True Crime

Buchseite und Rezensionen zu 'True Crime' von Sam Millar
4.75
4.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "True Crime"

Sam Millar hat einen außergewöhnlichen, preisgekrönten Thriller geschrieben, in dem nichts erfunden ist. Schonungslos offen erzählt Millar von einer Jugend auf den Straßen von Belfast, die früh ins Gefängnis führt; vom jahrelangen Kampf um die eigene Würde - und von einem Verbrechen, mit dem er Geschichte schrieb.

Diese Geschichte beginnt im Norden Belfasts: Dort wird 1955 Sam Millar geboren, der Vater Protestant, die Mutter Katholikin. Der Riss, der ganz Irland teilt, geht mitten durch Sams Familie. Sam geht früh von der Schule ab und arbeitet in einem Schlachthof. Als Teenager schließt er sich der IRA an, bis er eines Nachts von der Polizei aus seinem Bett gerissen wird. Es folgen Jahre im härtesten Knast Europas.
Nach seiner Entlassung geht Sam Millar nach New York, wo er einen Comicladen eröffnet, sich in Spielkasinos herumtreibt und schließlich einen verwegenen Plan ersinnt: den Überfall auf das Gelddepot der Firma Brink's, mit dem Sam Millar Kriminalgeschichte schreibt - und der hier erstmals aus der Sicht des Täters erzählt wird.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:416
EAN:9783855355136

Rezensionen zu "True Crime"

  1. 4
    06. Feb 2016 

    Zwei Bücher in einem...

    Sam Millar hat einen außergewöhnlichen, preisgekrönten Thriller geschrieben, in dem nichts erfunden ist. Schonungslos offen erzählt Millar von einer Jugend auf den Straßen von Belfast, die früh ins Gefängnis führt; vom jahrelangen Kampf um die eigene Würde - und von einem Verbrechen, mit dem er Geschichte schrieb.

    Diese Rezension fällt mir nicht gerade leicht. Denn im Grunde gilt es hier, gleich zwei Bücher zu rezensieren - zwei gewaltige Abschnitte eines Lebens, die jedoch unterschiedlicher nicht sein könnten.

    Alles beginnt in Belfast, der Hauptstadt Nordirlands, wo Sam Millar 1955 geboren wurde. Er wächst dort in der Lancaster Street auf - einer Straße, in der nach eigenen Angaben drei Viertel der männlichen Anwohner ohne Verhandlung eingesperrt wurden, als Angehörige oder Sympathisanten der IRA. Auch ohne diesen politischen Hintergrund sind Kindheit und Jugend Millars geprägt von Armut, Einsamkeit und einer wenig einfühlsamen Umgebung. Die Mutter verschwindet früh aus Millars Leben, der Vater ist recht stimmungslabil, die Armut sorgt zudem für demütigende Erlebnisse.

    Ohne eigenes Zutun gerät Sam Millar schließlich in die kämpferischen Auseinandersetzungen Nordirlands mit Großbritannien. Bei einem Ausflug mit dem neuen Auto seines großen Bruders findet sich Millar plötzlich in Derry wieder, wo es bei Protesten für Bürgerrechte und gegen die Politik der britischen Regierung plötzlich zu Unruhen kommt. 13 Demonstranten werden von britischen Soldaten erschossen, 13 weitere angeschossen. Da die Opfer unbewaffnet waren, führte das Ereignis zur Eskalation des Nordirlandkonflikts. Später wurde dieser Tag 'Bloody Sunday' genannt.

