, operierend auf eigene Rechnung, Maali Almeida, unversehens in die Ewigen Jagdgründe abberufen wird, denn er wurde ermordet, muss er sich erst einmal zurechtfinden und orientieren, das ist nicht einfach, das ceylonesische Jenseits ist unübersichtlich und schwer bevölkert. Mali hat sieben Monde, das sind sieben Tage Zeit, um sich zu entscheiden, ob er ins Licht geht oder im Dazwischen verharren wird. Bevor er sich entscheidet, hat er noch einiges zu erledigen. Er will wissen, was passiert ist und die Leserschaft auch. Dazu muss Maali ein wenig „reisen“. Mobilität, erlernt Maali, hat man, wenn man gerufen wird und dann springt man in den Wind, was einiges Geschick erfordert. Oft schläft oder ruht man während der Reisepausen in den säuselnden Blättern der Bäume, sehr malerisch. Es gibt viele Geistwesen, wovon jedes seine eigenen Ziele und seine eigene Agenda hat. Das Böse manifestiert sich in Mahakali und ihren Helfern.
Der Kommentar:
Der Roman zeigt die Zustände, die zwischen 1983 und 2009 in Sir Lanka herrschen. Zwischen 1983 und 2009 ist Bürgerkrieg. Menschen verschwinden spurlos. Der idyllische Beira Lake, mitten in Colombo gelegen, ein wunderschöner Blickfang aus jedem Hochhaus, stinkt: dort werden nämlich massenhaft Leichen entsorgt. Die Army ist korrupt, die Regierung ist korrupt, die Polizei ist korrupt, Ausgangssperren sorgen dafür, dass die Regierung die von ihr inszenierten Massaker vor der Öffentlichkeit leichter verbergen kann beziehungsweise ihre Spuren unbehelligt beseitigen kann.
„Im Süden, im Norden und auch hier, im wilden, wilden Westen nahm die Regierung die Leute von den Bürgersteigen, die Autos von den Straßen und die Freiheiten vom Tisch. Johnny (Kulturattaché bei der British High Commission) hat mal gesagt, Ausgangssperren verhänge eine Regierung, um die Ordnung wieder herzustellen, um Übeltäter zu schnappen und um „Sachen“ zu machen, die sie bei Tageslicht nicht machen kann.“
Wer verhaftet wird, aus welchem Grund auch immer, hat keine guten Karten, es kann alles mit einem angestellt werden, rechtlos ist man Folter und qualvollem Tod ausgeliefert. Überall suchen Menschen nach ihren Angehörigen und nach Antworten.
Die Rechtlosigkeit und die unerträglichen Menschenrechtsverletzungen, die Shehan Karunatilaka in schonungsloser Offenheit unterbreitet, kann man nur ertragen, indem der Antiheld, der einen promiskuitiven Lebenswandel führt und im Jenseits hockt, schnodderige und zynische Ansichten über Götter und die Welt zum Besten gibt, zum Beispiel die Regel des Universums „Die Geschichte besteht aus Leuten, die über Schiffe und Leute verfügen und alle anderen auslöschen, die solche Sachen noch nicht erfunden haben. Jede Zivilisation beginnt mit einem Völkermord. Das ist die Regel des Universums.“
Von Maalis neuem Standort aus entwickelt der Autor das Geschehen. Raffiniert interagieren Jenseits und Diesseits miteinander. Fast ausschließlich durch Dialoge erschließen sich die Geschehnisse. Das ist am Anfang etwas sperrig, aber als der Roman Fahrt aufnimmt, und die Spannung steigt, ob das brisante Filmmaterial, das Maali an seinen Auftraggebern vorbei, versteckt hat, gefunden wird und von wem, vergisst man, was bisher gestört hat: es entsteht ein reißender Fluss. Der Autor spiegelt mit dem homosexuellen und promiskuitiven Fotografen Mali die gesellschaftlichen und politischen Probleme des Landes.
