Schimmernder Dunst über CobyCounty: Roman
![Buchseite und Rezensionen zu 'Schimmernder Dunst über CobyCounty: Roman' von Leif Randt](https://m.media-amazon.com/images/I/31nOX9UgF8L._SL500_.jpg)
Ich glaube, ich habe noch nie ein Buch gelesen, bei dem ich so unentschieden war, ob es mir nun gefallen hat oder nicht. So etwas geht doch überhaupt nicht? Oh doch, bei diesem Buch sehr wohl.
Die Geschichte ist ziemlich belanglos: Ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben eines fast 27jährigen Literaturagenten, der sich an diverse vergangene Episoden seines Lebens erinnert, alles ohne allzu große Aufregungen oder Spannung. Auch die erscheinenden Personen incl. des Protagonisten sind, nun ja, recht nichtssagend. Selten waren mir die Figuren eines Romanes so gleichgültig wie hier, selbst die für mich eher unsympathische Hauptfigur war nicht so richtig unsympathisch - sie war mir einfach egal. Kaum eine Spur von Empathie, Zu- oder Abneigung, ganz zu schweigen von stärkeren Emotionen meiner Seite ;-) Was mich dennoch bis zum Ende ohne Mühe weiterlesen ließ, war das ständige Gefühl, dass mir die Gesellschaft, in der sich das Beschriebene ereignete, ziemlich bekannt vorkam. Dieses CobyCounty, hat das nicht große Ähnlichkeit mit uns?
Eigentlich ist es fast schon eine Utopie, diese fiktive Gesellschaft. Die Menschen dort scheinen durchweg erfolgreich zu sein, und zwar nicht im Schweiße ihres Angesichts, sondern meist durch die Nutzung ihrer kreativen Fähigkeiten. FilmemacherInnen, AutorInnen, ArchitektInnen undundund. Die Ergebnisse der Arbeiten dieser KünstlerInnen werden begeistert von der Außenwelt aufgenommen, die sich auch nur eines wünscht: Leben wie in CobyCounty. Alt und Jung ist kein Gegensatz mehr, sondern eine Ergänzung. Geschlechtergrenzen sind fließend, Partnerschaften sind mit jedem Geschlecht möglich. Alles ist gut - nein, besser! Und trotzdem überkam mich beim Lesen nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass es dort tatsächlich besser ist. Denn dieses ganze Leben ist nur auf Eines ausgerichtet: Wie lebe ICH ein perfektes Leben? Alles was getan wird, geschieht nur im Hinblick auf dieses Ziel, nichts wird um des Tuns willen getan. Anschließend sonnt man sich im Bewusstsein ein guter Mensch zu sein, da man ja die richtigen Dinge getan hat. Doch das wird so beiläufig dargestellt, dass man es während des Lesens nicht richtig zu fassen bekommt. Unterschwellig wurde mein ablehndendes Gefühl immer stärker, zumindest manchmal deutlicher begründet durch einen Satz wie '...ich hatte von ihr (seiner Mutter) erfahren wollen, ob meine Geburt ihr Leben und das Leben meines Dads eigentlich sehr zum Negativen beeinflusst hat...'. Als ob das Negative eine Selbstverständlichkeit wäre bei der Geburt eines Kindes.
Kommt einem da Vieles nicht bekannt vor? Diese stete Selbstbeobachtung ('War ich freundlich, höflich, tolerant.... genug?') oder der ständige Selbstoptimierungswahn, besser schlafen, essen, trinken, gehen.... Das Ich muss es zur Perfektion bringen, sonst ist das Leben nicht gelungen.
Schlussendlich: Zwar hinterlässt dieses Buch kein gutes Gefühl, sondern eher das Gegenteil. Aber so etwas ist ja nicht immer schlecht (wie in diesem Fall), denn hier regt es zum Nachdenken an. Und wie es dem Autor derart subtil gelingt, diese nur schwer zu beschreibende Abneigung gegen diese Gutmenschengesellschaft hervorzurufen: Große Klasse!
Paradies für reiche Leute
Kurzmeinung: Über die gepflegte Herablassung der CobyCountyier gegenüber dem Rest der Welt muss man einfach lachen.
CobyCounty erinnert an Marthas Vineyard und an Cape Code. Es ist ein Ort für reiche Leute, die auf diejenigen herabblicken, die es sich nicht leisten können, hier zu wohnen. Denn über Geld spricht man nicht, man hat es. So war es und es wird nie anders sein für Wim und seine Freunde. Und es ist, wie es überall ist an diesen mondänen Orten: man ist nur etwas wert, wenn man unter 27 Jahre alt ist. Danach ist man alt und spießig und hat keinen Spaß mehr.
Wim sieht deshalb mit Sorge seinen Geburtstag heraufziehen und gibt sich unendlich blasiert und gelangweilt. Nur mit stoischer Gemütsruhe kann er dem Altern und dem Gewöhnlichwerden entgegensehen und ihm eventuell mit Würde begegnen, obwohl er er es sich einfach nicht vorstellen kann, diese magische Zeitgrenze zu überschreiten, und er begreift nicht, warum Wesley, sein alter Freund schon immer, nicht ebenso tickt. Sind sie doch sonst im Lebensgleichklang.
Weil seine Freundin Carla es nicht mehr aushalten kann, wie sehr Wim sich gegen das Erwachsenwerden sträubt, sich eine Zukunft mit Ehe und Kindern so absolut nicht vorstellen kann, er will ja ewig jung und Kind bleiben, trennt sie sich von ihm. Im geliebten CobyCountyCountry ziehen plötzlich äußerlich Veränderungen herauf, der Bürgermeister bekommt bei den Wahlen zum ersten Mal ernsthaft Konkurrenz, eine Seilbahn entgleitet und ein Sturm droht, den Ort zu verwüsten. Wieder kann Wim sich dies alles nicht vorstellen, Veränderungen sind widernatürlich. Und so bleibt er trotz allgemeiner Evakuierung vor Ort. CobyCounty besitzt einen übernatürlichen Schutzschild gegen alles Übel. Und Carla2 ersetzt nahtlos Carla1. Wer weiß, vielleicht ist Carla2 ja ein Klon von Carla 1. Im Paradies herrscht ewige Freude.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Die Story des blasierten, reichen, hedonistischen Jünglings, der auf ewiger Jugend beharrt, könnte schnell langweilig werden, aber CobyCounty, hier hat Wim recht, hat Charme, dem sich keiner entziehen kann, schon gar nicht der Leser.
Fazit: Nihilismus, der Spaß macht. So was gibt es.
Kategorie: gute Unterhaltung
Berlin TBVerlag, 2011
SubLeiche zum Leben erweckt.