    Sam Millar und sein Bruder sind zwar nicht direkt betroffen, doch löst diese Ungerechtigkeit und Willkür seitens der britischen Regierung etwas aus. Sam beginnt mit dem Gedankengut der Widerständler zu sympathisieren. Als eines Morgens die Polizei die Wohnung des Jungen und seiner Familie stürmt, um den Vater und Sams ältere Brüder zu verhaften, treffen sie diese zwar nicht an - nehmen jedoch an ihrer Stelle Sam mit. In einer Leserunde mit dem Autor berichtet dieser zu diesem Punkt:

    "Sometimes I sit and think what would have happened had the British invaders arrested my father and brothers instead of me. The truth is, they would have arrested me eventually because I would have fought against the British because we were treated like dogs in our own country and had few rights. In all honesty, if I had not been illegally placed in prison I would never have got an education, and would not be a writer today! So, I have to thank the British for putting me in prison!"

    So landet Sam Millar unversehens das erste Mal im Gefängnis und macht Bekanntschaft mit dem, was es heißt, ein Rechtloser zu sein. Ohne Gerichtsverhandlung durchleidet er die dreijährige Haftstrafe, immer noch mit der Hoffnung, dass dies bald vorüber sein würde...

    "Ich hielt mich mit dem Gedanken aufrecht, dass wir irgendwann alle wieder nach Hause gehen dürften, wenn dieser Wahnsinn erst vorüber wäre. Doch leider hatte der große amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe nur zu recht, mit seinem Klassiker 'Es führt kein Weg zurück'. Wie hätte ich ahnen können, dass keiner von uns realistischerweise jemals wieder nach Hause gehen dürfte? Man hatte uns in einem Hochofen geschmolzen. Wir hatten uns verändert, vollkommen und unwiderruflich. Wir würden nie wieder dieselben sein." (S. 144 f.)

    Doch kaum wieder in Freiheit, wird er wegen illegalen Waffenbesitzes erneut festgenommen, und diesmal gerät Sam Millar in die Hölle. 'Long Kesh' heißt die Haftanstalt, und für besonders harte Fälle, die den Widerstand gegen die britische Herrschaft auch im Gefängnis nicht aufgeben, gibt es hier die sog. H-Blocks. Die Gräueltaten, die dort an den Häftlingen verübt wurden, könnten einem Bericht von Amnesty International entstammen. Dieser Abschnitt war echt Hardcore. Ich habe versucht, die Bilder im Kopf zurückzudrängen, aber das hat nicht in jedem Fall gut geklappt. Was ein Mensch so aushalten kann, ist immer wieder unglaublich. Was ein Mensch einem anderen Menschen antun kann, ebenso.

    Dennoch hat Sam Millar diese Episode so geschildert, dass es irgendwie auszuhalten war. Nahezu nüchtern im Schreibstil, dabei aber immer wieder von Humor und Sarkasmus durchsetzt, schaffte er die notwendige Distanz - sicher nicht zuletzt auch für sich selbst. In der Leserunde schrieb er hierzu:

    "My father always taught me That laughter is the best medicine. Laugh Even When You want to cry, and believe me there were many times I wanted to cry in the H-Blocks!"

    Die Zustände in Long Kesh sind - unabhängig davon, wer was wann verbrochen hat - sachlich ausgedrückt unhaltbar und skandalös. Den Vergleich mit einem KZ oder auch mit Guantanamo muss sich Großbritannien wohl gefallen lassen. Da die Zustände dort (anders als seinerzeit in Deutschland) nicht durch einen Kriegsgegner beendet wurden, kann es leider kaum verwundern, dass die Verantwortlichen für Folter und Missachtung der Menschenrechte niemals zur Verantwortung gezogen wurden. Dass Sam Millars Buch in Großbritannien verboten wurde, wohl ebenso wenig...

    "Sie werden mich nicht brechen können, denn meine Sehnsucht nach Freiheit und die Sehnsucht nach Freiheit des irischen Volkes, die ich in meinem Herzen trage, ist viel zu groß. Es wird ein Tag anbrechen, an dem alle Menschen in Irland ihre Sehnsucht nach Freiheit offenbaren. An diesem Tag werden wir den Mond aufsteigen sehen." (Bobby Sand) (S. 182)

    Als Sam Millar nach all den Jahren der unsagbaren Folter letztlich freikommt, bittet sein Vater ihn, zumindest für die Dauer eines Urlaubs in die USA zu gehen. Und hier beginnt der zweite Teil des Buches, denn aus den geplanten 10 Tagen werden schließlich 10 Jahre...