Fazit: Insgesamt hat der Roman einen nihilistischen Unterton. Ob diese Zutat jedem zusagt, muss dahingestellt bleiben. Das Spiel der Interaktion von Diesseits und Jenseits ist dem Autor jedenfalls bestens gelungen, die das Zwischenreich bevölkernden Geister und Götter reflektieren atmosphärisch den Aberglauben Sri Lankas. Trotz all dem Grauenhaften schafft der Autor ein irgendwie tröstliches Ende ohne jedoch der Versuchung zu erliegen, eine heile Welt zu suggerieren. Friede, Freude, Eierkuchen ist also nicht, aber es gibt ein winziges bisschen Hoffnung, denn ein Doppelsatz der Negative befindet sich zwar in äußerst unzuverlässiger Hand, aber immerhin im Ausland. Ausgang ungewiss.
Kategorie: Anspruchsvoller Roman
Bookerpreisträger 2022
Verlag: Rowohlt, 2023
Dieser gewaltige Roman kommt anfangs sehr befremdlich daher. Ist doch der normale Sterbliche nicht gewohnt, vom Jenseits zu lesen. Von langen Schlangen an Schaltern in der Anderswelt, von weiß bekittelten Helfern, von Dämonen, Hellsehern und Flüsterern. Von Bürokratie und Gehirnwäsche – auch drüben. Siehe dazu S. 26: „Sir, verschwinden wir von hier. Hier warten nur Gehirnwäsche und Bürokratie. So wie in jedem anderen Gebäude dieses Unterdrückerstaats.“
Es gibt Geister verschiedenster Kategorien: Ghouls, Selbstmörder und sogar tote Tiere, die sprechen können. Und, wie bei uns auch, gibt es Helfer und Steine-in-den-Weg-Leger und ganz viel dazwischen. S. 374: „Du fragst dich, wer Dr. Ranee ins Ohr flüstert und wer ihrem Flüsterer und wie viele unserer Gedanken eigentlich das Geflüster anderer Leute sind.“ (Dr. Ranee gehört zu den Helfern im Jenseits.) Und wieder einmal hat Dr. Ranee recht: „Es geht hier draußen nicht um Gut gegen Böse. Es geht um zahlreiche Abstufungen des Schlechten, um einen Wettstreit diverser Sündergrüppchen.“ S. 380.
„Für Atmende sind Geister so unsichtbar wie Schuld, Schwerkraft, Strom und Gedanken. Tausende verborgene Hände lenken ein jedes Leben.“ S. 476.
Der Erzähler hier in unserem preisgekrönten Roman ist Malinda Albert Kabalana, geboren 1955, ermordet 1990. Vom wem er ermordet wurde, das weiß er nicht. Aber er wüsste es gern. Außerdem möchte er posthum die zahlreichen Fotos, die er – der Profi-Fotograf – geschossen hat, veröffentlicht sehen. Am besten in der Galerie „The Lionel Wendt“ in Colombo, die vom wohlmeinenden Clarantha de Mel dirigiert wird. Vorhanden sind auch hier verschiedenste Kategorien von Fotos: von Leichen, von Folteropfern, von Massakern – aber auch schöne Lichtbilder seiner beiden Liebsten DD und Jaki. Und von außergewöhnlichen Tieren, z. B. vom Schuppentier.
Das Gefährliche an diesen Fotos ist, dass verschiedene „Bestien“ aus Politik und Militär das nun gar nicht mögen, zumal es ihre hoch kriminellen Machenschaften bloßstellen würde. So jagen sie mit vereinten Kräften den Fotos hinterher und natürlich auch den Negativen. Vor Mord, Totschlag und Folter scheuen sie nie zurück. Aber haben sie Maali Almeida auch umgebracht – oder umbringen lassen? Und wie kann Maali Almeida aus dem Jenseits verhindern, dass die Fotos in falsche Hände geraten? Jedenfalls die, die er nicht schon zu Lebzeiten an verschiedene Organisationen und Presseagenturen verkauft hat?
