Über Carl reden wir morgen: Roman
!ein Lesehighlight 2022!
Klappentext:
„Fast hat man sich in der Hofmühle damit abgefunden, dass Carl im Krieg gefallen ist, als er im Winter 1918 plötzlich vor der Tür steht. Selbst sein Zwillingsbruder Eugen hätte ihn fast nicht erkannt. Eugen ist nur zu Besuch, er hat in Amerika sein Glück gesucht und vielleicht sogar gefunden. Wird er es mit Carl teilen? Lässt sich Glück überhaupt teilen? Judith W. Taschler hat einen großen Familienroman geschrieben. Über drei Generationen verfolgen wir gebannt das Schicksal der Familie Brugger, deren Leben in der Mühle vor allem die Frauen prägen. Das einfühlsame Porträt eines Dorfes, ein Buch über Abschiede und die Liebe unter schwierigen Vorzeichen, über den Krieg und die unstillbare Sehnsucht nach vergangenem Glück.“
Ja, diese Geschichte war ein Leseknaller der ganz großen Sorte, anders kann ich es nicht ausdrücken. Taschlers Figuren, egal ob real oder fiktiv, werden von ihr so detailliert zeichnet und erhalten so viel Leben anhand von Worten eingehaucht, dass man von diesem Roman einfach nur gefesselt ist. Ihre Worte wählt sie mit Bedacht, ihr Ausdruck ist der Gegend und er Zeit angepasst und ihre Zeitensprünge mögen zwar zu Beginn den Leser verwirren, ergeben aber immer schneller und deutlicher ein großes Puzzle welches sich gekonnt dadurch zusammen setzt und den Lesefluss inklusive Neugier beim Leser festhält. Sie streift immer mal wieder von einer Person zur anderen und von einer Zeit zur anderen - man muss hier genau lesen und darf nichts vergessen! Ein wenig (eigener) Anspruch gehört hier dazu und das schätze ich sehr. Zudem streut sie gekonnt Dinge zwischen den Zeilen ein und gibt dem Leser somit Raum für eigene Gedanken. Ihre geschriebenen Bilder, ihre Dorfwelt die sie hier beschreibt, erwacht vor dem Leserauge zum Leben. Die Zeiten waren andere und genau darüber lernen wir auch hier wie es wirklich war. Vieles wird den Leser erstaunen, so einiges weiß man, aber eben doch nicht alles. Das Leben auf dem Land ist und war mehr als hart und zeichnet sich in den Seelen der Figuren deutlich wieder. Die eine geht ihren Weg in der Stadt, der andere wandert aus aber im Herzen sind sie immer noch mit ihrer Heimat verbunden, tief verwurzelt. In dieser Geschichte gibt es Freud und Leid, Liebe und Missgunst aber alles auf einem sehr anspruchsvollen und glaubhaftem Niveau. Taschler braucht keinen Kitsch, sie nutzt die Realität für ihre Erzählung und die bietet genug Material, da braucht es keine sinnlosen Übertreibungen. Und dann ist da noch der Titel der Geschichte. Wird er dem Buch gerecht? Ja, wird er. Irgendwann reden wir endlich über Carl und ich kann Ihnen nur sagen: machen sie sich auf etwas gefasst. Nein, es wird nicht effekthascherisch von mir beschrieben was da passieren wird, aber anders kann ich es nicht ausdrücken. Carl überrascht den Leser und wir werden bis zum Schluss sehr zuverlässig durch diese Geschichte geführt. Alles hat hier seinen festen Stand und seine Bedeutung, alles ist hier rund. Jede Figur hat seine Berechtigung hier erwähnt zu werden und seine eigene Geschichte zu erzählen. Das war wirklich eine große Kunst von Autorin Judith W. Taschler eine Geschichte so zu verpacken, den Leser so zu führen und uns zudem noch ein „Geschenk“ zu machen: in dem Buch befindet sich ein Lesezeichen welches mehr als hilfreich ist und wirklich gut genutzt werden wird. Darauf befindet sich der Stammbaum der Familie und hilft über so manche Zeitensprünge hinweg.
Mein Fazit: eine grandiose Geschichte, welche bestens erzählt wurde: 5 von 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung von mir!
Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite
Judith W. Taschler erzählt in „Über Carl reden wir morgen“ vom Schicksal der Familie Brugger, die im oberösterreichischen Mühlviertel lebt. Zum Besitz gehört eine Hofmühle, später auch ein Warenhaus. Von 1828 bis kurz nach dem ersten Weltkrieg lässt die Autorin die Schicksale einzelner Mitglieder über drei Generationen hinweg lebendig werden. Carl taucht als Angehöriger der 3. Generation erst relativ spät im Roman auf.
Die harten Lebensbedingungen auf dem Land, die kulturellen Entwicklungen in der Stadt, das Frauenbild und die Klassenunterschiede werden greifbar dargestellt. Wir begleiten ausgewählte Familienmitglieder auf ihrem Lebensweg, lernen deren Wünsche kennen, ihre Verzweiflung, erleben Momente des Glücks, aber auch schwere Schicksalsschläge und gehen mit Carl durch die Hölle des Krieges. Auch von der großen Auswanderungswelle nach Amerika bleibt Familie Brugger nicht unberührt.
Die Charakterzeichnungen sind durchweg komplex, die Figuren authentisch, menschlich und glaubwürdig. Als besonders fesselnd empfand ich die unkonventionelle Erzählweise, die nicht immer einer Chronologie folgt und die ich am besten mit schleifenförmig umschreiben kann. Dabei werden einzelne Szenen aus einer anderen Perspektive noch einmal erzählt, so dass es zusätzliche Informationen gibt und Vorangegangenes plötzlich in einem anderen Licht erscheint. Dies hat mir ausgesprochen gut gefallen. Die letzte Szene lädt zu zahlreichen Gedankenspielen ein. „Über Carl reden wir morgen“ ist eine lebendige Familiengeschichte, die mich von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann gezogen und mir ein umfangreiches Bild der damaligen Lebensbedingungen vermittelt hat. Ich kann den Roman uneingeschränkt empfehlen.