Die Frauen von Maine: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Frauen von Maine: Roman' von J. Courtney Sullivan
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4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Frauen von Maine: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:496
Verlag: Klett-Cotta
EAN:9783608988246

Rezensionen zu "Die Frauen von Maine: Roman"

  1. Amerikanische Geschichte in Romanform

    Die Szenerie spielt hauptsächlich in dem von Touristen frequentierten Küstenort Awadapquit, Maine – an der Ostküste nahe Canada. Speziell das einsam am Kliff gelegene " viktorianische lila Haus" und ihre gesamten Eigentümer stehen im Mittelpunkt der sehr umfangreichen Recherche. Diese wird von der Hauptfigur Jane Flanagan, Archivarin, betrieben. Nicht nur ihre Familiengeschichte mit Blick zurück bis zu ihrer Großmutter wird beleuchtet. Auch die vielen Familiengeschichten mit ihren speziellen Frauenschicksalen, Geheimnissen und Geistern rund um dieses lange vernachlässigte Haus werden im Auftrag von Genevieve, der neuen Besitzerin, in Auftrag gegeben. Überraschend stellt Jane nicht nur eine innige Verzahnung ihrer Familie mit den Bewohnern dieses geheimnisvollen Hauses fest. Der Verlust des geliebten Ehemanns an die See, langes romantisches Sehnen, schicksalhafte Verluste, künstlerisches Erwachen, der Verkauf von historischen Artefakten der indigenen Bevölkerung und die langen Schatten von Kolonisation durch die Engländer – all das entdeckt Jane neben ihrer Selbstfindung. Thematisiert werden weiterhin in diesem vielschichtigen und gut recherchierten Roman auch die düstere Seite von Alkoholismus, inniger Freundschaft, die Geschichte der Shaker, das Wirken von Spiritualisten. Der Schreibstil ist berührend, einfühlsam.
    Insgesamt ein interessanter, amerikanischer Generationenroman.

  1. Ein Sommer-Roman

    Mein Lese-Eindruck:

    Ein altes verwunschenes Haus auf einer Klippe hoch über dem Meer – und Jane Flanagan, eine junge Frau, die sich diesem Haus auf unerklärliche Weise verbunden fühlt: damit sind die Koordinaten genannt, die den Roman bestimmen.

    Die Autorin spürt allen Frauen nach, die dieses Haus jemals bewohnten oder in irgendeiner Weise mit ihm in Verbindung standen. Sie konzentriert sich auf die Frauen, und den Männern wird nur eine Rolle als Randfigur zugewiesen, wenn überhaupt. Es sind sehr unterschiedliche Frauen, die die Autorin vorstellt, und ihre Biografien sind mit der Geschichte dieses Landstrichs verbunden, in dem das Haus steht. Dazu geht die Autorin bis zu den Erzählungen der indigenen Einwohner Maines zurück und spannt dann den Bogen über die ersten Einwanderer, die Sklaventransporte, über Glaubensgemeinschaft der Shaker, über indigene Traditionen bis hin zur Gegenwart. Die Themen sind daher vielfältig: Kolonialismus, Frauenbewegung, Ethnozid und Genozid, Spiritualismus, transgenerationale Traumatisierung u. a.

    Alle diese Geschichten werden verbunden durch Jane Flanagan, die mit ihren familiären Traumata, ihrem Alkoholismus und anderen privaten und beruflichen Desastern zu kämpfen hat. Sie erforscht die Geschichten der Frauen und vereint sie schließlich alle in dem Haus an den Klippen, das sie zu einem Museum ausgestaltet. Die Autorin verweigert sich dabei einer chronologischen Darstellung und ahmt dadurch die Art und Weise nach, wie Jane Flanagan ihre Themen findet. Nicht immer gelingt es ihr, die historischen Tatsachen mit dem Roman selber zu verweben, sodass sie zu Vorträgen bzw. Exkursen greifen muss. Sehr schön gelingt der Autorin die Erzählung, wenn sie Jane Flanagan Schritt für Schritt nicht nur ihre eigene leidvolle Familiengeschichte, sondern vor allem auch die unglückliche Verbindung mit dem Haus entdecken lässt. Eine psychologisch dichte und überzeugende Darstellung!

