Das Haus in dem Gudelia stirbt: Kriminalroman
Gudelia sieht das Leben an ihr vorbeifließen. In einer tragischen Flut schwimmen nicht nur hunderte von Schweinen an der über-80-Jährigen vorbei, sondern auch Menschenleichen. Alle haben das Dorf verlassen, nur Gudelia bleibt in ihrem geliebten Haus. Schließlich verbirgt sich dort ein wohl gehütetes Geheimnis, das nicht ans Licht kommen sollte...
Thomas Knüwer gelingt mit "Das Haus in dem Gudelia stirbt" ein schwarzhumoriger und kurzweiliger Debutroman, der im Entfernten an einem Krimi erinnert, in Wahrheit aber die jahrelange, festsitzende Trauer der Hauptprotagonistin nachzeichnet. Sie hat vor vierzig Jahren ihren Sohn verloren und ist über dessen Tod nie hinweggekommen. In drei Erzählzeiten, nämlich 1984, 1998 und 2024, erfahren wir mehr über das Leben der alten, eigenwilligen Dame, die auf den ersten Blick bösartig erscheint, eigentlich aber ob der ihr passierten Schicksalsschläge eine gebrochene Frau ist. Sie wirkt hart, berechnend und zielstrebig, in ihr weilt aber eine zarte Seele, die sie mit aller Macht verdrängen möchte. Der Autor legt viele Fährten, um den Lesenden genügend Stoff zum Spekulieren um das Geschehene zu bieten und auch wenn einige im Sande verlaufen oder sich als irrelevant herauskristallisieren, ist es doch eine Freude den Gedankengängen der Protagonistin zu folgen. Etliche Vorkommnisse muten krankhaft an und wer keinen Sinn für morbiden Humor hat, sollte um dieses Buch einen großen Bogen machen.
Der Autor besticht regelmäßig mit einer Flut an einfallsreichen, auch tiefgründigen Aussagen und kreativen Metaphern, die oft mit Humor gespickt sind. Seine Sätze sind immer wieder abgehakt, bestehen mitunter aus nur zwei Wörtern und wurden mitunter hart formuliert, das verleiht dem Roman eine ganz eigene Sprachatmosphäre. Beispiele dafür sind: "Ich schreie. Aus voller Kehle. Schreie das Wasser an, das sich nicht für mich interessiert." (S. 286) oder "Ullmann sagt viel und nichts. Das CDU-Feuerzeug, dass er mir letzten Sommer geschenkt hat, wird sein wertvollster Beitrag zu meinem Leben sein." (S. 211) oder "Früher, als Kinder, mussten wir draußen spazieren gehen, damit das Christkind die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen konnte. Heute gehe ich raus, damit mein Mann sich volllaufen lassen kann. Geheimnisse ändern sich." (S. 79) Das Ende ist in gewisser Hinsicht offen, was einigen unbefriedigend erscheinen mag, für mich hätte es aber keinen passenderen Abschluss der Erzählung geben können.
Mein Fazit: "Das Haus in dem Gudelia stirbt" ist ein morbides Psychogramm einer alternden Frau, die nie über den Verlust ihres Sohnes hinweggekommen ist. Es überzeugt durch einen eigenwilligen Schreibstil mit Tiefe, Humor, Übertreibungen und wunderschön formulierten Sätzen und teils abstrusen Handlungen. Ein absolutes Lesemuss für alle, die morbid-humorvolle und etwas abwegig erzählte Geschichten lieben.
Das Haus in dem Gudelia starb ist das Debüt des Autors Thomas Knüwer. Ein Krimi, der anders ist als das meiste, was ich bisher aus dem Spannungssektor kenne.
Gudelia ist 2024 schon etwas über 80 Jahre alt. Sie bleibt in ihrem Haus, trotz des Hochwassers, welches zur Zeit in Unterlingen herrscht. Die meisten haben ihre Häuser verlassen, sind vor dem bedrohlichen Wasser, den schrecklichen Umständen geflohen, haben sich in Sicherheit gebracht. Doch Gudelia hält an ihrem Haus fest, aus verschiedenen Gründen, wie man noch feststellen wird.
Als sie nachts mit einer Taschenlampe aus dem Fenster leuchtet, sieht sie 2 Leichen vorbeitreiben. Beide mit Kabelbindern an den Händen, was sie natürlich direkt befürchten lässt, dass der Mann und die Frau nicht eines natürlichen Todes gestorben sind.
Im weiteren Verlauf der Handlung springt der Autor mehrfach in der Zeit hin und her. 1984 ereilte Gudelia und ihren Mann Heinz, der damals noch lebte, ein schreckliches Ereignis, welches den Tod ihres Sohnes Nico nach sich zog.