    "'Belfast? Das ist'n raues Pflaster. So viele Tote. Reiner Wahnsinn.' Jetzt war ich derjenige, der lachte. In New York werden an einem Wochenende mehr Menschen getötet als in Belfast in einem Jahr. Offenbar muss jeder irgendein größeres Monster erschaffen, damit das eigene nicht so schlimm wirkt." (S. 256)

    Der etwas zweifelhafte Höhepunkt dieser zehn Jahre ist ein Überfall auf ein Gelddepot, bei denen Sam und ein Kumpan mehrere Millionen Dollar erbeuten. Fortan lebt Sam in großer Angst, dass die Spuren letztlich zu ihm führen könnten. In jedem Fall hat er mit dieser Tat in den USA Kriminalgeschichte geschrieben...

    "'Willst du mich verscheißern?', fragte er und wischte sich das Bier vom Kinn. Später blickte ich auf jenen Tag zurück und begriff, dass ich ihn damals tatsächlich verscheißert hatte. Es ging um mehr als um eine Million. Verdammt viel mehr. In Amerika sollte Geschichte geschrieben werden, und ich war der Mann mit dem Füllfederhalter..."

    Ich gehe nicht davon ab, hier zwei vollkommen verschiedene Bücher gelesen zu haben - zwei Episoden, die vermeintlich überhaupt nicht miteinander im Zusammenhang stehen, und außer der Tatsache, dass man den 'irischen Sturkopf' nie leugnen konnte, hätten es zwei vollkommen verschiedene Leute sein können, die in die Ereignisse verstrickt sind.

    Ich bin ganz ehrlich: den ersten Teil (Irland) fand ich herausragend, spannend, unsagbar, da habe ich mitgefühlt und -gelitten. Hier konnte ich die Person des Sam Millar tatsächlich greifen, alles wirkte authentisch. Im zweiten Teil dagegen wird vieles nur angedeutet oder ganz ausgelassen, und so nahm mich die Erzählung hier nicht mehr wirklich mit. Diesen zweiten Teil - ich kann mir nicht helfen - den hätte es für mich nicht unbedingt gebraucht. Da fand ich die Person 'Sam' nicht wirklich wieder, die Geschehnisse waren oft zu sehr auseinandergerissen, mir fehlten Informationen, manche Fragezeichen haben sich bis zum Schluss auch nicht aufgelöst.

    Vielleicht kann es sein, dass sich der erste Teil nicht ohne den zweiten verkauft hätte. Das fände ich dann allerdings sehr armselig, denn der erste Teil gehört für mich zu den authentischsten Autobiografien, die ich je gelesen habe. Ein wichtiges Stück Zeitgeschichte ist hier aus erster Hand dokumentiert worden, und zwar abseits der offiziellen und deutlich anderen Version der Briten. Das wäre für mich ein Grund, über Preisverleihungen nachzudenken. Nicht jedoch der zweite Teil, dessen Entwicklung für mich auch mit fragwürdigen individuellen Entscheidungen zusammenhing.

    Zwei Bücher, zwei Wertungen - einmal uneingeschränkte fünf Sterne, einmal allerdings nur noch knappe drei. Macht im Durchschnitt gute vier Sterne, die ich hiermit gerne vergebe. In jedem Fall ist dies ein ganz außergewöhnliches Buch!

