Was der Tag bringt: Roman
![Buchseite und Rezensionen zu 'Was der Tag bringt: Roman' von David Schalko](https://m.media-amazon.com/images/I/41NVf1TyRTL._SL500_.jpg)
Kurzmeinung: Von Zeit zu Zeit folge ich Autoren gerne in ihre morbide Gedankenwelt - man muss nur wieder auftauchen!
Felix, der Glückliche. Er hat eine Wohnung von der Mutter geerbt, das hält ihn über Wasser. Einst hat er fast normal gearbeitet, hat eine Firma gegründet „Wastefood“, damit sozusagen Containern legalisiert, aber durch die Pandemie wurde sein Geschäft in den Ruin getrieben, sagt ihm sein Bankberater. Und was er jetzt zu tun gedenke? Etwa arbeiten? Das Normale kommt für Felix nicht in Frage. Er will in den Tag hineinleben, sehen, „Was der Tag bringt“.
Der Kommentar:
David Schalko erinnert mit seinem Roman „Was der Tag bringt“ an Eichendorffs „Taugenichts“; auch Klaus Modick hat sich 2021 mit „Fahrtwind“ an einer Wiederauflage versucht; nicht mit Erfolg, wie ich meine. Während aber Eichendorff und Modick ihre Taugenichtse jeweils mit einem eingebauten Glückswandler ausstatten, so dass jede Situation, so ausweglos sie scheinen mag, sich unerwartet zum Guten wendet, macht Schalko das genaue Gegenteil mit seinem Protagonisten. Felix macht seinem Namen leider keine Ehre: er kommt vom Regen in die Traufe. Nein, Schalkos Taugenichts ist kein Glückskind. Felix ist ein Antiheld.
Was passiert genau? Felix vermietet seine Wohnung zeitweise. Jeweils für acht Tage im Monat muss er verschwinden. Dann hat er genug Geld, um, wenn er gut wirtschaftet und bescheiden lebt, knapp über die Runden zu kommen. Während seines Ausgesperrtseins crasht er erst einmal seine gesamten sozialen Kontakte; natürlich will er das nicht, aber er tut es. Zusätzlich macht Felix sich Gedanken. Der ganze Roman ist mehr oder weniger ein Monolog über die Ausweglosigkeit des Lebens, seine Unbegreifbarkeit, die Entwurzelung des Menschen. Das Motiv des Verschwindens ist früh greifbar. "Was der Tag bringt" ist ein deprimierender Roman mit Ausflügen ins Surrealistische.
Felix begegnet natürlich auch seinem Mephisto. Dieser zeigt ihm den Weg ins Kapitalismusparadies. An einem geheimnisvollen Ort kostet eine Übernachtung nur zehn Euro. Will er Mephisto dahin begleiten? Natürlich will Felix das. Damit käme er über die nächsten acht Tage. Der Pferdefuß bei der Geschichte ist, dass zwar die bloße Übernachtung günstig ist, aber für jedes Plus etwas extra berechnet wird, duschen kostet extra, Handy aufladen kostet extra, Türgriff benutzen kostet extra, auf dem Flug entlanggehen kostet extra, Essen, Drinken, sowieso, aber auch soziale Kontakte aufnehmen, ein Gespräch mit einem Gast kostet extra, etc. etc. Die Klimaanlage kostet ... es ist Sommer. Wäre es Winter, würde die Heizung andrehen kosten. Ganz wie im wirklichen Leben.
Diese Storyline finde ich amüsant, denn viel anders funktioniert der bürgerliche, ganz normale Kapitalismus nicht, es ist eine feine Allegorie, die Schalko erfindet: jedes Ding im Leben kostet. Sicher, Felix muss bei seinem äußerst beschränkten Budget gründlicher darüber nachdenken, als jeder andere, was ihm etwas wert ist und was nicht, will er lieber einen Schinkentoast oder duschen, will er im Zimmer bleiben und gar nichts tun, was nichts kostet, fernsehen kostet, etc. etc. Aufs Klo gehen war umsonst, meine ich mich zu erinnern.
Natürlich stellt Mephisto, der sich in diesem Falle Eyres nennt, Felix eine Falle und Felix verlässt den Berg des Kapitals wieder, diesmal um sich unter die Obdachlosen einzureihen.
Es ist ganz interessant und überraschend, Felix von einer Kalamität in die andere zu folgen, aber der Roman „Was der Tag bringt“ ist nicht als Komödie konzipiert, nicht einmal ansatzweise. Der Protagonist sinniert in einem fort, wie er sich auflösen könnte, wie er verschwinden kann oder ob er mit dem All verschmelzen könnte; Felix ist davon besessen, sich auflösen zu wollen.
Endlose lebensverneinende Monologe begleiten den Leser. Der Roman endet, wie er begonnen hat, Felix scheitert, lernt nichts daraus und fängt von vorne an. Das Auflösungsmotiv oder Verschmelzungsmotiv rückt den Roman in die Nähe der Existenzialisten. Auch eine buddhistische Interpretation wäre möglich; das Ende ist gleichzeitig der Anfang, die Existenzen kreisen leidvoll, bis sie irgendwann einmal im Nirwana enden.
Allgemein: Das Taugenichts-Motiv scheint Autoren bis auf den heutigen Tag nicht loszulassen. Oder sollte man es Heimsuchung nennen? Der Roman ist eine deprimierende, wenngleich auch faszinierende Geschichte, in der viel philosophiert wird. Auch ins Leere hinein. Aber das Negativ-Taugenichtsmotiv hat was.
