Getauschte Heimat

Buchseite und Rezensionen zu 'Getauschte Heimat' von Yael Nachshon Levin
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Inhaltsangabe zu "Getauschte Heimat"

Eine Freundschaft in Briefen zwischen Berlin und Tel Aviv. „Ach, Yael, ich würde jetzt gerne mit dir reden. Es ist Abend, ich sitze in der neuen Wohnung, höre auf die fremden Geräusche und denke an Berlin.“ „Anja, seit wir begonnen haben, uns zu schreiben, finde ich Worte für das Gefühl von Fremdheit, das mich seit unserem Umzug begleitet.“ Yael Nachshon Levin lebt als Sängerin und Künstlerin in Berlin, wo sie die Journalistin Anja Reich kennenlernt. Diese, gebürtige Berlinerin, geht kurz darauf als Korrespondentin nach Israel, in Yales Heimatstadt Tel Aviv. Und so beginnt ein Briefwechsel über die getauschte Heimat, aus dem sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Als Anja Reich Berlin verlässt, um für zwei Jahre nach Tel Aviv zu gehen, lässt sie auch ihre Nachbarin Yael Nachshon Levin zurück. Diese lebt erst seit Kurzem in Berlin, und Tel Aviv ist ihre Heimat. Die beiden beschließen, sich zu schreiben: Über ihre Erfahrungen mit der getauschten Heimat, über das Fremde und das Vertraute, über Israel und Deutschland. Das heißt auch: Über Terror und Antisemitismus, über die Frage nach Sicherheit für die Familie und danach, was Heimat heute bedeutet. Ein beeindruckendes Gespräch in Briefen über zwei Länder, die vieles verbindet und für die der Dialog wichtig ist.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: Aufbau Verlag
EAN:9783351037970

Rezensionen zu "Getauschte Heimat"

  1. Erhellende Korrespondenz - eine Israelin in Berlin und eine Deut

    Diese Briefe zwischen einer Deutschen und einer Israelin erschienen als Kolumne in einer Berliner Zeitung in den Jahren 2018 / 2019. Man erfährt auf leicht lesbare und doch tiefgründige Art einiges über das Alltagsleben in Israel und wie es sich als jüdische Israelis in einer deutschen Stadt wie Berlin lebt und wie man es verkraftet, in der Fremde ein neues Leben anzufangen. Es werden viele Themen angerissen und erwähnt, wie das eben in Briefen – in einer Art von Gespräch – der Fall ist.

    Die deutsche Journalistin Anja Reich hat im Haus gegenüber (Berlin, Prenzlauer Berg) neue Nachbarn bekommen: die Einwanderin Yahel Nachshon Levin mit zwei kleinen Söhnen und ihrem Ehemann Aharon, der die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Sie freunden sich an, aber Anja ist schon auf dem Sprung, hat die Koffer gepackt, um mit ihrem Ehemann Alex – auch Korrespondent – für zwei/drei Jahre nach Tel Aviv / Israel zu gehen. Sie beschließen, miteinander zu korrespondieren und diese Briefe sind es, die wir hier zu lesen bekommen.

    Es gibt eine Menge Themen, die angerissen werden und die für die LeserInnen ebenso interessant sind wie ihre persönlichen Eindrücke und Gedanken:

    Wir erfahren, wie es für Anja ist, sich in dieser quirligen Stadt am Meer, nur 70 km vom Gazastreifen entfernt, einzuleben und wie es für Yael ist, sich in Berlin zurechtzufinden, obwohl sie anfangs kein Deutsch spricht.

    Anja hat es – meiner Meinung nach - leichter, weil sie irgendwann wieder nach Berlin zurückkehren wird, also nicht wirklich zugehörig ist und daher die Lage aus allen Blickwinkeln betrachten kann.

    Bei Yael sieht das ganz anders aus. Sie weiß noch nicht, ob sie für immer in Berlin bleiben werden, sie vermisst ihre Heimat, das Meer, die Familie. Und warum ist sie dann emigriert? Als Sängerin und Kulturschaffende, für die Sprache eine wichtige Rolle spielt? Es war ihr Mann, der den Anstoß gab, aber letztlich hielt auch Yael nach einer Krebserkrankung die Zukunftsängste nicht mehr aus: die Angst vor Terroranschlägen, das von Militäraktionen, Krieg und politischer Korruption geprägte Leben, die ständige Spannung. Dass sich ihre Furcht derart bewahrheiten sollte wie in diesem Jahr 2023 konnte damals niemand wissen und dass auch der Antisemitismus in Berlin drastisch zunehmen würde, auch nicht.

    Zuerst einmal kommt sie zur Ruhe, betätigt sich als Kulturschaffende, eröffnet einen Kultursalon 'Framed' und fühlt sich in einer Art Blase einigermaßen wohl. Sie findet Trost in Kunst und Musik, der 'Sprache des Herzens, die alle verstehen, die Brücken baut zwischen Kulturen und Sprachen'. Erstmals kommt sie mit Syrern ins Gespräch, die nun einfach nur Menschen sind und keine Feinde. Sie kommt zu vielen Erkenntnissen über sich selbst und ihr Leben, was sich in vielen Zitaten zeigt:

    'Gute Menschen zu treffen, ist für mich fast die einzige Verkörperung von Hoffnung im Alltag' (26)

    'Ehe man nicht richtig eindringt in ein Land, eine Stadt, eine Situation, kann man kein richtiges Urteil fällen, weil die Realität komplex ist und ein Ort weit mehr Facetten hat als die Artikel in der Zeitung.' (44)

    'Wer wir sind und wie wir handeln, beruht auf vergessenen (oder unvergessenen) Traumata des Körpers und der Seele - Traumata ganzer Völker und Staaten.' (159)

    'Die Welt ist weit und die Wahrheit hat viele Gesichter.' (171)

    'Dabei muss man lernen, überall das Gute zu genießen und das Schlechte möglichst zu meiden - oder den jeweiligen Ort sogar zu einem etwas besseren zu machen.' (171)

    Wie sich am Ende für mich herausstellt, liegt der Schwerpunkt auf Yael. Dennoch erfahren wir auch einiges über Tel Aviv und Israel: Anja Ankunft, ihre Leben dort, ihre Eindrücke von der Stadt und den Menschen.

    Ein bisschen traurig stimmt mich, dass nun alles noch viel hoffnungsloser geworden ist und Yael mit ihrer Familie wahrscheinlich auch hier keinen Frieden finden wird. Dennoch kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.