Joseph Süßkind Oppenheimer: Ein Justizmord

Buchseite und Rezensionen zu 'Joseph Süßkind Oppenheimer: Ein Justizmord' von Raquel Erdtmann
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Inhaltsangabe zu "Joseph Süßkind Oppenheimer: Ein Justizmord"

Nur wenige Stunden nachdem der württembergische Regent Carl Alexander 1737 ganz plötzlich verstirbt, wird sein Geheimer Finanzrat Joseph Süßkind Oppenheimer verhaftet. Die Anklage: Landesverrat. Die Behörden haben Mühe, Belege für Vergehen zu finden, der Prozess zieht sich elf Monate in die Länge, endet aber unumstößlich mit dem Todesurteil. Schon zu Beginn des Prozesses ist die Versteigerung von Oppenheimers Hausrat in vollem Gange: Die besten Schmuckstücke sichert sich der Staat, die schönsten Kleider seiner Geliebten Luciana bringen die ehrbaren Stuttgarter Damen an sich. Aus dem stolzen, selbstbewussten Mann, der an ein rechtsstaatliches Verfahren glaubt, wird in der Haft zunehmend ein Getriebener, der verzweifelt um sein Leben kämpft. Raquel Erdtmann hat für ihre historische Spurensuche acht Meter Archivbestand akribisch durchgesehen und nimmt uns mit in die deutsch-jüdische Vergangenheit. Sie erzählt die Geschichte des Schauprozesses um Joseph Süßkind Oppenheimer so spannend und berührend, dass einem der Atem stockt. Sie erzählt aber auch, wer der Mensch Joseph Oppenheimer war, bevor er zur literarischen Figur bei Lion Feuchtwanger und zum propagandistischen Feindbild der Nazis wurde. Und wie nebenbei leuchtet sie kenntnisreich das Leben der deutschen Jüdinnen und Juden im 18. Jahrhundert aus.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: Steidl Verlag
EAN:9783969993262

Rezensionen zu "Joseph Süßkind Oppenheimer: Ein Justizmord"

  1. Gelungene Mischung aus historischer Biografie und Gerichtsreport

    Am 4. Februar 1738 wurde der erst 40-jährige jüdische Großkaufmann Joseph Süßkind Oppenheimer – in den Jahren ab 1732 als Hof- und Kriegsfaktor und ab 1736 als Geheimer Finanzrat des württembergischen Herzogs Carl Alexander tätig – unmittelbar nach des Herzogs überraschendem Tod aufgrund judenfeindlicher Anschuldigungen und Verleumdungen enteignet, angeklagt, nach Festungshaft elf Monate später hingerichtet und sein Leichnam sechs Jahre lang in einem hoch aufgehängtem Käfig zur Schau gestellt. Wir meinen, die Geschichte über diesen Justizmord zu kennen. Aber kennen wir sie tatsächlich? „Es ist nicht leicht, sich einer Person zu nähern, über die so viel geschrieben wurde, obwohl sich bislang nur eine Handvoll Leute tatsächlich mit den Prozessakten des Falles Oppenheimer beschäftigt hat“, schreibt Raquel Erdtmann im Nachwort zu ihrem im April beim Steidl Verlag veröffentlichten Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“.
    Tatsächlich waren die Prozessakten des Falles bis 1918 unter Verschluss. „Sehr groß war und ist das Interesse bis heute nicht“, schreibt Erdtmann Zwar hatte nur wenige Jahre später Lion Feuchtwanger diesen historischen Justizmord in seinem Roman „Jud Süß“ (1925) bereits verarbeitet ebenso wie die Historikerin und Judaistin Selma Stern ("Jud Süß. Ein Beitrag zur deutschen und zur jüdischen Geschichte", 1929/1973), während die Nazis für ihren gleichnamigen antisemitischen Propaganda-Film des Jahres 1940 wohl eher Wilhelm Hauffs Novelle „Jud Süß“ (1828) als Vorlage missbraucht haben sollen. Doch erst Anfang der 1990er Jahre hatte sich der im Februar verstorbene Historiker Hellmuth G. Haasis über zwei Jahrzehnte intensiv mit den Prozessakten und weiteren Originaldokumenten befasst und mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, so auch die Biografie „Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer“ (1998).
    Inzwischen ist wieder eine Generation vergangen. „Es liegt in der Natur der Sache, dass sich jede Generation aus ihrem eigenen Blickwinkel und mit dem eigenen Gepäck der Geschichte nähert“, betont Erdtmann nun ausdrücklich im Nachwort. Als gelernte Journalistin hat sich die erfahrene Gerichtsreporterin für ihre historische Spurensuche durch acht Meter Archivbestand gearbeitet. Doch „eine gewisse Unschärfe bleibt“, sichert sich die Autorin vorsorglich ab: Auch die originalen Prozessakten vermitteln nur „ein gefärbtes, ganz und gar einseitiges Bild“, verfasst vom mehrheitlich aus Gegnern Oppenheimers zusammengesetzten Gericht.
    Als Ergebnis ihrer Recherche schildert Erdtmann nun das überaus erfolgreiche Leben des ungewöhnlich intelligenten und selbstbewussten Joseph Süß Oppenheimer, der aufgrund seiner geistigen und kaufmännischen Überlegenheit sich für Juden damaliger Epoche ungebührliche Freiheiten herausnimmt, die ihn sowohl bei seinen Glaubensgenossen, erst recht aber bei den Christen im kleinstaatlichen, bürgerlich strukturierten Württemberg hochmütig und arrogant wirken lassen. Vom katholischen Herzog gefördert, schafft sich der unangepasste Oppenheimer durch sein den Christen gleiches barockes Auftreten nicht nur bei den im Ghetto lebenden Juden, sondern durch seine allzu revolutionären Staatsreformen auch im protestantischen Ständestaat nur Feinde und Neider, weshalb selbst seine Nutznießer vor Gericht später gegen ihn aussagen – auch um angesichts allgemeiner Rachegelüste ihre eigene Haut zu retten.
    Erdtmann vermeidet literarische Interpretationsversuche, hält sich strikt an Fakten und Original-Zitate, stellt manche einander gegenüber, um deren Aussage zu bestätigen oder Widersprüche aufzuzeigen. Interessant sind dabei nicht nur ihre Ergänzungen über das Leben der Juden und ihre gesellschaftliche Stellung im 18. Jahrhundert, sondern auch die Einschübe aus alttestamentarischen und jüdischen Schriften, als deren Kennerin sie sich schon 2014 mit ihrem Kinderbuch „Die Geschichte von Purim. Das Buch Esther“ erwiesen hat.
    Das Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“ ist eine Mischung aus historisch interessanter Biografie über Aufstieg und Fall eines überaus ungewöhnlichen Mannes, zugleich aber auch eine spannende Gerichtsreportage, durch die wir viel über das württembergische Justizsystem im 18. Jahrhundert erfahren. Raquel Erdtmann ist es auf nur 270 Seiten vorbildlich gelungen, die Vielzahl historischer Fakten und Zitate zwar sachlich korrekt, dennoch in einem lockeren, teilweise sogar schnoddrigen Ton zu einer auch für Nicht-Historiker leicht lesbaren und spannenden Lektüre werden zu lassen.