Die Insel der Tausend Leuchttürme: Roman
Am besten kann Walter Moers dieses Buch mit seinen eigenen Worten aus dem Buch beschreiben, ich zitiere:
"Unter dem Einfluss des Eydernorner Wetters drängte sich mir ein unerfreulicher Vergleich auf: Ein neues Buch ist wie ein Gewitter. Es baut sich sehr langsam auf, erzeugt bei der Veröffentlichung viel heiße Luft, entlädt sich mit großem Getöse, verändert kurzzeitig die ganze Atmosphäre und lenkt alle Aufmerksamkeit auf sich. Und wenn es vorbei ist, dauert es nicht lange, bis alle es wieder vergessen haben. Das ist auch schon alles, was wir mit unserer Schreiberei erreichen: Das Wetter von gestern."
Insofern bin ich froh, seine gekürzte Übersetzung von Hildegunst von Mythenmetz, dessen Neigung zur Abschweifung legendär ist, gekauft zu haben, das mit seinen knapp 610 Seiten - davon gefühlt jede fünfte Seite eine Illustrationen - eine gute Zusammenfassung des circa 4500 Seiten umfassende Originalwerk darstellt; nicht, weil es schlecht wäre, sondern weil mein Alt-Zamonisch so ziemlich eingerostet ist und ich dann doch lieber eine gute ins Hochdeutsch übersetzte Kurzfassung vorziehe.
Denn niemand anders als Walter Moers ist dazu in der Lage die gewaltige Neugier von Hildegunst von Mythenmetz auf die Schöpfung Zamoniens zu vermitteln, und ich rede nicht nur von den Wundern von Eydernorn, dem Schauplatz des neuen Buches, sondern auch der Flora und Fauna, der Kultur und der Kunst, der Architektur und der Gastronomie, sowie natürlich dein Einwohnern des Inselreiches, die dem Lindwurm mal mehr mal weniger gut gewogen sind, aber jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Diese Ausführlichkeit der Beschreibungen ist natürlich nicht für jeden etwas (das hab ich schon hier und da im Forum zwischen den Zeilen lesen können), aber die Geschichte entwickelt sich halt wie üblich in Mythenmetz'scher Behäbigkeit eines Dinosauriers im fortgeschrittenem Alter, und erst wenn die Überraschung so ausgeprägt ist, dass das Monokel aus dem Gesicht fällt, kann man den Lindwürmern nachsagen, dass sie sich nicht nur bei der Wortwahl sputen sondern auch ihre normale Geschwindigkeit drastisch erhöhen können.
Daher kann ich auch nur jedem lesewilligem Abenteurer dieses Buch wärmstens empfehlen, nicht nur, um den Reisebericht von Hildegunst von Mythenmetz in seiner detaillierten Ausführlichkeit eines so famosen Übersetzers wie Walter Moers zu genießen, der es schafft, die Quintessenz aus dem größten Dichter und Abenteurer Zamoniens zu destillieren und in seiner Ausführlichkeit wiederzugeben ohne es in die elaborierte Dichtkunst der Lindwurmfeste abdriften zu lassen, sondern auch, um die wortgewaltige Schöpfung dieser Brieferzählung zu würdigen, in dem die Charaktere schillern wie ein Regenbogendiamant in einer Grubenhöhle durch dessen einziges Loch nur dann Licht einfällt, wenn die Sonne im Deklinationspunkt eines Planetenjahres steht.
Verzeiht mir meine kurze Rezension über nur fünf Sätze. Auf der einen Seite wollte ich meinen Text kurz halten, aber auch nicht der legendären Mythenmetzschen Abschweifung anheim fallen. Aber wie es scheint, hat das Orm meine Sätze einfach länger gemacht.
Kurlaub
So einfach ist es ja heutzutage nicht, eine Kur verschrieben zu bekommen. Doch Hildegunst von Mythenmetz schafft es, er darf seine Bücherstauballergie während eines Kuraufenthalts auf der Insel Eydernorn behandeln lassen. Gleich zwei Monate sind ihm gewährt worden. Schon auf der Überfahrt zur Insel ereignet sich ein außergewöhnlich starker Sturm, nachdem der Schiffsverkehr zum Festland bis auf Weiteres unterbrochen ist. Die Briefe, die Hildegunst mit seinem besten Freund Hachmed ben Kibitzer austauschen wollte, geraten deshalb etwas einseitig, weil es eben keine Gelegenheit gibt, sie abzuschicken. Unermüdlich jedoch berichtet Hildegunst von seinen Entdeckungen und Erlebnissen auf dieser Insel, deren Klima die Gesundheit über die Maßen fördert.
In diesem neuen Zamonien-Abenteuer bewegt sich der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz aus seiner gewohnten Umgebung heraus. Als überzeugter Hypochonder können seine Wehwehchen eigentlich keine Besserung erfahren. Das erkennt auch der Kurarzt recht schnell. Hildegunst würde während der Kur also mit einigen Erfahrungen als quasi Kassenpatient rechnen müssen, wäre der Arzt nicht Fan seiner Bücher. Und so bekommt er das volle Programm bevorzugter und schneller Behandlung. Dabei wird seine Mehrwasserallergie entdeckt, die es eigentlich nicht geben darf. Denn gerade wegen der nicht vorhandenen Reizstoffe kommen die Patienten auf die Insel. Hildegunst ahnt nicht, dass er nicht nur deshalb in den Fokus einer geheimen Gesellschaft gerät.
Ein neuer Zamonien-Roman ist schon mal per se ein Kaufgrund. Aber eine Reisebeschreibung, Briefe, auf die es keine Antwort gibt? Hm, was ist das für ein Weihnachtsgeschenk? Nun ja, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, wie die Mutter zu sagen pflegte. Und in diesem Fall liegt man damit goldrichtig. Diese Reisebeschreibung in Briefen entwickelt sich zu einem ausgesprochen spannenden Abenteuer. Es wird gewitzelt unter anderem über Hypochonder, man schmunzelt über die sympathisch knorrigen Inselgnome, man mag das Flöten der Hummdudel, man leidet mit unter den Anwendungen und man erfährt die immer lauter werdende Mahnung des „Es ist Fünf vor Zwölf“. Schließlich ist man so gefesselt, dass man sich innerhalb von zwei Tagen zu dem erschreckenden und fulminanten Finale vorgelesen hat. Das Geheimnis der Leuchttürme muss dabei jeder Leser oder jede Leserin selbst entschlüsseln.
Ein aufregender neuer Zamonien-Roman, der ein wenig wie eine Allegorie auf die heutige Welt wirkt. Mit einer wunderbar in die Reihe passenden Aufmachung und vielen Illustrationen, die einem die Vorstellung der Inselwelt sehr anschaulich erleichtern.
4,5 Sterne