Kontur eines Lebens: Roman
Mit Louis hat Frieda (Ida) es immer ‚gutgehabt‘! Sie hatte sich das Leben mit Louis und ihrem Sohn Tobias ‚übergestülpt‘, damit sie eine schicksalhafte Phase ihres Lebens verdrängen konnte: die Zeit mit Otto und die ungewollte Schwangerschaft.
Inzwischen ist aber Louis gestorben und die 81-jährige Frieda wohnt im Pflegeheim, nachdem die liebevolle Pflege durch ihren Mann weggefiel. Tobias und seine schwangere Frau Nadine haben sich um den Umzug gekümmert und Tobias nimmt seiner leicht störrischen Mutter auch sonst vieles ab. Und endlich stellt Ida sich ihrer Vergangenheit!
Wir tauchen mit ihr ab in die 60er Jahre, ihrer Zeit als junge Erwachsene (21 Jahre), Floristin in einem Blumenladen und frisch verliebt in den verheirateten Lepidopterologen Otto. Doch trotz der damals zur Verfügung stehenden Verhütungsmittel wird Ida schwanger!
Bei der Beschreibung, was dann folgte – an vorderster Stelle das streng katholische Elternhaus und ihr Arbeitgeber - stellten sich mir die Nackenhaare auf, auch wenn ich diese Zeit aus eigener Erfahrung kenne. Mir war allerdings nicht bewusst, dass in den Niederlanden die gleichen strengen und verlogenen Moralvorstellungen herrschten: eine unverheiratete, schwangere Frau (noch dazu von einem verheirateten Mann) war ein No-Go - das durfte es einfach nicht geben und ‚die Suppe hatte die ledige Schwangere auszulöffeln‘.
Die Beschreibung der Geburt und des anschließenden Krankenhausaufenthalts empfand ich als besonders heftig und das Verhalten des Arztes und der Nonnen wühlte mich wahnsinnig auf! Ebenso jedoch auch die mangelnde Privatsphäre und Einschränkung der Selbstbestimmung im Pflegeheim!
Der niederländische Autor Jaap Robben hat mir mit dieser schmerzvollen Geschichte (übersetzt von Birgit Erdmann) ein sehr intensives Leseerlebnis geschenkt, denn er beschreibt sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart sehr einfühlsam. Es ist eines meiner Lesehighlights des Jahres 2023! Fazit: fünf hoch verdiente Sterne und eine riesengroße Leseempfehlung!
Klappentext:
„Die junge Floristin Frieda wächst in den Sechzigerjahren in einem streng katholischen Umfeld auf. Als sie an einem späten Winternachmittag einen zugefrorenen Fluss betritt, weiß sie nicht, dass sich gleich alles für sie verändern wird. Auf dem Eis trifft sie den verheirateten Otto. Sie erleben eine Liebe, die stürmisch beginnt und schicksalhaft endet: Frieda wird schwanger – ein Skandal in der Welt, in der sie sich bewegt. Und so darf sie ihrem heimlichen Kind nie Mutter sein. Jahrzehntelang behält sie die Erinnerungen an diese Episode ihres Lebens für sich. Doch die Trauer um das verlorene Kind bleibt, trotz der späteren Heirat, trotz des Sohns, den sie noch bekommt. Im Alter von einundachtzig Jahren ist Frieda plötzlich wieder allein. Der stille Kummer kehrt mit Wucht zurück. Erst da wagt sie, sich ihrer Geschichte zu stellen – und sie zu teilen.“
Der junge Autor Jaap Robben hat die Geschichte „Die Kontur eines Lebens“ verfasst. Allein der Buchtitel zeigt genau dad auf, um was es hier in seiner Geschichte geht. Seine Hauptprotagonistin Frieda zeichnet er voller Gefühl und Emotionen ohne dabei zu kitschig bzw. zu geschwollen zu erscheinen. Wir dürfen die Hauptprotagonistin im hohen Alter kennenlernen und sehen dabei zu, wie sie ins Pflegeheim einziehen muss. Das Alter hat zu große Spuren hinterlassen, die sie nun selbst nicht mehr ohne Hilfe von außen eindämmen kann. Sie trägt seit Jahrzehnten ein Geheimnis im Herzen, welches wir bereits im Klappentext erlesen durften und dabei ahnen können, wo der Autor uns hin entführen wird. Friedas Einsamkeit im Pflegeheim lässt sie in in diese alten Wunden wieder abtauchen und sich auch der Frage nach der Ehrlichkeit, dem Schneid stellen, wann sie endlich die Wahrheit sagen solle bzw. ob sie sie überhaupt erzählen solle…Keine leichte und einfach Entscheidung. Robben geht dabei einerseits unspektakulär aber wiederum auch einfach nur bestmöglich vor Friedas Geschichte zu erzählen: Frieda nimmt uns Leser gekonnt an die Hand, wir dürfen der Geschichte folgen ohne dabei wertend zu sein (es war schließlich keiner von uns damals dabei um diese ganze Geschichte je beurteilen zu können!) und somit bleibt immer genügend Raum für eigene Gedanken.
