Cascadia: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Cascadia: Roman' von Julia Phillips
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Cascadia: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: hanserblau
EAN:9783446281530

Rezensionen zu "Cascadia: Roman"

  1. 5
    12. Aug 2024 

    spannende Charakterstudie

    Setting dieses Romans ist die Insel San Juan, Teil einer Inselgruppe im Nordwesten der USA zwischen Vancouver Island und dem Festland. Die Inselbewohner leben hauptsächlich vom Tourismus gut betuchter Amerikaner, die die außergewöhnliche Schönheit der unberührten Natur genießen wollen.

    Wälder, unberührte Strände, Delphine, Wale, Weißkopfseeadler und Bären in freier Natur, all das hat dieser Landstrich zu bieten. In dieser abgeschiedenen, paradiesisch anmutenden Gegend sind die Schwestern Sam und Elena, beide Ende zwanzig, aufgewachsen. Im Gegensatz zu den Touristen und auch im Gegensatz zu vielen einheimischen Inselbewohnern sind sie in prekären Verhältnissen groß geworden, die Mutter allein erziehend, das Geld stets knapp.

    Die erwachsenen Schwestern gehen schlecht bezahlten Jobs nach. Die Mutter ist unheilbar an Krebs erkrankt und die Kosten für ihre ärztliche Behandlung verschlingt den größten Teil des Einkommens. In diese Situation bricht ein Bär, augenscheinlich ein Grizzly, ein, der vor dem Haus der Familie auftaucht und zum Auslöser einer spannenden Geschichte wird.

    Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen. Die Schönheit der Flora und Fauna dieses Teils Nordamerikas wird eindrucksvoll beschrieben. Die Schilderung, wie die Geschwister in ihrer Kindheit unbeschwert durch die Natur streifen, hinterläßt beim Leser einen bleibenden Eindruck. Dass diese scheinbar heile Welt für die Geschwister alles andere als perfekt ist, wird nicht erst durch das Auftauchen des Bären deutlich, auch wenn die Ereignisse mit ihm richtig Fahrt aufnehmen.

    Der Roman ist aus der Perspektive Sams geschrieben. Sie arbeitet als Servicekraft auf einer der vielen Fähren, die hauptsächlich Touristen von Insel zu Insel und zum Festland befördern. Auch hier wieder wunderschöne Beschreibungen der Fährfahrten, des Wassers, des Nebels, auftauchende Wale und Delphine sind keine Seltenheit.

    Doch Sam kann das alles nicht wirklich wahrnehmen. Im Verlauf der Geschichte wird immer klarer, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie läßt niemanden, außer ihrer Schwester, an sich heran. Sie bemerkt nicht, wenn Menschen ihr zugetan sind und es gut mit ihr meinen, empfindet sich als schuldlos benachteiligt gegenüber allen anderen, gegenüber Nachbarn, ihrem Arbeitskollegen, gegenüber den reichen Touristen. Freunde hat sie nicht. Sie klammert sich an ihre Schwester Elena, was soweit geht, dass sie deren zunehmendes Interesse für den Bären als massive Bedrohung ihrer schwesterlichen Beziehung ansieht.

    Hier wird der Charakter einer isolierten, in sich selbst verkurvten jungen Frau gezeichnet, in den der Leser im Lauf der Geschichte immer mehr Einblick bekommt. Die anfängliche Sympathie mit Sam und ihrem vermeintlich schweren Schicksal schwindet mehr und mehr. Dabei ist der Bär Auslöser und Beschleuniger der überaus spannenden Geschichte, in der am Schluß - jedenfalls für mich - vieles in einem ganz neuen Licht erscheint.

    Diese Charakterzeichnung hat mir überaus gut gefallen. Genauso wie die dem Roman innewohnende Gesellschaftskritik, veranschaulicht am Beispiel der prekären Jobs der Geschwister und am Beispiel des für viele ruinösen amerikanischen Gesundheitssystems.

