Pirkko Saisio, geboren 1949, ist Schriftstellerin, Regisseurin, Schauspielerin und eine der bekanntesten Personen in der Kulturszene Finnlands. Ihr Roman "The Course of Life" (1975) wurde als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet. Insgesamt sechs Mal wurde Pirkko Saisio für den Finlandia Preis nominiert und bekam ihn schließlich für den Roman "Das rote Buch der Abschiede" (2003), das den Abschluss ihrer autofiktionalen Trilogie markierte, mit der sie ihren literarischen Durchbruch feierte. Nach zwanzig Jahren wird das aufsehenerregende Werk von Pirkko Saisio endlich weltweit entdeckt.
Mein Lese-Eindruck:
Pirkko Saisio macht es ihrem Leser nicht leicht. Ihr Buch ist ein Erinnerungsbuch, und so springt sie zwischen den Zeiten hin und her, analog zu ihrer Erinnerung. Sie beginnt zwar in der Gegenwart, aber reiht dann ihre Erinnerungsfetzen aneinander und überlässt dem Leser die Gesamtschau.
Diese Gesamtschau ist jedoch faszinierend. Vor dem Auge des Lesers entsteht das Bild Helsinkis in den 60er und 70er Jahren, penibel beschreibt die Autorin die Wege, die Örtlichkeiten, die Lage der elterlichen Wohnung und vor allem die Kirche, zu der sie eine besondere Beziehung entwickelt. Hier in Helsinki wuchs die Autorin auf, in einem Mietshaus im Arbeiterviertel, in einer kommunistischen Familie, in deren Regalen ausschließlich die Bücher von Stalin und Lenin standen. Damit sind schon die Konstituenten genannt, die das Leben der Autorin bestimmen: ihre Religiösität und ihre kommunistische Ausrichtung.
Die Liebe zum Buch, zur Literatur und allgemein zur Kunst führt sie von ihrer Familie weg. Sie ist die Erste ihrer Familie, die studiert. Noch entscheidender ist aber ihre Homosexualität, die im Finnland der 70er Jahre noch unter Strafe stand und die zum Bruch mit ihren Eltern führt: „Und so trennt Mutter mich mit einem Seziermesser von meinem Hintergrund."
Das ist nicht der einzige Abschied, den die Autorin thematisiert. Im Zentrum steht der quälende Abschied von ihrer großen Liebe Havva, der ihr Leben aus den Fugen geraten lässt. Noch heute unterteilt sie ihr Leben in die Zeit vor und nach dieser Liebesbeziehung. Kleinere Abschiede gruppieren sich um dieses Zentrum herum. Es sind nicht nur Abschiede von Lebenspartnerinnen, sondern auch der Abschied von beruflichen Plänen und die Neu-Ausrichtung hin zur Schauspielerei, zur Regie und zum Schreiben.
Durch diese Abschiede wird das Buch sehr dicht. Der Leser begleitet Pirkko Saision zu ihren sozialistisch-revolutionären Agitprop-Theatervorstellungen, und er bekommt einen Eindruck vom Leben einer jungen lesbischen Frau im Finnland der 70er Jahre. Die Art und Weise, wie sie ihre sexuelle Identität literarisiert, besticht durch die Selbstverständlichkeit und auch Leichtigkeit, mit der sie sie erzählt. Ihre oft szenische Erzählweise, die an ein Drehbuch erinnert, wirkt lebhaft, pointiert und kraftvoll, aber immer poetisch.
Wie eingangs gesagt: Pirkko Saisio macht es ihrem Leser nicht leicht. Sie springt nicht nur zwischen den Zeiten umher, sondern auch zwischen den Erzählinstanzen. Mal erzählt ein Ich, dann wieder eine Sie. Damit schafft die Autorin zwar kunstvoll Nähe und dann wieder Distanz zu ihrer Figur, aber dieser Wechsel führt immer wieder zu Kohärenzproblemen und damit zu Verständnisproblemen.