Über die Korruption im Land wird viel zitiert, z. B. auf Seite 334: „In einem Land, in dem die halbe Bevölkerung sich kein Telefon im Haus leisten kann, hat der Minister eins im Auto.“ Oder, wie der getötete Journalist auf Seite 443 erzählte: „Selbst, wenn das Land tief in den Schulden steckt, selbst wenn Kriege eskalieren, Fluten die Ernte ertränken und Dürren die Saat verdorren lassen, selbst wenn die Wirtschaft abschmiert und die Inflation davongaloppiert, bleibt im Haushalt immer noch Platz, um jeden Minister mit drei Luxuskarossen auszustatten.“
Viele Namen, viele Organisationen in Sri Lanka und in anderen Ländern lassen den Leser manchmal ratlos zurück und gelegentlich hilft auch das Register der Lebenden und der Toten, samt Stadtplan, am Schluss nicht weiter. Zu vielschichtig ist die Handlung und zu unübersichtlich. Aber gelegentlich auch witzig: „Ich habe mir gedacht, die Reinkarnation ist billiger als die Geschlechtsumwandlung.“ So spricht eine verhinderte Dragqueen zu unserem Erzähler auf Seite 396.
Sieben Monde hat er Zeit, der Erzähler und das ist nicht viel, denn die Monde wechseln täglich. Nicht so, wie bei uns. Dann, am Ende, kann er entscheiden, ob er ins Licht gehen möchte oder vielleicht dorthin, wohin er am meisten gehört.
Fazit: Den Booker Prize 2022 hat er redlich verdient, Respekt, Mr. Shehan Karunatilaka. Ausgezeichnete, sehr ungewöhnliche Literatur über das Jenseits und Diesseits. Und etliche Weisheiten daraus können wir uns dauerhaft auf unsere Fahne schreiben.
Im Mittelpunkt von Shehan Karunatilakas 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnetem Roman “Die sieben Monde des Maali Almeida“ steht der gleichnamige Kriegsfotograf und leidenschaftliche Glückspieler, der eines Tages im Jahr 1990 als Toter in einer chaotischen Zwischenwelt aufwacht, wo die Toten Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen. Maali Almeida bleiben sieben Monde, d.h. sieben Tage, um herauszufinden, wer ihn getötet hat und warum. Danach gehen die Seelen ins Licht ein und vergessen die Vergangenheit. Maali hatte Feinde, nicht nur, weil er eine Beziehung mit Dilan Dharmendran, dem Sohn eines tamilischen Ministers hatte, sondern auch weil seine Fotos Zeugnis ablegen von grausamen Verbrechen, teilweise verübt oder geduldet von hochgestellten Persönlichkeiten. Maali Almeida will nicht nur den Mord an ihm selbst aufklären, sondern auch seine versteckten Fotos und Negative retten, damit die Wahrheit über die Bürgerkriege der 80er Jahre in Sri Lanka ans Licht kommen. Die aus Maalis Perspektive, aber in der zweiten Person erzählte Geschichte zeigt, wie Tamilen und Singhalesen und etliche politische Gruppierungen einander erbarmungslos bekämpfen, wie von der Regierung finanzierte Todesschwadronen ganze Dörfer auslöschen und was die in Gefängnissen und anderen Einrichtungen Inhaftierten erleiden. Auch die Einmischungen anderer Staaten, z.B. Indien oder USA kommen wiederholt zur Sprache. Der Autor erspart dem Leser keine grässlichen Details, beschreibt immer wieder das Aussehen der massenhaft herumliegenden Leichen, die spezielle Müllmänner im Krematorium verbrennen. Karunatilaka hat offensichtlich dasselbe Anliegen wie sein Protagonist: die Wahrheit muss ans Licht kommen. Wir dürfen angesichts solcher Verbrechen weder schweigen noch resignieren, müssen kämpfen, sonst ist keine Veränderung möglich.
Ich fand den ungewöhnlichen, sehr umfangreichen Roman schwer zu lesen – nicht nur, weil mir die Vorkenntnisse über die Geschichte Sri Lankas fehlen, sondern auch wegen der ungeheuren Personenvielfalt und der chaotischen Handlungselemente aus Vergangenheit und Gegenwart, in denen Geister, Dämonen und Teufel eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die Lebenden. Gestört hat mich auch die Qualität der Übersetzung mit ihren zahlreichen grotesken Wortneuschöpfungen. Insgesamt bin ich etwas enttäuscht.
