Unschärfen der Liebe

Buchseite und Rezensionen zu 'Unschärfen der Liebe' von Angelika Overath
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Unschärfen der Liebe"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783630876344

Rezensionen zu "Unschärfen der Liebe"

  1. 4
    28. Okt 2023 

    Zugreise über den Balkan, wohin führt sie ?

    Dies ist die Geschichte einer Dreiecksbeziehung und die Geschichte einer Reise des Hauptprotagonisten Baran. Die Reise führt ihn von der Schweiz quer über den Balkan nach Istanbul. Baran reist mit dem Zug.

    Baran lebt seit drei Jahrem zusammen mit Cla in Istanbul. Cla stammt aus dem Engadin und hat seine Jugendfreundin Alva für den griechisch-türkisch stämmigen Baran, der in Düsseldorf aufwuchs, verlassen. Baran, Cla, Alva und deren 3jährige Tochter hatten einige Zeit zusammen in Chur verbracht. Cla war zuerst per Flugzeug nach Istanbul zurückgereist, ihm folgt jetzt Baran per 30stündiger Zugreise. Der Abschied von Alva auf dem Bahnsteig in Chur ist der Ausgangspunkt dieses Romans.

    Auf seiner Reise reflektiert Baran sein bisheriges Leben, seine Beziehung zu Cla und Alva, seine türkisch-griechische Herkunft, seine Kindheit, die Geschichte seiner Familie bis zurück zu seinen Großeltern.

    Mit der Bahnfahrt erfährt der Leser einiges über historische Hintergründe der vorbeiziehenden Balkanorte: Über Konstantin den Großen, geboren in Serbien, oder über Hurschid Pascha, Großwesir des Osmanischen Reiches, um nur zwei zu nennen. Hierdurch wird der Roman keinesfalls zu einer bloßen Reisebeschreibung unterlegt mit historischen Fakten. Die erwähnten Hintergründe sind vielmehr harmonisch in die persönliche Geschichte Barans eingewebt.

    Dieser Roman hat mir gefallen. Er hat mir gefallen, weil er etwas Entschleunigendes, Ruhiges hatte. Dieses entschleunigende, langsame Moment spiegelt sich wieder in der monoton anmutenden 30stündigen Bahnfahrt: "vor-bei, vor-bei, vor-bei" klackern die Bahngleise, über die der Zug rollt. Gleichförmig, wiederkehrend, im positiven Sinn lang-weilig, unterbrochen von den Beobachtungen und Empfindungen Barans während der Zugfahrt. Erst kurz vor seinem Reiseziel erkennt Baran, mit wem er zukünftig leben will, er scheint angekommen zu sein. Das Gefühl des Wissens darüber, wie es in seinem Leben weitergehen soll, wird durch ein dramatisches Ereignis in den Hintergrund treten. Hier nimmt der Roman Fahrt auf, keine Lange-weile mehr, was für mich durchaus Symbolkraft hatte und sehr in die Story gepasst hat.

    Gefallen haben mir die kurzen Sätze, die poetisch bildhafte Sprache, die präzise Wiedergabe der Beobachtungen Barans. Jeder, der gerne mit der Bahn reist, kann dies nachempfinden: Das Vorbeiziehen der sich stetig verändernden Landschaften, des Wetters, der Tageszeiten, der Mitreisenden, von denen man sich vorstellt, wie ihr Leben, ihr Alltag wohl aussieht. Ich finde, dieses Spezifische des Bahnreisens hat die Autorin sehr gekonnt mit ihrem Schreibstil wiedergegeben.

    Der Roman ist als Trilogie angelegt, läßt sich aber auch einzeln gut lesen. Der erste Teil, "Ein Winter in Istanbul", den ich ( noch ) nicht gelesen habe, ist der Vorgängerroman zu dem hier besprochenen. Der dritte Teil soll folgen.

    Mein Interesse für den Bosporus, das alte Byzanz, das Leben in der Türkei speziell in Istanbul, am Marmarameer und für das Schicksal der Protagonisten dieser Story ist jedenfall geweckt ! Ich vergebe 4 Sterne und eine Lesempfehlung für Freunde des entschleunigenden Lesens.

