Schwindende Schatten: Roman
![Buchseite und Rezensionen zu 'Schwindende Schatten: Roman' von Antonio Muñoz Molina](https://images-eu.ssl-images-amazon.com/images/I/411WNtNDuZL.jpg)
Inhaltsangabe zu "Schwindende Schatten: Roman"
»Zweifellos einer der herausragendsten spanischen Autoren der Gegenwart.« Die ZeitIn Lissabon, einer der schönsten Städte der Welt, kreuzen sich zwei Lebenswege: James Earl Ray, der als Attentäter von Martin Luther King Schlagzeilen machte, ist auf der Flucht vor der Polizei. Und der passionierte Spaziergänger Antonio Muñoz Molina, der zwanzig Jahre später dort an einem seiner wichtigsten Romane arbeitet, auf der Suche nach sich selbst und seinem Schreiben. Die Stadt am Atlantik wird zum Umschlagplatz von Leben, Geschichte und Literatur.
Durchzogen von der vibrierenden Atmosphäre Lissabons und klugen Reflexionen über das Schreiben, klingt »Schwindende Schatten« wie ein guter Jazzsong, wie eine Mischung aus absoluter Kontrolle und Improvisation, aus Leichtigkeit und Tiefe.
Faszination und Langeweile
Am 4. April 1968 erschoss James Earl Ray den Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis. Rays anschließende Flucht führte ihn in die Hauptstadt Portugals, die er als Zwischenstation nutzen wollte, um sich in eine der portugiesischen afrikanischen Kolonien abzusetzen und somit unterzutauchen. Der spanische Autor Antonio Muñoz Molina verbrachte etwa 40 Jahre später den ersten von mehreren Aufenthalten in Lissabon. Inmitten der Schaffensphase seines Romans "Der Winter in Lissabon" zog es ihn ebenfalls in Portugals Hauptstadt. Hier wollte er seinen Roman unter dem Einfluss des Flairs dieser Stadt mit der richtigen Würze versehen. Dieser Besuch hat gerade mal schlappe 3 Tage gedauert.
In seinem aktuellen Roman "Schwindende Schatten", erzählt er zum Einen James Earl Rays Geschichte, zum Anderen gewährt er einen tiefen Einblick in seine schriftstellerische Arbeit und sein Seelenleben. Ray und Molina sind also die Protagonisten dieses Romans. Sie sind sich nie begegnet und haben keine Gemeinsamkeiten - abgesehen von dem Aufenthalt in Lissabon. Was hat Molina bewogen, sich auf diese schriftstellerische Verrücktheit einzulassen? Wie passen die unterschiedlichen Themen zusammen? Ein faszinierendes Rätsel, das durch den Roman „Schwindende Schatten“ hoffentlich gelöst wird.
Die beiden Geschichten werden parallel erzählt. Netterweise hält sich Molina an eine strikte Aufteilung seiner Kapitel: die ungeraden Kapitel behandeln sein Schriftstellerleben inkl. Schaffenskrisen. Die geraden Kapitel schildern die Flucht von Ray nach seiner verstörenden Tat. Insbesondere mit diesem Part hat mich Molina geflasht. Er lässt Ray selbst erzählen. Dabei taucht der Leser in die Gedankenwelt eines psychisch labilen Mannes. Man bekommt eine ungefähre Ahnung, was Ray dazu getrieben hat, das Attentat zu verüben. Eine schwere Kindheit, eine rassistisch geprägte Umgebung, kriminelle Veranlagung, Haftstrafen etc. etc. etc. Die Gedankenwelt des Ray ist jedoch schwer zu verstehen. Denn im Großen und Ganzen wird man das Gefühl nicht los, dass er seine eigene, leider völlig irrationale Realität geschaffen hat, in der er nach seinen eigenen moralischen Grundsätzen lebt. Er ist auf der Suche nach Anerkennung und Berühmtheit, die ihm der Mord an Martin Luther King verschaffen soll. Armer Wicht! Denn er überschätzt sich selbst, dichtet sich Fähigkeiten an, die er im Leben nicht besitzt bzw. besaß. Soviel zum interessanten Teil dieses Buches.
Molina hat sein Schriftstellerdasein und damit verbundenen Schaffenskrisen zum Anlass genommen, aus dem Schriftsteller-Nähkästchen zu plaudern. Doch, wenn er mal wirklich geplaudert hätte! Stattdessen fühlt man sich oft gelangweilt, zumal der Autor seine ganze Energie auf die Beschreibung der Schaffensprozesse verwendet. Dabei steht ihm seine Detailverliebtheit im Weg. Denn akribisch genau seziert er die Prozesse, beschreibt sein Gefühlsleben als Schriftsteller in einer Intensität, die mir stellenweise zuviel war. Stilistische Mittel wie Endlos-Aneinanderreihungen und verschachtelte Sätze, machen das Lesen nicht einfach. Dennoch blitzt zwischendurch immer wieder das schriftstellerische Können von Molina durch. Es gab tatsächlich Sätze, die mich innehalten ließen. Molina ist nicht umsonst ein angesehener Schriftsteller in Spanien, der bereits einige wichtige Literaturpreise absahnen konnte. Insofern schwankt man bei der Lektüre dieses Romans zwischen der Faszination über die verquere Gedankenwelt eines bekannten Mörders und der Langeweile über ein Schriftstellerdasein eines bekannten Autors. Man kommt nicht umhin, zwischendurch immer wieder die Frage nach den Parallelen zwischen den beiden Handlungssträngen zu stellen. Eine Antwort wird man nicht so ohne weiteres erhalten, auch wenn man sich noch so sehr Mühe gibt.
Mit der Zeit verwischt die strikte Unterteilung der beiden Handlungsstränge. Der Roman, der Anlass für den ersten Besuch von Molina in Lissabon war, ist mittlerweile geschrieben. Er reist jedoch später wieder dorthin, um über den Aufenthalt von Ray in Lissabon zu recherchieren und daraus eine Geschichte entstehen zu lassen.
"Schwindende Schatten" ist ein Matrjoschka-Buch (das sind diese buntbemalten, ineinander verschachtelten russischen Holzpuppen). Damit will ich sagen: Ich habe ein Buch ("Schwindende Schatten") über ein Buch ("Ein Winter in Lissabon") gelesen. Dann habe ich ein Buch ("Schwindende Schatten") über ein Buch ("Schwindende Schatten" -Entstehung), über ein Buch (Rays Geschichte), in dem der Protagonist (Ray) ein Buch (im Gefängnis) schreibt, gelesen. Und ich bin sicher, dass ich irgendein Buch vergessen habe. Verwirrend!
Fazit:
Ich schwanke zwischen Langeweile und Faszination. Auf jeden Fall ist dieser Roman eine interessante Leseerfahrung und Herausforderung an den anspruchsvollen Leser.
© Renie