Sri Lanka, 1990. Maali Almeida, ein schwuler Kriegsfotograf mit Glücksspielproblem, wacht eines morgens in einem Wartezimmer auf. Schnell wird: er ist gestorben, doch wer hat ihn umgebracht und warum? Maali muss Antworten finden und nachsehen, wie es seinen Angehörigen geht, seinem Partner DD, seiner besten Freundin Jaki und seiner Mutter Lucky. Doch in dieser Zwischenwelt sind auch andere unterwegs und haben ihre ganz eigene Agenda, in der Maali eine Rolle spielt.
„Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist der zweite Roman des (Drehbuch-)Autors und Songwriters Shehan Karuna Tilaka, für den er 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Die deutsche Übersetzung ist von Hannes Meyer. Erzählt wird Maalis ungewöhnliche Geschichte aus seiner Perspektive in der Du-Form und im Präsens über insgesamt sieben Monde (=Tage und Nächte) hinweg. Der Autor lässt seinen Protagonisten zwischen verschiedenen Orten springen, was er als Geist nun kann, ihn aber auch immer wieder in die Vergangenheit zurückblicken und sein Handeln reflektieren.
Auf den ersten Blick ist dieser Roman eine Kriminalgeschichte. Maali wurde getötet und sucht seinen Mörder, ganz einfach, oder? Doch je länger wir ihn begleiten, seine komplexe Persönlichkeit und sein Leben kennenlernen, desto deutlicher wird, dass „Die sieben Monde des Maali Almeida“ so viel mehr ist. Wir erleben ein vom Bürgerkrieg gebeuteltes Sri Lanka, in welchem Todesschwadronen, Auftragsmorde und Selbstmordattentate zum Alltag geworden sind. Unser Protagonist ist dabei zwischen die Fronten geraten und versucht verzweifelt, das zu retten, was von ihm geblieben ist: seine Fotos.
Dieser Roman ist wieder so ein Buch, das mir lange nicht aus dem Kopf gehen wird. Maali Almeida ist sicher alles andere als perfekt, manchmal ist er nicht einmal sympathisch. Aber in ihm sehen wir einen Mann, der seine sexuelle Identität verbergen und irgendwie überleben muss – auch wenn dazu manchmal Dinge notwendig sind, die ihn nicht gerade stolz machen. Dennoch tut er, was er tun muss und leistet seinen ganz persönlichen Beitrag in diesem furchtbaren Krieg.
Komplizierter Roman für komplizierte Verhältnisse
In seinem mit dem Booker Prize 2022 ausgezeichneten Roman „Die sieben Monde des Maali Almeida“ verarbeitet der Sri Lanker Autor die blutige Geschichte seines Heimatlandes. Im Roman dreht sich alles um einen Bürgerkrieg in den 1980er Jahren, der unter verschiedensten ethnischen Gruppen zu vielen Todesopfern, Gefolterten und Vermissten unter Einmischung anderer Großmächte wie den USA oder Indien geführt hat. Und man muss ganz ehrlich mit sich sein: Wer hat hier in Deutschland denn schon einmal davon überhaupt gehört? So ist es Karunatilaka hoch anzurechnen, dass er nun dieses Thema für ein breites Publikum öffnet und Bewusstsein für die Geschehnisse schafft.
