Smoke: Roman

Ende des 19. Jahrhunderts lernen sich die Jugendlichen Thomas und Charlie auf einem Elite-Internat kennen. Dort sollen sie lernen wie es ihrer Klasse geziemt, doch sie sollen auch lernen, den Rauch zu beherrschen. Kinder können es nicht, heißt es. Zu Beginn der Pubertät erlangen die Kinder langsam die Fähigkeit. Was aber ist der Rauch? Er entsteht bei jeder Gefühlsregung und scheint aus allen Poren zu quellen. Für die Jungen adliger Herkunft wird es allerdings nicht als angebracht angesehen, zu rauchen. Und so üben sie sich in Selbstbeherrschung und Kühle. Bei aller Beherrschung sind junge Menschen aber auch neugierig und sie wollen das Geheimnis des Rauchs ergründen.
Die so genannten einfachen Menschen dürfen rauchen, sie haben ja sonst nichts zu sagen. Für die vermeintliche Elite wird es allerdings nicht als angebracht angesehen. Und so wird er ein Zeichen der Trennung, dieser Rauch. Einher geht er mit einer Abschottung Englands nach außen. Die Menschen wissen nicht, wie es in anderen Ländern zugeht. Gibt es dort das Phänomen des Rauchs ebenso? Wie die Völker damit um? Sehen sie es als ganz normal oder ebenfalls als Zeichen der Sünde? Gibt es eine Heilung? Bedarf es dieser überhaupt? Nun, auch in England gibt es geheime Bewegungen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Doch haben diese nur lautere Ziele?
Soll man dieses Buch einfach nur als Roman lesen oder mehr wie ein Gleichnis auf die heutige Gesellschaft? Jedenfalls finden Charlie und Thomas alsbald heraus, dass die Welt nicht so ist, wie es ihnen vorgegaukelt wird. Und das ist sicherlich in die heutige Zeit übertragbar. Es ist an einem selbst, zu überlegen, was man glauben soll oder besser was man glauben kann. Dazu bedarf es eigener Recherche aus verschiedenen Quellen, um einen Querschnitt zu bekommen, aus dem man für sich eine Quintessenz ziehen kann. So wie Charlie und Thomas sich aufmachen, nach der Wahrheit zu suchen und den Versuch starten, sich von der Bevormundung zu befreien, kann man es vielleicht selbst versuchen, getragen von der Hoffnung eine Verbesserung herbei zu führen, aber im Bewusstsein, dass dies nicht immer der Fall sein wird.
Ein packender Roman von Dan Vyleta, der eher von zeitgeschichtlichen Romanen bekannt ist. Auch mit diesem Werk, das vielleicht als Dystopie angesehen werden kann, schafft es der Autor eine düstere Welt erstehen zu lassen, die durchaus Parallelen zur in Teilbereichen nicht allzu schönen Gegenwart aufweist. Man beginnt zu hinterfragen, durch welchen Rauch oder dessen Beherrschung man selbst klein gehalten wird und was man dagegen unternehmen sollte.
Dem Rauch sei Dank
Was zunächst anmutet wie ein viktorianischer Roman um zwei Jungen adliger Herkunft, die in einem Internat aufeinandertreffen und unterschiedlcher nicht sein können - Charlie, Sproß einer wohlhabenden Adelsfamilie, wohlerzogen und gutherzig und Thomas, Sohn einer verarmten Adelsfamilie, nach dem Tod des Vaters, der als Mörder verhaftet wurde, und der an Krebs erkrankten Mutter leicht verwahrlost und wild aufgewachsen, dementsprechend düster und aufbrausend - entpuppt sich jedoch bald als sozial- und systemkritischer Roman, in dem es darum geht, Freund und Feind zu erkennen, aber auch die feinen Nuancen dazwischen zu entdecken, sich eine eigene Meinung zu bilden und zwischen eigenen, aber auch visionären und die Gesamtheit betreffenden Entscheidungen abzuwägen. Über allem schwebt der Rauch, den man bei der Lektüre beinahe schmecken, riechen, seine ölige Konsistenz fühlen kann. Der Rauch, der beim bloßen Gedanken an eine Sünde entsteht und dem Menschen entweicht. Doch sollte der Rauch, den es offenbar nicht bereits seit Anbeginn der Menschheit gibt - oder ist dies auch bloß erfunden? - nicht doch etwas sein, was es zu akzeptieren gilt, um sich anderen Problematiken - der sozialen Situation in London zu dieser Zeit beispielsweise - anzunehmen? Ist er nur Symbol oder greifbar, um auf andere Missstände hinweisen zu können, Mittel zum Zweck? Dies müssen Thomas, Charlie und Livia, die Tochter der Revolutionärin Lady Naylor und mit Thomas weitläufig verwandt, auf einem Langen Weg der Irrungen, Wirrungen, inneren und äußeren Herausforderungen und Gewissensprüfungen herausfinden.
Keine leichte Lektüre, sowohl thematisch als auch vom Aufbau der Geschichte her gesehen nicht. Leserin und Leser lernen viele verschiedene Perspektiven kennen, wobei nicht immer durch eine Kapitelüberschrift sofort klar wird, wer die nächste Sequenz erzählt. Kommen doch die meisten Charaktere, die im Buch auftauchen, zu Wort. Hinzu kommen inhaltsschwere Einleitungen zu den einzelnen Teilen des Buchs, Zitate aus historischen Werken und von bedeutenden Persönlichkeiten, fiktional und real. Daneben werden nicht alle losen Enden verknüpft, das Ende bleibt offen. Was zum Nachdenken anregen soll, lässt einen jedoch an einigen Stellen (leider) an eine Wand aus Rauch stoßen.
Keine leichte Lektüre zur bloßen Unterhaltung, der Rauch möchte, dass man sich mit ihm auseinandersetzt. Ebenso wie dies die handelnden Charaktere einfordern. Ein arbeitsintensives Werk, Respekt an den Autor.