    © Parden

  1. Ließ mich nachdenklich zurück

    True Crime von Sam Millar

    Sam Millar offenbart in diesem Buch eine Menge über sein Leben. Er beschreibt detailliert, wie es ist,in der Lancaster Street in Belfast aufzuwachsen. Er berichtet von den Unruhen, dem angespanntem Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten.
    Doch das was dieses Buch für mich ausmacht, ist die Beschreibung über die Zustände in The Maze, einem berüchtigten Gefängnis, auch Long Kesh genannt. Millar wird zu Unrecht verurteilt, und schließt sich im Gefängnis dem Protest an, der in die Geschichte eingegangen ist. Er erzählt relativ nüchtern, untersetzt mit seinem Humor, wie die Insassen von den Wärtern gequält werden. Dieser Abschnitt hat mich emotional echt erwischt.
    Dann macht das Buch einen Sprung, und Millar erzählt von seinem Raub auf Brinks, der als legendär gilt. Dieser Teil wird dem Titel True Crime dann auch mehr als gerecht.
    Dieses Buch hat mich wie bei einer Achterbahnfahrt immer rauf und runter geführt. Es besticht durch die Tatsache, dass es eine Autobiografie ist, Millar legt dem Leser sein Leben zu Füßen.
    Es hat mir die Augen geöffnet, vorallem über die politische Situation in Nordirland. Klare Leseempfehlung von mir!

  1. 5
    04. Feb 2016 

    Nur das wahre Leben schreibt die spannendsten Geschichten!

    Wer ist Sam Millar?
    Sam Millar, Jahrgang 1955, ist der Kopf hinter einem der größten Raubüberfälle der Geschichte.
    Nach langen Jahren im Gefängnis lebt er heute in Belfast, wo er neben Kriminalromanen mit True Crime den Thriller seines Lebens geschrieben hat, für den er mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. (Quelle: Atrium Verlag)

    Sam Millar hat einen großen Teil seines Lebens mit diesem autobiografischen Thriller verarbeitet … und zu verarbeiten gab es einiges. Seine Geschichte beginnt in seiner Kindheit in Belfast. Er wächst in einer trostlosen Atmosphäre auf, wird tagtäglich mit dem Hass zwischen Katholiken und Protestanten konfrontiert. Als er 17 ist, findet ein unbeschwerter Ausflug mit seinem Bruder ein fürchterliches Ende in Derry. Sie erleben den schrecklichen Angriff englischer Soldaten auf friedliche Demonstranten, bei denen 13 Menschen erschossen werden. Dieser Tag geht später als „Bloody Sunday“ in die Geschichte ein. Dieses Erlebnis hat den weiteren Werdegang von Sam Millar geprägt. Er sympathisiert mit der IRA, die den Kampf gegen die Briten verschärft. Durch einen dummen Zufall wird Sam verhaftet. Ohne ein anständiges Gerichtsverfahren kommt Sam mit 17 Jahren erstmalig nach Long Kesh, dem gefürchteten Gefängnis vor den Toren von Belfast.

    "Insgeheim wollte ich Rache dafür, nur deshalb im Kesh gelandet zu sein, weil ich Ire war. Wenn die Briten die Frechheit besaßen, mich in meinem eigenen Land einzusperren, nur weil ich ein Patriot mit republikanischem Hintergrund war, konnte ich mich auch wie einer benehmen. Die Rache würde mein sein. Ich wollte ein Stachel im Fleisch der britischen Regierung sein und den Wichsern Manieren beibringen." (S. 86 f.)

    In Long Kesh beginnt eine Leidenszeit, die so unvorstellbar ist, dass man sich fragt, wie ein Mensch so etwas überleben kann. Sam’s Gefängnisalltag wird bestimmt von Misshandlungen, Folter, Demütigungen, Angst. Er und seine Mitgefangenen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen und sind der Willkür der Gefängniswärter ausgesetzt. Und trotzdem schaffen Sie es, den Kampf der IRA mit ihren eigenen Waffen zu kämpfen. Ihr Wille ist ihre stärkste Waffe. Trotz aller Schikanen, Brutalität und Psychoterror schaffen sie es, ihren Gegnern die Stirn zu bieten und lassen sich nicht brechen.