    Noch eine dritte Motiv-Linie zieht sich durch das Buch, und zwar Übernatürliches wie Geistererscheinungen. Ein ganzes Kapitel befasst sich mit Spiritualismus und seiner Geschichte, wenn sich Jane einen Vortrag darüber anhört. Sie kann allerdings noch keine Verbindung zum Haus und zu ihrer eigenen Geschichte ziehen, der Leser dagegen schon. Man mag zu Geistervisionen und Nachrichten aus dem Jenseits stehen, wie man will, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass Geister Murmeln aus dem Nichts heraus verteilen, Gegenstände verrücken und dergleichen. Die Geistererscheinungen haben dramaturgisch vermutlich die Aufgabe, Gegenwart und Vergangenheit auf geheimnisvolle Weise zu verbinden. Was nicht nötig gewesen wäre. Die Autorin leistet diese Verbindung in der Figur der Jane und ihrem Museumsprojekt hinreichend.

    Fazit: eine angenehme Sommerlektüre, der einige Straffungen gutgetan hätten.

  1. Die Frauen rund um das Haus auf den Klippen

    "Die Frauen von Maine" von J. Courtney Sullivan ist im englischsprachigen Original unter dem Titel "The Cliffs" (Die Klippen) erschienen. Beide Titel sind treffend und beschreiben, worum es geht: um ein jahrhundertealtes Haus direkt an den Klippen von Maine, mit Blick auf das Meer. Und um die Frauen, die dieses Haus bewohnten oder damit in Verbindung stehen.

    Der überwiegende Teil des Buches spielt in der heutigen Zeit, in der wir die knapp 40-jährige Jane miterleben. Jane stammt aus sozial benachteiligten Verhältnissen, ist gemeinsam mit ihrer Schwester bei der alkoholkranken Mutter aufgewachsen und hat es dennoch geschafft, zu studieren, einen interessanten Beruf im akademischen Umfeld auszuüben und eine langjährige Beziehung zu führen. Aber die Vergangenheit holt sie immer wieder ein, in vielerlei Hinsicht.

    Wir erleben Janes Entwicklung, aber auch ihre Herausforderungen, mit ihrem familiären Erbe umzugehen und gleichzeitig ihre Faszination für das Haus an den Klippen, das sie als Jugendliche zufällig entdeckt und das sie nicht mehr los lässt.

    Während also etwa 80 Prozent des Buches aus Janes Sicht erzählt werden, sind zwischendurch immer wieder kleinere Kapitel aus der Sicht weiterer Frauen eingeschoben, auch aus der ferneren Vergangenheit des Hauses. Das hat mir sehr gut gefallen, weil wir dadurch ein umfassenderes Bild bekommen. Und Schritt für Schritt zeigen sich die Verbindungen zwischen diesen Frauen und zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf.

    Sprachlich ist das Buch solide geschrieben (kein Meisterwerk voll von wunderschönen Metaphern, aber gut und angenehm zu lesen) und die Küste Maines und das Leben dort, jetzt und in der Vergangenheit, wird beim Lesen vor dem inneren Auge lebendig. Überwiegend war es ein Vergnügen, das Buch zu lesen und die Handlung hat mich neugierig gemacht, wie es weitergeht.

    Wer in Betracht zieht, das Buch zu lesen, sollte offen für die Themen familiärer Alkoholismus, Geschichte und Leid der Native Americans sowie Geister und Okkultismus sein - all diese Themen ziehen sich stark durch das Buch.

    Für mich, die ich diese Themen interessant finde, war das eine der Stärken und ich habe auch geschichtlich einiges Neues gelernt, wenn auch das Alkoholismus-Thema mir ein bisschen zu präsent war (das ist sehr oft in amerikanischen Büchern der Fall, es scheint dort ein besonders großes Thema zu sein) und sich die Geschichte insgesamt vielleicht auch ohne all die Geister erzählen hätte lassen (vielleicht aber auch nicht oder nur sehr anders).

    Ich glaube, dass es auch für Männer eine bereichernde Erfahrung sein kann, Bücher von Frauen zu lesen, in denen es hauptsächlich um Frauen geht. Wer dieses Buch lesen will, dem sollte aber klar sein, dass der Titel dem Inhalt durchaus gerecht wird: es geht zu 99 % um Frauen und deren Perspektive und Männer kommen nur sehr am Rande und immer nur mit Bezug zu diesen Frauen, aber nie als eigenständige Erzähler vor.

    Insgesamt ist es eine spannende und schön zu lesende Geschichte und auch ein Buch, das zum Nachdenken über Benachteiligung und Diskriminierung anregt und dazu, uns zu fragen, ob überhaupt, und wenn ja, wie historisches Leid wieder gut gemacht werden kann und welche Geschichten auch im akademischen Bereich und in Museen bis heute erzählt werden und wie diese Narrative diverser und damit fairer gestaltet werden können.