  1. Monotone Bahnreise, eigentlich ein Reiseführer gen Osten hin.

    Kurzmeinung: Ein viel zu zaghafter Roman

    Allgemeine Vorbemerkung: "Unschärfen der Liebe" ist ein viel zu sanftes Buch, das mit einer krachenden Katastrophe, die überhaupt nicht zum Rest des Romans passt, endet, sozusagen ein stundenlanges monotones und unspektakuläres Hin-und Herschlagen von Bällen auf dem Roland Garros und dann ein Zertrümmern von Schlägern. Völlig unmotiviert und unangemessen.

    Zum Inhalt: Der ein wenig nostalgische Part eines homosexuellen Paars, Baran Anatol Chronas, Türke griechischer Abstammung, fährt mit dem Zug vom schweizerischen Chur nach Istanbul. Beide, Baran und Cla, waren zu Besuch bei Arva und ihrem Kind Florentine in Chur. Arva ist die frühere Lebenspartnerin von Cla, der sich jedoch zu einem Leben in Istanbul mit Baran entschlossen hatte. Cla ist mit dem Flieger voraus zurück in ihr gemeinsames Zuhause im asiatischen Teil Istanbuls, in Moda. Während der Zugfahrt erinnert sich Baran an sein erstes gemeinsames Jahr mit Cla und versucht sich über die Zukunft klar zu werden. Brisant: in den letzten Tagen in Chur begann er ein Verhältnis mit Arva. Ist es Liebe? Ist die Liebe zu Cla vorüber? Oder war es Rache, weil Cla ihm schon lange untreu ist?

    Der Kommentar:
    Eine Bahnfahrt ist erholsam und anstrengend zugleich, sie ist aufregend und ermüdend, jedenfalls, je länger sie dauert, desto monotoner, genau so monoton wie das Gemurmel der Räder auf den Gleisen. Angelika Overath steigt in diesen Zug via Baran und schildert der Leserschaft die Landschaft und manchmal Ereignisse, die sich an historischen, vorübergleitenden Orten ereigneten.
    Ihre Worte sind wohlgesetzt, dennoch – wenn man gerade Thomas Hettches grandiose Landschaftsbeschreibungen in „Sinkende Sterne“ gelesen hat oder ein Tom Wolfe Leser ist – „Schau heimwärts Engel“ oder „Back to blood“ wünscht man sich, Angelika Overath hätte sich nicht an so viel Landschaft versucht. Es ist nicht so, dass die Worte der Autorin nicht gut gewählt wären, aber sie kann mit den Meistern literarischer Landschaftsmalerei nicht mithalten.

    Ein Großteil dieser Zugfahrt langweilt mich deshalb heftig. Ein paar Bröckchen Geschichte und Legende da und dort versöhnen mich nicht mit der Monotonie der Erzählung. Die Liebesgeschichte in Barans Kopf ist mir zu fragmentarisch und zu sanft. Am Ende die Katastrophe. Ja, tut mir leid, wir müssen darüber reden. Das letzte schwere Erdbeben in Istanbul war 1999; das im Jahr 2019 richtete nicht so viel Schaden an, es gab weniger als 50 Leichtverletzte und nur einen Todesfall. Vollkommen unwahrscheinlich, dass Baran oder Cla davon betroffen sein sollten. Künstlerische Freiheit am Ende, nachdem wir mit so vielen historischen Häppchen gefüttert wurden? Nein, danke für das Abfüttern mit Fastfood.
    Wurde wenigstens der Blick auf die Protagonisten scharf gestellt? Nein, leider, hier haben wir ziemlich viel Unschärfe zu verzeichnen.

    Fazit: Eine monotone Bahnfahrt ohne besondere Vorkommnisse, eine belanglose Liebesgeschichte und eine aufgesetzte Katastrophenszene am Ende. Für mich kein so überzeugender Roman, dass er auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gehört hätte. Denn in diesem Roman hat all das gefehlt, was dafür notwendig gewesen wäre: das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Lebensentwürfe und Kulturen; die Gewaltsamkeit homosexueller Liebe à la Brokeback Mountain, (irgendeine) Handlung während der Bahnfahrt. Natürlich bleibt noch etwas übrig: ein literarischer Reiseführer durch den Orientexpress. Das reicht zu entschleunigenden drei Sternen am Literaturhimmel.

