Anständige Leute: Kriminalroman
In seinem Roman „Anständige Leute“ nimmt uns Leonardo Padura nach Havanna mit. In zwei Handlungssträngen erzählt er zwei Geschichten, die sich in der kubanischen Hauptstadt ereignet haben.
Im Jahre 2016, nach jahrelanger Feindschaft zwischen den beiden Ländern, kommt USA-Präsident Barack Obama nach Havanna. Viele Kubaner beäugen skeptisch die beginnende Annäherung der langjährigen Feinde, befürchten weitere Verschlechterung ihrer bereits schweren Lebensumstände. Enthusiastisch dagegen wurde das Rolling Stones-Konzert erwartet; bisher konnte man ihre Musik nur heimlich hören.
Da die Polizei mit dem Sicherheitskonzept alle Hände voll zu tun hat, übernimmt der Ex-Polizist Conde die Ermittlung in dem neuesten Mordfall. Das Opfer, ein befürchteter und sogleich verhasster Kunst-Zensor wurde tot in seiner luxuriösen Wohnung aufgefunden.
Gleichzeitig arbeitet Conde an seinem Roman über einen spektakulären Mord, der sich vor hundert Jahren in Havannas Rotlichtmilieu ereignet hat. Diese Geschichte, parallel in dem zweiten Handlungsstrang erzählt, beschreibt den Werdegang eines jungen Polizisten Arturo Saborit Amargó, der von dem mächtigen Zuhälter Alberto Yarini stark beeinflusst wurde.
Beide Handlungsstränge fand ich sehr interessant, denn beide vermitteln Bilder der kubanischen Hauptstadt und ihrer Einwohner in der jeweiligen Epoche. Während die aktuelle Geschichte über das Leben der Mittelschicht und der von der Zensur geknebelten Künstlern erzählt, beschränkt sich der Erzählstrang aus dem Jahr 1909 auf die Geschehnisse im Rotlichtmilieu der Stadt und auf die Karriere eines jungen Vertreters der Polizei.
In dem Roman geht es jedoch vor allem um die Anständigkeit, Gerechtigkeit und Treue, denn diesen Prüfungen wurden die Protagonisten im Verlauf der Handlung unterzogen. Kritische Gedanken, philosophische Überlegungen und Reflexionen füllen viele Seiten des umfangreichen Romans, überwältigend ist auch die Anzahl der Protagonisten in beiden Erzählsträngen.
Der Ex-Polizist Conde, die Hauptfigur des Romans, hat mich nicht überzeugt. Ich lernte ihm erst in diesem Roman kennen (die vorherigen Bände habe ich nicht gelesen) als einen älteren, mit seinem bisherigen Leben unzufriedenen Mann, der jedoch seinen alten, nicht immer nachvollziehbaren Prinzipien treu bleiben will.
Der Autor gewährt dem Leser einige Einblicke in die einzelnen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Kuba jetzt und damals. Doch diese Einsichten bringen mir das Land und seine Leute nicht wirklich näher. Deswegen empfehle ich das interessante Buch allen Lesern, die mit der kubanischen Geschichte gut vertraut sind.
"Einmal mehr hatte sich bewahrheitet, dass Gerechtigkeit zwar nötig, deshalb aber noch lange nicht gerecht ist." (S. 391)
"Anständige Leute" ist der zehnte (Kriminal-) Roman um den Ex-Polizisten Mario Conde des 1955 geborenen kubanischen Erfolgsautors Leonardo Padura. Nach Band sechs, "Die Nebel von gestern", war es für mich die zweite Begegnung mit dieser Serien, deren Bände man problemlos auch unabhängig voneinander mit Genuss lesen und verstehen kann.
Zweigeteilte Handlung
Der inzwischen 62-jährige Mario Conde war nur zehn Jahre Polizist, bevor er vor fast 30 Jahren den Dienst aus moralischen Bedenken quittierte. Trotzdem hat ihn sein kriminalistischer Spürsinn nie verlassen. Als sein ehemaliger Kollege Manuel Palacios ihn 2016 um Hilfe bei Ermittlungen im ebenso spektakulären wie grausamen Mord am ehemals gefürchteten und noch immer verhassten Kunstzensor Reynaldo Quevedo bittet, willigt er ein. Die Polizei ist derweilen mit dem historisch bedeutenden Besuch Barack Obamas und dem ebenso legendären Konzert der Rolling Stones mehr als beschäftigt. Auch Mario Conde hätte eigentlich anderes zu tun. Da sein Handel mit antiquarischen Büchern und Gebrauchtwaren nicht mehr läuft, kam das Angebot seines ehemaligen Buchhandelspartners, in dessen Luxuslokal allabendlich ein Auge auf die Kundschaft zu haben, zur rechten Zeit. Außerdem möchte Conde aus ein paar handgeschriebenen Blättern eines Polizisten namens Arturo Saborit Amargó über Ereignisse in den Jahren 1909 bis 1910 ein Buch machen. Dieser junge Mann geriet in eine gefährliche Nähe zum König der Zuhälter Alberto Yarini y Ponce de León, einer real existierenden Figur, einem Menschenfänger und „reinste[n] Teufel“ (S. 155). Diese Aufzeichnungen bilden den zweiten Handlungsstrang des Romans, dessen erste neun Kapitel jeweils zweigeteilt sind, bevor die beiden Zeitebenen im Schlusskapitel überraschend zusammenfinden.
Gemeinsam sind beiden Zeitebenen Ereignisse, die in Havanna „eine allgemeine Lockerung der Sitten“ (S. 244) bewirken: 1909 die Erwartung des Weltuntergangs durch den Halley’sche Kometen, 2016 die Aussicht auf politischen Veränderung kurz vor dem Tod Fidel Castros durch die prominenten Besucher aus den USA, die der eingefleischte Pessimist Conde jedoch nicht teilt. 1909 wie 2016 ist die Schere zwischen Arm und Reich riesengroß und muss ein grausamer Mordfall aufgeklärt werden, bei dem es im Laufe der Geschichte nicht bleibt. Wie eine Klammer hält zudem ein Thema den Roman in all seinen Haupt- und Nebenhandlungen zusammen: die Frage nach Anstand und Moral in einem durch und durch korrupten Land wie Kuba.
Mehr politischer Kuba-Roman als Krimi
Trotz mehrerer Mordfälle ist "Anständige Leute" kein Krimi im klassischen Sinn, auch wenn Leonardo Padura im Nachwort schreibt, dass er mit diesem Band „dem Genre einmal so richtig auf den Grund gehen“ wollte. Mehr als um die Ermittlungen und die fast nebenbei erfolgenden Auflösungen steht Kuba im Zentrum, tiefgreifende politische und gesellschaftliche Konflikte früher und heute, aber auch überbordende Lebensfreude. Obwohl der Roman bisweilen in seinen Haupt- und Nebenhandlungen etwas zu sehr ausufert, bin ich Mario Conde sehr gerne durch die Straßen Havannas gefolgt, diesem ungewöhnlichen Ermittler und trotz gelegentlich machohafter Züge liebenswerten Philosophen und Zyniker, der so schwer an seiner innigen Zuneigung zu seinem problembehafteten Heimatland leidet, Bücher, Geschichte, Baseball, die Beatles, seine Freunde und seine Partnerin liebt und vor allem stets anständig bleibt.
Eine große Empfehlung für alle, die auf unterhaltsame Weise mehr über Kuba früher und heute erfahren möchten.
Leonardo Padura hat mit seiner Krimireihe um Mario Conde internationale Anerkennung gewonnen. „ Anständige Leute“ ist sein zehnter Roman mit dem eigenwilligen Ermittler.
Wir sind im Jahr 2016. Kuba befindet sich in Aufbruchstimmung. Zum ersten Mal seit fast 90 Jahren hat ein amerikanischer Präsident sein Kommen angekündigt. Barack Obama kommt für drei Tage auf Staatsbesuch ins ehemalige Feindesland. Und die Rolling Stones werden zum ersten Mal in Kuba auftreten und in Havanna ihr legendäres Gratiskonzert geben. Die Polizei hat mit dem Sicherheitskonzept alle Hände voll zu tun. Da kommt der Mord an einem alten Funktionär zur Unzeit.
