Janet Hobhouse (1948 – 1991) schuf eine Biografie über Gertrude Stein sowie vier Romane, bevor sie viel zu früh starb. Ihr letztes Werk „Die Furien“ erschien zwei Jahre nach ihrem tragischen Krebstod.
Protagonistin Helen ist das Alter Ego der Autorin. Die Handlung orientiert sich eng an ihren eigenen autobiografischen Lebensstationen, in denen Männer innerhalb der Familie kaum eine Rolle spielten. Stattdessen existierte in den verschiedenen Generationen ein Netz aus durchsetzungsstarken Frauen, die sich gegenseitig das Leben erschwerten, sich aber auch in Notlagen beistanden. Fast märchenhaft liest sich der 60-seitige Prolog, der von gegensätzlichen Schwesternpaaren, unermesslichem Reichtum, weiblicher Unabhängigkeit, Künstlertum, Frauenseilschaften und -verstrickungen erzählt. Hobhouse holt weit aus, um die Vererbung familiärer Muster und Traumata zu verdeutlichen und uns auf die eigentliche Geschichte vorzubereiten.
Protagonistin Helen selbst hat alles andere als eine märchenhafte Kindheit. Das Familienvermögen ist mittlerweile aufgebraucht, sie lebt allein mit ihrer Mutter Bett zusammen, die immer wieder falschen Männern aufsitzt und irrigen Idealen anhängt. Bett ist maximal unzuverlässig, ihre Stimmungsschwankungen steigern sich im Laufe der Jahre in eine Depression, so dass sie nicht in der Lage ist, regelmäßiger Arbeit nachzugehen oder ihrer Tochter Sicherheit zu bieten. Trotzdem bemüht sich die bildschöne Bett redlich und wird von ihrer Tochter abgöttisch dafür geliebt. Früh muss Helen das Internat Mirrenwood besuchen. „Es war eher ein Kinderheim als eine Schule, eine Art Abstellplatz für Heimatlose, für das Strandgut, das verfehlte Erwachsenenleben so hinterlassen.“ (S. 67)
Das Leben Helens verläuft wechselhaft. Krampfhaft sucht sie nach Zugehörigkeit, nach Liebe und ihren Wurzeln. Eine Zeitlang lebt sie bei ihrer Großmutter Gogi, was sie im Nachhinein als schönste Zeit ihrer Kindheit empfindet. Leider stirbt Gogi plötzlich und unerwartet. „Und das war es auch schon. Liebe und Liebesverlust. Jemand, der mir vom Zufall zugeführt und dann ebenso willkürlich wieder genommen worden war. Plötzliches, unerklärliches Leben und dessen Entzug. Ein gewaltiges Versprechen und ein Vergessen.“ (S. 149) Es sind Sätze wie diese, die den Leser ins Mark treffen und innehalten lassen. Man findet keine Larmoyanz im Text, sondern messerscharfe Formulierungen, die die Gefühlslage der Heranwachsenden auf den Punkt bringen. Nach Gogis Tod lebt Helen wieder bei ihrer Mutter unter den bekannten prekären Bedingungen. Sie wird an Schulen untergebracht, an denen sie mit ihrer einfachen Kleidung auffällt und keine Freunde findet.
Mit 15 Jahren entschließt sich Helen zu einem bemerkenswerten Schritt: Sie kontaktiert ihren ihr noch unbekannten Vater, nötigt ihm eine Einladung ab und fliegt nach London. Sie empfindet das als Befreiung von der engen Beziehung zur Mutter, muss aber feststellen, dass der Vater große Ressentiments ihr gegenüber hegt und Kulturunterschiede zur Fremdheit beitragen. Weitere schmerzliche Erlebnisse stehen Helen bevor. Wir erleben Helens Bemühungen, sich dem Vater zuliebe anzupassen, ebenso wie ihr Studium in Oxford, ihre ersten Liebesbeziehungen, ihre Zerrissenheit zwischen New York und London. Für meinen Geschmack hätte Hobhouse Helens Männerbeziehungen etwas weniger ausführlich schildern dürfen. Das beständige Auf und Ab, ebenso wie das Pendeln zwischen den Kontinenten fühlten sich für mich stellenweise redundant an, gehörten für die Autorin aber offensichtlich zur autobiografischen Geschichte dazu.
