Man kann auch in die Höhe fallen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Man kann auch in die Höhe fallen: Roman' von Joachim Meyerhoff
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Inhaltsangabe zu "Man kann auch in die Höhe fallen: Roman"

Nachdem er in Wien von einem Schlaganfall aus der Bahn geworfen wurde, hofft Joachim Meyerhoff, durch einen Neuanfang in Berlin wieder Fuß zu fassen. Doch alles kommt anders als gedacht. Die neue Stadt zerrt an den Nerven und die künstlerische Arbeit als Schriftsteller und Schauspieler fällt ihm von Tag zu Tag schwerer. Auf der Geburtstagsfeier seines kleinen Sohnes ereignet sich ein Zwischenfall, der keinen Zweifel daran lässt, dass es so nicht weitergehen kann. Der Erzähler verlässt Berlin und zieht zu seiner Mutter aufs Land, die auf einem herrlichen Grundstück unweit vom Meer ein sehr selbstbestimmtes Leben führt. Mutter und Sohn sind sich immer schon sehr nah gewesen, aber diese gemeinsamen Wochen werden zu einer besonderen Zeit. Der Sohn klinkt sich ein in den Tagesablauf der Mutter, beginnt seinen Theaterroman und andere Geschichten zu schreiben und findet allmählich heraus aus Zorn und Nervosität, die ihn sein ganzes Leben begleitet haben.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
EAN:9783462006995

Rezensionen zu "Man kann auch in die Höhe fallen: Roman"

