Die Glocke im See: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Glocke im See: Roman' von Lars Mytting
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Glocke im See: Roman"

Gebundenes Buch
Norwegen im Jahr 1880, in einem dunklen und abgeschiedenen Tal: Die junge, wissbegierige Astrid ist anders als die übrigen Mädchen im Dorf. Sie träumt von einem Leben, das aus mehr besteht als Heiraten, Kinderkriegen und am Ende bei der Feldarbeit Sterben. Sehnt sie sich nach einem Leben mit dem jungen Pastor Kai Schweigaard? Oder entscheidet sie sich für das Neue, Unberechenbare?

Kai Schweigaard hat soeben die kleine Pfarrei mit der 700 Jahre alten Stabkirche in Butangen übernommen. Die würde er gerne abreißen und durch eine modernere, größere Kirche ersetzen. Er hat auch schon Kontakt zur Kunstakademie in Dresden aufgenommen, die ihren begabten Architekturstudenten Gerhard Schönauer schickt, der den Abtransport der Kirche nach Dresden und den Aufbau dort überwachen soll. Astrid rebelliert, denn mit der Kirche würden auch die beiden Glocken verschwinden, die einer ihrer Vorfahren einst der Kirche gestiftet hat. Man sagt ihnen übernatürliche Kräfte nach und dass sie von selbst läuten, wenn ein Unglück bevorsteht.
Astrid verliebt sich in diesen Gerhard. Er ist so anders als die jungen Männer in Butangen. Modern, weltoffen, elegant. Astrid muss sich entscheiden. Wählt sie die Heimat und den Pfarrer oder den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft in Deutschland. Da hört sie auf einmal die Glocken läuten ...

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:482
Verlag: Insel Verlag
EAN:9783458177630

Rezensionen zu "Die Glocke im See: Roman"

  1. 3
    23. Aug 2021 

    Astrids Welt

    Astrid Hekne ist eine, die mehr will. Doch im kleinen Ort Butangen in Norwegen geht es nicht so schnell mit dem Fortschritt. Als im Jahr 1880 der neue Pfarrer Kai Schweigaard sein Amt antritt hofft Astrid auf eine andere Zukunft. Neue Ideen hat Schweigaard schon einmal. Er will die alte Stabkirche abbauen lassen und ein neues größeres und modernes Kirchengebäude errichten. Den Abbau überwachen soll der junge Architekturstudent Gerhard Schönauer. Und mit ihm weht der Wind des Unbekannten ins kleine Butangen. Astrid muss überlegen, wohin ihre Sehnsucht sie zieht. Sieht sie sich als Pfarrersfrau oder will sie lieber mit der Kirche ins ferne Dresden reisen.

    Die Hekne Familie hat eine enge Bindung zu der Stabkirche. Einer ihrer Vorfahren hat die Kirchenglocken gestiftet. Allerdings sind nicht nur die Heknes wenig begeistert, dass die Glocken mit ihrer Kirche ins ferne Deutschland reisen sollen. Da war der neue Pfarrer vielleicht doch etwas zu schnell mit dem Verkauf. Astrid dagegen will irgendwie beides, das Moderne und die Heimat. Wie soll sie sich entscheiden? Ihre Phantasie lässt sie nicht im Stich, sie wird sich etwas einfallen lassen, so dass alle zufrieden sind. Auch die Schwesternglocken? Das ist der Plan.

    Der Prolog dieses Romans ist spannend, dramatisch und tragisch. Wie kam es zu der Stiftung der Glocken? Und wieso werden sie die Schwesternglocken genannt? Welche Legenden ranken sich um sie? Dagegen verliert Astrids Geschichte fast zwangsläufig an Fahrt. Schließlich lässt sich der Autor viel Zeit sie zu entwickeln. Astrids forsche wissbegierige Art macht sie sehr sympathisch. Da hat es der Pfarrer mit seinen inneren Widerständen nicht nur bei den Dorfbewohnern schwerer zu punkten. Der angehende Architekt Schönauer wirkt dagegen wie ein frischer Wind, der um ein altes Gemäuer bläst. Auch ein gewisser Humor und die eigene Art zu sprechen der Leute aus Butangen runden die Geschichte ab. Auch wenn man das Gefühlt hat, die Handlung hätte eine gewisse Straffung vertragen, so ist sowohl die Geschichte der Schwesternglocken als auch die Astrids interessant und zum Ende hin ergreifend. Dieses vermag die Vorleserin Beate Rysopp bestens zu transportieren.

