Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Buchseite und Rezensionen zu 'Besser allein als in schlechter Gesellschaft' von Adriana Altaras
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Besser allein als in schlechter Gesellschaft"

Adriana Altaras erzählt von ihrer Tante, der schönen Teta Jele. Von einer Frau, die 101 Jahre alt wurde, die spanische Grippe, das KZ und ihre norditalienische Schwiegermutter überlebte. Von einer so liebevollen wie eigensinnigen Beziehung. Und davon, wie man lernt, das Leben anzunehmen. Als ihre Eltern aus Zagreb fliehen müssen, kommt Adriana mit vier Jahren zu ihrer Tante nach Italien. Dorthin wird sie ihr Leben lang zurückkehren. Als Jugendliche in den Sommerferien, mit ihrer gesamten Abiklasse – und mit all ihren Liebhabern, die Tantchens aristokratischem Blick standhalten müssen. Und auch als Adrianas Mann sie nach dreißig Jahren Ehe verlässt, ist es ihre 98-jährige Tante, die ihr am Gardasee mit jeder Menge Pasta, pragmatischen Ratschlägen und Barbesuchen zur Seite steht. Ausgerechnet Teta Jeles hundertsten Geburtstag können sie nicht miteinander feiern. Adrianas Tante ist im Pflegeheim, wegen der Pandemie darf sie keinen Besuch empfangen. Umso häufiger telefonieren die beiden miteinander. Und lassen dabei Jeles Jahrhundertleben Revue passieren. Die Kindheits- und Jugendjahre in Zagreb, die Rettung durch Giorgio, der die Tante nach Mantua brachte und den sie nur aus Dankbarkeit heiratete. Die Liebe zu Fritz Epstein, der rechtzeitig nach Australien floh. Den Umgang mit dem Altwerden und der eigenen Geschichte inmitten des Weltgeschehens. Adriana Altaras entwirft ein zartes, bewegendes und zugleich irre komisches Porträt einer wunderbar kapriziösen Frau. Ein tröstliches, ein inniges Buch, das erzählt, wie man das Leben annehmen und wie man es loslassen kann.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
EAN:9783462004243

Rezensionen zu "Besser allein als in schlechter Gesellschaft"

  1. 5
    06. Nov 2023 

    großartige Revue zweier Leben

    Dies ist die Geschichte der 60jährigen Adriana und ihrer hundertjährigen Tante Jelka, die einer jüdischen Familie entstammen und ihre Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien haben. Die Familie hatte in Zagreb eine florierende Glasmanufaktur, wurde 1941 enteignet, vertrieben, kam ins KZ. All das hat die Tante erlebt und überlebt.

    Im Jahr 2020 herrscht in Italien, wo die Tante seit der Flucht aus dem Lager lebt, die Coronapandemie und verhagelt ihren bevorstehenden 100. Geburtstag, den sie im Altersheim feiern will. Insbesondere ihre innig geliebte Nichte Adriana, die in Berlin lebt, kann wegen der Kontaktverbote nicht einreisen.

    Dieser Roman trägt starke autobiographische Züge und erzählt abwechselnd aus der Perspektive der Nichte und der Tante, jeweils in der Ich-Form. Die beiden kommunizieren per Telephon und skype und erinnern sich, jede für sich, an ihr ereignisreiches, teils gemeinsames Leben. Die Tante, die die Nichte bis zu deren 4. Lebensjahr in Italien aufzog, ist ihr wie einer eigenen Tochter eng verbunden. Auch die Nichte hat mit ihren 60 Jahren schon viel erlebt, hat zwei erwachsene Söhne, ist geschieden, beruflich erfolgreich und kann auf viele glückliche Erinnerungen mit ihrer Tante zurückblicken.

    Sowohl das Leben von Jelka als auch das ihrer Nichte entfaltet sich bei der Lektüre der Wiedergabe derTelefonate und derer Gedanken und Erinnerungen so spannend und ist so melancholisch und humorvoll erzählt, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Hier wird nichts beschönigt: Jelka, die so viel mitgemacht hat, hat ihren Lebensmut und ihre Lebensfreude trotz allem bis ins hohe Alte nicht verloren, betrachtet ihr Leben rückblickend jedoch ehrlich und reflektiert die vielen Abzweigungen, die sie im Leben nicht genommen hat. Was wäre etwa gewesen, wenn sie mit ihrer großen Liebe nach Australien ausgewandert wäre und so Vertreibung und Lager vermieden hätte ? Der Vater hatte die Auswanderung verboten, sie wurde in der Glasmanufaktur gebraucht und hatte nicht den Mut, sich zu widersetzen. Sie mußte erfahren, dass sie selbst nicht "Meister" ihres eigenen Lebens war.

    Die Geschichte hangelt sich, beginnend mit dem Geburtsjahr Jelkas 1920, durch die Erinnerungen der Protagonistinnen und der Leser wird Zeuge der außergewöhnlich warmherzigen Tante/Nichte-Beziehung. Es ist aber nicht nur ein melancholischer Lebensrückblick, auch die Gegenwart, u. a. die Coronapandemie, die Widrigkeiten des Älterwerdens ( Adriana ) und des Altseins ( Jelka ) kommen zur Sprache.

    Besonders gefallen haben mir die Lebensweisheiten Jelkas, von denen auch eine titelgebend ist. Aus ihnen, wie aus dem ganzen Roman, sprechen Lebensklugheit und Trost. So konstatiert Jelka: " Vielleicht habe ich das Leben nicht gemeistert. Aber gelebt habe ich es." Ich möchte ihr nachrufen: Du hast dein Leben vielleicht nicht "gemeistert", aber hingekriegt hast Du es großartig, trotz aller Widerfahrnisse ! Und allen Lesern rufe ich zu: Vergeßt die Glücksratgeberbücher, kündigt euren Therapeuten und lest lieber Romane wie diesen hier !

