Hinter der Tür: Roman (suhrkamp taschenbuch)

Buchseite und Rezensionen zu 'Hinter der Tür: Roman (suhrkamp taschenbuch)' von Magda Szabó
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Hinter der Tür: Roman (suhrkamp taschenbuch)"

Hinter der Tür: Roman (suhrkamp taschenbuch)

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:311
EAN:9783518462898

Rezensionen zu "Hinter der Tür: Roman (suhrkamp taschenbuch)"

  1. flucht vor der Ohnmacht

    Der Roman spielt in Budapest, beginnt (vermutlich) in den frühen 60er Jahren und deckt insgesamt etwa zwanzig Jahre ab. Die Ich-Erzählerin, die Schriftstellerin Magda - wir dürfen davon ausgehen, dass es sich um einen weitgehend autobiographischen Roman handelt - braucht dringend eine Haushaltshilfe: Sie kommt mit der Hausarbeit nicht hinterher, zudem kränkelt ihr geliebter Mann ständig und kann ihr nicht helfen. Die "Perle", die Magda schließlich einstellt, wohnt sogar in der gleichen Straße. Sie heißt Emerenc Szeredás, ist offensichtlich schon über sechzig, aber von jenem unzerstörbaren Frauentyp, der bis ins hohe Alter hager, beweglich und kräftig bleibt. Emerenc hat eine Dienstwohnung in einem Haus in der Nachbarschaft inne und muss dafür Hausmeisterdienste für die ganze Straße versehen, insbesondere sämtliche Bürgersteige kehren. Ein Zitat aus dem Nachwort von Eva Haldimann: "Emerenc, die im Urwissen von Gut und Böse kirchliche und weltliche Instanzen missachtet, ist eine Reine, eine der seltenen Gerechten (...). Sie hat ein schweres Leben hinter sich, wie alptraumschwer, erfährt die Erzählerin - und mit ihr der Leser -, einer subtilen Dramaturgie folgend, erst nach und nach, in dem Maße, wie sich die Schriftstellerin des Vertrauens der alten Frau würdig erweist. Im Alter ist das einstige Dienstmädchen zum Faktotum der ganzen Straße geworden, in der die Autorin wohnt. Ihre Arbeitskraft ist schier unerschöpflich, ihre Sauberkeit sprichwörtlich." Indessen hat die gute Frau ihre Macken, insbesondere fühlt sich die Erzählerin dadurch irritiert, dass Emerenc überhaupt nur körperliche Arbeit als solche betrachtet, also grundsätzlich denkt, die Schriftstellerin liege auf der faulen Haut, reise bloß zum Vergnügen durch die Gegend (wenn die Erzählerin Lese- oder TV-Termine wahrzunehmen hat) und gehe zu ihrer Unterhaltung in die Kirche, während sie, Emerenc, die "richtige" Arbeit macht.

    Nach und nach wird Emerenc der Autorin derart unentbehrlich, dass schon die Drohung, die Arbeit aufzugeben, einer Katastrophe gleichkommt. Dabei macht die Alte, was sie will: sie "schmückt" die Wohnung ihrer Dienstgeber mit gefundenem Kitsch, schreckt nicht davor zurück, Magda "Idiotin" zu nennen, und nimmt den Hund des Ehepaars einfach mit sich; sie gibt dem Rüden sogar den Namen "Viola", weil sie als Kind ein Kälbchen hatte, das so hieß. Vieles in dem Buch mutet komisch an, die Erzählerin gibt Emerenc in allem nach und ist manchmal geradezu verzweifelt bemüht, der Alten gegenüber eine gute Figur zu machen. So achtet sie auch eine strenge Grenze ihrer Haushälterin: diese gestattet niemandem, weder Magda noch ihren Verwandten und Bekannten aus der Straße, ihre kleine Hausmeisterwohnung zu betreten. Besuch wird grundsätzlich im Hausflur oder auf dem Hof empfangen. Da Emerenc in der Besatzungszeit bei einer jüdischen Familie im Dienst war, die das Land verlassen musste, geht das Gerücht, dass sie die kostbaren Möbel und Wertgegenstände dieser Familie an sich gerafft habe - irgendeinen Grund muss es ja haben, dass niemand in ihre Wohnung darf.

    Das Buch erzählt Kapitel für Kapitel geschlossene Episoden aus der Bekanntschaft der beiden Frauen, die sich nach und nach in Freundschaft wandelt; die Autorin gebraucht sogar den Begriff Liebe. Dass es am Ende zu einem schweren Bruch kommt, wissen wir von Anfang an: "Ich bin schuld an Emerencens Tod" heißt es schon auf der dritten Seite; die Autorin berichtet über einen Traum, in dem sie eine Tür öffnen will, um dringend gebrauchte Hilfe hereinzulassen, aber nicht kann. Im Drama um diese Tür - gemeint ist natürlich die Eingangstür der Hausmeisterwohnung, in der Emerenc lebt - ist der Wendepunkt in der Beziehung der beiden Frauen. Was folgt, ist für Emerenc eine Katastrophe, die zum Tod führt; für Magda eine lebenslange Gewissenslast, obwohl sie immer wieder betont, dass sie nicht anders hätte handeln können, als sie getan hat.