1998 erfährt man, dass Heinz immer weiter dem Alkohol verfällt, die Raten fürs Haus kann er nicht mehr bezahlen. Gudelia muss handeln, es wird klar, dass sie irgendeine Schuld trägt, die mit Demoaufnahme in Verbindung steht.
Diese Eckdaten sind erstmal sehr undurchsichtig, doch je weiter man liest, um so mehr grausige Details kommen ans Licht. Bis man dann am Ende das
gesamte Ausmaß des Schreckens erfährt.
Der Krimi ist teilweise sehr brutal, auch wenn man das am Anfang nicht erwartet hat. Vieles ahnte ich beim lesen, konnte mir einige Zusammenhänge bereits vorab erschließen. Trotz allem habe ich mich nicht gelangweilt. Im Gegenteil, einiges war so makaber, dass es fast schon lustig war. Gudelia ist kein typischer Charakter für ein Buch solchen Kalibers, und genau das machte es für mich auch so originell.
Als die 81-jährige Gudelia aus dem Fenster ihres Hauses im fiktiven Unterlingen schaut, traut sie ihren Augen kaum. Tote Schweine schwimmen vorbei, zerstörte Autos – und waren das gerade nicht zwei menschliche Leichen? Die Flut hat Unterlingen mit voller Wucht getroffen. Längst haben Gudelias Nachbar:innen den Ort verlassen. Doch Gudelia bleibt. Denn in ihrem Haus schlummert ein dunkles Geheimnis…
„Das Haus in dem Gudelia stirbt“ ist das Verlagsdebüt von Thomas Knüwer, das bei Pendragon erschienen ist. Knüwer, der zuvor schon einige Titel im Selbstverlag veröffentlicht hat, liefert darin einen ungewöhnlichen Kriminalroman, der sich nicht um Genregrenzen schert. Äußerst originell ist dabei die Grundidee, den dramatischen Schauplatz der Flut mit zwei klassischen Kriminalgeschichten zu verbinden.
Nach einem recht gewalttätigen Prolog beginnt die eigentliche Handlung aus der Sicht von Ich-Erzählerin Gudelia. In kurzen Stakkato-Sätzen nimmt uns diese Frau mit in ihre Welt, die sich nicht nur wegen der Wassermassen im Untergang befindet. Gewöhnt man sich erst einmal an diesen Stil, diese Satzfragmente, findet man leicht hinein in den Roman. Das liegt auch daran, dass Gudelia immer wieder kluge und eindrucksvolle Sätze hineinstreut, denen man sich kaum entziehen kann. „Früher habe ich mir ein Haus am See gewünscht, jetzt habe ich eine Wohnung in den Fluten“, heißt es an einer Stelle. „Doch der Unterschied von Ärger zu Wut ist der von Wind zu Sturm“, an einer anderen. Überhaupt kann man sich der gesamten Präsenz dieser Protagonistin nicht entziehen – ob man es will oder nicht.
Denn Gudelia ist keine klassische Sympathieträgerin, das wird relativ schnell klar. Wir begleiten diese facettenreiche Figur durch drei verschiedene Zeitebenen: 1984, als sie den Tod ihres 15-jährigen Sohnes Nico betrauert, 1998, als sie das titelgebende Haus von ihrem Mann Heinz übernimmt und eben 2024, als eine Flut, die an die Vorkommnisse im Ahrtal erinnert, Gudelia und ihr Haus bedroht. Gerade die Konflikte mit Heinz sind schwer zu ertragen. Da schlägt Gudelia ihrem Mann schon mal mit dem Hammer auf die Hand. Und er versucht, sie zu vergewaltigen, weil sie zuvor böswillige Sachen auf seine Stirn schrieb.
Die letztgenannten Beispiele zeigen die Schwächen des Buches recht eindrücklich. Knüwer überdreht nämlich mit fortschreitender Dauer des Romans immer mehr. Nahezu jede Szene endet entweder in Gewalt oder pathetischer Melodramatik. Das ist schade, denn während der ersten Hälfte der knapp 300 Seiten ist „Das Haus in dem Gudelia stirbt“ nämlich ein fast unanständig spannender Pageturner. Was Knüwer aber aus dieser Spannung macht, wie er die Handlungsfäden zusammenspinnt, ist konstruiert und unglücklich. Lieblos zudem der Umgang mit Schlüsselfiguren. Da gibt es beispielsweise Stephanus, ein Ferkelchen, das bald Gudelias einziger Begleiter ist. Eine liebenswerte Tierfigur, die nicht nur Gudelias weiche Seite rührt, sondern auch die der Leser:innen. Doch am Ende des Romans ist das Tier einfach verschwunden, sprich rausgeschrieben. Eine weitere Schlüsselfigur ist ein Freund von Nico, der tatsächlich am meisten dazu beiträgt, den Tod von Gudelias Sohn zu entschlüsseln. Doch Knüwer ist diese Figur so egal, dass sie nicht einmal einen Vornamen bekommt.