Deshalb bittet ein ehemaliger Kollege Mario Conde um Hilfe. Der hat zwar schon vor über dreißig Jahren seinen Polizeidienst quittiert und einen Handel mit antiquarischen Büchern begonnen. Außerdem hat Conde im Grunde keine Zeit; seine finanzielle Situation macht einen Zweitjob notwendig, dazu kommt sein Buchprojekt, bei dem er nur schleppend vorankommt. Trotzdem willigt er ein.
Der Mordfall ist äußerst brisant. Der 86jährige Reynaldo Quevedo war einst ein gefürchteter Zensor. „ In den düsteren Siebzigerjahren verkörperte Quevedo für alle Künstlerkreise des Landes das Böse schlechthin.“ Er verfolgte und schikanierte Maler und Schriftsteller, die ideologisch von der Norm abwichen, verbot Bücher und Bilder. Auch Homosexuelle und Christen zählten zu seinen Opfern. Eine Dichterin trieb er zum Selbstmord. Nun liegt er tot und entmannt in seiner Wohnung. Feinde hatte er genug, Menschen, die allen Grund hätten, sich zu rächen.
Bald wird eine zweite Leiche entdeckt; Quevedos Schwiegersohn wird ermordet und ebenfalls kastriert aufgefunden. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Morden ist offensichtlich.
Wie so oft bei Padura gibt es einen weiteren Erzählstrang, der in die Vergangenheit führt, in das Havanna der Jahre 1909/1910. Der Halleysche Komet sorgt für Weltuntergangsstimmung. Dementsprechend wild und exzessiv ist das Leben in den Vergnügungsvierteln der Stadt. Der Mord an zwei Prostituierten erschüttert hier niemanden. Mit den Ermittlungen beauftragt wird der junge Polizist Arturo Saborit Amargo, frisch vom Lande kommend. Bei seinen Nachforschungen gerät Amargo in den Dunstkreis des Zuhälterkönigs Alberto Yarini.
Dieser ist eine reale Person. Yarini, aus gutem Hause und gebildet, wurde zum berühmtesten Zuhälter Havannas. Er war ein Gangsterboss mit politischen Ambitionen, der 1910 ermordet wurde und heute noch in Kuba eine Legende ist. Erzählt wird uns diese Geschichte aus der Ich- Perspektive des jungen Polizisten,
Padura wechselt kapitelweise die Zeitebenen. Und erst nach und nach erschließen sich die Parallelen.
Zu beiden Zeiten gilt die öffentliche Aufmerksamkeit einem Großereignis: einmal der Wiederkehr des Halleyschen Kometen, zum anderen dem Besuch Barack Obamas. Das eine Ereignis verspricht das Ende der Welt, vom zweiten Ereignis erhoffen sich die Kubaner eine Zeitenwende. Doch Mario Conde glaubt nicht daran. „ Er sieht, was sich um ihn herum abspielt, und sagt sich, dass das bloß eine kleine Pause zwischen einer dunklen und einer düsteren Zeit ist.“
Auch die gesellschaftliche Situation ähnelt sich. Nach mehr als sechs Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft ist die Kluft zwischen Arm und Reich immer noch sehr groß, beinahe wie zu Anfang des letzten Jahrhunderts.
Und durch beide Erzählstränge zieht sich die Frage nach dem Anstand. Was macht einen anständigen Menschen aus und wie kann man anständig bleiben in einer schlechten Welt? Kann man Schuld auf sich laden und trotzdem ein anständiger Mensch sein?
Der junge Polizist Amargo verliert seine Unschuld, weil er sich zum Gefolgsmannes eines zwielichtigen Typen machen lässt. Er ist sich dessen bewusst. „ Ich fragte mich allerdings unbehaglich, ob ich gerade dem Teufel meine Seele verkauft hatte,…“
Conde selbst ist sich treu geblieben, über die Jahre hinweg. Halt und Unterstützung findet er in seiner großen Liebe Tamara und in seinem alten Freundeskreis. Aber auch er fragt sich: „Wer interessierte sich heutzutage noch für so etwas wie Anstand? …Wer legte in diesen Zeiten noch Wert darauf, ein anständiger Mensch zu sein?“
Wie immer bei Padura ist der Krimiplot, wenn auch interessant, eher zweitrangig. Er dient ihm v.a. dazu, um auf Missstände im Land aufmerksam zu machen. Dabei spart er nicht mit Kritik an den politischen Verhältnissen im Land, prangert in diesem Roman v.a. die Korruption und Doppelmoral der Mächtigen an, den Einfluss von Zensur auf die Kunst und die Künstler und die prekäre Lage der Bevölkerung. Trotzdem spürt man hinter all der Bitternis und Schärfe die Liebe zu seiner Heimat.
Padura liebt die Kubaner mit ihrem unverbrüchlichen Optimismus, ihrer Fähigkeit, den Augenblick zu genießen.
Mit sehr viel Erzählfreude und der Liebe zum Detail entwirft Leonardo Padura ein lebenspralles Bild Kubas damals und heute. Sein Ton ist schnoddrig in den Dialogen, lakonisch im Erzählteil. Dabei variiert sein Stil in den beiden Erzählebenen. Dazwischen gestreut finden sich kluge Sentenzen seiner Hauptfigur Mario Conde, den man getrost als Sprachrohr und Alter Ego des Autors lesen kann.
„ Anständige Leute“ ist ein unterhaltsamer Krimi, der zugleich Gesellschafts - und historischer Roman ist. Dabei lernt der Leser Kuba und dessen Geschichte näher kennen und die Mentalität der Kubaner besser verstehen. Und am Ende weiß man auch, ob Conde als alter Beatles-Fan gemeinsam mit seiner Freundesclique zum Rolling Stones Konzert gehen wird.
Einziger Kritikpunkt: etwas weniger Seiten hätten dem Roman gut getan.
Conde, Ex-Polizist mit literarischen Ambitionen, ermittelt wieder, diesmal in seinem 10. Fall, der ihn quer durch alle Schichten Kubas führt: Neureiche, Intellektuelle, Künstler, Staatsfunktionäre, einfache Hausangestellte oder Menschen aus ärmlichsten Verhältnissen.
„Anständige Leute“ spielt zur Zeit des Obama-Besuchs in Kuba, 2016, der Auftritt der Rolling Stones steht kurz bevor und das ganze Land verfällt in eine Euphorie, die der desillusionierte Conde eher kritisch betrachtet.
Es geht um die Reichen und Mächtigen, denn ermordet wird gleich zu Beginn der alte Kulturfunktionär Quevedo, der es vielen Künstlern und Kulturschaffenden z.T. unmöglich gemacht hat, ihre Kunst zu veröffentlichen oder zu verkaufen. Er selbst hat sich an den Kunstwerken bereichert, sie für viel Geld illegal verkauft oder selbst in seinem Reich dargestellt. Die Künstler wurden mundtot gemacht, es gab Veröffentlichungsverbote, Berufsverbot oder Gefängnisaufenthalte, Suizidversuche, Depressionen. Ersichtlich wird auf den ersten Blick, dass es bei einer solchen Person des öffentlichen Lebens viele Geschädigte gibt, die möglicherweise Rachegelüste verspüren. Aber auch im privaten Leben geht es hoch her, so ist das zweite Mordopfer auch sein Schwiegersohn Marcel, der eigentlich in die USA ausgewandert ist, aber sich zufälligerweise gerade aus privaten Angelegenheiten in Kuba aufhält.