    "Eine andere Tür wurde aufgerissen, ein weiterer Häftling nach draußen geschleift, und wir alle hatten nur noch einen Gedanken: Bin ich der Nächste? Was machen die mit mir? Warum schert sich keine Sau darum, was hier mit uns passiert?..." (S. 130)

    Nach Beendigung seiner Haftzeit geht Sam Millar in die USA. Während der Jahre, die er im Casino-Milieu arbeitet, reift in ihm eine irrwitzige Idee: er plant einen der größten Raubüberfälle in den USA und zieht diesen auch mit Unterstützung einiger Komplizen durch.
    Aber jeder noch so perfekte Plan, hat irgendwo einen Haken. Sam und seine Komplizen fliegen auf. Es kommt zur Gerichtsverhandlung. Am Ende wird Sam zu 5 Jahren Haft verurteilt. Seine eigentliche Beteiligung am Raub kann man ihm nicht nachweisen. Nach dem Ende seiner Haftzeit kehrt er zurück nach Belfast.

    "Wenn man nicht den Verstand verlieren will, musste man stets allem wenigstens einen positiven Aspekt abgewinnen." (S. 109)

    Als ich diesen autobiografischen Thriller beendet hatte, kam es mir vor, als hätte ich 3 unterschiedliche Bücher gelesen, wobei jedes Buch für sich großartig und spannend geschrieben ist. Aber trotzdem unterscheiden sie sich sehr deutlich voneinander.

    Der 1. Teil behandelt das Leben in Nordirland bis hin zu Sam’s Aufenthalt in Long Kesh. Hier hat es mir häufig die Sprache verschlagen, denn Sam Millar beschreibt seinen Gefängnisaufenthalt mit vielen schonungslosen Details. Er verschweigt nichts. Beim Lesen überkommt einen Wut und Fassungslosigkeit über die Aneinanderreihung von Grausamkeiten. Die Verzweiflung der Inhaftierten ist kaum auszuhalten. Bemerkenswert ist an dieser Stelle der Sprachstil von Sam Millar. Er beschreibt die Zustände sehr nüchtern. Aber gleichzeitig bringt er Kontraste rein, schildert schöne Momente und lässt zwischendurch Humor und Sarkasmus durchblitzen. Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit gewesen, den entsetzlichen Verhältnissen in Long Kesh zu begegnen und nicht verrückt zu werden. Genauso wie dieser Sprachstil den Leser davor bewahrt den Roman vor lauter Entsetzen in die Ecke zu pfeffern.

    "Das Wetter draußen war herrlich: zum Weinen schön. Man wusste, Gott meinte es gut mit einem. Verschiedene Gerüche stiegen mir in die Nase, als ich zwischen den Gitterstäben des Fensters hinaussah: flüssiger Teer, der im sanften Windhauch abkühlte; eine leichte, vage Note von Waschpulver; Spiegeleier in einer Pfanne. Ich bildete mir ein, ich könnte Mister Softy hören, und stellte mir vor, wie alle Kinder mit glücklichen Grinsegesichtern für ein Eis Schlange standen." (S. 114)

    Im 2. Teil reist Millar nach Beendigung seiner Haft in die USA. Er berichtet von seiner Arbeit in den Spielcasinos und langsam reift in ihm der Plan, Brinks auszurauben. (Brink's ist übrigens ein weltweit tätiges Werttransportunternehmen). Ich habe nicht verstanden, was Sam Millar dazu bewogen hat, diesen Raubüberfall zu planen und durchzuführen. Zumal sich Millar in diesem Teil auch völlig anders präsentiert als im 1. Teil. Auf einmal treten bei ihm kriminelle Energien zutage, die ich ihm in Long Kesh völlig abgesprochen hätte. Man kann nur spekulieren, was ihn dazu gebracht hat: War es der Reiz des großen Geldes? Verändert sich durch einen derart traumatischen Gefängnisaufenthalt die Einstellung zu Recht und Unrecht? Ich bin mir nicht sicher.