Hinzu kommt, dass der eigentliche Plot spätestens im letzten Drittel absolut vorhersehbar wird. Ohne zu viel verraten zu wollen, erinnert er doch sehr an einen Hitchcock-Filmklassiker. Das ist in Ordnung, würden sich nicht auch hier so viele geschmacklose und konstruierte Szenen einschleichen, dass man das Buch am Ende dann doch etwas entnervt zuschlägt.
„Das Haus in dem Gudelia stirbt“ ist ein unkonventioneller Krimi, bei dem Leser:innen mit offenem Genrevisier gern einen Blick riskieren dürfen. Problematisch ist allerdings, dass Genreleser:innen das Meiste schnell durchschauen, während es anderen zu gewalttätig und brutal erscheinen dürfte. Klar ist, dass Thomas Knüwer und Pendragon mit dem Buch einen durchaus mutigen und unbequemen Weg gehen.
Erst fiel der Strom aus, dann kam das Wasser. 2024 steht die 82jährige Gudelia im ersten Stock ihres Hauses und sieht die Fluten, die alles mit sich reißen, Bäume, Autos und die toten Schweine des Bauern. Es ist eine Flutkatastrophe und das kleine Städchen Unterlingen trifft es hart. Die Nachbarn sind geflohen, aber Gudelia hat sich nicht wegbringen lassen. Mit Grabkerzen und Taschenlampe trotzt sie den Gewalten.
Gudelia hat es sich in den Kopf gesetzt, ihr Haus nicht zu verlassen. Mit Schaudern sieht sie in der Nacht zwei Leichen an ihrem Haus vorübergleiten. Im Schein ihrer Taschenlampe erkennt sie, dass die Hände mit Kabelbindern am Rücken gebunden sind. Es ist etwas, was sie der Polizei mitteilen muss. Auch muss sie ihren Verdacht, woher die Leichen kommen könnten, mit jemandem teilen.
Aber eigentlich muss sie aufpassen, dass ihrem Haus nichts passiert. Das Haus, für das sie so schwer gekämpft hat, das Haus, das sie und ihr Mann Heinz erworben haben, als Nico gerade 4 war und das Herz der Vorbesitzerin im Sturm eroberte. Nico war schon immer ein ganz besonderes Kind. Aber Nico gibt es nicht mehr und Heinz auch nicht. Das Unglück schlug früh zu und seitdem arbeitet sich Gudelia an ihrer Schuld ab. "...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern", das konnte Gudelia nicht.
Mit dieser ganz besonderen Mischung aus Krimi, Gesellschaftsportrait und Trauerbewältigung begleiten wir Gudelias Erinnerungen an die Vergangenheit. Mit den drei Zeitebenen befinden wir uns im Jahr 1984, als ihr Sohn Nico mit gerade mal 15 starb, im Jahr 1998, als Gudelia darum kämpft, dass das Haus auf ihren Namen umgeschrieben wird und natürlich in der Gegenwart, als die Wassermassen alles auf dem Kopf stellen.
Gudelias Kampf wird vergebens sein, das stellt schon der Epilog klar. Trotzdem eröffnet sich dem Leser eine spannende und zugleich bestürzende Geschichte um die Familie Krol, dessen Sohn Mitte der Achtziger mit seiner "Andersartigkeit" auf die Intoleranz der Dorfjugend traf, um einen Vater, dessen Alkoholkonsum alles auf tönerne Füßen stellte, um schwierige Schuldfragen, die nicht beantwortet wurden und eine Mutter und Ehefrau, die alles auf eine sehr verquere Weise selbst in die Hand nahm.
Knüwer schafft die Zeitsprünge mühelos, setzt alles in einen glaubhaften Rahmen und überzeugt mit den Bildern der Zerstörung, die Gudelia 2024 an ihre Grenzen bringt. Gudelias Handlungen nehmen Züge an, die auf der einen Seite grotesk und wahnsinnig anmuten, auf der anderen Seite aber vorausschauend und emanzipatorisch wirken. Man möchte an Gudelias Verstand zweifeln, der ihr bis ins hohe Alter so treu gedient hat. Mit so mancher Lebensweisheit und guten Spruch weiß Knüwer Gudelias Vorzüge herauszustellen und serviert uns eine sehr lesbare Lektüre voller Spannungselemente.