Ein zweiter Handlungsstrang führt uns in das Kuba der 1910-er Jahre, Tanz auf dem Vulkan, wieder geht es um die Welt der Reichen, Schönen und Mächtigen und Schauplatz sind immer wieder Edel-Bordelle, in denen die schönsten der Frauen aus aller Herren Länder für konkurrierende Clans anschaffen. Auch in diesem Erzählstrang, der sich mit dem der Gegenwart abwechselt, gibt es einen Mord im Rotlichtmilieu. Ermittler ist hier der junge, anständige Polizist Arturo Saborit, der voller Eifer und Ideale in seinem ersten Mordfall ermittelt. Gefiltert durch seine Perspektive erfahren wir von den Ereignissen und nehmen an den Ermittlungen sowie seinen Überlegungen zu Anstand und Moral teil. Und auch in diesem Teil gibt es einen einflussreichen, charismatischen und zwielichtigen Geschäftsmann, Alberto Yarini, eine reale Gestalt, die im Zentrum steht, der sowohl Männer als auch Frauen verfallen und die seinen Aufstieg als Politiker plant.
Zwei spannende, handlungsreiche Kriminalfälle wechseln sich ab, es geht z.T. blutrünstig und direkt zu, nichts für zartbesaitete Leser. Mario Conde selbst zieht Parallelen eher zu Tarantino als zu Hemingway, seinem literarischen Vorbild, dem er – sowie sein Alter Ego Padura - sich eigentlich verpflichtet fühlt.
Leonardo Padura schafft mit diesem Roman aber mehr als nur einen Kriminalfall: Kuba selbst ist Hauptfigur, Themen sind die Korruptheit, Doppelmoral der Regierung, Repressionen, Zensur von Kunst, die Armut, der Erfindungsreichtum der Einwohner, der Wunsch zum Wandel und Überwindung der desaströsen Verhältnisse, die Schönheit des Landes und die Vielfalt der Menschen.
Ein eindrückliches Werk, das an einzelnen Stellen den alternden Conde etwas zu lang über seine Eindrücke und philosophischen Erkenntnisse deklarieren und sinnieren lässt, aber insgesamt eine klare Empfehlung für einen starken Roman, in dessen Zentrum die Liebe zu Kuba als auch der Wunsch nach politisch-gesellschaftlichen Veränderungen steht.
Wie bleibt man als Mensch anständig in einer Welt, die von existenzieller Not, Korruption und Unterdrückung geprägt ist? Dieser Frage widmet sich Leonardo Paduras Roman „Anständige Leute“ in vielerlei Facetten.
Der aus moralischen Gründen aus dem Polizeidienst ausgeschiedene Mario Conde wird von einem ehemaligen Kollegen gebeten, bei der Aufklärung eines rätselhaften Mordes von politischer Brisanz zu unterstützen. Nach kurzem Zögern erwacht Condes kriminalistischer Instinkt. Trotz seiner weiteren, zeitintensiven Jobs widmet er sich fortan der Lösung dieses komplexen Mordes. Der Roman bietet jedoch noch einen weiteren Handlungsstrang, der ca. 100 Jahre in der Vergangenheit spielt. Hier folgt der Leser einem weiteren Polizisten, Arturo Saborit Amargó. Dieser macht Bekanntschaft mit der historisch belegten Person des charismatischen Zuhälters Alberto Yarini, dem es gelingt, den allzu naiven Saborit fast unmerklich immer mehr in kriminelle Machenschaften zu verstricken.
Der Roman konzentriert sich jedoch nur zweitrangig auf die Kriminalfälle. Das Hauptaugenmerk des Autors liegt darauf, das vergangene und heutige Kuba greifbar zu machen. Das gelingt Padura meisterhaft, indem er mit sämtlichen verklärenden Klischees aufräumt, die in den von v.a. Filmen geprägten Köpfen so herumspuken mögen. In der ständigen Auseinandersetzung mit der Frage nach der Anständigkeit werden vor allem das Prostituiertenmilieu und die Welt der Polizei ausgelotet.
Eine große Rolle spielen jedoch auch Freundschaft, Familie und die kleinen Dinge des Lebens, die in einem Unrechtsregime eine noch höhere Wertigkeit erlangen, da sie für einen anständigen Menschen die einzige Möglichkeit bieten, Lebensglück zu empfinden, ohne sich dem Regime anzudienen und sich dadurch schuldig zu machen. Ob das den Figuren im Roman gelingt, diese Frage muss der Leser letztlich selbst beurteilen. Einfach ist es jedenfalls nicht.
Eine Stärke des Romans ist sicherlich Paduras Erzählkunst, die es vermag, Kuba lebendig werden zu lassen. Mit seiner Liebe zum Erzählen konnte der Autor die komplexen sozialen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge auf Kuba jenseits der gängigen Klischees greifbar machen. Trotz dieser Stärken überzeugt mich vor allem die Konstruktion der Kriminalgeschichte nicht vollständig. Der tiefe Einblick in das Rotlichtmilieu des Kubas der Vergangenheit ist zwar traurigerweise realistisch, jedoch erscheinen mir die Art der Darstellung und die Sichtweise darauf zu sehr rein männlich-machohaft geprägt.
Insgesamt ist „Anständige Leute“ ein interessanter Roman, der in einigen Bereichen überzeugt, aber nicht in allen. Nach dem Lesen des Romans fühle ich mich jedoch bereichert und weiß jetzt sehr viel mehr über Kuba. Insofern freue ich mich, das Buch gelesen zu haben.
Ich hätte mich vermutlich nicht an der Leserunde zu diesem Roman beteiligt, wenn mir vorher klar gewesen wäre, dass es sich hier um eine Reihe handelt. Auch wenn die einzelnen Bände jeder für sich gelesen werden können, die Fälle abgeschlossen sein mögen, ergibt sich aus der Chronologie doch in der Regel ein ganz eigenes Bild von den Charakteren. Aber nun, vielleicht hätte ich sonst auch etwas verpasst... Das schrieb ich etwas ernüchtert zu Beginn der Leserunde, doch mittlerweile kann ich sagen: Ja, ich hätte etwas verpasst.
Zwei Handlungsstränge erwarten den Leser hier, der eine um 1910 herum, der andere über hundert Jahre später, nämlich 2016. Sie beschäftigen sich mit den Umständen zweier Kriminalfälle - und führen ganz nebenher tief in die herrschenden Verhältnisse Kubas ein, in die Lebensart, die Politik, die gesellschaftlichen Normen, die große Schere zwischen Arm und Reich.
Der in der Gegenwart angesiedelte Handlungsstrang begleitet den ehemaligen Polizisten Mario Conde, über 60 Jahre alt und mittlerweile eigentlich mit dem Verkauf von antiquarischen Büchern beschäftigt, der aber einem alten Kollegen zuliebe noch einmal in polizeiliche Ermittlungen einsteigt. Der Staatsbesuch von Präsident Obama steht an, und die Rolling Stones haben sich kurz darauf für ein Konzert in Havanna angesagt - der gesamte Polizeiapparat ist mit den Sicherheitsmaßnahmen beschäftigt, da bleibt für eine Mordaufklärung keine Zeit. Diese duldet aber wiederum keinen Aufschub, weil der Ermordete ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter der Staatssicherheit war - Conde ist zwar insgeheim der Meinung, dass es da keinen Falschen getroffen hat, aber der Fall muss trotzdem gelöst werden.
Um 1910 spielte ganz Kuba verrückt, weil es hieß, dass der Halley’sche Komet mit der Erde kollidieren würde, und bis dahin wollte alle Welt noch das Leben genießen. Besonders zu merken war dies in dem Viertel Havannas, in dem das Glücksspiel und die Prostitution zu Hause war. Dort bahnt sich der zweite Kriminalfall an, rund um den schillernden und charismatischen Bordellbesitzer Alberto Yarini. Zwei Prostituierte wurden grausam ermordet, und auch wenn sich sonst niemand für die Morde interessiert, bemüht sich der junge Polizist Arturo Saborit um die Aufklärung. Yarini unterstützt ihn darin, und allmählich entsteht zwischen den beiden eine engere Bindung. Saborit, der aus einem kubanischen Dorf stammt, lässt zusehends ab von seiner "Provinzmoral", leben und leben lassen heißt das Motto - auch wenn er selbst deutlich weniger korrupt erscheint als ein Großteil seiner Kollegen. Doch er ahnt, dass die Zuwendungen des allseits beliebten Yarini eines Tages ihren Preis haben werden...