Sprachlich beeindruckendes Zeitdokument
Zur Autorin (Quelle: Verlag):
Pirkko Saisio, geboren 1949, ist Schriftstellerin, Regisseurin, Schauspielerin und eine der bekanntesten Personen in der Kulturszene Finnlands. Ihr Roman "The Course of Life" (1975) wurde als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet. Insgesamt sechs Mal wurde Pirkko Saisio für den Finlandia Preis nominiert und bekam ihn schließlich für den Roman "Das rote Buch der Abschiede" (2003), das den Abschluss ihrer autofiktionalen Trilogie markierte, mit der sie ihren literarischen Durchbruch feierte. Nach zwanzig Jahren wird das aufsehenerregende Werk von Pirkko Saisio endlich weltweit entdeckt.
Mein Lese-Eindruck:
Pirkko Saisio macht es ihrem Leser nicht leicht. Ihr Buch ist ein Erinnerungsbuch, und so springt sie zwischen den Zeiten hin und her, analog zu ihrer Erinnerung. Sie beginnt zwar in der Gegenwart, aber reiht dann ihre Erinnerungsfetzen aneinander und überlässt dem Leser die Gesamtschau.
Diese Gesamtschau ist jedoch faszinierend. Vor dem Auge des Lesers entsteht das Bild Helsinkis in den 60er und 70er Jahren, penibel beschreibt die Autorin die Wege, die Örtlichkeiten, die Lage der elterlichen Wohnung und vor allem die Kirche, zu der sie eine besondere Beziehung entwickelt. Hier in Helsinki wuchs die Autorin auf, in einem Mietshaus im Arbeiterviertel, in einer kommunistischen Familie, in deren Regalen ausschließlich die Bücher von Stalin und Lenin standen. Damit sind schon die Konstituenten genannt, die das Leben der Autorin bestimmen: ihre Religiösität und ihre kommunistische Ausrichtung.
Die Liebe zum Buch, zur Literatur und allgemein zur Kunst führt sie von ihrer Familie weg. Sie ist die Erste ihrer Familie, die studiert. Noch entscheidender ist aber ihre Homosexualität, die im Finnland der 70er Jahre noch unter Strafe stand und die zum Bruch mit ihren Eltern führt: „Und so trennt Mutter mich mit einem Seziermesser von meinem Hintergrund."
Das ist nicht der einzige Abschied, den die Autorin thematisiert. Im Zentrum steht der quälende Abschied von ihrer großen Liebe Havva, der ihr Leben aus den Fugen geraten lässt. Noch heute unterteilt sie ihr Leben in die Zeit vor und nach dieser Liebesbeziehung. Kleinere Abschiede gruppieren sich um dieses Zentrum herum. Es sind nicht nur Abschiede von Lebenspartnerinnen, sondern auch der Abschied von beruflichen Plänen und die Neu-Ausrichtung hin zur Schauspielerei, zur Regie und zum Schreiben.
Durch diese Abschiede wird das Buch sehr dicht. Der Leser begleitet Pirkko Saision zu ihren sozialistisch-revolutionären Agitprop-Theatervorstellungen, und er bekommt einen Eindruck vom Leben einer jungen lesbischen Frau im Finnland der 70er Jahre. Die Art und Weise, wie sie ihre sexuelle Identität literarisiert, besticht durch die Selbstverständlichkeit und auch Leichtigkeit, mit der sie sie erzählt. Ihre oft szenische Erzählweise, die an ein Drehbuch erinnert, wirkt lebhaft, pointiert und kraftvoll, aber immer poetisch.
Wie eingangs gesagt: Pirkko Saisio macht es ihrem Leser nicht leicht. Sie springt nicht nur zwischen den Zeiten umher, sondern auch zwischen den Erzählinstanzen. Mal erzählt ein Ich, dann wieder eine Sie. Damit schafft die Autorin zwar kunstvoll Nähe und dann wieder Distanz zu ihrer Figur, aber dieser Wechsel führt immer wieder zu Kohärenzproblemen und damit zu Verständnisproblemen.
4,5/5*