Die 1970 geborene Autorin Anna Katherina Hahn schaffte es mit ihrem ersten Roman „ Kürzere Tage“ ( empfehle ich auch ) 2009 auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis; der zweite Roman „ Am schwarzen Berg“ ( empfehle ich ebenfalls ) stand 2012 auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis und für diesen, ihren vierten Roman erhoffe ich mir mindestens eine Shortlistnominierung.
Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Frauen, Cornelia und ihre knapp 70jährige Mutter Elisabeth. Cornelia bittet ihre Mutter um Hilfe. Sie soll sich vier Wochen lang um ihre Enkel kümmern, während Cornelia eine Reise in die USA unternimmt. Sie braucht dringend eine Auszeit, das steht ihr zu, findet Cornelia. Sie fühlt sich völlig ausgebrannt, erschöpft: im Beruf als Physiotherapeutin, aber vor allem als alleinerziehende Mutter. Von ihrem griechischstämmigen Ehemann hat sie sich vor einer Weile getrennt und lebt nun in einem etwas chaotischen Haushalt im rauen Stuttgarter Osten.
Elisabeth macht sich pflichtbewusst an ihre neue Aufgabe. Sie zieht in die Wohnung ihrer Tochter zu den beiden Enkelkindern Stella und Bruno. Stella ist eine hübsche Fünfzehnjährige, die viel mit ihrer Clique und ihrem neuen Freund, einem syrischen Flüchtling, unterwegs ist. Bruno, der kleine Bruder, versteckt seine Verletzlichkeit hinter einer dicken Speckschicht. Cornelia hat eine Liste hinterlegt, auf der genau steht, was alles zu tun und zu beachten ist.
Dabei hat Elisabeth im Moment gerade genug eigene Probleme. Ehemann Hinz, mit dem sie zwei Töchter großgezogen und ein florierendes Reisebüro in Stuttgart geführt hat, ist zu einer anderen Frau gezogen. Die hat Hinz bei der Reha nach seinem Schlaganfall kennengelernt. Zugegeben, Elisabeth war nicht die geduldigste Pflegerin ihres Mannes, aber damit hat sie nicht gerechnet.
Währenddessen ist Cornelia in den USA unterwegs, auf den Spuren ihrer Großmutter Gertrud, genannt „ Trudele“ . Die wurde in den 1920er Jahren, während der Weltwirtschaftskrise zu Verwandten nach Pennsylvania geschickt.
Anna Katharina Hahn verbindet in diesem Roman mehrere Erzählstränge. Da sind die beiden, die in der Gegenwart, im Juni 2017, spielen, der eine in Stuttgart, der andere in den USA. Für den dritten Erzählstrang wählt die Autorin eine ganz eigene Perspektive. Die Erlebnisse von Gertrud während der Überfahrt und der Zeit in Amerika schildert uns eine Stoffpuppe , genannt Herr Linsenmaier. Der war für das junge Mädchen der einzige Trost in der Fremde. Elisabeth hat die alte Puppe im Schrank ihrer Tochter gefunden und erzählt nun abends vor dem Schlafengehen Bruno die Geschichte von Gertrud und dem Herrn Linsenmaier.
Der Roman liest sich leicht und unterhaltsam und ist dabei ungeheuer vielschichtig und komplex. Die Autorin überzeugt nicht nur mit ihrer raffinierten Erzählkonstruktion mit mehreren Ebenen und verschiedenen Perspektiven, sondern greift eine Fülle von Themen auf, ohne überladen zu sein. Es geht um Familie und Familienbeziehungen, Flucht in vielerlei Hinsicht, Prägung und die Frage, wie wurde ich zu dem Menschen, der ich bin. Elisabeth z.B. stammt aus einem pietistischen Elternhaus und wurde streng religiös erzogen. Heute noch hört sie in manchen Situationen die warnenden Stimmen der „ beiden Fellbacherinnen“, zwei alte Diakonissinen, die sie zur Ordnung rufen.
Manche Episoden aus der Vergangenheit spiegeln sich in der Gegenwart und zahllose Motive durchziehen den Roman, allem voran das Thema „ Essen“. Elisabeth und Cornelia sind bzw. waren berufstätige Frauen, die ihre Familie versorgen müssen. Während Elisabeth pragmatisch oft auf Fertiggerichte zurückgegriffen hat, versucht Cornelia bewusst und gesund zu kochen, v.a. im Hinblick auf ihren übergewichtigen Sohn. Bei Trudele dagegen war es der Hunger in Deutschland, der sie nach Amerika getrieben hat und dort das üppige Essen, das sie rund werden ließ.
Anna Katharina Hahn hat mit „ Aus und davon“ einen lebensklugen Familienroman über drei Generationen hinweg geschaffen. Sie ist eine scharfe Beobachterin, aber urteilt nicht über ihre Figuren. Unbedingt lesenswert!