Mehr möchte ich zu den beiden Kriminalfällen nicht sagen, da die Ermittlungen zwar eingebettet sind in die geschilderten Geschehnisse, dabei aber keineswegs die Hauptrolle spielen. Dies ist kein Krimi im klassischen Sinne - es geschehen Verbrechen, zahlreiche sogar, mit den fortschreitenden Ermittlungen entpuppen sich immer mehr. Doch ist dies ein Roman, der viele Genres bedient und in erster Linie ein Bild von den Lebensverhältnissen in Kuba zeichnet - damals wie heute. Ein historischer Roman (Alberto Yarini beispielsweise war eine tatsächlich existierende Person), ein Gesellschaftsroman, ein politischer Roman, viel Lokalkolorit und Atmosphäre - und, ja, ein wenig auch ein Kriminalroman. Doch ermittelt wird behäbig, die Auflösung ist teilweise recht unspektakulär. Dies störte mich zu meinem eigenen Erstaunen jedoch nicht.
Ich fand es einfach faszinierend, wie viel man hier quasi nebenbei über Kuba erfährt, durch die zwei Handlungsstränge gar eine ganze Chronologie. Man kann sagen: die Kubaner:innen hatten und haben es nicht leicht - bis auf die Reichen und Mächtigen natürlich. Trotz der lakonischen Art des Schreibens lassen sich Melancholie, Pessimismus und Bitterkeit nicht leugnen, die Conde in den Mund gelegt werden. Pragmatismus, Zynismus und schwarzer Humor gehörten und gehören offenbar aber auch zum Überleben auf der Insel dazu. Sehr offene kritische Töne gegenüber Kubas Gesellschaft und Politik verblüfften mich dabei zunehmend - wieso darf Leonardo Padura in seinem Heimatland noch veröffentlichen? Es gibt andere kritische Autoren, mit denen da ganz anderes verfahren wird. Doch ganz im Gegenteil: Padura gehört zu den erfolgreichsten und populärsten zeitgenössischen Schriftstellern Kubas und hat für sein Werk zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten - auch einheimische.
Der deutsche Titel des Buches hat tatsächlich einen Bezug zur Handlung - das Thema "Anständigkeit" zieht sich durch den Roman wie ein roter Faden und steht immer wieder auf dem Prüfstand. Wer kann es sich angesichts der teilweise prekären Lebensumstände überhaupt leisten, anständig zu sein? Kann man anständig bleiben oder sich zumindest selbst noch so sehen, auch wenn man gegen Moral und Gesetz verstößt? Conde philosophiert auch darüber immer wieder einmal, und beim Lesen ertappt man sich beim Gedanken, wie man sich selbst in der ein oder anderen Situation verhalten würde.
Ein geschickt konzipierter Roman, der Konzentration erfordert, der unbequeme Themen anschneidet, der zum Philosophieren einlädt, der in kriminalistischer Hinsicht nicht überzeugend punkten kann, der aber auch mit einem interessanten Hauptcharakter aufwartet, mit vielen Informationen und dichten atmosphärischen Schilderungen belohnt. Treiben lassen und schauen, was sich so ergibt. Mir hat's gefallen!
© Parden
Auf dem Cover steht Roman, auf dem Vorsatzblatt jedoch Kriminalroman. Ja, was denn nun?, könnte man zu Recht fragen, doch diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten.
Leonardo Padura, einer der meistgelesenen kubanischen Autoren, offeriert uns zwei Handlungsstränge. Der eine spielt im Jahr 2016. Mario Conde, einst erfolgreicher Kriminalpolizist, verdingt sich heute als Antiquar und zeitweise als Sicherheitsbeauftragter in einer angesagten Bar. (Um in Havanna über die Runden zu kommen, muss man mehreren Jobs nachgehen.) Als der betagte, ehemals regimefreundliche Zensor Reynaldo Quevedo ermordet und seine Leiche geschändet wird, bittet Kommissar Manuel Palacios Conde um Hilfe bei der polizeilichen Ermittlung. Quevedo vernichtete während seiner Amtszeit zahlreiche Existenzen, Mordverdächtige gibt es zunächst viele. Neben der eigentlichen Polizeiarbeit fließt reichlich kubanisches Lebensgefühl in den Roman ein. Ebenso werden die politischen und sozialgesellschaftlichen Realitäten beleuchtet: Die Schere zwischen Arm und Reich geht weit auseinander, Obrigkeit und Verwaltung machen den Normalbürgern das Leben schwer, überall herrscht ein System aus Korruption und persönlicher Bereicherung. Dabei steht das Jahr 2016 für Öffnung und Wandel: Ganz Havanna ist aus dem Häuschen, weil zuerst Barack Obama auf Staatsbesuch kommt und anschließend die Rolling Stones, Idole einer vergangenen Epoche, ein fulminantes Konzert geben. In diesem Tohuwabohu bewegt sich der nachdenkliche Mario Conde. Er resümiert, moralisiert, philosophiert, und beobachtet. Er liebt sein Land, sieht aber auch dessen Schattenseiten. Mit Melancholie, Lebensweisheit und messerscharfer Zunge bringt er dem Leser die Besonderheiten seiner Heimat nahe. Er klingt wie ein Alter Ego Leonardo Paduras. Man verfolgt Mario Conde definitiv gerne auf seinen Wegen, erfreut sich an seinem siebten Sinn und kann sich in seinen Charakter bestens einfühlen.
Der zweite Handlungsstrang hat seinen Ursprung in den Aufzeichnungen des Polizisten Arturo Saborit Amargó, die Conde in einem Buch aufstöberte und nun literarisch ausarbeitet. Saborit schildert in einer spannenden Ich-Erzählung, wie er im Jahr 1909 die Bekanntschaft des berühmt-berüchtigten Zuhälters und Politikers Alberto Yarini (eine historische Figur!) machte. Der enorme Eindruck des souveränen Lebemannes auf den jungen Staatsdiener lässt den Einfluss auf Saborits Integrität kontinuierlich wachsen. Letzten Endes mündet die Zusammenarbeit der beiden ungleichen Männer in einen aufsehenerregenden Mord, ausgeführt am 21.11.1910 und ebenfalls historisch verbrieft. Auch in diesem Handlungsstrang darf man sich an reichlich Lokalkolorit erfreuen. Die Menschen befinden sich wieder im Ausnahmezustand, denn das Ende der Welt durch einen Kometeneinschlag wurde vorausgesagt...
Manchmal hat man den Eindruck, dass sich die kubanischen Verhältnisse in den über 100 Jahren kaum verändert haben. Saborits Ton indessen unterscheidet sich komplett vom Conde-Teil. Über weite Teile des Buches laufen beide Handlungsstränge parallel. Doch es gibt Berührungspunkte, die sich nicht nur durch die Mordermittlungen ergeben. Immer wieder werden Fragen nach der Moral in schwierigen Zeiten verhandelt. Kann man in einem bestechlichen, rechtstaatlosen Umfeld ein anständiger Mensch bleiben? Welche Maßstäbe sind anzulegen? Kann unter bestimmten Bedingungen auch ein Mörder anständig sein? Letzten Endes bleibt die Erkenntnis, dass die Gegenwart immer auf der unauslöschlichen Vergangenheit fußt, dass alles mit allem zusammenhängt. Padura ist ein wirklich beeindruckender Erzähler, der die Fäden seiner Geschichte wunderbar beherrscht und zusammenführt.
Trotz des melancholischen Grundtons tauchen auch immer wieder humorvolle Sentenzen und Dialoge auf. Mario Condes distanzierter Zynismus bereitet viel Lesespaß. An die ausschließlich männlichen Perspektiven muss man sich indessen gewöhnen, weibliche Figuren tauchen nur am Rande oder als Sexarbeiterinnen auf. In dem Teil, der im Rotlichtmilieu angesiedelt ist, wird mit Frauen teilweise unmenschlich umgegangen, sie sind eine Ware, deren Rendite es zu optimieren gilt.