    5 Sterne und eine große Leseempfehlung.

  1. 4
    22. Mai 2023 

    Lebensbejahend und tröstend

    Adriana Altaras, 1960 in Zagreb geboren, ist bekannt aus Film und Fernsehen. Neben ihrer schauspielerischen Tätigkeit arbeitet sie sehr erfolgreich als Regisseurin. Und mittlerweile hat sie sich auch als Schriftstellerin einen Namen gemacht. Bisher sind vier Bücher von ihr erschienen, alle haben einen stark autobiographischen Bezug. So auch ihr neuester Roman „ Besser allein als in schlechter Gesellschaft“. Der Untertitel verrät, um wen es hierin geht „ Meine eigensinnige Tante“. Dabei handelt es sich um die nunmehr 99jährige Tante Jele, zu der Adriana ein besonders inniges Verhältnis hat. Kam sie doch als vierjähriges Kind in die Obhut von Tante Jele und deren Mann Giorgio, denn ihren Eltern drohte ein Straflager in Titos Jugoslawien. Das kinderlose Paar kümmerte sich um das Mädchen. Und später, als Adriana längst mit ihren Eltern in Deutschland wohnt, verbringt sie sämtliche Ferien bei der geliebten Tante. Und auch als Erwachsene lässt sie den Kontakt nie abbrechen.
    Nun besucht Adriana regelmäßig die betagte Dame, kümmert sich um deren Angelegenheiten und heult sich aus. Denn ihr Mann Georg hat sie nach dreißigjähriger Ehe verlassen, wegen einer Jüngeren. Das soll ja häufiger vorkommen, aber wen es trifft, bricht es das Herz. Bei Jele findet Adriana Gehör und Trost.
    Mittlerweile lebt Jele in einem Altersheim in Mantua. Lange hatte sie ihre Selbständigkeit verteidigt, doch ein Oberschenkelhalsbruch machte ein Alleinleben unmöglich .
    Doch wir haben das Jahr 2020; das Corona- Virus unterbindet jeglichen persönlichen Kontakt. Es bleibt nur das Telefon und ein bisschen skypen, kein leichtes Unterfangen, denn die Tante ist beinahe taub und blind. Auch das geplante Fest zum 100. Geburtstag kann nicht stattfinden. Aber Jele lässt sich davon nicht unterkriegen, hat sie doch die Spanische Grippe, den Krieg und die Verfolgung durch die Nazis überlebt.
    Jele, 1920 in Zagreb geboren, war ein großbürgerliches Leben gewohnt. Ihre Eltern hatten es mit einem Porzellan- und Glasgeschäft zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Doch als 1941 die Deutschen das Königreich Jugoslawien erobern, gelten auch hier die Rassengesetze. Der Vater stirbt früh an einem Herzinfarkt, Jele kommt mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in ein KZ auf der Insel Rab. Ein italienischer Soldat rettet Jele mit einem Boot und bringt sie nach Norditalien. Aus Dankbarkeit heiratet sie ihn, obwohl sie ihn nicht liebt. Und führt fortan ein bescheidenes Dasein auf dem Dorf unter der Herrschaft der Schwiegermutter. Als Witwe kann sie endlich frei über ihr Leben verfügen.
    Trotz oder vielleicht gerade wegen der vielen existenziellen Bedrohungen genießt sie das Leben mit all seinen Annehmlichkeiten. Dazu gehören für sie flotte Autos, Hunde, Cashmere- Twinsets in allen Farben, teure Gesichtscremes und gutes Essen. Dabei ist sie überzeugt, dass sie ihr hohes Alter dem Genuss von Pasta verdankt und ihre Schwester, die in Deutschland lebte, wegen ihrem Kartoffelkonsum früher gestorben ist.
    Das Buch ist ein Zwiegespräch der beiden Frauen, die eine sehr alt, die andere an der Schwelle zum Alter. Die Gespräche helfen ihnen mit der Einsamkeit fertig zu werden. Adriana leidet furchtbar darunter. Denn mittlerweile sind auch die beiden erwachsenen Söhne ausgezogen und wegen Corona kann sie nicht arbeiten. Jele sieht das pragmatischer. Ihr Credo lautet „ Besser allein als in schlechter Gesellschaft“.
    Die Gespräche der beiden Frauen greifen Alltägliches auf, Probleme, die das Alter mit sich bringt, aber auch Erinnerungen werden geteilt. Jele geizt nicht mit ihren Lebensweisheiten, zur Aufmunterung liefert sie Anekdoten und jüdische Witze. Mehrere Male schlägt sie dem Tod noch ein Schnippchen und als sie mit 102 Jahren in Frieden mit sich und der Welt einschläft, ist ihre Nichte bei ihr. „ Alles ist gut. Ich verzeihe dir, G‘tt.“
    Die Autorin lässt wechselweise Adriana und die Tante zu Wort kommen. Sprachlich unterscheiden sich die beiden Erzählstimmen kaum, das muss man leider als Kritikpunkt anbringen. Sämtliche Kapitel, sowohl die, in denen Adriana erzählt als auch die der Tante sind in der Ich- Perspektive geschrieben. Diese Entscheidung halte ich für nicht so ideal.
    Ansonsten ist „ Besser allein als in schlechter Gesellschaft“ ein unterhaltsames Buch, das trotz der verhandelten Themen wie Alter, Krankheit und Einsamkeit tröstend und lebensbejahend ist . Die Autorin schildert dabei ein weiteres Kapitel jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert. Und sie zeichnet das liebevolle Portrait einer unerschrockenen und eigensinnigen Frau.