    5 Sterne für diesen Roman. Für mich ein Lesehighlight in diesem Jahr.

  1. Der Bär

    Zwei Schwestern leben mit ihrer totkranken Mutter auf der Insel San Juan, umgeben von Meer und uralten nordpazifischen Regenwäldern - Kaskadien. So paradiesisch ihr Wohnort ist, umso weniger paradiesisch ist ihre Lebenswelt. Vor allem die jüngere Schwester Sam, setzt alle ihre Erwartungen in das Weggehen von diesem Ort, diesen prekären Verhältnissen, ihrer verhassten, schlecht bezahlten Arbeit. Sie hängt an ihrer Schwester und orientiert sich in allem an ihr, ein fast symbiotisches Verhältnis. Sie geht davon aus, dass ihre Schwester genau so denkt wie sie, sie reden nicht darüber, so wie über vieles Wesentliche nicht geredet wird, aus Angst vor Verletzung. Doch eines Tages, mit dem Erscheinen eines Bären tut sich zwischen beiden eine Kluft auf, die Sam in Verzweiflung stürzt. Sie will unbedingt die Schwester zurückhaben, die sie vermeintlich all die vergangenen Jahre kannte. Sie fasst einen Plan, der in einer Katastrophe endet.

    Die Autorin hat ein Buch geschrieben, das tief berührt, das im Gedächtnis bleibt. Sie hat von der ersten Seite an eine Spannung erzeugt, die den Leser atemlos läßt, bis zur letzten Seite. Es ist ein Buch über den Menschen in der Gesellschaft mit anderen und mit sich, ohne Halt an übergeordneten Entitäten, eingebettet in die Natur dieser Welt.

    Den ursprünglichen amerikanischen Titel "The Bear" hätte ich als aussagekräftiger empfunden.

  1. Wenn ein Bär vor der Haustür steht

    Auf der Insel San Juan an der Grenze der USA zu Kanada: Samantha Arthur (28) lebt mit ihrer Schwester Elena (29) in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter ist schwer krank, die Arztkosten sind hoch. Seit zehn Jahren wünscht sich Sam eine Zukunft fernab der Insel. Die beiden jungen Frauen wollen ihre Mutter aber nicht im Stich lassen. Da taucht plötzlich ein Bär auf, der sich bis an die Haustür der Familie traut…

    „Cascadia“ ist ein Roman von Julia Phillips.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus vielen kurzen Kapiteln. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge aus der Perspektive von Sam. Die Handlung spielt im nördlichen Teil des US-Bundesstaats Washington.

    In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman komplett überzeugt. Der Schreibstil ist sehr atmosphärisch und voller eindrücklicher, bildstarker Beschreibungen.

    Mit Sam und Elena stehen zwei junge Frauen im Vordergrund der Geschichte, die ich als durchaus authentisch empfunden habe. Ihre Schwächen, Ecken und Kanten machen sie nicht in jeglichem Aspekt sympathisch, aber lebensnah. Die beiden Charaktere sind psychologisch gut ausgearbeitet. Die übrigen Figuren bleiben recht blass, sind allerdings erfreulicherweise wenig stereotyp dargestellt.

    Eine weitere Hauptrolle spielt der Bär. Da ich keine Biologin bin, kenne ich mich mit den Gepflogenheiten dieser Tiere nicht besonders gut aus. Dennoch glaube ich, dass die im Roman geschilderten Verhaltensweisen des Bären nicht sehr realistisch sind. Die recht märchenhaft anmutenden Szenen sind aus meiner Sicht übertrieben.

    Aus inhaltlicher Sicht geht es jedoch um weit mehr als das Auftauchen des Bären. Insbesondere die Verbindung zwischen zwei Schwestern und weitere familiäre Verpflichtungen und Verflechtungen sind zentral. Dabei schwingt Gesellschaftskritik mit.

    Auf den rund 270 Seiten erzeugt die Geschichte eine subtile Spannung, die sich zunehmend steigert. Die Bedrohung durch den Bären, aber auch diverse Konflikte machen den Roman kurzweilig. Gut gefallen hat mir, dass nicht alle Fragen bis ins kleinste Detail beantwortet werden.

    Der deutsche Titel ist weniger passend als das prägnante Original („Bear“). Das Cover gefällt mir dagegen gut.

    Mein Fazit:
    „Cascadia“ von Julia Phillips ist ein ungewöhnlicher Roman, der mehrere interessante Themen in einer gelungenen Sprache bearbeitet und zum Nachdenken anregt. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die damit leben können, wenn sich die Fiktion ein paar Freiheiten erlaubt.