Karunatilaka wählt für seinen Roman ein sehr ungewöhnliches Setting. Sein Protagonist Maali Almeida ist schon zu Beginn des Romans tot. Trotzdem wird er und seine Geschichte die Triebfeder für den 540 Seiten langen Roman, denn es gilt für ihn rauszufinden, wie er umgekommen ist, denn er hat mit heiklem Material gearbeitet, welches die Machthaber potentiell in große Rechtfertigungsnot bringen könnte. Maali war nämlich Kriegsfotograf und hat einige der schlimmsten Massaker der sri-lankischen Geschichte abgelichtet. Diese belastenden Fotos müssen nun posthum zur Veröffentlichung gebracht werden, sonst scheint alles umsonst gewesen. Der verstorbene Protagonist Maali hat sieben Tage und Nächste (Monde) Zeit, in der er sich in einer von umherirrenden Geistern gefüllten Zwischenwelt aufhält, um nicht nur seinen Mörder ausfindig zu machen sondern sich auch um seinen Nachlass zu kümmern. So ist der Roman auch eingeteilt in die sieben Abschnitte passend zu den Monden. Maali interagiert mit anderen Geisterwesen aber auch noch Lebenden aus der Zwischenwelt heraus, beobachtet die Vorgänge unter den Lebenden und muss sich gleichzeitig gegen Wesen behaupten, die ihn (einfach gesagt) zur vorgeblich dunklen bzw. zur vorgeblich hellen Seite des Nachlebens bewegen wollen. Dieses mystische Konstrukt wird zum einen aufgebaut, zum anderen wird aber auch der Bürgerkriegskonflikt Sri Lankas dargestellt sowie ein krimihafter Plot entworfen, dem der Protagonist folgt. Formell muss der Roman also schon einiges leisten. Noch viel mehr muss er inhaltlich leisten, denn der Konflikt und das Verständnis darum, welche Konfliktpartei jetzt eigentlich gegen wen kämpft muss außerdem aufgebaut werden. Das ist für uns unwissende Mitteleuropäer:innen sehr schwer verständlich und über weite Strecken des Romans undurchsichtig. Somit ist der Roman auf der stilistischen wie auch der inhaltlichen Eben hoch kompliziert aufgebaut.
Zugegeben über zwei Drittel des Romans hinweg hatte ich mit dem Verständnis des Grundkonflikts zu kämpfen. Es wird zwar auf Seite 42ff. mithilfe eines schriftstellerischen Tricks eine kurze Übersicht über die unzähligen Konfliktparteien geliefert, aber man behält trotzdem im Laufe der ausufernden Handlung nur schwer den Überblick darüber. Auch finde ich es schade, dass es zwar ein Glossar am Ende des Buches für die vielen Eigenwörter gibt, leider die Begriffe nicht im Text gekennzeichnet wurden. Hier habe ich im Zweifel immer einen klaren Wunsch an die Verlage: Nutzt Fußnoten direkt auf den Fließtextseiten! So kann man direkt im Lesefluss einen neuen Begriff verstehen und in das Gelesene einbinden.
Der Protagonist Maali ist neben seiner riskanten Tätigkeit als Kriegsfotograf nun auch noch ein echter Player beim Thema Sexualkontakte. Das Thema der Homosexualität zu dieser Zeit in diesem Land wird aber wenig kritisch beleuchtet. Eher vögelt der Protagonist wild mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, und man fragt sich am Ende des Romans wirklich, ob hier jede männliche Figur homosexuell sein soll. Gefühlt (und nach meiner Erinnerung sogar im Text genannt) gibt es hunderte Sexualpartner Maalis. Er ist aber auch im Casino ein Player, was ihn auf allen Ebenen zu einem Draufgänger-Typ macht. Ganz so eindimensional wird er dann aber doch nicht von Karunatilaka dargestellt, sondern bekommt schon noch die ein oder andere Facette.
Insgesamt muss ich konstatieren, dass mir dieser Roman zu ambitioniert angelegt ist. Meines Erachtens ist es sinnvoll, um den Lesenden wichtige Themen näherzubringen, dass man ein komplexes Thema entweder formell in etwas einfacherem Rahmen darstellt oder man bearbeitet ein recht eingängiges Themengebiet, dieses dann aber stilistisch in der Schreibweise und Konstruktion des Romans anspruchsvoll bzw. komplex. Beides zusammen in einem Buch ist leider sehr undurchsichtig und hält ganz schwer die Motivation zum Weiterlesen aufrecht. Karunatilaka hat ja immerhin ein Anliegen, welches er vermitteln möchte. Im letzten Drittel des Romans, wenn man dann ein kleines Bisschen die historischen Zusammenhänge begriffen hat, entwickelt der Roman dann doch noch einmal einen Sog.
Für diesen auf mehreren Ebenen hochkomplexen Roman braucht man also wirklich Durchhaltevermögen, dann weiß man auch nach der Lektüre ein wenig mehr über Sri Lanka als vorher.
3,5/5 Sterne