    "Es kann einfach nichts schiefgehen, wenn man einen perfekten Plan hat. Das klappt immer. Bis man feststellt, dass der Plan doch nicht ganz so perfekt war ..." (S. 281)

    Der 3. Teil behandelt den Prozess nach Sam's Verhaftung wegen des Raubüberfalls. Mit diesem Teil hat Sam Millar einen Justiz-Thriller par excellence geschrieben. Er konzentriert sich dabei auf die Prozessbeteiligten und deren Taktiererei während des Prozesses. Dieser Teil ist sehr unterhaltsam und gewährt den Leser einen interessanten Blick hinter die amerikanischen Justiz-Kulissen.

    Durch Sam Millar lernt man etliche der Charaktere kennen, die seinen bisherigen Lebensweg begleitet haben. Dabei präsentiert er diese Charaktere auf unterschiedliche Art. Seinen Mitgefangenen in Long Kesh begegnet er mit tiefstem Respekt vor ihrem unbeugsamen Willen. Für das Gefängnispersonal hat er nichts als Verachtung übrig. Und seine Freunde in Amerika betrachtet er meistens mit einem Augenzwinkern, so dass für den Leser eine besondere Nähe zu diesen Charakteren entsteht. Insbesondere seinen kriminellen Freunden lässt man dadurch vieles durchgehen. Kriminelle Machenschaften verlieren dadurch ihren Ernst.

    "Ronnie betrachtete sich selbst als Menschenfreund in zerlumpten Hosen, als einen modernen Robin Hood, der glaubte, dass man den Reichen nehmen und den Armen geben sollte. Manchmal blieb diese Philosophie jedoch etwas vage und es fiel ihm schwer, zwischen den Armen generell und sich selbst zu unterscheiden." (S. 209)

    Fazit:
    Sam Millar hat mit diesem autobiografischen Thriller einen großen Teil seines ungewöhnlichen Lebens verarbeitet. Er konzentriert sich dabei knallhart auf die Fakten, die er in einem unvergleichlichen Sprachstil präsentiert. Er kombiniert Nüchternheit, die in der Darstellung nichts beschönigt mit Humor und Sarkasmus. Dieses Buch ist einzigartig. Nichts in diesem Buch ist erfunden. Alles hat so stattgefunden. Und man stellt fest, dass nur das echte Leben die spannendsten Geschichten schreiben kann.

    Ich habe dieses Buch während einer Leserunde bei Whatchareadin gelesen, an der auch Sam Millar teilgenommen hat. Er war absolut offen für die Fragen der Teilnehmer und hat allen aufrichtig Rede und Antwort gestanden. Die Insider-Informationen, die man dadurch insbesondere über den Nordirland-Konflikt erhalten hat, waren unbezahlbar. Ich habe selten eine Leserunde erlebt, bei der solch ein reger Austausch stattgefunden hat. Viele der Teilnehmer - dazu gehöre auch ich - werden sich auch weiterhin mit den Büchern von Sam Millar auseinandersetzen. Dafür ist sein Schreibstil und sein Sinn für Spannungsaufbau zu besonders, als dass man an seinen Büchern vorbeigehen könnte.

