Therapiert
Prinzessin nennt Pekka die Lieblingspatientinnen seiner Frau Clarissa. Diese tritt als die bekannte Therapeutin und Expertin Clarissa Virtanen sogar im Fernsehen auf. Und im Moment hat Clarissa wieder eine Prinzessin: die junge Ira. Allerdings fällt es Clarissa nicht so leicht mit der erst zwanzigjährigen Klientin eine Verbindung aufzubauen. Die junge Frau scheint große Probleme zu haben auch damit, sich ihrer Therapeutin zu öffnen. Die größte Furcht für Clarissa ist, dass Ira sich etwas antun könnte. Clarissa möchte sich voll auf die Behandlung von Ira konzentrieren, allerdings will sie die Interviewanfrage von Arto auch nicht auslassen.
Die vier Protagonisten Clarissa, Ira, Arto und Pekka lassen die Leser an ihren Gedanken teilhaben. Die Jüngste Ira scheint die Behandlung nötig zu haben, aber ist sie immer ganz ehrlich? Clarissa, die hippe TV-Expertin, lässt kaum jemanden hinter die Fassade blicken. Arto hat in seinem Leben etliche Fehler gemacht, für die er meint, bezahlen zu müssen. Sein Zahlungsmittel ist der Alkohol. Und Pekka als Ehemann, möchte aus dem Hintergrund einige Fäden ziehen. Und jeder erzählt die Geschichte etwas anders als die anderen. So kann sich der Leser oder die Leserin die Story auf eigene Weise zusammensetzen.
Durch die vier unterschiedlichen Blickwinkel und die relativ kurzen Kapitel bildet sich schnell ein spannendes Szenario. Teilweise weiß man nicht, wo einem der Kopf steht und so manches Kapitelende ist mit heftigen Cliffhangern versehen. So lässt sich dieser Thriller natürlich nicht so einfach aus der Hand legen. Ob der Alkohol immer ein Trost sein kann, mag dahingestellt bleiben, aber wie sich ihr Verwicklungen ergeben, nachdem doch alles so harmlos angefangen hat, das muss der Autorin erstmal einer nachmachen. In diesem Buch stellt sich die Welt irgendwann genauso auf den Kopf wie das Haus auf dem Titelbild. Dieser gelungene Thriller sollte möglichst viele Leser finden. Oder würde sich nicht auch ein Film anbieten?
Folge nicht dem Schmetterling
Fangen wir mit dem Positiven an: Die Grundidee klang durchaus interessant. Auch ein paar der angesprochenen Themen bilden an sich eine gute Grundlage für einen tiefgründigen Thriller. Eine Serienmörderin, die sich eine Therapeutin sucht? Was für eine spannende, originelle Idee! Das eröffnet so viele Möglichkeiten und so viele ethische Fragen … In meinen Augen wurde dieses Potential indes leider nicht ausgeschöpft.
Eigentlich mag ich unzuverlässige Erzähler:innen ja – wenn sie gut geschrieben sind. Aus meiner Sicht erfordert das aber zwingend, dass ihr Verhalten zumindest im Rückblick einen kohärenten Sinn ergibt. Warum ist dieser Charakter ein unzuverlässiger Erzähler, was verspricht er sich davon? Am Schluss sollte sich das letzte Puzzleteil auf eine Weise ins Bild fügen, die im Rückblick alles andere erklärt.
Die Motivation zur Täuschung muss im Verlangen des Charakters begründet liegen, nicht im Verlangen des Autors oder der Autorin, die Handlung zurechtzubiegen. Und das ist der Hauptgrund, warum es in »Therapiert« meines Erachtens eben nicht funktioniert. Hier werden Lesende gezielt in die Irre geführt, um schockierende oder zumindest unerwartete Wendungen möglich zu machen, die sonst keinerlei Sinn ergeben würden. Außerdem sind im Grunde alle vier Ich-Erzähler mehr oder weniger unzuverlässig, was es zum Gimmick macht.
Wusste ich am Schluss überhaupt, wer diese Menschen wirklich sind? Nein, denn sie lügen über Dinge, die eigentlich die Grundlagen ihres Wesens und ihrer Motivation darstellen – auch über Dinge, bei denen sie nicht hätten lügen müssen, was nur den Schluss zulässt, dass hier die Autorin spricht, nicht der Charakter. Viele der Wendungen erschienen mir im Rückblick daher bedeutungslos und zusammengeschustert.
Sogar die Dinge, die sich als wahr erweisen, lesen sich zum Teil unglaubwürdig. Zum Beispiel wirkte Star-Therapeutin Clarissa Virtanen rundum unprofessionell und übertrieben. Welche Therapeutin bricht in haltloses Schluchzen aus, weil eine Patientin ihr etwas Schlimmes erzählt, was sie erlebt hat? Welche Therapeutin reagiert andererseits genervt, weil eine Patientin ihr in der zweiten Sitzung noch nicht vertraut?
In sehr kurzen Kapiteln spult sich die Handlung im flotten Tempo ab, so dass sich durchaus Spannung aufbaut. Leider hatte ich am Schluss jedoch das Gefühl, eine unnötig aufgebauschte Geschichte ohne echte Substanz gelesen zu haben.
Fazit
Für mein Empfinden verpufft hier eine sehr vielversprechende Idee; die Handlung verliert durch erzwungene Wendungen und übertrieben unzuverlässige Erzähler ihre Schlüssigkeit.