Zum Ende des Romans hin werden beide Handlungsebenen gekonnt miteinander verbunden. Auch die Kriminalfälle werden selbstredend aufgelöst. Doch das sind Zugaben. In der Hauptsache besticht „Anständige Leute“ durch die vielschichtigen Informationen über Kuba, die man ganz nebenbei serviert bekommt. Die facettenreichen Haupt- und Nebenfiguren, das teilweise realhistorische Setting, die glaubwürdigen, ehrlich wirkenden Erzählinstanzen lassen den Roman sehr authentisch wirken. Ein kleines Manko sind die unzähligen, für mich fremdartigen Namen, die sich schwer einprägen. Hier wäre ein Register sehr hilfreich gewesen. Zudem holt Padura gern ein kleines bisschen zu weit aus für meinen Geschmack. Diese Detailfülle mögen den orts- und geschichtskundigen Kubaner brennend interessieren, mir war es manchmal eine Volte zu viel. Doch angesichts des wunderbaren Erzählstils, der kongenial von Peter Kultzen ins Deutsche übertragen wurde, ist das wohl Jammern auf hohem Niveau.
Nach einigem Überlegen habe ich mich zum Aufrunden meiner Bewertungssterne entschlossen und empfehle diesen komplexen (Kriminal-)Roman sehr gerne weiter!
Krimi? Das ist dieser Roman nur vordergründig. Er erzählt vom kubanischen Lebensgefühl, der Geschichte der Insel und der kubanischen Gesellschaft, die durch extreme Gegensätze gespalten wird und die vor allem geprägt ist von der Unterdrückung durch Diktatoren und ihre korrupten Nutznießer. Sehr eingängig zeigt Padura auf, dass man die Gegenwart nur versteht, wenn man die Vergangenheit kennt und wie die Gegenwart immer bestimmt wird von der Vergangenheit.
Dazu erzählt er in zwei Handlungssträngen mehrere Kriminalfälle aus verschiedenen Zeiten. Ein Handlungsstrang befasst sich mit zwei über 100 Jahre zurückliegenden Morden aus dem Rotlicht-Milieu im Umkreis des charismatischen Alberto Yarini, einer in Kuba nach wie vor umglänzten historischen Gestalt. Hier ist es ein junger Polizist, der in der Rückschau erzählt, wie er Schritt für Schritt in die Verkommenheit seiner Zeit hineingezogen wird.
Auch im anderen Handlungsstrang ist ein Polizist der Erzähler: Mario Conde, inzwischen in die Jahre gekommen und aus moralischen Gründen aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Conde hat sämtliche Illusionen und jeden Fortschrittsglauben verloren. Ein einsamer Mensch, der sein kleines Glück täglich neu finden muss. Auch seine Morde sind in einem dekadenten Milieu angesiedelt: im Milieu der Unterdrücker und ihrer Nutznießer.
Padura verbindet beide Handlungsstränge nicht nur durch die Gemeinsamkeiten der Erzähler und das Milieu, sondern auch dadurch, dass er alle Mordfälle ursächlich ineinanderfügt und damit ein sehr deprimierendes Bild seiner Heimat zeichnet: das eines Landes, das schon immer bestimmt wurde von Unterdrückung, Korruption und Verkommenheit auf der einen Seite und Angst, Hass, Verzweiflung und großer Armut auf der anderen Seite.
Padura verklammert darüber hinaus seine Handlungsstränge durch einen ethischen Gesichtspunkt. Wie kann ein Mensch in schwierigen Zeiten seinen Anstand bewahren? Sich nicht korrumpieren zu lassen? Ist ein Mensch, der blutige Rache an einem Richter und Henker nimmt, anständig? Heiligt der Zweck die Mittel?
Die Beantwortung dieser Frage überlässt Padura dem Leser.
Fazit: Das Buch fordert die Konzentration des Lesers, aber entschädigt mit prallen Schilderungen Kubas und einem stets präsenten augenzwinkernden Humor.
4,5/5*
"Anständige Leute" ist der 2022 im Original erschienene jüngste Teil der sog. Mario-Conde-Romane des kubanischen Autors Leonardo Padura. Es ist der erste Roman, den ich von diesem Autor gelesen habe. Eines vorab: Man muß keinen der Vorgängerromane gelesen haben um mit den Personen und Gegebenheiten dieses Romans zurecht zu kommen, dieser Roman steht ganz und gar für sich allein.
Wir begegnen Mario Conde im Jahr 2016. Conde ist ein 60jähriger ehemaliger Kommissar, hat den Polizeidienst vor langer Zeit quittiert und hält sich mit dem Handel gebrauchter Bücher und einem Aufpasserjob im La Dulce Vida, einer Mischung von Bar und Restaurant, in Havanna finanziell über Wasser.
Von seinen ehemaligen Polizeikollegen nach wie vor geschätzt, wird er um Mithilfe bei der Aufklärung eines Mordes gebeten. Opfer ist Reynaldo Quevedo, in den Siebzigerjahren Instrument des damaligen Regimes zur "ideologischen Bereinigung" der künstlerischen intellektuellen Kreise Kubas. Seine Mittel: Gnadenlose willkürliche Verfolgung, Verhaftung, Folter, Ausgrenzung, Erniedrigung und Bespitzelung aller, die seiner Meinung nach nicht der Norm der "ideologische Reinheit" entsprachen.
Ein zweiter Handlungsstrang beginnt im Jahr 1909. Der junge vom Land kommende Polizist Arturo Saborit lernt mit Havannas Stadtteil San Isidro "das übel riechende Eingeweide der Stadt" kennen: Das von Kriminalität geprägte Geschäft mit der Prostitution. Er ist fasziniert vom König der Zuhälter, dem jungen, eleganten und sehr attraktiven Alberto Yarini. In diesem Rotlichtmilieu geschehen Morde an Prostituierten, die Saborit auch im Interesse seines immer mehr zum Freund werdenden Yarinis aufklären soll.
In diesem Roman geht es vordergründig um die Aufklärung von Morden. Den großen Hintergrund bildet aber der Blick auf die kubanische Gesellschaft, auf die Lebensumstände der Bevölkerung und auf die Geschichte des Landes. Und dieser Blick ist für mich das, was den großen Reiz der hier erzählten beiden Geschichten ausmacht, meiner Meinung nach ein authentischer Blick. Padura gelingt es, der gängigen Vorstellung von Kuba als karibische Insel mit Traumstränden, durch Havanna cruisende rosa Cadillacs, Tanzmusik in den Clubs und dem nostalgischen Charme verfallender Stadtvillen die Lebensrealität der Kubaner entgegenzusetzen. Letztere ist 1910 wie 2016 von Armut geprägt.
Dennoch scheint bei beiden Hauptprotagonisten, also Saborit und Conde, der Stolz auf und die Liebe zu ihrem Land durch, die Lebensfreude aller Widerstände zum Trotz, gepaart mit einer unterschwelligen Melancholie ob der desaströsen Zustände im Land. Eine Mittelschicht gibt es weder 1910 noch 2016. Padura arbeitet den, wie er sagt, "seltsamen Gegensatz zwischen Überfluss und Armut" gekonnt heraus. Prunkvolle Villen, Schatten spendende Gärten, Luxusläden und -restaurants, die Welt einer Elite auf der einen Seite und auf der anderen Seite der "Furunkel der Armut".
Der Leser gewinnnt einen ungeschönten Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse Kubas. 1910: Korruption und das verabscheuungswürdige und von Männern geprägte Geschäft der Zuhälter, in dem Frauen gnadenlos ausgebeutet werden. 2016: Die noch immer nicht überwundene Armut und die nach wie vor herrschende Korruption und die Angst vor den Machthabern.
Gefallen haben mir auch die teils deftigen und mit vielen Kraftausdrücken gespickten Dialoge, die bildhaften Beschreibungen Havannas, ich nenne es karibisches Flair mit Bohèmecharakter und die zahlreichen philosophischen Einschübe durch die Lebensbetrachtungen der beiden Hauptprotagonisten.
Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Langeweile kam an keiner Stelle auf, vielmehr zieht sich wegen des Krimiplots eine gewisse Spannung durch den ganzen Roman. Ich vergebe 4 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.
„Die Wege der Literatur und des Lebens neigen dazu, sich auf alle möglichen und unmöglichen Arten zu kreuzen. Und die dabei entstehende Reibung fördert vielfach beunruhigende, manchmal auch augenöffnende Wahrheiten zutage.“ (Zitat Seite 127, 128)
Inhalt
Fast dreißig Jahre ist es nun schon her, dass Mario Conde "El Conde" den Polizeidienst verlassen hat. In diesem Jahr 2016 stehen zwei einmalige Ereignisse unmittelbar bevor: der amerikanische Präsident Barack Obama besucht Kuba, ein Besuch, der mit großen Hoffnungen verbunden ist. Auch die Rolling Stones setzen ein Zeichen und geben ein kostenloses Open-Air-Konzert in Havanna. Die Stadt vibriert vor Vorfreude und Aufregung. Da wird Reynaldo Quevedo, in den 1970ern einer der meistgefürchteten Politiker und bis meistgehassten Männer, ermordet aufgefunden und Mario Condes ehemaliger Kollege bei der Polizei Manuel "Manolo" Palacios, braucht seine Hilfe bei den Ermittlungen. Gerade in diesen Tagen müssen die Ermittlungen besonders diskret erfolgen und es werden schnelle Resultate verlangt. Mario Conde sagt zu, obwohl er gerade einen Abendjob angenommen hat und mit eigenen Recherchen beschäftigt ist, die ihn in die Jahre 1909 und 1910 in Havanna zurückführen, zu einem jungen Ermittler, zu Morden im Rotlichtmilieu und zu der schillernden, charismatischen Legende Alberto Yarini Ponce de León.
Thema und Genre
In diesem gesellschaftskritischen, literarischen Kriminalroman geht es um die politische und gesellschaftliche Situation Kubas im Jahr 2016 und mehr als einhundert Jahre zuvor. Themen sind Korruption, Machtmissbrauch, kulturelle Diktatur, die Armut der Bevölkerung, unerfüllte Lebensträume, aber auch Freundschaft, Liebe und Lebensfreude. Die wichtigste Frage aller Figuren damals und heute ist die persönliche Definition des Begriffes Anstand und was es bedeutet, ein anständiges Leben zu führen.
Charaktere
Die Lebenseinstellung von Marío Conde wurde mit den Erfahrungen der Jahre und durch die genaue Beobachtung des Alltagslebens in Kuba nicht optimistischer, im Gegenteil. Kritisch verfolgt er die Vorgänge in seinem Heimatland und er lässt sich von der Euphorie im Vorfeld der beiden Großereignisse nicht überzeugen. „Marío Conde, der eingefleischte Pessimist, verfügte womöglich über ein zu umfangreiches historisches Wissen und war, was manche Dinge anging, so oder so von unheilbarem Misstrauen erfüllt, jedenfalls hatte er das Gefühl, sein Land genieße gerade lediglich eine kurze Verschnaufpause, nach deren Ende sich die Härte wiedereinstellen würde.“ (Zitat Seite 229)
Erzählform und Sprache
Padura erzählt auch in diesem Roman zwei Geschichten, die einander abwechseln. Um die Zuordnung einfach zu gestalten, wählt er für die Abschnitte rund um El Condes Ermittlungen im Jahr 2016, die innerhalb von wenigen Tagen stattfinden, nur die fortlaufende Nummerierung als Überschrift. Die Kapitel mit den Geschehnissen in den Jahren 1909, 1910 tragen Überschriften. Den unterschiedlichen Inhalten folgend, wird der aktuelle Handlungsstrang in der dritten Person geschildert, mit Marío Conde im personalen Mittelpunkt. Die historischen Ereignisse dagegen werden als Aufzeichnungen in der ersten Person erzählt. Es ist Paduras besondere Art zu schreiben, die begeistert, mühelos wechselt er zwischen umgangssprachlichen Dialogen, literarischen Schilderungen und philosophischen Gedankenströmen. Havanna im Ausnahmezustand durch Obamas Besuch - für Padura eine Gelegenheit, dies kritisch zu betrachten und durch die Gedanken und Beobachtungen Condes die Realität in Kuba zu beschreiben.
Fazit
Zwei facettenreiche Geschichten, lose vernetzt, ergeben interessante Einblicke in das Leben in Havanna 1910 und mehr als einhundert Jahre später, im wichtigen Jahr 2016 mit den zwei besonderen Großereignissen. Eine spannende, interessante Mischung aus kritischem Gesellschaftsroman, politischem Roman, historischem Roman und Kriminalroman in einer Sprache, die das Lesen zum Erlebnis macht.
Conde, Ex Polizist und nun Buchhändler mit schriftstellerischen Ambitionen, wird von seinem ehemaligen Polizeikollegen gebeten, an der Aufklärung eines Mordes mitzuhelfen. Es ist März 2016, der historische Besuch des US Präsidenten Obama steht an und kurz darauf findet ein Konzert der Rolling Stones statt, alle Polizisten sind im Einsatz und unter Druck. Während Conde die Ermittlungen aufnimmt, wird kurz darauf ein weiterer Toter gefunden, der die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, und der Fall bekommt politische Brisanz.
Alberto Yarini ist der Star des Rotlichtmilieus von Havanna. Es ist das Jahr 1910 und Yarini hegt Ambitionen auf das Amt des Vizebüorgermeisters. Verwöhnt vom Erfolg und verleitet durch die grenzenlose Bewunderung, die im Havannas Bevölkerung entgegenbringt, und die ihm ein Gefühl der vollkommenen Sicherheit gibt, fordert er seinen französischen Zuhälterkonkurrenten heraus; mit tödlichem Ausgang.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Selten habe ich mich so schwer getan, einen Roman zu bewerten. Hätte ich nicht an einer Leserunde teilgenommen, wäre mein Urteil härter ausgefallen, aber die Diskussionen bereichern ungemein und lenken die Aufmerksamkeit auf Aspekte, die ich nicht berücksichtigt hätte.
Padura ist ein großer Erzähler und sein Buch ist weniger ein Kriminalroman als eine Informationsquelle über Kuba, seine Geschichte, manch philosophische Betrachtung und vor allem: Prostitution, Korruption und die Revolution mit ihren negativen Exzessen. Seine Ausführungen zu Kubas Zeitgeschehen zu beiden Epochen, über die ich so gut wie gar nichts wusste, waren lehrreich. In diesem Zusammenhang hat mir die Idee mit den beiden getrennten Kriminalfällen gefallen und die Einflechtung der kubanischen Geschichte war geschickt gemacht.
Doch hat Padura an manchen Stellen etwas übertrieben und dem Buch einige Längen beschert. Die z. T. sehr detailreichen Informationen zu einer Vielzahl von Romanfiguren haben ab und an eine kleine Lesekrise ausgelöst. Es ist nicht immer von Vorteil, zu viele Romanfiguren zu platzieren und dann fast zu jeder noch haufenweise Infos abzuliefern. Man kann es auch zerreden. Zudem vermisste ich ein wenig im Kriminalfall Yarini die Darstellung von persönlichen Einsichten. Auch wenn dieser Romanteil ein historisch stattgefundenes Ereignis erzählt, so kann der Autor durchaus seine Fiktion mit einfließen lassen.
Fazit
Padura erzählt in seinem Roman von Havannas Zuhälterkämpfen Anfang des letzten Jahrhunderts, Korruption & Revolution, dem US-Embargo bis zu Obamas Besuch und dem Rolling Stones Konzert 2016. Zwei Handlungsstränge und zwei Kriminalfälle, die unterschiedlicher nicht sein könnten und einen kleinen Einblick in das Kuba geben, das in meinem Kopf vor allem mit Zigarren, Karibikfeeling, verführerische Cocktails und Fidel Castro verbunden war. Doch Achtung: der Roman ist nichts für nebenbei sondern fordert volle Aufmerksamkeit beim Lesen.