Fazit: „Was der Tag bringt“ ist das Negativ eines Taugenichtsromans mit deprimierenden Monologen über die Sinnlosigkeit des Lebens durchsetzt mit teilweise witzigen surrealistischen Elementen.
Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2023
Was der Roman bringt? Keine Ahnung.
Felix ist schon vielen berufliche Ideen in seinem Ende 30jährigem Leben nachgejagt. Auch seine letzte Unternehmung, „Wastefood“ ein kulinarisches Experiment mit entsorgten Lebensmitteln, entwickelt sich nicht so, wie er sich das noch vor der Corona-Pandemie überlegt hatte. Wie viele kleine Unternehmen geht auch dieses den Bach hinunter und Felix sieht sich als einzigen Besitz auf die schicke, geerbte Altbauwohnung der Großeltern in Berlin zurückgeworfen. Um weiterhin finanziell über die Runden zu kommen, entscheidet er sich dazu, ab sofort einmal im Monat für acht Tage seine Wohnung an Touristen zu vermieten. In diesen Tagen muss er andernorts unterkommen und erlebt hierdurch die ein oder andere Wendung, grundsätzlich geht es aber tendenziell bergab mit ihm.
Der Plot dieses Romans hat zwei Gedanken bei mir ausgelöst: Zum einen fühlte ich mich zunehmend an Knut Hamsuns „Hunger“ erinnert, ein Nobelpreis-Klassiker, in welchem ein Mann Ende des 19. Jahrhunderts in Oslo umherirrt, versucht zu Geld und Essen zu kommen, es aber immer wieder durch eigene Animositäten verspielt und während er immer weiter in den Strudel von Armut und Hunger gerät, im wilden Galopp auf den Wahnsinn zurennt. Man könnte jetzt denken: Oh, ein Vergleich mit einem Klassiker, dann scheint „Was der Tag bringt“ ja großartig zu sein. Nein, denn hier kommt Zweitens: Ich habe schon „Hunger“ nicht sonderlich gemocht, und so ist es auch mit dem vorliegenden Roman. Die Grundprämisse scheint dieselbe. Ein Mensch, der es eigentlich nicht so ganz nötig hat, kämpft gefühlt überdramatisch ums Überleben in der Großstadt. Ein Plot, der mich zu Beginn noch mitnehmen konnte, hat mich im Verlauf immer mehr verloren. Spätestens wenn Felix nach einigem Auf und Ab – zwischenzeitlich kommt er unverhofft zu unendlichem Reichtum – sich einen High End Outdoor Schlafsack kauft, nur um sich dann bei den obdachlosen Menschen unter einer Fußgängerunterführung einzuquartieren, ist das Maß voll. Zwischendurch, oder eigentlich fast immer, wird wild rumphilosophiert, merkwürdige Metaphern überstrapaziert und leider wenig Ironie an den Tag gelegt. Diese Ironie bzw. etwas mehr Humor wären nötig gewesen, um diese Groteske interessant zu machen. Hier wird der Sinn gesucht und nicht viel gefunden. So verliert sich die Geschichte in anstrengenden Überlegungen, die aber nicht sonderlich anspruchsvoll sind, sondern nur etwas affektiert so wirken, wie hier aus Seite 219:
„Er blies den Rauch in Richtung der unscharfen Verläufe des Wasser. Stundenlang hatte er zugesehen, wie es die Scheiben mit einem Netz aus Rinnsalen überzog. Hatte den Rauch beobachtet, der von der Scheibe abgewiesen wurde. Ohne dass es etwas erzählte. Ohne Sinn. Eine leere Wiederholung, die Realität wurde, weil er sie ohne Unterlass exerzierte. Ohne Grund. Außer der Schönheit. Der nutzlosen Schönheit. Die wuchs, je länger er die Geste wiederholte. Die ihn immer weiter wegtrug von sich selbst. Nur noch Betrachter sein. War das der Sinn? Zeuge einer nutzlosen Schöpfung zu werden? Endlich die Schönheit des Nutzlosen genießen. Sich aus der Sklaverei des Zwecks befreien? Der Zweck, der Sinn simulierte. Ein Manöver, das vom Unwesentlichen ablenkte. Das die Magie verbot. Weil sie die Aufmerksamkeit von der Fremdbestimmung befreite.“
Spätestens an dieser Stelle, verließ mich die Lust auf das Buch. Es ist zwar grundsätzlich solide geschrieben, hat auch an der ein oder anderen Stelle eine kreative Idee, was alles Felix zustoßen könnte – nein falsch, das ist zu passiv, besser: in welche Situationen sich Felix hineinbugsiert, wird sogar mal ein wenig zärtlich, wenn es um die Beziehung zwischen Felix und seinem Vater geht, insgesamt fehlt mir aber eine Aussage. Wie kann ich einen Roman ernst nehmen (denn humoristisch scheint er ja nicht angelegt zu sein), in dem ein Mann vor sich hin leidet, während er , die geneigten Leser:innen wissen es nach wenigen Seiten, einfach nur seine schicke Berliner Altbauwohnung verkaufen müsste, um wieder aus den roten Zahlen zu kommen. Etwas, was er sowieso tun müsste, wenn er Hartz IV – ähm Pardon – Bürgergeld beantragen würde. Doch er schlägt objektiv nie auf dem harten Boden der Realität auf, sondern immer nur subjektiv und wird dabei immer verrückter.
Was der Tag bringt? Was der Roman bringt? Ich weiß es wirklich nicht. Er hält als Momentaufnahmen durchaus das ein oder andere post-pandemische Szenario der mitteleuropäischen Mittelschicht fest, mehr aber auch nicht.
2,5/5 Sterne