  1. 5
    12. Nov 2024 

    Denkmal für eine unkonventionelle und widerstandsfähige Frau

    Mit seinem neuesten Buch ist Joachim Meyerhoffs ambitioniertes Erzählprojekt „ Alle Toten fliegen hoch“ auf mittlerweile sechs Bände angewachsen. Die treue Leserschaft ist vertraut mit der skurril-liebenswerten Familie des Autors. In seinem erfolgreichsten, auch verfilmten Buch „ Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ( 2013 erschienen ) erfuhr man von seinem Aufwachsen auf dem Gelände einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, da sein Vater dort leitender Direktor war. Danach konnte man ihn begleiten auf seinen schauspielerischen Lehrjahren in München. Hier wohnte der Autor bei seinen geliebten Großeltern, einem exzentrischem Paar mit ungeheurem Alkoholkonsum. Es folgten Geschichten über seine ersten turbulenten Liebschaften und in seinem letzten Buch verarbeitete Meyerhoff den Schlaganfall, der ihn Anfang Fünfzig ereilte.
    Waren die ersten Bücher, getreu dem Motto „ Alle Toten fliegen hoch“, liebevolle Erinnerungen an verstorbene Familienmitglieder, seinen Vater, seinen früh tödlich verunglückten Bruder, seine Großeltern, so steht nun im Zentrum seines neuesten Bandes die quicklebendige 86jährige Mutter des Autors.
    Zu ihr ist Joachim Meyerhoff geflüchtet. „ Ich redete mir ein, sie bedürfe dringend meines Beistands, dabei war sie kerngesund, offensiv vital, …und kam bestens allein zurecht. Ich hingegen war derjenige, der nicht mehr klarkam und dem viele Fäden gerissen waren.“ Der Neustart nach dem Schlaganfall war gründlich misslungen. Dabei ist Meyerhoff mit viel Optimismus aus Wien weggegangen und wollte in der deutschen Hauptstadt neue Wege gehen -neues Umfeld, neues Theater, neue Kollegen. Doch bald muss er feststellen, dass ihn die Krankheit verändert hat und das nicht zum Besseren. Dünnhäutiger ist er geworden, empfindlich, leicht reizbar. Da ist Berlin mit seiner latenten Aggressivität das falsche Pflaster für ihn. Den traurigen Höhepunkt bildet dann der neunte Geburtstag seines Sohnes. Sein dortiges Verhalten ist unentschuldbar und so beschließt er, eine Auszeit zu nehmen.
    Er fährt zu seiner Mutter, die in einem Haus mit parkähnlichem Garten an der Nordsee lebt. Hier will er zur Ruhe kommen, seine Schreibblockade überwinden.
    Und das gelingt erstaunlich gut. Die Mutter spannt ihn ein bei Gartenarbeiten, die bei der Größe des Grundstücks nie abnehmen. Er hilft ihr, die Unmengen an Äpfel zu ernten und zu verarbeiten. Und Meyerhoff stellt fest, wie unglaublich heilsam körperliche Arbeit an der frischen Luft sein kann. Er geht mit Mutter in der Ostsee schwimmen, wobei sie sich weitaus beherzter in die Fluten stürzt als ihr zögerlicher Sohn. Gemeinsam pflegen sie ein altes Familienritual: um 18.00 Uhr ist Zeit für einen Whiskey.
    Wir lesen hier nun abwechselnd vom Heilungsprozess, den diese Wochen mit der Mutter zusammen für den Autor bedeuten, und dazwischen Geschichten aus Meyerhoffs Leben.
    Joachim Meyerhoff nimmt für sich nicht den Anspruch heraus, große Literatur schreiben zu wollen. Er weiß, dass das, war er schreibt, in der literarischen Hierarchie weit unten angesiedelt ist. „ Unter Literaturgattungen herrscht eine brutale Hierarchie. Es gibt Versepen, Gesänge und tausendseitige Gesellschaftsromane, die alles überdauern. Es gibt unsterbliche Dramen, deren Personal unverwüstlich durch die Zeiten schreitet. Und natürlich Lyrik, die dem Wort unsterblich einen tieferen Sinn verleiht. …Was wäre nun in einer Geografie der literarischen Formen die Anekdote? Ich wage zu behaupten: eine winzige Quelle, aus der ununterbrochen, seit Anbeginn der Zeit, das klarste Wasser sprudelt. Müde und ausgelaugt vom Besteigen literarischer Achttausender kann man sich hier erfrischen und kurz verweilen. Und natürlich war das Theater der verlässlichste Anekdotenlieferant, der sich nur denken ließ.“
    Als alter Theaterhase weiß Meyerhoff unzählige Anekdoten, die er pointiert zu erzählen versteht. So z.B. von den gar nicht glamourösen Anfängen beim Kindertheater. Er kennt aus seiner Laufbahn überambitionierte Regisseure, die auch noch im „ Dschungelbuch“ ihre politische Botschaft unterbringen möchten oder Bühnenbilder, die zu einer Gefahr für Schauspieler werden können. Er schildert, wie nur durch das beherzte Auftreten einer Souffleuse, ein Stück zu Ende gebracht werden konnte. Er besucht einen Applaussammler, der mit seinem Tonband den Applaus im Gorki- Theater jahrzehntelang dokumentiert hat und einen Schauspieler, der seine Datscha nach und nach mit ausrangierten Bühnenbildern ausstaffiert und zu jedem Bauteil noch das jeweilige Theaterstück parat hat.
    Auch aus seiner Kindheit steuert Meyerhoff noch das ein oder andere Erlebnis bei, so z.B. die Fahrradprüfung in der Grundschule. Sogar seine ersten Schreibversuche aus alten Schulheften sind abgedruckt und legen ein beredtes Zeugnis ab vom Legastheniker Meyerhoff. Denn der Autor ist gnadenlos ehrlich und schont sich selbst am wenigsten.
    Für den Leser ist das höchst unterhaltsam. Schon lange nicht mehr musste ich so oft und laut lachen beim Lesen wie bei diesem Buch.
    Doch neben aller Komik, bei aller Absurdität werden die schmerzlichen Punkte des Lebens nicht ausgeklammert. Das macht das Buch so lesenswert.
    In erster Linie ist „ Man kann auch in die Höhe fallen“ eine Liebeserklärung an die Mutter. Auf sie passe das Hölderlin- Zitat, wie der Autor in einem Interview erklärt. „ Sie wurde über einen langen Teil ihres Weges immer glücklicher.“
    Obwohl es das Schicksal ihr nicht immer leicht machte, hat diese Frau nie ihren Lebensmut verloren. Ihre Vitalität, auch noch im hohen Alter, ist erfrischend und ansteckend. Wenn Meyerhoff beschreibt, wie sie auf Bäume klettert, oder wie sie mit Elan ihren Rasen mäht, ob mit Balkenmäher oder ganz bequem auf dem Aufsitzrasenmäher, dann möchte man den Hut ziehen vor ihr. Beifahrer bei ihren halsbrecherischen Autofahrten mag man dagegen nicht sein, denn laut Sohn fährt sie „ wie eine besengte Sau“.
    Wie beglückend für uns Leser, dass Joachim Meyerhoff den Ratschlag seiner Mutter befolgt hat. „ Schreib doch über mich. …Ich würd mich nämlich freuen, wenn ich es lesen kann, bevor ich sterbe.“ Auch wenn sie meinte, ihr Leben sei wenig interessant, so wird das hier aufs Beste widerlegt. Mit diesem Denkmal für eine unkonventionelle und widerstandsfähige Frau ist Meyerhoff zur ganz großen Form aufgelaufen.
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