Kurzmeinung: Kriminalroman mit sozialkritischen Elementen
Zwei Ermittler. Zwei Zeitebenen. Tatort. Havanna. Jede Menge Tote. Viel Lokalkolorit.
Zeitebene 1: Man schreibt das Jahr 2016 und der Staatsbesuch von Präsident Obama wird erwartet. Mario Conde, der Ermittler aus dem „Havanna-Quartett“, nun in Rente, wird von seinem überlasteten und überforderten Kollegen Manolo Palacío um Hilfe bei der Aufklärung eines Falles gebeten. Ein reicher alter Mann, der einst zur Staatsicherheit gehörte, wurde in seiner Luxuswohnung ermordet aufgefunden. Ein weiterer Mordfall folgt diesem auf den Fuß und beide Fälle hängen zusammen, denn es handelt sich um dessen Schwiegersohn. Verdächtige gibt es in Hülle und Fülle.
Zeitebene 2: Man schreibt das Jahr 1910. Havanna ist in Aufruhr. Im April ist Schicht im Schacht. Der Halleysche Komet soll die Erde treffen und zerstören. Vor diesem Hintergrund ermittelt der Polizeibeamter Arturo Saborit im Rotlichtmilieu. Zwei schlimme grausame Morde an Prostituierten liegen an. Bei seinen Ermittlungen macht Saborit die Bekanntschaft des Platzhirsches Alberto Yarini, dem jungen, schillernden, mächtigen Zuhälter Havannas. Louis Lotot, ebenfalls Zuhälter, genannt "der Franzose" macht ihm diese Vorherrschaft ständig streitig. Saborit gerät ins Fadenkreuz dieser Machtkämpfe, die blutig enden werden.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Leonardo Padura ist kein klassischer Krimischreiber. 1955 in Havanna geboren, also ungefähr genauso alt wie sein alter Ego und Ermittler Mario Conde, stehen Autor und Ermittler den Zuständen auf Kuba kritisch gegenüber. Oder traurig. Oder pessimistisch. „Es ändert sich nichts durch den Besuch Obamas oder durch ein Konzert der Rollingstones oder durch eine Modenshow“, resigniert Conde. So stehen in Paduras Roman die Kriminalfälle auch nicht im Vordergrund, sondern bilden lediglich den Aufhänger für Paduras Gedanken über Kuba.
Im Erzählstrang um den Zuhälter Yarini zeigt Padura auf, wie Frauen im Milieu als reine Ware betrachtet und behandelt werden, es ist haarsträubend zu lesen, aber leider auch traurige Wirklichkeit, nicht nur in Havanna, sondern überall dort, wo Menschenhandel betrieben wird. Es ist ein großes Verdienst Paduras, so tief in dieses ekelhafte Milieu einzusteigen und es der Leserschaft zuzumuten. Wie sagt man heute so schön – es sichtbar zu machen.
Die Ermittlungen und Aufklärung der Fälle verlaufen unspektakulär. Sie lassen auch Fragen offen und Padura verliert sich manchmal in Geschwätzigkeit oder in Wiederholungen. Wenn die Verdächtigen erst einmal, durch Intuition, Zufall oder colombomässiges Nachdenken aufgespürt sind, brechen sie sofort zusammen, gestehen und erzählen ihre Lebensgeschichte.
Liest man also den Roman „Anständige Leute“ rein als Kriminalgeschichte, wird man nicht auf seine Kosten kommen. Doch er hat anderes zu bieten, Lokalkolorit und Betrachtungen über die Situation Kubas und eine geschickte Verwebung von Fall und Geschichte. Trotzdem hängt der Spannungsbogen manchmal ziemlich durch. Die ethische Frage, wer ist anständig und wie kann man anständig bleiben, wird meines Erachtens auch immanent nicht in der Tiefe erörtert, die man nach dem Titel erwarten könnte, der Autor versucht, sie durch sublime Ironie zu lösen.
Fazit: Zunächst einmal finde ich es ganz große Klasse, dass der Unionsverlag kubanische Autoren verlegt. Man muss wissen, was man will. Als Kriminalroman weist „Anständige Leute“ Schwächen auf. Auf der anderen Seite macht der Autor die Zustände im Rotlichtmilieu sichtbar. Das ist sein großes Verdienst. Und da ich "normale" Kriminalromane langweilig finde, werden es dann doch - nach kurzem Bedenken - vier ganze Sterne für diesen Roman und Autor.
Kategorie: (Fast ein) Kriminalroman
Verlag: Unionsverlag, 2024
Krimi auf zwei Zeitebenen mit Havanna-Feeling, gesellschaftskritisch, mit philosophisch anmutenden Gedanken
Wir tauchen tief in die Welt des über 60-jährigen Mario Conde ein, in sein Leben und seine Gedanken. Er ist Kubaner, lebt in Havanna und hält sich mehr schlecht als recht mit dem Verkauf antiquarischer Bücher und allerlei Gebrauchtwaren über Wasser. Vor 30 Jahren war er Polizist, hat den Dienst aber nach 10 Jahren quittiert. Warum, erfahren wir später. Er hatte angefangen, Psychologie zu studieren und bewundert Salinger und Hemingway. Als er Aufzeichnungen des ehemals jungen Polizisten Arturo Saborit Amargó findet, beginnt er, dessen außergewöhnliche Geschichte aufzuschreiben.
Dies ist der zweite Handlungsstrang, die Zeit der Belle Époque in Havanna zum Leben erweckend, die Zeit, als die Kluft zwischen Arm und Reich auch schon besonders groß war und wo sich die französischen und kubanischen Zuhälter bekriegten. In diesem Milieu arbeitet der junge, aus der Provinz stammende Saborit und gerät in das Umfeld des charismatischen Zuhälters aus reichem Hause, Yarini, den es tatsächlich gegeben hat. Er klärt zwei grausame Morde an Prostituierten auf, verstrickt sich dabei aber immer mehr in eine freundschaftliche Beziehung zu Yarini, bis er schließlich selber zum Mörder wird.
Conde würde gerne weiterschreiben – 'den passenden Worten nachjagen' (330) – um die Beziehung zwischen 'einem menschenfängerischen Zuhälter' und einem Mann auszuleuchten, der sich selbst als 'anständig und rechtschaffen betrachtete'. Aber leider geht es ihm wie so vielen Kubanern am Rande des Existenzminimums, z.B. auch Ärzten, die mit dem Gehalt oder der Rente nicht auskommen können und die deshalb auf einen zweiten oder dritten Job angewiesen sind. Zudem bittet ihn ein ehemaliger Polizistenkollege um Mithilfe bei der Aufklärung zweier brutaler Morde. Es ist die Zeit von Obamas Besuch in Kuba und dem Konzert der Rolling Stones, das bei so vielen Kubanern Hoffnung auf Veränderung und Verbesserung ihrer Lage geweckt hat. Unser Mario Conde sieht das Ganze pessimistischer oder man könnte auch sagen realistischer, was Padura mit seinem etwas zynischen Humor so beschreibt: Die Besucher aus dem Ausland kommen, um zu sehen, '...wie die Bewohner dieses realsozialistischen Themenparks ihren Alltag organisieren...' (89).
Wir tauchen tief in seine Gedankenwelt ein, seine Überlebensstrategien und seine philosophischen und gesellschaftskritischen Anmerkungen. Als ehemaliger Polizist ist aber auch sein Jagdinstinkt geweckt und er widmet sich den Ermittlungen in den beiden Mordfällen überlegt und analytisch ohne dabei seine Intuition außer Acht zu lassen. Eine Liste von verdächtigen Personen, möglichen Motiven, besonderen Umständen und den Fragen, die sich daraus ergeben, machen es auch dem Leser leichter, den Mordfällen zu folgen. Wird Conde es schaffen, sie aufzuklären?
Es muss noch erwähnt werden, dass die gesellschaftskritischen Anmerkungen genauso viel Raum einnehmen wie der Kriminalfall, was ich als eine gelungene Mischung ansehe. Man lernt als Leser einiges über Kuba, seine Vergangenheit und Gegenwart und letztlich steht der Gedanke im Raum, wie man angesichts dieser Zustände, der allgegenwärtigen Korruption anständig bleiben kann.