Erkennbare Konstrukte, leichte Übertreibungen von Gudelias Fähigkeiten, fragwürdige Zufälle, sind Kleinigkeiten, die ich diesem Buch gern verzeihe, da es mich großartig unterhalten hat.
Wie viel kann eine Seele ertragen? Das fragt sich bestimmt auch Gudelia in Knüwers Kriminalroman „Das Haus in dem Gudelia stirbt“. Die über Achtzigjährige steht am Fenster ihres von einer Jahrhundertflut umtosten Hauses und trotzt allen Unbilden, wie sie es wohl ihr ganzes Leben bereits tat. Schnell wird klar, dass sie ein dunkles Geheimnis hütet, während sich ihre sämtlichen Nachbarn in Sicherheit flüchteten. An der Seite eines geretteten Ferkels aus der Massenzucht betrachtet sie den Schmutz, die Härte und das Ekelhafte, dass an ihrem Leben vorbeizieht. Zufällig entdeckt sie auch zwei gefesselte Leichen, die durch die Fluten treiben. Es ergeben sich Rätsel, die die erzählende Gudelia aufdecken möchte. Dabei birgt sie selbst einen Teil weiterer Rätsel.
Der Roman ist in drei Zeitebenen aufgespannt, die sich im regelmäßigen Wechsel wiederholen und die Geschichte voranbringen. Dazu kommen verschiedene Erzählstränge, die am Ende eine nahezu komplette Auflösung ergeben.
Zur Bewertung: Knüwer versteht es vortrefflich, die Stimmung dieser knorrigen Dame einzufangen und wiederzugeben. Eine Meisterleistung! Hinzu kommen Aphorismen und schwarzhumorige Wortspielereien beinahe im Zeilentakt. Das allein zeugt von einer sehr hohen Sprachkompetenz. Bravo! Der Sound des ungewöhnlichen Kriminalromans ist düster, dreckig, oft brutal, schonungslos, verschlagen, berechnend und entlarvend. Dies muss man mögen und stellt hohe Anforderungen an zartere Gemüter. Mir gefiel dieser Erzählton nach anfänglicher Überraschung zunehmend gut, da er kongenial zu dieser Geschichte steht. Bemängeln mag man vielleicht die passagenweise übertriebene Gewalt, die jedoch immer eine Botschaft zum Ausdruck bringt, wenn auch auf drastische Weise.
Der Roman ist hervorragend recherchiert, nimmt Anleihen zu dem Ahrtal-Unglück auf, und befriedigt mit einer Auflösung, die sowohl der Logik als auch dem menschlichen Verständnis Rechnung trägt. Ein kleiner Kritikpunkt ist das Cover. Zwar ein Eyecatcher hinsichtlich der Mauer in Signalfarbe und auch hier doppeldeutig was die Risse und das weibliche Konterfei angeht, dennoch glaube ich, dass ein weniger schlicht-reißerischer Umschlag hochwertiger auf die Leserschaft wirken würde.
Dem Autor Thomas Knüwer möchte ich zurufen, weiterzuschreiben und bald ähnlich starke Geschichten folgen zu lassen. Vielleicht wäre es an der Zeit, sich an mehr als „nur“ trivialer Literatur zu versuchen. Allein die lebensklugen, kompromisslosen und treffenden Weisheiten und Sprüche verdienen einen eigenen Band.
Ich habe den Roman gerne verschlungen und vergebe aufgerundete 5 Sterne (genau: 4,5).
4,5 Sterne – Unterschiedlicher Umgang mit Trauer, was ist mit Selbstjustiz? – auf dem Hintergrund einer Flutkatastrophe
Auf den ersten Blick ein Krimi, auf den zweiten eher ein spannender Roman um Mord und Totschlag, vom Umgang mit Trauer, mit Aggressionen und Rache und Selbstjustiz. Ich habe ihn von Anfang bis Ende mit Spannung gelesen.
Anscheinend hat sich der Autor von der Flutkatastrophe im Ahrtal inspirieren lassen, denn auch hier ist es ein kleines Flüsschen, das verheerende Schäden in einem Dorf anrichtet, Häuser zerstört und Leben kostet. Die 81-jährige Gudelia beobachtet die verheerende Flut von ihrem Fenster aus, will das Haus aber nicht verlassen, sich nicht evakuieren lassen. Ist es Sturheit, emotionales Verbundensein mit dem Haus, in dem sie lebenslang gewohnt hat oder steckt mehr dahinter? Das erfahren wir nach und nach in drei voneinander abgegrenzten Zeitsträngen (1984 – 1998 – 2024).
