Geboren aus Stein

Buchseite und Rezensionen zu 'Geboren aus Stein' von Ismail Kadare
3
3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Geboren aus Stein"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:276
Verlag: FISCHER, S.
EAN:

Rezensionen zu "Geboren aus Stein"

  1. 3
    07. Mai 2023 

    Gjirokastra...

    Selten geschieht es in der Weltliteratur, dass ein ganzes Werk von einem Ort einzigen ausgeht und immer wieder zu ihm zurückkehrt. Bei Ismail Kadare ist das Gjirokastra, einst die mächtigste Gebirgssiedlung Albaniens. Große Kastenhäuser ducken sich wie Nester in den Hang. Enge Gassen, verwinkelte Gänge, dunkle Tore. Über allem der Schatten der Burg. In diesem Labyrinth aus Stein und Geheimnis ist Kadare geboren. Hier verlebte er seine Kindheit und Jugend und sog unter den Granitdächern von den Großeltern mysteriöse Geschichten von Geistern und Gespenstern in sich auf. Hierhin kehrte er in seinen Büchern immer wieder zurück, auch in seinem letzten Roman »Die Puppe«, der diesen Band beschließt und seiner Mutter gewidmet ist. (Klappentext)

    Das Buch "Geboren aus Stein" versammelt autobiografische Texte aus verschiedenen Bänden der albanischen Werkausgabe und stellt somit keinen zusammenhängenden Roman dar. Im Wesentlichen beschreibt hier der Autor seine Kindheit und Jugendjahre in dem südalbanischen Städtchen Gjirokastra. Integriert ist hier aber auch ein kleiner, knapp hundertseitiger Roman über die Mutter Kadares, die er "die Puppe“ nennt.

    Diese Textsammlung - die Geschichten reichen zurück bis in die Nachkriegskindheit des 1936 geborenen Autors - vermittelt einen Eindruck davon, wie es ist, in diesem Städtchen mit den dunklen Häusern groß zu werden. Stein - das sind die imposanten Wohnburgen der bessergestellten albanischen Familien, so wie die der Kadares. Labyrinthartig angelegt, bergen diese Häuser ihre Geheimnisse mit ihren bewohnten und den unbewohnten Räumen und sogar mit einem eigenen Kerker. Ismails Mutter fürchtet sich in den gewaltigen Mauern und hat das beklemmende Gefühl, von dem alten Haus aufgefressen zu werden.

    Starre familiäre Strukturen und fortgeschriebene Traditionen bilden zudem ein enges Korsett, dem der kleine Ismail gemeinsam mit seinem besten Freund nur durch Fantasie zu entkommen vermag. Für jeden Blödsinn sind die beiden zu haben - einen Roman wollen sie schreiben, scheitern aber an ihrem Vorhaben. Eigene Münzen wollen sie herstellen, indem sie Bleilettern einschmelzen und zu Geld prägen, doch reich werden sie nicht damit, landen dafür aber beide für zwei Tage im Gefängnis.

    Ismail Kadare ist zwölf Jahre alt, als sich Albanien von Jugoslawien abwendet und hin zur Sowjetunion orientiert. Damit setzt sich die sehr wechselhafte Geschichte Albaniens fort. In den Schulen verschwinden die Fächer Latein und Französisch aus dem Lehrplan, und Russisch wird eingeführt. Zudem wird von den Schülern explizit verlangt, ihre Lehrer und Eltern zu bespitzeln und zu denunzieren. Kadare deutet vieles nur an und schildert die Ereignisse aus der Sicht eines Kindes, das die Zusammenhänge noch nicht recht begreift. Ist einem die Historie Albaniens nicht vertraut, so ist man gefordert, auf andere Quellen zurückzugreifen, um die Andeutungen richtig einordnen zu können. Das empfand ich phasenweise doch als ziemlich anstrengend.

    Mit offensichtlicher Lust am Fabulieren verknüpft Kadare die eigene Familiengeschichte mit der Geschichte seines Landes, wirft einen ironischen Blick auf die in der Diktatur geknechtete Gesellschaft und macht sich nicht zuletzt auch über sich selbst lustig als stiller Beobachter der wirren albanischen Verhältnisse.

    Ein interessantes, wenngleich auch anstrengendes Leseerlebnis - meine erste Begegnung mit diesem Autor, der schon lange als Kandidat für den Nobelpreis für Literatur gehandelt wird. Bislang vergeblich.

    © Parden