Fazit
Ich war von der Mischung, die dieses Buch bietet, sehr angetan. Es hat mir so gut gefallen mit seinen Kriminalfällen, den gesellschaftskritischen Passagen, der Havanna-Atmosphäre, den philosophischen Überlegungen und letztlich der diskussionswürdigen Frage um Anständigkeit (was ist das?), dass ich schon ganz begierig bin, mehr von Padura zu lesen.
Ich muss allerdings auch darauf hinweisen, dass dieses Buch nicht einfach zu lesen ist, sondern gezielte Konzentration erfordert. Es ist also eher für geduldige Leser, die den Schwerpunkt nicht auf Action legen, sondern auch Interesse an gesellschaftlichen Zuständen haben. Dann allerdings erschließt sich eine bunte, farbenfrohe, turbulente, aber auch problematische Welt.
Mord und Lebensfreude
„Lebensfreude“ und „Mord“ sind zwei Begriffe, die nicht viel verbindet, doch genau diese Kombination findet sich in Leonardo Paduras Roman „Anständige Leute“. Leonardo Padura, der zu den erfolgreichsten und bekanntesten zeitgenössischen Schriftstellern Kubas gehört, veröffentlicht seit 1991 als Autor von Kriminalromanen. In seinen Büchern geht es vorwiegend um den Ermittler Mario Conde, der in Havanna lebt. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um den 10. Teil der Reihe um Conde, wobei keine Notwendigkeit besteht, die Vorgänger kennen zu müssen. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass man die vorangegangen Romane unbedingt kennen will, nachdem man „Anständige Leute“ gelesen hat.
Leonardo Padura konzentriert sich in diesem Roman auf folgende Zeitspannen, die für Kuba sehr besonders waren:
- Beginn des 20. Jahrhunderts: Eine Zeit, in der die Amerikaner gerade die Besatzung Kubas beendet haben, aber nach wie vor großen Einfluss auf die Politik und den Alltag des Inselstaates genommen haben
- Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts: In den 60er Jahren nahm die Castro Ära ihren Anfang. Der Kommunismus prägte von da an das Leben in Kuba
- Beginn des 21. Jahrhunderts (nach Fidel Castro): Kuba öffnet sich langsam gen Westen, woran Barrack Obama einen großen Anteil hatte. Denn unter seinem Einfluss wurde das Wirtschaftsembargo, das zu Beginn der Castro-Ära verhängt wurde, langsam gelockert, und Kuba und die USA suchten wieder den gemeinsamen Austausch
Der Roman setzt im Jahr 2016 ein, Schauplatz ist Havanna, das sich in einem Ausnahmezustand befindet, denn der symbolträchtige Besuch von Obama steht kurz bevor. Der Ermittler Conde, der 1958 geboren wurde und dadurch die Castro Ära in Gänze miterlebt hat, befindet sich mittlerweile im Ruhestand, hält sich mit dem An- und Verkauf von Büchern über Wasser sowie diversen Gelegenheitsjobs, die ihm von alten Freunden und Bekannten angeboten werden. Als ein ehemaliger Parteifunktionär und Kunstliebhaber ermordet wird, bittet ihn sein ehemaliger Mitarbeiter bei der Polizei, der seit Condes Austritt dessen Posten innehat, um Unterstützung bei der Aufklärung dieses Mordfalls. Die Ermittlungen reißen bei Conde alte Wunden auf, denn der Tote war ihm als ein Parteifunktionär bekannt, der seine Machtposition missbraucht und das Leben vieler Freunde Condes aus Künstler- und Schriftstellerkreisen zerstört hat. Der Erzählstrang des Jahres 2016, geschildert aus der Sicht eines personalen Erzählers, behandelt die Aufklärung dieses Mordfalles.
Nach ca. 20 Seiten schleicht sich in ein zweiter Erzählstrang in diesen Roman und sorgt beim Leser zunächst für Irritationen, da er scheinbar völlig losgelöst von dem ursprünglichen Handlungsstrang erzählt wird.
Diese zweite Handlungsebene findet im Jahr 1909 statt, Schauplatz ist ebenfalls Havanna. Diesmal haben wir es mit einem Ich-Erzähler zu tun, Arturo Saborit Amargó, einem jungen Mann vom Land, der durch Beziehungen eines Verwandten bei der Polizei Havannas anfängt und hier langsam, aber stetig, Karriere macht. Diesen Erfolg hat er maßgeblich seiner Freundschaft zu einem charismatischen Politiker namens Alberto Yarini zu verdanken, einer realen Figur, die in diesem Roman das Amt des kubanischen Präsidenten anstrebt. Wie im echten Leben ist Yarini nicht nur Politiker, sondern auch eine Größe der Verbrecherwelt Havannas, da er, der Sohn aus reicher Familie, mehrere Bordelle betreibt und als Zuhälter bekannt ist. Der Markt der Prostitution ist heiß umkämpft in Havanna, mehrere Gruppierungen konkurrieren um die Vorherrschaft. Der junge Polizeibeamte Amargó gerät zwischen die Fronten, als er in einem Kriminalfall über die Morde an Prostituierten ermitteln soll.
Natürlich fragt man sich, wo die Verbindung zwischen den beiden Handlungssträngen liegt, die über 100 Jahre auseinanderliegen. Die Auflösung gibt es im Verlauf des Romans.
„Anständige Leute“ wird zwar als Kriminalroman angepriesen, doch für mich ist er als Gesellschaftsroman zu lesen. Es ist faszinierend, wie viele Details man über die kubanische Gesellschaft erfährt und vor allem, welche Entwicklung diese über den Zeitraum, der in diesem Roman abgehandelt wird, genommen hat. Trotzdem sich die politische Landschaft in Kuba über die Jahre verändert hat, scheint die Lebenssituation der Kubaner keine großen Veränderungen erfahren zu haben. Die Schere zwischen wohlhabenden Menschen oder Menschen mit Beziehungen und Menschen, die irgendwie durchs Leben kommen, klafft weit auseinander - 1909 genauso wie 2016. Diese Ungleichheit spiegelt auch das Leben in Havanna wider. Hier begegnen dem Kubaner Extreme, bspw. Restaurants und Nachtclubs mit Preisen, die das herkömmliche Gehalt eines Kubaners um ein Vielfaches übersteigen. Dennoch sind diese Läden gut gefüllt, das Nachtleben Kubas gleicht einem Rausch.
Auch der Ermittler a. D. Conde, genauso wie seine langjährigen Freunde, von denen es in diesem Roman einige gibt, erkennt diese Merkwürdigkeit, wundert sich bestenfalls, nimmt sie aber hin, da ihn dieser allgemeine Zustand der Ungleichverteilung sein Leben lang begleitet und er sich damit arrangiert hat. Denn Entbehrungen gehörten schon immer zum Alltag der Mehrheit der kubanischen Bevölkerung dazu.
Das Zusammenspiel von Conde und seinen langjährigen Freunden findet in diesem Roman häufig statt und stellt kleine Zwischenstopps dar, auf dem Weg zur finalen Aufklärung der Verbrechen. In diesem Zusammenspiel zeigt sich die Lebensfreude, die bezeichnend für die Gesellschaft Kubas ist und beim Lesen dieses Romans einfach nur Spaß macht.
Leonardo Padura ist ein gemütlicher Erzähler, denn sein Erzählstil schafft für einen Kriminalroman wenig reißerische Momente. Stattdessen kommt man in den Genuss von ausgefeilten Charakterdarstellungen und tiefgründigen Sätzen, die die Lektüre dieses Romans zu einem besonderen Erlebnis machen.
Padura vermittelt einen kubanischen Lifestyle, der sowohl von Lebensfreude als auch Entbehrungen und Enttäuschungen geprägt ist. „Anständige Leute“ ist daher ein Gesellschaftsroman im Gewand eines spannenden Kriminalromans. Eine hochinteressante und lesenswerte Kombination!
©Renie