1984 wird das Leben von Gudelia und ihrem Ehemann Heinz völlig auf den Kopf gestellt, als ihr Sohn getötet wird, nicht von einem Auto, wie zuerst gedacht, sondern erschlagen, also Mord oder zumindest Totschlag. Wer war das und warum? Hätte jemand helfen können? Gibt es Versäumnisse? Wer weiß etwas?
So ein furchtbarer Schicksalsschlag verändert das ganze Leben, lässt die Beteiligten selbst nach Versäumnissen und Gründen suchen und nach dem Schuldigen solch' einer Tat.
Die Beerdigung von Nico ist ergreifend beschrieben, die Verzweiflung deutlich erkennbar, aber auch ein Verdacht, der auftaucht, weil jemand nicht dabei ist und ein Gerücht ihn bei der Polizei sieht. Schon früh im Buch ist von einer schweren Schuld die Rede, die Gudelia und ihr Mann auf sich geladen haben. Wie so oft in solchen Fällen geht die Ehe den Bach runter. Heinz trank schon immer, aber jetzt erst recht. Zudem kann er Gefühle nicht zulassen oder nicht spüren und schon gar nicht in Worte fassen.
'Seine Fürsorge zeigt sich in Spiegeleiern statt Umarmungen.' (152)
'Vieles an ihm, an uns, ist in den letzten Jahren gestorben' (23)
Vierzehn Jahre später ist es quasi 'aus' zwischen den beiden. 'So vieles ist zerbrochen zwischen uns. Dürftig geklebt mit Schweigen.' (199) Gudelia scheint nur noch ein Ziel zu haben: dass Heinz ihr das Haus überschreibt und er eine Entziehungskur macht oder ganz verschwindet.
'In dem Haus ist mein ganzes Leben', sagt sie und ein Nachbar ergänzt '… und dein ganzes Leid'. (214)
Nach der Flutkatastrophe wird das Titelbild klar (dessen Risse man sich übrigens genauer angucken sollte). Durch Gudelias Haus geht ein Riss von oben nach unten und offenbart ein schreckliches Geheimnis und die Lage eskaliert. Der grausige Prolog wird im Nachhinein verständlich, wie das in vielen Krimis ist.
Fazit
Dieser Roman hat mir trotz der vielen Gewalt – typisch für manche Krimis – gut gefallen, denn er war spannend und zeigt zwei gut charakterisierte Hauptpersonen. Er zeigt, wie unterschiedlich Menschen mit Trauer umgehen und wirft die Frage nach Rache und Selbstjustiz auf – wieder einmal.
Obwohl ich eher einen hypotaktischen Stil bevorzuge, hier aber meist kurze, oft atemlose Sätze vorherrschen, manchmal sogar Ein-Wort-Sätze, fand ich das passend zur Situation und es hat mich daher nicht gestört. An vielen Stellen hat der Autor gezeigt, dass er auch eine bildhafte Sprache beherrscht und mir haben besonders die vielen zitierfähigen Sätze gefallen.
Wer einen besonderen Krimi lesen möchte, der vielleicht eher ein Roman ist, wird dieses Buch gerne lesen.
'Die Nacht hat sich wie ein Glocke über die Gräber gelegt. Kein Ton von außen dringt zu ihnen durch, kein Gedanke.' (116)
'Die Freunde sind tot, die Nachbarn auch. Die Belohnung für ein langes Leben ist ein einsamer Tod. Ein vergiftetes Geschenk.' (89)
'Man sieht den Menschen nur vor den Kopf. Was dahinter brodelt, weiß allein der Herrgott.' (235)
Kurzmeinung: Gute Anlagen: einen richtig guten Krimi schreiben, kann heute fast keiner mehr.
Der Krimi beginnt rasant, es ist Flut und zwei Leichen treiben an Gudelias Fenster vorbei, die alte Dame bleibt nämlich störrisch in ihrem Haus und lässt sich nicht evakuieren. Warum auch? Was kann ihr passieren, sie ist schon über achtzig und hat ihr Leben gelebt. Natürlich ist schnell klar, dass das Haus ein Geheimnis birgt und Gudelia nicht ganz so fatalistisch ist, wie es anfangs scheint.
