Die Kostbarkeit des flüchtigen Lebens: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Kostbarkeit des flüchtigen Lebens: Roman' von Philippe Claudel
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Kostbarkeit des flüchtigen Lebens: Roman"

»Unter all den Nachrichten auf dem Anrufbeantworter fand ich die von Eugène: ›Du wirst lachen‹, sagte er, ›ich habe einen bösen Krebs.‹ Ich habe natürlich nicht gelacht, gebe aber zu, dass ich lächeln musste. Aus Kummer vermutlich. Oder aus Traurigkeit.« Nachdem er von einer Reise nach Paris zurückgekehrt ist, erfährt der Erzähler, ein fünfzigjähriger Filmemacher, von der Krebserkrankung seines besten Freundes Eugène. Der lebenslustige Filmproduzent, der mit fünf verschiedenen Frauen fünf Kinder hat und alle Bücher, die er liest, verschenkt oder in Cafés liegen lässt, weil er der Ansicht ist, dass »Bücher zirkulieren müssen wie die Welt«, fegt die Krankheit mit einer Handbewegung zur Seite. Doch bald zeigt sich, dass sein Krebs kein »Amateur« ist, sondern leider ein »Profi«. Der Abschied von Eugène, mit dem er sich zutiefst verbunden fühlt, wird für den Erzähler zum Anlass, über die wichtigen Fragen des Lebens nachzudenken. Er selbst steht gerade an einem Wendepunkt – der freundschaftlich-nostalgischen Trennung von seiner Ex-Frau Florence, die »gern einen Ehemann gehabt hätte und keinen Luftzug«, und der Begegnung mit der jungen Anthropologin Elena, deren Küsse nach Orangen schmecken. Zwischen zwei außergewöhnlichen Frauen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen der Erinnerung an geliebte Gesichter und dem Licht unerwarteter Begegnungen, entspinnt sich eine Geschichte, die wahrhaftig ist und anrührend und an deren Ende das Versprechen des Lebens steht.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
EAN:9783851793796

Rezensionen zu "Die Kostbarkeit des flüchtigen Lebens: Roman"

  1. 5
    02. Mär 2018 

    Jeder Augenblick ist kostbar

    Cover und Gestaltung:
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    Die beiden verlassenen Stühle als schönes Symbol der Erinnerung von 2 Freunden, die sich oft im Café getroffen und über Gott und die Welt gesprochen haben. Es passt sehr gut zum Buch: gerade eben noch unterhielt man sich miteinander, dann ist durch den Tod des einen Gesprächspartners schon alles wieder vorbei. Die Farben und die altmodischen Stühle erinnern daran, dass die Protagonisten schon etwas älter sind. Als Hardcover mit Schutzumschlag macht das Buch einen schönen, wertigen Eindruck im Regal.

    Inhalt:
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    Der namenlose Ich-Erzähler ist Filmemacher und erhält eines Tage einen Anruf von seinem Freund und lebenslustiger Filmproduzent Eugène: "Du wirst lachen, ich habe einen bösen Krebs." Dies ist Anlass für ihn, sein Leben neu zu überdenken.

    Mein Eindruck:
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    "Unser Leben gleicht allem anderen als einer linearen Form. Es erinnert eher an das einzige Exemplar eines Buches, das für manche von uns nur aus wenigen Seiten besteht, sauber und glatt, mit einer braven, fleißigen Schrift bedeckt, für andere aber viele Seiten hat, manche zerrissen, andere mehr oder weniger durchgestrichen, voller Zurücknahmen und Reue. Jede Seite entspricht einem Moment unserer Existenz, besonders der Person, die wir in jenem Moment waren und die wir nun nicht mehr sind, und wir betrachten sie, wenn wir je die Lust oder die Notwendigkeit verspüren, in dem Buch zu blättern, wie einen Fremden, der paradoxerweise zugleich ein Nahestehender ist." (S. 170)

    Mir gefiel das Buch gleich mit dem Einstieg, in dem sich der Erzähler über den Umgang mit dem Tod bei einem Volk auf der Insel Sulawesi auslässt. Der Tod wird zelebriert, die Toten bekommen ein großes Abschlussfest. Besonders berührend war die Schilderung eines Baumes, in dem gestorbene Kinder eingehüllt hineingelegt werden. Sie werden vom Baum umschlossen und wachsen mit ihm weiter. Am Ende dieser Erzählung erhält der Erzähler den traurigen Anruf, der in seinem Leben mehr Veränderung bedeutet, als er zunächst wahr haben will. Eugène war ein Freund, mit dem er über alles Reden konnte und der ihm immer - passend zur Situation - einen passenden Buchtipp geben konnte. In diesem Roman passiert nicht wirklich viel. Es ist ein ruhiges Buch, es wird wenig geredet, aber das ist auch nicht das Entscheidende. Dieses Buch lebt von den poetischen Gedanken, die den Leser durch die Handlung tragen. Es gab kaum ein Kapitel, in dem ich mir nicht mindestens einen Satz als denkwürdiges Zitat unterstrichen habe. Obwohl der Auslöser die tödliche Krankheit seines Freundes ist und es auch einige melancholische Momente gibt, schafft es der Autor, dass man nie deprimiert wird, sondern stets ein gewisser Hoffnungsschimmer über allem steht. Dies ist weniger ein Buch über den Tod als über das Leben: Man soll dankbar sein für jeden Augenblick, das Leben bewusst erleben. Genauso habe ich dieses Buch betont langsam gelesen. Die flüssige Sprache hätte durchaus ein Verschlingen des Romans zur Folge haben können, stattdessen wollte ich die schönen Worte immer wieder nach jedem Kapitel sacken lassen.