Friedas Erziehung bzw. ihr Aufwachsen in eben jenem katholischen Umfeld hat selbstredend Spuren hinterlassen aber wie bei allem und überall im Leben macht sie sich selbst dazu Gedanken, ein Bild von allem, und ihre Seele reift heran wie sich damit vereinbaren und wohlfühlen kann. Was dann aber sie Konsequenz mit ihrer Affäre rund um Otto zeigt, holt sie ihr Umfeld dennoch wie ein schwerer, feuchter und von Motten zerfressener Mantel wieder ein, der nur vor Kälte nötigst schützt aber er schützt. Seelisch ist es für Frieda alles andere als ein Schutz. Es wird ihr größter Kampf. Friedas Kind wird kein leichtes Schicksal ereilen…Als Leser hat man schwer zu kämpfen mit all den Entwicklungen rund um Frieda, Otto und ihren Sohn aber es gibt auch sehr witzige und humorvolle Momente die das Gesamtbild wahrlich rund zeichnen. All die „Erziehungsmethoden“ scheinen aus einen anderen Zeit aber es ist nunmal nicht zu verleugnen, solche Geschichten gab es definitiv! Jaap Robben hat hier sprachlich aber auch emotional ein sehr stimmiges Werk verfasst, welches eine spannende, mitfiebernde aber auch dennoch humorvolle Geschichte aufzeigt der man gerne folgt. 5 ausgezeichnete Sterne gibt es hier von mir!
Nach dem Tod ihres Mannes kann Frida Tendeloo nicht mehr alleine leben und zieht in ein Pflegeheim. Mit dieser Veränderung in ihrem Leben kommen auch Erinnerungen hoch, die Frida sehr beschäftigen. Sie denkt an ihren verheirateten Liebhaber Otto, mit dem sie ein Kind bekam, für das sie nie da sein durfte. Obwohl ihr Leben später in geordneten Bahnen verlief, waren da immer Trauer und Zorn. Ihr Geheimnis hat sie nie jemanden anvertraut, auch ihrem Mann nicht. Doch nun hat sie den Mut, sich ihrer Vergangenheit zu stellen.
Dies ist ein sehr berührender Roman, der authentisch die Werte und Regeln der damaligen Zeit beleuchtet. Da ich selbst in der Zeit aufgewachsen bin, kenne ich auch diese Enge, in der die Regeln der Kirche, Anständigkeit und die Meinung anderer das Maß der Dinge waren. Wer unehelich schwanger wurde, war in Augen der Menschen und der Kirche unten durch. Selbst in den Familien fanden nicht verheiratete schwangere Frauen keinen Halt und keine Unterstützung. Auch Frida muss dieses Ausgestoßensein miterleben.
Ich konnte Fridas Gefühle, ihre Trauer und Leiden gut nachvollziehen. Frida steht hier für so viele junge Frauen in jener Zeit. Was sie erlitten hat, ist kaum zu ertragen und ich kann nicht fassen, wie Menschen sich so verhalten können. Auf der einen Seite wird Nächstenliebe gepredigt, auf der anderen Seite wird ein Mensch aus der Gemeinschaft ausgestoßen, nur weil er sich nicht so verhalten hat, wie alle es erwarten. Doch Frida ist stark. Sie erträgt es und hat später noch ein Familienleben, auch wenn ich die Beziehung zu ihrem Sohn recht kühl finde.
Ein toller und authentischer Roman, der mir unter die Haut gegangen ist. Empfehlenswert!
Eine ergreifende Geschichte
Dies ist ein sehr anrührendes Leseerlebnis. Die Aufmachung ist sehr ästhetisch, vom Cover und dem schlichten, eleganten Titel bis hin zum Brief des Autors, den man mit dem Vorablese-Exemplar bekommt. Eine rundum gelungene und ansprechende Sache. Den Inhalt des Briefes fände ich für alle Leserinnen und Leser wichtig, vielleicht in einem Nachwort.
Das Buch behandelt ein sehr ernstes Thema, von dem vor allem Frauen sehr tief und absolut existentiell betroffen waren. Umso erstaunlicher finde ich es, wie es dem männlichen Autor gelingt, die breite Palette an Emotionen glaubhaft zu vermitteln. Er hat einen sehr einfühlsamen Stil, so elegant wie die gesamte Erscheinung des Buches. Und immer wieder beschleicht einen das Gefühl einer biographischen Erzählung.
Es gibt auch Passagen, die ich etwas zu ausgedehnt bzw. nicht unbedingt nötig fand, diese beeinträchtigen aber nicht die gute und ergreifende Erzählung. Die Figuren sind sehr gut und überzeugend dargestellt. Auch die verschiedenen Lebensphasen kommen überzeugend heraus. Ganz ergriffen hat mich der Beginn der Geschichte, in dem Frieda sich in einem Seniorenheim zurecht finden muss - das ist so feinsinnig beobachtet und beschrieben, dass es beklemmend wirkt und sehr nachdenklich stimmt über diese Lebensphase.
Ein sehr spannend geschriebenes und wichtiges Buch.