    © Renie

  1. Rundum großartig

    Es gilt ja, so lehrt uns das Medium Film, immer etwas vorsichtig zu sein, wenn es heißt „basiert auf wahren Tatsachen“. Und dann kommt, wenn auch im Medium Buch, jemand wie Sam Millar daher, dessen Erstling „True Crime“ als autobiografisches Werk mit Thriller-Qualitäten beworben wird. Zwar war mir seine Karl Kane-Reihe schon bekannt (und verflucht noch mal, die Bücher sind echt gut!), allerdings ging ich an dieses hier dann doch mit etwas Skepsis (und einem Smartphone mit Wikipedia-App) heran.
    Es fällt mir dabei offen gestanden etwas schwer, „True Crime“ unter den bekannten Gesichtspunkten zu beurteilen, denn so etwas wie Charaktere und Figuren oder eine künstlich aufgebaute Atmosphäre nebst Spannungsbogen gibt es natürlich nicht, wenn der Stempel „Biografie“ auf dem Buch prangt. Was es im Gegenzug jedoch gibt, ist die Geschichte eines Mannes, die sich schon von Beginn an durch Missstände, Gewalt und Unterdrückung auszeichnet, eine Geschichte, die dem Leser an vielen Stellen unfair erscheint. Millar gelingt es sehr gut, den Zeitgeist der frühen 70er Jahre in Irland einzufangen und dabei eine Atmosphäre zu zeichnen, mit der die Fiktion nicht mithalten kann. Besonders die geschilderten Jahre im Hochsicherheitsgefängnis Long Kesh sind extrem bedrückend, stellenweise empörend und schonungslos offen geschildert. Und dabei unglaublich spannend geschildert. Auch die darauf folgenden Jahre im Lebenslauf des Autoren wissen nach wie vor zu überzeugen, liegen teilweise noch dichter an einem Thriller als die erste Hälfte des Buches, sind aber im direkten Vergleich zur Irland-Episode doch etwas weniger nervenaufreibend und zermürbend. Man kann fast sagen, dass die frühen Jahre Millars das Herzstück der Geschichte sind. Weniger atmosphärisch ist der falsche Ausdruck, sie sind einfach von einer anderen Kultur und einem anderen Lebensstil geprägt worden.

    Es ist sehr interessant, die Entwicklung des politischen Aktivisten (ich weigere mich an dieser Stelle, das Wort „Terrorist“ zu benutzen, denn es erscheint im Kontext der Geschichte absolut unpassend) Sam Millar zu verfolgen, zu sehen wie schnell er Fuß in der IRA fassen konnte und wie schnell er in den Sog aus Gewalt und Terror hineingezogen wurde. Besonders da ich, Facebook sei Dank, seine heutigen Ansichten zu den Geschehnissen im Vereinigten Königreich ebenfalls nachlesen kann. Ebenso interessant ist es (und hier lässt dann die zweite Hälfte von „True Crime“ ihre Muskeln spielen) zu sehen, wie aus dem politischen Aktivisten einer der meistgesuchten Verbrecher der USA wurde, besonders nachdem die illegale Einwanderung in die Vereinigten Staaten eigentlich unter dem Aspekt der erträumten Freiheit zu sehen ist.

    Stilistisch kann man, wie auch in seinen Romanen um den Privatermittler Karl Kane, nichts an Sam Millar aussetzen. „True Crime“ ist eine dieser Biografien, die erstaunlich leicht von der Hand gehen. Der Autor schreibt locker und geradeheraus, lässt dabei auch immer wieder seine nach wie vor vorhandenen politischen Ansichten einfließen ohne dabei belehrend wirken zu wollen. Der Siegel „Thriller“ verdient das Buch dabei durchaus, denn ich habe nur selten etwas in der Hand gehalten, was (besonders ob des realen Hintergrundes) so spannend zu lesen war. Meine Wikipedia-App hat mir übrigens gute Dienste geleistet, denn soweit ich es nachvollziehen konnte, hatte man es in „True Crime“ an keiner Stelle mit einem selbstdarstellerischen, sondern durchweg mit einem faktenbasierten Werk zu tun.

    Fazit:
    Sam Millars Autobiografie „True Crime“ hält, was der Klappentext verspricht. Eine Lebensgeschichte, die sich wie ein Thriller liest, mindestens genau so spannend ist und dabei den Zeitgeist zweier unterschiedlicher Jahrzehnte in einem unterschiedlichen Kulturkreis ausgesprochen gut einfängt. Man fiebert mit dem Autoren mit, man ist bedrückt ob der Umstände in Irland, man fragt sich, wo wohl die Millionen aus dem Raubüberfall versteckt sind ;-). Ein rundum großartiges Buch.