Der Krimi hat drei Zeitstränge, 2024, 1998 und 1984. 1984 ist etwas Schlimmes passiert, was Gudelia und ihren Mann Heinz aus der Bahn wirft, die Ehe ist danach nie wieder wie vorher, und ein paar Jahre später im Eimer.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Der 1983 im Münsterland geborene Autor, schreibt mit viel Schwung und Leidenschaft, man trifft Sätze an, die Sinnsätze sein könnten fürs Album: „Bei Menschen, die nie gelernt haben, Gefühle in Worte zu fassen, muss man sie in Taten suchen,“ andere sind zynische Bemerkungen der erzählenden alten Dame: „Früher habe ich mir ein Haus am See gewünscht, jetzt habe ich eine Wohnung in den Fluten."
Den meisten Raum nimmt Gudelia ein, die Erzählerin, die, wie man ja bereits weiß, in ihrem Haus sterben wird. Der Leser betrachtet die Welt mit Gudelias Augen. Diese Figur ist ziemlich gut konstruiert. Man erkennt, Gudelias Leben war nicht leicht. Andere Figuren bleiben dagegen blass.
Diese Blässe spiegelt sich leider auch im Plot wider. Obwohl der Roman durchaus spannend erzählt ist bis zum Schluss, und nicht ohne Witz – was ich besonders honoriere - ist seine Auflösung doch recht abstrus, für mich unglaubwürdig und die Nebenhandlung ist so gut wie gar nicht eingebunden in die Gesamtstory.
Fazit: Der Autor ist (eigentlich) einer, der Krimi schreiben kann und dazu noch witzig ist. Allerdings hat der Plot mich nicht zu hundert Prozent überzeugen können.
Genre: Kriminalroman/Thriller
Verlag: Pendragon, 2024
Als eine Sturmflut das kleine Dorf Unterlingen heimsucht, verlassen alle Bewohner ihre Häuser. Aber die einundachtzigjährige Gudelia bleibt in ihrem einsturzgefährdeten Haus und beobachtet aus der oberen Etage, wie mit den Wassermassen alles an ihr vorbeitreibt. Es sind nicht nur Bäume, Tiere und Autos, sondern auch zwei aneinander gefesselte Leichen. Doch niemand wird sie aus diesem Haus herausbekommen, denn das Haus verbirgt ihr dunkles Geheimnis.
Der Schreibstil ist gut und flüssig zu lesen. Erzählt wird diese Geschichte auf drei Zeitebenen aus der Ich-Perspektive. So können wir tief in Gudelias Gedanken und Gefühle eintauchen.
Das Leben hat es nicht gut gemeint mit Gudelia. Das hat sie hart gemacht. Die Dorfbewohner haben sie für sonderbar und ein wenig verrückt gehalten. Ihr geliebter Sohn Nico starb 1984 im Alter von fünfzehn Jahren. Das hat sie aus der Bahn geworfen, genauso wie ihren Mann Heinz, der seinen Kummer im Alkohol ertränkt. Gudelia trennt sich 1998 von ihm und sorgt dafür, dass das Haus ihres wird. Nun trotz sie den Wassermassen, die schon die Nachhäuser zum Einsturz gebracht haben. Sie bleibt in dem Haus, in dem sie so vieles ertragen hat und das Hüter ihres Geheimnisses ist.
Von Anfang an ist eine Spannung aufgebaut, die einen immer weiterlesen lässt, denn man will wissen, warum sich Gudelia trotz der Ausweglosigkeit so beharrlich weigert, ihr Haus zu verlassen. So nach und nach enthüllt sich das, was sie stets gut verborgen hielt.
Es ist eine sehr spannende und tragische Geschichte.
Mein Lese-Eindruck:
Im Mittelpunkt des Romans steht Gudelia, und sie steckt in einer Situation, die dem Hochwasser-Unglück an der Ahr im Jahre 2021 nachgebildet wurde. Aus Gudelias Leben werden drei Jahre herausgegriffen: das Jahr 1984, in dem sie Tod ihres Sohnes Nico hinnehmen muss, dann das Jahr 1998, in dem sie ihren alkoholkranken Mann dazu bewegen kann, ihr das Haus zu überschreiben, und schließlich 2024, das Jahr des Hochwassers. Ihr Haus ist unterspült und einsturzgefährdet, aber sie weigert sich beharrlich, das Haus zu verlassen.
Welches Geheimnis verbirgt sich im Haus?
Der Leser erkennt sehr schnell, dass die Schlaglichter auf diese drei Jahre alle miteinander ursächlich verbunden sind und im Grund zusammen ein gewaltiges Spotlight auf ein menschliches Drama ergeben. Gudelia bleibt die einzige Erzählinstanz, sodass wir alle Ereignisse ausschließlich durch ihre Brille sehen, und daher ist der Roman trotz einiger Krimi-Elemente eher ein Psychogramm Gudelias als ein Krimi.