    In gleichem Maße, wie das Buch das Leben zelebriert, ist es auch ein Hochgesang auf Literatur und Filme:

    "Ich weiß, dass wir das, was wir sind, in erster Linie unseren Eltern, Lehrern, vielleicht sogar Professoren verdanken, doch ich bin überzeugt, dass wir einen Großteil dessen, was uns berührt und ergreift, Künstlern verdanken - ganz gleich ob sie tot oder lebendig sind - und den Werken, die sie geschaffen haben und die bleiben, der Zeit zum Trotz, die jedes Lächeln, jedes Gesicht und jeden Körper auslöscht." (Eugène zum Erzähler, S. 124)

    Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der Literatur und Filme mag und der das Leben Stück für Stück und Wort für Wort genießen möchte!

    Fazit:
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    Eine wundervolle, poetische Betrachtung des Lebens und wie es durch Kunst und Literatur geprägt wird - Ein Plädoyer für den Genuss des Lebens!

  1. 5
    15. Nov 2017 

    Tod und Leben...

    Nachdem er von einer Reise nach Paris zurückgekehrt ist, erfährt der Erzähler, ein fünfzigjähriger Filmemacher, von der Krebserkrankung seines besten Freundes Eugène. Der lebenslustige Filmproduzent, der mit fünf verschiedenen Frauen fünf Kinder hat und alle Bücher, die er liest, verschenkt oder in Cafés liegen lässt, weil er der Ansicht ist, dass "Bücher zirkulieren müssen wie die Welt", fegt die Krankheit mit einer Handbewegung zur Seite. Doch bald zeigt sich, dass sein Krebs kein "Amateur" ist, sondern leider ein "Profi". Der Abschied von Eugène, mit dem er sich zutiefst verbunden fühlt, wird für den Erzähler zum Anlass, über die wichtigen Fragen des Lebens nachzudenken.

    "Unter all den Nachrichten auf dem Anrufbeantworter fand ich die von Eugène: ›Du wirst lachen‹, sagte er, ›ich habe einen bösen Krebs.‹ Ich habe natürlich nicht gelacht, gebe aber zu, dass ich lächeln musste. Aus Kummer vermutlich. Oder aus Traurigkeit." (S. 13 f.)

    Zugegeben, dieser Roman ist anders, als ich es zunächst erwartet hatte. Nach dem Klappentext vermutete ich, etwas über die monatelange Begleitung Eugènes bis zu dessen Tod zu lesen, doch erweist sich dieser Tod hier nur als Stein des Anstoßes. Des Anstoßes zu einer tiefsinnigen Gedankenreise des bis zum Schluss namenlosen Erzählers - mit Einblicken in sein Leben, sein Schaffen, seine Gefühlswelt. Ähnlich wie Filmeinblendungen reihen sich auch hier einzelne Szenen aneinander, oft ohne einen direkten Bezug zueinander, aber aufgereiht wie Perlen auf einer kostbaren Kette doch ein großes Ganzes ergebend.

    "Wann werden wir schwer krank? Wenn alles gut geht oder wenn es schlecht läuft? In der Monotonie der immer gleichen Tage? Oder bei Deregulierung, wenn das immer gleiche Alltägliche durchbrochen wird? Brechen Krankheiten (...) aus, weil bisher unbekannte Umstände eintreten, die uns aus dem Gleichgewicht bringen? Oder wegen eines unausgesprochenenen Wunsches, dass etwas geschehen möge?" (S. 46)

    Ein melancholischer Ton durchzieht die Erzählung, und doch wird sie nicht von Schwermut beherrscht. Nicht die eine Krankheit, der eine Tod, die eine Betroffenheit steht hier im Mittelpunkt. Sondern die Summe der bisherigen Erlebnisse des Erzählers mit dem Tod und darüber hinaus auch zahlreiche philosophische Passagen, die Fragen beinhalten, die ich mir auch schon gestellt habe. Eine sensible und außergewöhnliche Auseinandersetzung mit dem Thema Tod, die viele verschiedene Aspekte beleuchtet - und gleichzeitig damit auch das Leben.

    "Viele Gesichter kannte ich nicht. Auf Beerdigungen ist mir oft schon aufgefallen, dass der Verstorbene mehrere unterschiedliche Leben geführt hat, die ihren Lauf genommen haben, ohne jemals miteinander in Berührung zu kommen. Manchmal glaubt man, der Einzige zu sein, der jemanden trifft, mit ihm Zeit verbringt, ihn kennt. Sein Tod jedoch konfrontiert uns mit der Vielseitigkeit dieser Person." (S. 105 f.)

    Philippe Claudel, selbst Jahrgang 1962, ist etwa im selben Alter wie der namenlose Erzähler, und neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller ist er ebenso wie der Hauptcharakter des Romans auch Filmregisseur. Mehrfach tauchte daher beim Lesen die Frage auf, wie viele autobiografische Anteile hier eingeflossen sind. Vermutlich kann jeder beim Lesen etwas anderes für sich aus dem Roman ziehen - und je nach Lebensabschnitt hätte ich diese Lektüre vermutlich auch anders empfunden. Da ich in einem ähnlichen Alter bin wie der Erzähler, hat mich vieles von dem berührt, was hier an Gedanken angestoßen wird, und in vielen Passagen habe ich mich wiedergefunden. Das macht den Roman für mich zu etwas ganz Besonderem.

    Ein Buch der leisen Töne und der großen Gedanken - Tod und Leben, zwei Pole unseres Daseins, verpackt in einen wundervollen Roman...

    © Parden