Was diesen Roman so auszeichnet, ist seine sprachliche Ausgestaltung. Hobhouse schreibt wunderbar im Fluss. Sie verwebt kunstvoll, ohne zu verschachteln. Fast jeder Satz strahlt emotionale Tiefe aus. Man spürt, dass die Autorin sehr sorgfältig über ihr Leben reflektiert hat. Als Erwachsene sieht sie Zusammenhänge, die sich der jugendlichen Helen noch nicht erschließen. Obwohl es wenige Dialoge gibt, tauchen doch regelmäßig humorvolle oder selbstironische Szenen auf. Man wird über den Fluss der Zeit getragen, lernt die für Helen wichtigen Bezugspersonen mit ihren vielschichtigen Charakteren kennen. Dabei hat das Zwischenmenschliche einen besonderen Stellenwert, die Suche nach Zugehörigkeit und Liebe durchzieht Helens gesamtes Leben, weshalb ich den Text als latent melancholisch empfunden habe. Teilweise liest sich der Roman wie ein Entwicklungs- oder Campusroman. Er spiegelt dabei viel vom Zeitgeist der 1960/70er Jahre. Er zeigt, wie schwer es war, sich als Frau zu emanzipieren, sich sexuell zu befreien und gegen die Grenzen des Patriarchats zu opponieren.
Die oft widerstreitenden Gefühle der jungen Helen und ihre Ambivalenz werden hervorragend herausgearbeitet. Bestimmt diente dieser Roman Janet Hobhouse zur Bewältigung ihrer eigenen Familiengeschichte mit ihren unterschiedlichen individuellen Prägeinstanzen. Sie lässt Helen ihr Leben noch einmal wiederholen. Ehrlich reflektiert sie ihre Beziehungen, ihre Lebensumstände und Emotionen. Dabei werden eigene Schwächen und Fehler, die zu Brüchen oder gravierenden Veränderungen führten, nicht ausgespart. Die Verstrickung mit Mutter Bett bleibt trotz räumlicher Entfernung ungemein intensiv. In späteren Jahren wird sich Helen trotz aller Konflikte für ihre Mutter verantwortlich fühlen. Man spürt das Tragische, das von Betts zunehmender Labilität ausgeht.
Spannend im engen Sinne ist dieser Roman nicht, er ist eher ein stetig fließender, psychologisch dichter Fluss, der insbesondere durch seine sprachliche Raffinesse besticht. Ich wünsche ihm viele Leser und Leserinnen, die er unter den Freunden autobiografischer sowie autofiktionaler Romane gewiss finden sollte. Hervorzuheben ist die grandiose Übersetzungsleistung des Duos Anne Steeb/Bernd Müller. Schön, dass der Dörlemann Verlag wieder eine wunderbare Erzählerin vor dem Vergessen bewahrt hat.
Auf der Suche nach Liebe und Zugehörigkeit
Janet Hobhouse (1948 – 1991) schuf eine Biografie über Gertrude Stein sowie vier Romane, bevor sie viel zu früh starb. Ihr letztes Werk „Die Furien“ erschien zwei Jahre nach ihrem tragischen Krebstod.
Protagonistin Helen ist das Alter Ego der Autorin. Die Handlung orientiert sich eng an ihren eigenen autobiografischen Lebensstationen, in denen Männer innerhalb der Familie kaum eine Rolle spielten. Stattdessen existierte in den verschiedenen Generationen ein Netz aus durchsetzungsstarken Frauen, die sich gegenseitig das Leben erschwerten, sich aber auch in Notlagen beistanden. Fast märchenhaft liest sich der 60-seitige Prolog, der von gegensätzlichen Schwesternpaaren, unermesslichem Reichtum, weiblicher Unabhängigkeit, Künstlertum, Frauenseilschaften und -verstrickungen erzählt. Hobhouse holt weit aus, um die Vererbung familiärer Muster und Traumata zu verdeutlichen und uns auf die eigentliche Geschichte vorzubereiten.
Protagonistin Helen selbst hat alles andere als eine märchenhafte Kindheit. Das Familienvermögen ist mittlerweile aufgebraucht, sie lebt allein mit ihrer Mutter Bett zusammen, die immer wieder falschen Männern aufsitzt und irrigen Idealen anhängt. Bett ist maximal unzuverlässig, ihre Stimmungsschwankungen steigern sich im Laufe der Jahre in eine Depression, so dass sie nicht in der Lage ist, regelmäßiger Arbeit nachzugehen oder ihrer Tochter Sicherheit zu bieten. Trotzdem bemüht sich die bildschöne Bett redlich und wird von ihrer Tochter abgöttisch dafür geliebt. Früh muss Helen das Internat Mirrenwood besuchen. „Es war eher ein Kinderheim als eine Schule, eine Art Abstellplatz für Heimatlose, für das Strandgut, das verfehlte Erwachsenenleben so hinterlassen.“ (S. 67)
Das Leben Helens verläuft wechselhaft. Krampfhaft sucht sie nach Zugehörigkeit, nach Liebe und ihren Wurzeln. Eine Zeitlang lebt sie bei ihrer Großmutter Gogi, was sie im Nachhinein als schönste Zeit ihrer Kindheit empfindet. Leider stirbt Gogi plötzlich und unerwartet. „Und das war es auch schon. Liebe und Liebesverlust. Jemand, der mir vom Zufall zugeführt und dann ebenso willkürlich wieder genommen worden war. Plötzliches, unerklärliches Leben und dessen Entzug. Ein gewaltiges Versprechen und ein Vergessen.“ (S. 149) Es sind Sätze wie diese, die den Leser ins Mark treffen und innehalten lassen. Man findet keine Larmoyanz im Text, sondern messerscharfe Formulierungen, die die Gefühlslage der Heranwachsenden auf den Punkt bringen. Nach Gogis Tod lebt Helen wieder bei ihrer Mutter unter den bekannten prekären Bedingungen. Sie wird an Schulen untergebracht, an denen sie mit ihrer einfachen Kleidung auffällt und keine Freunde findet.
