Unser Ole: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Unser Ole: Roman' von Katja Lange-Müller
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Inhaltsangabe zu "Unser Ole: Roman"

Die einst bildschöne Ida ist alt und vom Leben, den Männern und sich selbst enttäuscht. Um nicht völlig zu verarmen, arbeitet sie gelegentlich als Model bei Seniorinnenmodenschauen. In einem Kaufhaus begegnet sie Elvira, die ihren Enkel Ole betreut, genauer: ihn abwechselnd schikaniert und verwöhnt. Als Ida ihre Wohnung verliert, lockt Elvira, die den Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen hat und doch nichts mehr fürchtet als die Einsamkeit, die Freundin in ihr Landhaus, denn sie braucht Hilfe mit dem unberechenbaren, spätpubertierenden Hünen Ole. Eines Morgens kommt es zu einem tragischen Ereignis, das Oles Mutter Manuela auf den Plan ruft. Sie hat ihren Sohn seit dessen erstem Lebensjahr nicht mehr gesehen. Während die Frauen einander misstrauisch umkreisen, entblättern sich ihre Familiengeschichten, ihre Biografien, ihre seelischen Verletzungen. Katja Lange-Müller ist einzigartig in der literarischen Kraft und Präzision, mit der sie Figuren vom Rande der Gesellschaft unterschiedliche Stimmen gibt. Dieser Roman schärft aufs Feinste unser Denken und Empfinden. Er erzählt von ablehnenden Müttern, von den Widersprüchen, aus denen sich eine Persönlichkeit zusammensetzt, von der heimlichen Sehnsucht nach Zuneigung und all den Lebenslügen, die so gelogen manchmal gar nicht sind.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
EAN:9783462050172

Rezensionen zu "Unser Ole: Roman"

  1. "Blue Velvet" im Berliner Speckgürtel

    Film und Literatur beschreiben immer wieder Lebensumstände, die beim Zuschauer und Leser für Bestürzung sorgen. Oft wird das Grauen hinter einer heilen Fassade thematisiert, das schmucke Reihenhaus etwa, in dessen Untergeschoss Familienmitglieder oft jahrelang eingesperrt waren oder Bürgershäuser, in denen das Verbrechen wohnt.

    David Lynch hat mit „Blue Velvet“ der dunklen Seite der amerikanischen Vorstadtidylle ein filmisches Denkmal gesetzt. Katja Lange-Müller siedelt das Grauen in einem Häuschen im Berliner Speckgürtel an.

    Die jahrzehntelang aufrecht erhaltenen Fassaden, die eine heile Welt vorgaukeln, die es nicht gibt, kollabieren oft schnell durch Zufallsereignisse, oder wenn einer der Protagonisten die ihm zugedachte Rolle im Gleichgewicht des Schreckens nicht mehr mitspielen will.

    Da ist die Witwe Elvira, die sich immer einen Sohn gewünscht hat, aber stattdessen die ungewollte Tochter Manuela bekam, der sie ihre Geburt nie verziehen hat. Ida, eine alternde Großstadt-Schönheit, die sich zeitlebens von solventen Männern hat aushalten lassen und die sich mit aller Macht gegen den Zahn der Zeit wehrt, lebt mit Elvira in besagtem Häuschen im Berliner Speckgürtel. Und dann ist da natürlich Ole, Elviras Enkel, der an einer Form von Autismus leidet und den zu erziehen sich die leibliche Mutter nie imstande sah.

    Ein tödlicher Treppensturz ändert alles und zerschlägt das mühsam gesponnene Netz aus Ängsten, Notwendigkeiten und Gewohnheit. Nach und nach erfahren wir in Rückblenden die Lebensgeschichten der drei so unterschiedlichen Frauen. Besonders sympathisch sind sie alle nicht. Aber mit ihren eigenen Geschichten eröffnet sich ein neuer, versöhnlicher Blick auf sie. In ihrer seelischen Versehrtheit sind sie menschliche Tiere, die versuchen über diesen einen Tag zu kommen. Was morgen ist, werden wir sehen. Das macht sie immer noch nicht zu Sympathieträgern, aber erklärbar.

    Nur soviel sei verraten: Ole läuft davon und wird nicht wieder gefunden. Gelingt dem autistischen Jungen die Flucht in ein besseres Leben? Möglich. Möglich auch nicht. Wir können es uns nur wünschen.