    Kategorie: literarischer Reiseführer
    Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2023
    Luchterhand 2023

  1. Eine Reise durch Europa und durch das Leben

    „Als Baran Anatol Chronas an einem Herbstmorgen in Chur einen Zweitklassewagen der Schweizerischen Bundesbahnen bestieg, wußte er, daß ihm keine gute Ankunft bevorstand. Und doch sollte er sich täuschen über das Ausmaß dessen, was ihn erwartete.“ (Zitat Pos. 43)

    Inhalt
    Seit etwa drei Jahren leben Baran und sein Schweizer Lebensgefährte Cla in Istanbul zusammen. Diesen Sommer hatten sie in der Schweiz verbracht, bei Clas früherer Partnerin Alva und der gemeinsamen kleine Tochter Florinda. Für einen dringenden Auftrag muss Cla zurück nach Istanbul fliegen, während Baran seine Rückreise erst sieben Tage später antritt, denn er reist lieber mit der Bahn. In dieser Woche lernt er Alva besser kennen. Die Fahrt von Chur nach Istanbul dauert etwa dreißig Stunden und Baran freut sich darauf, über Gleissystemene durch verschiedene Länder zu reisen und Zeit für seine eigenen Gedanken zu haben, über Entscheidungen nachzudenken und diese doch für eine kurze Zeit noch aufschieben zu können. „Unterwegs war er noch nirgendwo und mußte niemand sein.“ (Zitat Pos. 54)

    Thema und Genre
    Dieser Roman erzählt die Geschichte von drei Menschen, deren Leben miteinander verbunden ist, anhand einer Bahnfahrt von Chur nach Istanbul. Reisebeschreibungen, die Beobachtungen der Menschen auf den Bahnhöfen und in den Zügen, die Baran von der Schweiz aus durch Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und Bulgarien bis in die Türkei bringen, vermischen sich mit seinen Erinnerungen und Gedanken. Themen sind Geschichte, Balkanpolitik, Religion, Familie, Beziehungen, Liebe.

    Charaktere
    „Dieser Sommer hatte ihn unsicher gemacht. Etwas in ihm bekam Sprünge.“ (Zitat Pos. 1580). Barans Vater ist Grieche, seine Mutter Türkin, aufgewachsen ist er teilweise in Deutschland, die Erfahrungen der unterschiedlichen Kulturen haben ihn geprägt. Cla und er hatten nie über Treue gesprochen, für Baran war es selbstverständlich, während Cla wiederholt kurze Affären hatte und in den langen Stunden seiner Reise beginnt Baran über die Zukunft ihrer Beziehung nachzudenken.

    Erzählform und Sprache
    Dieser Roman spielt in dem kurzen Zeitrahmen einer Bahnreise durch Europa. Die einzelnen Kapitel tragen als Überschrift jeweils zwei Städte und die Handlung schildert die Ereignissen auf dem jeweiligen Streckenabschnitt, wobei der Ablauf chronologisch und entsprechend der Route erfolgt. Doch es sind nicht die vorrangigen Ereignisse, die diese Geschichte prägen, und auch nicht die genauen Schilderungen der Landschaften, Dörfer, Städte, durch welche wir der Hauptfigur Baran folgen, sondern jedes Detail wird durch seine Erinnerungen, Überlegungen, Gedanken ergänzt. Er beobachtet Mitreisende, spricht mit ihnen, wobei es oft um die Geschichte der jeweiligen Gegend geht, aber auch um aktuelle Fragen. Doch die langen Reisestunden geben ihm auch Zeit, über seine Liebe zu Cla und über diese letzten Tage mit Alva nachzudenken und sich zu fragen, wie sein Leben weitergehen soll. Es ist eine leise, poetische und gleichzeitig sehr präzise Sprache und eine ungewöhnliche, spezielle Form, eine Geschichte zu erzählen.

    Fazit
    Ein Zug, der durch Europa und damit auch durch die Geschichte der Balkanländer fährt und ein Reisender, der aus dem Fenster schaut, beobachtet, und über seine Beobachtungen nachdenkt. gleichzeitig aber auch eine Reise durch sein bisheriges Leben, seine Erinnerungen und die Frage, ob er auf der bisherigen Strecke bleiben soll, oder ob seine Gedanken gerade die Weichen für eine Abzweigung in eine neue Richtung stellen.