Auf und vorbei
Die 1970 geborene Autorin Anna Katherina Hahn schaffte es mit ihrem ersten Roman „ Kürzere Tage“ ( empfehle ich auch ) 2009 auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis; der zweite Roman „ Am schwarzen Berg“ ( empfehle ich ebenfalls ) stand 2012 auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis und für diesen, ihren vierten Roman erhoffe ich mir mindestens eine Shortlistnominierung.
Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Frauen, Cornelia und ihre knapp 70jährige Mutter Elisabeth. Cornelia bittet ihre Mutter um Hilfe. Sie soll sich vier Wochen lang um ihre Enkel kümmern, während Cornelia eine Reise in die USA unternimmt. Sie braucht dringend eine Auszeit, das steht ihr zu, findet Cornelia. Sie fühlt sich völlig ausgebrannt, erschöpft: im Beruf als Physiotherapeutin, aber vor allem als alleinerziehende Mutter. Von ihrem griechischstämmigen Ehemann hat sie sich vor einer Weile getrennt und lebt nun in einem etwas chaotischen Haushalt im rauen Stuttgarter Osten.
Elisabeth macht sich pflichtbewusst an ihre neue Aufgabe. Sie zieht in die Wohnung ihrer Tochter zu den beiden Enkelkindern Stella und Bruno. Stella ist eine hübsche Fünfzehnjährige, die viel mit ihrer Clique und ihrem neuen Freund, einem syrischen Flüchtling, unterwegs ist. Bruno, der kleine Bruder, versteckt seine Verletzlichkeit hinter einer dicken Speckschicht. Cornelia hat eine Liste hinterlegt, auf der genau steht, was alles zu tun und zu beachten ist.
Dabei hat Elisabeth im Moment gerade genug eigene Probleme. Ehemann Hinz, mit dem sie zwei Töchter großgezogen und ein florierendes Reisebüro in Stuttgart geführt hat, ist zu einer anderen Frau gezogen. Die hat Hinz bei der Reha nach seinem Schlaganfall kennengelernt. Zugegeben, Elisabeth war nicht die geduldigste Pflegerin ihres Mannes, aber damit hat sie nicht gerechnet.
Währenddessen ist Cornelia in den USA unterwegs, auf den Spuren ihrer Großmutter Gertrud, genannt „ Trudele“ . Die wurde in den 1920er Jahren, während der Weltwirtschaftskrise zu Verwandten nach Pennsylvania geschickt.
Anna Katharina Hahn verbindet in diesem Roman mehrere Erzählstränge. Da sind die beiden, die in der Gegenwart, im Juni 2017, spielen, der eine in Stuttgart, der andere in den USA. Für den dritten Erzählstrang wählt die Autorin eine ganz eigene Perspektive. Die Erlebnisse von Gertrud während der Überfahrt und der Zeit in Amerika schildert uns eine Stoffpuppe , genannt Herr Linsenmaier. Der war für das junge Mädchen der einzige Trost in der Fremde. Elisabeth hat die alte Puppe im Schrank ihrer Tochter gefunden und erzählt nun abends vor dem Schlafengehen Bruno die Geschichte von Gertrud und dem Herrn Linsenmaier.
Der Roman liest sich leicht und unterhaltsam und ist dabei ungeheuer vielschichtig und komplex. Die Autorin überzeugt nicht nur mit ihrer raffinierten Erzählkonstruktion mit mehreren Ebenen und verschiedenen Perspektiven, sondern greift eine Fülle von Themen auf, ohne überladen zu sein. Es geht um Familie und Familienbeziehungen, Flucht in vielerlei Hinsicht, Prägung und die Frage, wie wurde ich zu dem Menschen, der ich bin. Elisabeth z.B. stammt aus einem pietistischen Elternhaus und wurde streng religiös erzogen. Heute noch hört sie in manchen Situationen die warnenden Stimmen der „ beiden Fellbacherinnen“, zwei alte Diakonissinen, die sie zur Ordnung rufen.
Manche Episoden aus der Vergangenheit spiegeln sich in der Gegenwart und zahllose Motive durchziehen den Roman, allem voran das Thema „ Essen“. Elisabeth und Cornelia sind bzw. waren berufstätige Frauen, die ihre Familie versorgen müssen. Während Elisabeth pragmatisch oft auf Fertiggerichte zurückgegriffen hat, versucht Cornelia bewusst und gesund zu kochen, v.a. im Hinblick auf ihren übergewichtigen Sohn. Bei Trudele dagegen war es der Hunger in Deutschland, der sie nach Amerika getrieben hat und dort das üppige Essen, das sie rund werden ließ.
Anna Katharina Hahn hat mit „ Aus und davon“ einen lebensklugen Familienroman über drei Generationen hinweg geschaffen. Sie ist eine scharfe Beobachterin, aber urteilt nicht über ihre Figuren. Unbedingt lesenswert!