Mit 15 Jahren entschließt sich Helen zu einem bemerkenswerten Schritt: Sie kontaktiert ihren ihr noch unbekannten Vater, nötigt ihm eine Einladung ab und fliegt nach London. Sie empfindet das als Befreiung von der engen Beziehung zur Mutter, muss aber feststellen, dass der Vater große Ressentiments ihr gegenüber hegt und Kulturunterschiede zur Fremdheit beitragen. Weitere schmerzliche Erlebnisse stehen Helen bevor. Wir erleben Helens Bemühungen, sich dem Vater zuliebe anzupassen, ebenso wie ihr Studium in Oxford, ihre ersten Liebesbeziehungen, ihre Zerrissenheit zwischen New York und London. Für meinen Geschmack hätte Hobhouse Helens Männerbeziehungen etwas weniger ausführlich schildern dürfen. Das beständige Auf und Ab, ebenso wie das Pendeln zwischen den Kontinenten fühlten sich für mich stellenweise redundant an, gehörten für die Autorin aber offensichtlich zur autobiografischen Geschichte dazu.
Was diesen Roman so auszeichnet, ist seine sprachliche Ausgestaltung. Hobhouse schreibt wunderbar im Fluss. Sie verwebt kunstvoll, ohne zu verschachteln. Fast jeder Satz strahlt emotionale Tiefe aus. Man spürt, dass die Autorin sehr sorgfältig über ihr Leben reflektiert hat. Als Erwachsene sieht sie Zusammenhänge, die sich der jugendlichen Helen noch nicht erschließen. Obwohl es wenige Dialoge gibt, tauchen doch regelmäßig humorvolle oder selbstironische Szenen auf. Man wird über den Fluss der Zeit getragen, lernt die für Helen wichtigen Bezugspersonen mit ihren vielschichtigen Charakteren kennen. Dabei hat das Zwischenmenschliche einen besonderen Stellenwert, die Suche nach Zugehörigkeit und Liebe durchzieht Helens gesamtes Leben, weshalb ich den Text als latent melancholisch empfunden habe. Teilweise liest sich der Roman wie ein Entwicklungs- oder Campusroman. Er spiegelt dabei viel vom Zeitgeist der 1960/70er Jahre. Er zeigt, wie schwer es war, sich als Frau zu emanzipieren, sich sexuell zu befreien und gegen die Grenzen des Patriarchats zu opponieren.
Die oft widerstreitenden Gefühle der jungen Helen und ihre Ambivalenz werden hervorragend herausgearbeitet. Bestimmt diente dieser Roman Janet Hobhouse zur Bewältigung ihrer eigenen Familiengeschichte mit ihren unterschiedlichen individuellen Prägeinstanzen. Sie lässt Helen ihr Leben noch einmal wiederholen. Ehrlich reflektiert sie ihre Beziehungen, ihre Lebensumstände und Emotionen. Dabei werden eigene Schwächen und Fehler, die zu Brüchen oder gravierenden Veränderungen führten, nicht ausgespart. Die Verstrickung mit Mutter Bett bleibt trotz räumlicher Entfernung ungemein intensiv. In späteren Jahren wird sich Helen trotz aller Konflikte für ihre Mutter verantwortlich fühlen. Man spürt das Tragische, das von Betts zunehmender Labilität ausgeht.
Spannend im engen Sinne ist dieser Roman nicht, er ist eher ein stetig fließender, psychologisch dichter Fluss, der insbesondere durch seine sprachliche Raffinesse besticht. Ich wünsche ihm viele Leser und Leserinnen, die er unter den Freunden autobiografischer sowie autofiktionaler Romane gewiss finden sollte. Hervorzuheben ist die grandiose Übersetzungsleistung des Duos Anne Steeb/Bernd Müller. Schön, dass der Dörlemann Verlag wieder eine wunderbare Erzählerin vor dem Vergessen bewahrt hat.
Leseempfehlung!