Im Mittelpunkt steht Gudelias Liebe zu ihrem Sohn Nico. „Nico ist mein Leben“, sagt sie, und sie ordnet ihr gesamtes Leben vollständig ihrem Sohn unter. Sie isoliert sich, ihr Haus wird für sie zu einer Art Trutzburg. Auch die Beziehung zu ihrem Mann leidet unter Sprachlosigkeit. Die Liebe zu ihrem Sohn bestimmt noch über dessen Tod hinaus ihr Leben. Hier entstehen jedoch skurrile und streckenweise sehr makabre Auswüchse, die nicht immer glaubwürdig sind.
Trotzdem liest sich das Buch angenehm. Die Spannung wird durch scheinbar nebensächliche Bemerkungen immer wieder neu aktiviert. Man erkennt zwar recht schnell, worin Gudelias Geheimnis besteht, aber es bleibt bis zum Schluss offen, wie sie es so lange sichern konnte und vor allem: wen es betrifft.
Im Juni 2024 versinkt der kleine Dorf Unterlingen im Hochwasser. In aller Eile verlassen Menschen ihre Häuser, retten ihr Leben, ihr Hab und Gut. Nur die 81-jährige Gudelia bleibt in ihrem einsturzgefährdeten Haus. Aus dem Fenster ihrer Wohnung im ersten Stock beobachtet sie das Geschehen, die tobenden dunklen Wassermassen, die alles zu vernichten drohen. Sie sieht: „Die Zerstörung und den Tod. Von Schweinen und Menschen“. (71)
Die Sturmflut ist nicht die erste Katastrophe in ihrem Leben. Im Jahre 1984 kam unter tragischen Umständen ihr 15-jähriger Sohn Nico ums Leben. Vierzehn Jahre später trennt sie sich von ihrem alkoholkranken Mann und lebt seitdem in ihrem Haus allein.
Das Haus bedeutet ihr alles, denn es kennt all ihre Gedanken und hütet ihr schlimmes Geheimnis.
Es ist Gudelia selbst, die in dem Roman über ihr Leben spricht. Sie verrät ihre intimsten Gedanken, erzählt über ihre Pläne und ihre Taten und Untaten. Sie erzählt über drei Unglücksjahre, die ihr Wesen und ihr Leben nachhaltig verändert haben. Der furchtbare Tod ihres Sohnes war die schlimmste Tragödie ihres Lebens, ein Schicksalsschlag, den sie und ihr Mann nicht verkraften konnten. Jeder von ihnen ging mit dem Schmerz anders um.
Das Haus ist ein stummer Zeuge der Ereignisse. Hinter seinen Mauern geschahen Sachen, die genauso -wie zum Schluss die Sturmflut – alles im Leben seiner Bewohner mitgerissen und zerstört haben.
Die Geschichte entwickelt von Anfang an einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Die Ereignisse sind so dramatisch und unfassbar, dass ich unbedingt die ganze Wahrheit sofort erfahren wollte. Auch die Protagonistin Gudelia, deren Verlustschmerz deutlich spürbar ist, zieht mit ihrem skurrilen Verhalten in ihren Bann. Beeindruckend sind ihr Einfallsreichtum und die Beharrlichkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgt.
Das Buch lässt sich flüssig lesen; dank dem fesselnden Schreibstil und ausdrucksstarken Bildern der Ereignisse ist man mittendrin im Geschehen, fiebert und leidet mit.
Den spannenden Kriminalroman kann ich nur wärmstens empfehlen!
„Das Haus in dem Gudelia stirbt“ ist ein Debütroman von Thomas Knüwer. Das Buch erscheint am 21.08.2024 im Pendragon Verlag.
Vielen Dank an den Pendragon Verlag für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars über NetGalley. Die geäußerte Meinung ist meine eigene."
(Natur)Gewalt
„Das Haus, in dem Gudelia stirbt“ von Thomas Knüwer ist ein Kriminalroman, der besonderen Art: ein besonderer Schauplatz, eine besondere Protagonistin, manchmal besonders emotional, stets besonders spannend und zu Beginn und am Ende besonders brutal.
Große Teile der Handlung finden in der Gegenwart statt, gegenwärtiger geht es kaum, denn Autor Thomas Knüwer nimmt die extremen Regenfälle und das damit verbundene Hochwasser, das vor wenigen Monaten Süddeutschland geplagt hat, als Rahmen für seinen Roman.