    3,5 Sterne

  1. Sprachgewaltige Melancholie

    Düster und melancholisch ist Lars Myttings neues Buch „Die Glocke im See“, das Auftakt einer Norwegischen Familiengeschichte ist. Historisches und Mystisches gepaart mit einem Sittengemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts in einem abgelegenen Tal ergeben eine höchst interessante Mischung.

    Im Winter 1880 ist es in der uralten Stabkirche von Butangen für die Gemeinde zu eng und so kalt, dass eine alte Frau beim Neujahrsgottesdienst erfriert. Daher verkauft der junge Pastor Kai Schweigaard die Kirche, wie so viele andere Norwegische Gemeinden auch, mitsamt allen Inventars. Dazu gehören auch zwei Glocken, die ein Vorfahr der seit gut 400 Jahren ortsansässigen Familie Hekne einst der Gemeinde spendete, und in die damals nicht nur das komplette Tafelsilber der Familie mit gegossen wurde, sondern um die sich mystische Legenden von zwei Zwillingsmädchen und ihrer Mutter ranken. Die Glocken läuten angeblich von selbst bei Gefahr für die Gemeinde, und haben dank des Silbers einen außergewöhnlichen Klang. Der Junge Pfarrer, kein Anhänger alter Bräuche und Mythen, stößt auf Widerstand, als der Verkauf der Kirche bekannt wird, besonders bei Astrid, der stolzen ältesten Tochter vom Hekne-Hof. Ein junger Architekt aus Dresden reist im Auftrag des Sächsischen Königshofes nach Butangen, um Zeichnungen der Kirche anzufertigen und ihren Abbau dort zu organisieren und den Transport nach Deutschland zu überwachen. Astrid verliebt sich in Gerhard, fühlt sich aber auch zu Kai Schweigaard hingezogen und versucht gleichzeitig, die Glocken für die Gemeinde zu retten.

    Lars Mytting erzählt in unglaublich bildhafter Sprache vom Leben im ausgehenden 19.Jahrhundert, von am Hang klebenden kargen Höfen, von Kälte, Hunger und Armut und der extremen Rückständigkeit. Die Christianisierung war im damaligen Norwegen zwar weit fortgeschritten, Pastoren hatten ihren festen Platz, aber der Aberglaube und die mystischen Schaudergeschichten beherrschten das ländliche Leben. Im Roman wird genau das durch die Person des fortschrittlichen Pfarrers Kai transportiert, der versucht gegen alte Bräche anzukämpfen und dabei wenig Verbündete findet. Astrid stellt eine der wenigen in Butangen dar, die klar und fortschrittlich unkompliziert denkt und aufgeschlossene Ansichten hat, sehr untypisch für eine Frau der damaligen Zeit ihre Meinung äußert. Dennoch ist sie in den Legenden und Bräuchen ihres Umfeldes verwurzelt und sträubt sich gegen das Karrieretum, das Kai verkörpert.

    Höchst interessant finden sich im Buch viele Details zur Geschichte der Stabkirchen, von denen tatsächlich viele verkauft, abgebaut und andernorts wieder aufgebaut wurden. Der damit verbundene schale Beigeschmack des Deutschtums zwecks Bewahrung und Hochhaltung germanischer Wurzeln im Norden, das sicherlich der Auslöser für die damalige Euphorie für die alten Stabkirchen gewesen ist, wird hervorragend und gänzlich ohne den oft so störend erhobenen Zeigefinger serviert.
    Es war mir übrigens beim Lesen ein großes Vergnügen, mich mit einzelnen im Roman erwähnten alten Norwegischen Kirchen näher zu befassen.

    Diese großartige, spannende, von Melancholie und Mystik überstäubte Geschichte, die mir im Hinblick auf das alte Norwegen tiefe Einblicke gab, mit feinsinnigem Humor und sehr bildhafter Sprache geschrieben, kann ich nur empfehlen zu lesen. Weise und traurig, gewebt wie ein Teppich der sagenhaften Hekne-Schwestern, ist das Unglück und die Tragik gerade noch auszuhalten, durchzogen von glücklichen Momenten. Ich freue mich schon sehr auf den nächsten Teil.