    Die Autorin schildert die Freundschaft der beiden Frauen, ihren Charakter und ihr Lebensumfeld mit großer Genauigkeit und in einem subtilen, oft von trockenem Humor geprägten Stil: ihre eigene Schulerziehung unter dem kommunistischen Regime nennt sie zum Beispiel "Rotlichtbestrahlung" und die häufigen Versuche der Intellektuellen, Emerenc etwas "Bildung" beizubringen, sind urkomisch. Obwohl der ganze Bericht sich, wie gesagt, über zwanzig Jahre erstreckt, passiert zum Großteil nichts wirklich Dramatisches; die Erzählweise ist episodisch, für manche Leser vielleicht etwas langweilig - aber die Themen sind zeitlos und universell. Abgesehen von der naheliegenden Interpretation, die die Autorin des Nachworts anspricht - Stichworte Einfühlung, Toleranz für andere, Vorurteile, unterschiedliche Wertsysteme -, ist das Buch auch vor dem Hintergrund unseres derzeitigen Pflegenotstands interessant zu lesen. "Im Wagen der Fernsehanstalt strebte ich dem Licht zu, floh vor Krankheit, Alter, Einsamkeit, Ohnmacht" bemerkt die Erzählerin bitter. Was ist zu tun gegenüber einem Menschen, für den das Wichtigste ist, sein Gesicht nicht zu verlieren; der lieber restlos alles andere verliert? Welche Bedeutung hat es, Gutes zu tun gegenüber einem Menschen, der nichts annehmen will? Das Buch gewährt einen Einblick in eine sehr fremdartige Persönlichkeit und viel Stoff zum Nachdenken über das wichtige Thema Alter und Verantwortung.

  1. 5
    29. Jun 2018 

    Abweisung, Anziehung, Geheimnis

    Ungarische Literatur ist bisher selten auf meinen SUB, geschweige denn in meine Lesehände gelangt, aber dieses Buch hat es – verdientermaßen – geschafft.
    Ein Kurzbesuch in Budapest hatte meine Aufmerksamkeit für dieses Land hervorgerufen und dann hat mich das Cover des Buches einfach gefesselt, auf dem Martina Gedeck und Hellen Mirren starr an mir vorbei sehen und dabei ein Seelenleben eröffnen, in das ich gern in diesem Buch eintauchen wollte. Dass dabei keine einfachen Charaktere, sondern auch seelische Abgründe vor mir stehen würden, war mir bei diesem Cover dabei von vornherein klar.
    Magda Szabó ist nicht nur die Autorin dieses Romans aus dem Jahr 1987, sondern vordergründig auch eine der Hauptakteurinnen in seinem Geschehen, auch wenn hier eine 1:1-Übertragung sicher fragwürdig ist. Aber diese Akteurin ist erfolgreiche, preisgekrönte Schriftstellerin in Budapest mit dem Vornamen Magda, was in der Fülle der Parallelen kein Zufall sein dürfte.
    Die Handlung des Buches ist schnell erzählt: Der Roman schildert die Beziehung von zwei Frauen – der oben genannten Schriftstellerin und ihrer langjährigen Haushaltshilfe Emerenc, die dieser Arbeit sehr gut, aber dabei auch mehr als unkonventionell nachkommt. Über mehr als 20 Jahre entwickelt sich diese Arbeitsbeziehung, die aber sehr viel mehr wird als das. Und sehr viel komplexer wird. Denn auch wenn von der Konstellation her das hierarchische Verhältnis zwischen den beiden Frauen klar und deutlich geklärt zu sein scheint, bekommt der Leser doch immer wieder den Eindruck, dass es letztlich Emerenc der bestimmende Charakter ist. Klares Symbol für diese Umkehrung der Verhältnisse ist etwa die Umgangsweise mit dem Hund des Schriftstellerpaares, den Emerenc durch ihre ganz besondere Art der Einflussnahme auf ihre Umwelt letztlich zu ihrem Hund macht, der nur mit Zustimmung und durch die Güte der Emerenc im Haushalt des Schriftstellerpaares verbleibt. Überhaupt steht die „ganz besondere Art und der Lebensweise“ der Emerenc, die irgendein Geheimnis hinter der stets verschlossenen Tür ihres Zuhauses verbirgt, im Zentrum des Romans. Sie ist ein abweisender und verschlossener Charakter, der aber trotzdem eine unglaubliche Anziehungskraft nicht nur auf die Schriftstellerin Magda, sondern auf viele andere Personen in ihrer Umgebung ausübt. Dem Leser bleibt dabei die lesenswerte Rolle, dieser Anziehungskraft und ihrer Quelle nachzuspüren und ihr auf die Spur zu kommen. Das gelingt bis zum Ende hin dennoch, wenn überhaupt, dann nur unvollkommen und macht in seiner geheimnisvollen Unverständlichkeit den Reiz des Buches aus. Der nicht hervorgerufen werden könnte, wenn das ganze Geschehen, das eigentlich nichts anderes als die Gestaltung von feinen Beziehungsgeflechten ist, in einer sehr intensiven, feinen und packend-treffenden Sprache verfasst wäre. Ich jedenfalls konnte in den Roman wirklich eintauchen. Und kann ihm nur viele Leser wünschen. Die Verfilmung mit Martina Gedeck und Hellen Mirren hoffe ich, irgendwann einmal sehen zu können. Für einen Tipp bin ich dankbar.