Zunächst startet der Roman mit einem krachenden Prolog, der nichts für Zartbesaitete ist. Nachfolgend entspinnt sich eine Geschichte voller Spannung und Geheimnissen, mit einer 82-jährigen Protagonistin namens Gudelia, die in ihrem letzten Lebensabschnitt von ihren Erinnerungen und Geistern ihrer Vergangenheit heimgesucht wird. Das Haus, in dem Gudelia die Hälfte ihres Lebens verbracht hat, spielt dabei eine ganz besondere Rolle.
Der Roman umfasst einen Zeitraum von 40 Jahren, wobei die Handlung hauptsächlich im Jahr 2024 stattfindet.
Es ist der Vorabend des angekündigten Hochwassers in Unterlingen, einem kleinen Dorf irgendwo im Süden der Republik.
Während nahezu alle Bewohner das Dorf verlassen, gelingt es Gudelia, sich unbemerkt in ihrem Haus zu verschanzen. Über Nacht kommt die Sturmflut und die alte Frau beobachtet, wie zwei Leichen, deren Hände gefesselt sind, an ihrem Fenster vorbei treiben. Die nächsten Tage sind von Aufräumarbeiten geprägt, die Rettungsmaschinerie läuft an, wobei Gudelia versucht, die Helfer über die Leichen zu informieren, bei denen es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Mordopfer handelt. Doch sie, die in ihrem Dorf den Ruf einer wunderlichen Alten hat, wird zunächst nicht ernst genommen.
In der Auseinandersetzung mit den Helfern und der Polizei wird schnell klar, dass Gudelia nicht zu unterschätzen ist. Sie mag durch ihr Alter körperlich eingeschränkt sein, doch ihr Geist ist topfit und sie ist durchaus in der Lage, ihren Standpunkt resolut zu vertreten. Gudelia ist eine Kämpfernatur, die in ihrem langen Leben mehr Tiefschläge einstecken musste, als Glücksmomente genießen durfte. Vor 40 Jahren, 1984, wurde ihr einziger Sohn Nico umgebracht. Die Ehe mit Heinz, dem Vater von Nico, wird später daran zerbrechen, denn das Paar ist nicht in der Lage, den Schmerz über den Verlust gemeinsam auszuhalten.
Durch Gudelias Erinnerungen auf die zurückliegenden 40 Jahre zeichnet sich sukzessive ab, dass die alte Frau in ihrem Leben Entscheidungen getroffen hat, die moralisch nicht vertretbar sind. Das Geheimnis um die beiden Leichen, die zu Beginn von Gudelia entdeckt wurden, wird in diesem Roman zur Nebensache. Der eigentliche Fokus richtet sich mit fortschreitender Handlung auf Gudelias Geheimnisse und ihre Vergangenheit, welche im Zusammenhang mit dem Tod ihres Sohnes zu sehen sind. Die Stimmung dieses Romans ist dabei von einer dichten, manchmal düsteren Atmosphäre geprägt, die den Leser in die Erinnerungen von Gudelia hineinzieht.
In diesem Roman zeigt sich der Autor Thomas Knüwer von zwei Seiten. Zunächst stellt er seine Fähigkeiten als Kriminalautor unter Beweis. Von dem Prolog bis hin zum Ende des Romans ist das Spannungsniveau unglaublich hoch. Zugegeben, nicht jedem werden die gewalttätige Anfangsszene und das Ende, gefallen, doch zumindest hat Knüwer damit ein Zeichen gesetzt und die Aufmerksamkeit des Lesers ist ihm sicher. Doch Knüwer kann auch anders. Gerade, wenn sich das Augenmerk auf Gudelias Seelenleben richtet, und sie sich an die Schicksalsschläge ihrer Vergangenheit erinnert, erlebt man Knüwers Erzählweise als sensibel und mitfühlend. Insbesondere die Darstellung der Intensität des Schmerzes sowie der Trauer und der Verzweiflung von Gudelia über den Tod ihres Sohnes, haben mich sehr erschüttert.
Am Ende dieses Romans wird man wieder auf den Boden der kriminellen Tatsachen geholt und daran erinnert, dass man es mit einem Kriminalroman zu tun hat. Denn die Handlung läuft auf einen effekthascherischen Showdown hinaus, den ich in dieser Dramatik nicht gebraucht hätte. Tatsächlich bleiben auch ein paar Fragen, die sich im Verlauf des Romans ergeben haben, unbeantwortet, was jedoch der Spannung dieses Romans keinen Abbruch tut.
Insgesamt habe ich diesen Roman sehr gern gelesen, die besondere Protagonistin sowie die variierende Erzählweise sind das große Plus dieses Kriminalromans.
Leseempfehlung!
©Renie