Mitternachtsschwimmer: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Mitternachtsschwimmer: Roman' von Roisin Maguire
3.4
3.4 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Mitternachtsschwimmer: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
EAN:9783832168292

Rezensionen zu "Mitternachtsschwimmer: Roman"

  1. Ein ruhiger Roman um Freundschaft und Miteinander

    Mein Hör-Eindruck:

    Ein idyllisches Ambiente: ein kleines Fischerdorf an der Irischen See, direkt am Meer gelegen, in der Nähe von Belfast. Hier begegnen sich zwei traumatisierte Menschen.

    Da ist einmal Evan, der Stadtmensch, der mit schweren beruflichen und vor allem privaten Problemen klarkommen muss und sich von einem Aufenthalt auf dem Land Linderung erhofft. Und da ist Grace, die nach einer Entführung nach London (Näheres bleibt diffus) verändert wieder ins Dorf kommt und zur Einzelgängerin wurde.

    Damit ist der grundlegende Gegensatz deutlich gesetzt, der im Laufe des Romans kontinuierlich ausgebaut wird. Die Dörfler verachten die verweichlichten Stadtmenschen, die sich zieren, im eisig kalten Meerwasser zu schwimmen. Touristen sind leichtsinnig und bringen ihrer Ansicht nach nur Lärm und Chaos in das Dorf. Umgekehrt bedient die Autorin das Klischee der rauen, aber herzlichen Landbewohner, von denen jeder auf seine Art schrullig ist, und sie weist einigen eine Rolle im Roman zu.

    Die Handlung entwickelt sich sehr langsam und kleinschrittig. Die Autorin malt einige Szenen liebevoll aus, sie lässt sich Zeit mit der Beschreibung von Details und macht damit das deutlich, was der Stadtmensch Evan hier erlebt: Entschleunigung. Es ist vor allem das Meer, dem ihr Interesse gilt: seinen Farben, dem Wellengang, seinen Stimmungen, aber auch seinen Gefahren. Hier gelingen der Autorin atmosphärisch dichte, bildhafte Beschreibungen.

    Die ruhige Abfolge der Tage wird durch verschiedene Rettungsaktionen unterbrochen, bei denen die Gegensätze Stadtmensch/Landmensch weiter vertieft werden. Deutlich Schwung in die Handlung bringt die Ankunft von Evans kleinem hörbehindertem Sohn, der das Interesse der Dorfbewohner weckt und letztlich dazu führt, dass er und Evan in die Dorfgemeinschaft aufgenommen werden.

    Corona und der Lockdown bilden zwar den Hintergrund der Handlung, aber der Lockdown hat nur die Funktion, den Verbleib des Stadtmenschen im Dorf glaubhaft zu machen. Das Ende des Romans lässt vieles offen – aber wer denkt schon bei so viel Idylle an praktische Fragen der Existenz?

    Der Roman wird sehr schön vorgelesen von Brigitte Carlsen. Das warme Timbre ihrer Stimme passt perfekt zum Inhalt.

    Fazit: ein ruhiger Roman um Freundschaft und menschliches Miteinander.

  1. Erst schwach, dann spannend

    Im Frühjahr 2020 wurden weltweit Pläne über den Haufen geworfen. Viele Länder befinden sich auf Grund des Corona Virus im Lockdown. Doch was ist, wenn man damals gerade mitten in einer Auszeit und frisch getrennt ist? Das wird exemplarisch in „Mitternachtsschwimmer“ verdeutlicht.
    Evan möchte eigentlich nur eine Auszeit. Dafür mietet er sich bei der einbrödlerischen Grace in einem irischen Dorf ein. Doch der Lockdown wird nicht das einzige Problem…
    Der Start in die Geschichte war nicht einfach. Die Zeichen der wörtlichen Rede fehlten komplett, sodass ich regelmäßig überlegen musste ob Grace sprach oder dachte beziehungsweise angesprochen wurde. Auch schien die beschriebene Welt und speziell Grace unnahbar. Doch mit Fortschreiten der Geschichte habe ich mich immer besser zurechtgefunden. Das liegt vor allem an Evan nebst Sohn Lucas. Evan mietet sich für eine Auszeit bei Grace ein, im Lockdown kommt Lucas dazu. Lucas ist traumatisiert und stumm, spricht über Gebärden oder sein Handy. Als Lucas verschwindet, hilft das ganze Dorf bei der Suche- was zeigt, wie sehr man ihn und seinen Vater mag. Auch ich finde den Jungen mit großen Schuldgefühlen sehr sympathisch und aufgeweckt. Allerdings belastet der Unfalltod von Lucas Schwester seine Eltern (beide suchen die Schuld beim Vater) und auch ihn selber (denkt, er ist schuld). Das finde ich schwierig, da Lucas so selber zum Opfer wird. Erst Grace schafft es, sich den Jungen anzunehmen. Dadurch finde ich auch einen besseren Zugang zu Grace, die ihr eigenes Trauma hat und die Geschichte wird richtig spannend.
    Alles in allem ist Mitternachtsschwimmer sehr interessant und spannend geschrieben. Allerdings braucht man Zeit, um sich auf die Geschichte und ihre wichtigen Themen einlassen zu können. Ich gebe drei Sterne (aufgrund der fehlenden Redezeichen und den schwachen Start) und empfehle das Buch eingeschränkt weiter.

  1. Poesie – aber langweilig

    Warum bin ich so enttäuscht von diesem Buch, obwohl es wunderschön geschrieben ist? Nun, es hat mich in den ersten zwei Dritteln so gelangweilt, dass ich öfter an Abbruch gedacht habe. Das letzte Drittel reißt es dann auch nicht mehr heraus, weil man das so – oder so ähnlich – schon oft gelesen oder sogar selbst erlebt hat. Sogar das mitgebrachte Trauma der einen Hauptfigur wurde schon unzählig wiedergekäut.

    Was erwarte ich denn von Belletristik? Auf jeden Fall schon mal, dass sie mich NICHT langweilt. Dann lerne ich gerne etwas Neues. Inhalte, die ich so noch nicht kenne. Etwas zum Staunen. Bisher unbekannte Weisheiten, mysteriöse Zusammenhänge, Rätsel, seltsame Figurenkonstellationen, Experimente.

    Ich werde Beispiele nennen. Beim Roman: „Über die See“ von Mariette Navarro konnte ich schon auf Seite 9 eine völlig neue Erkenntnis gewinnen. In meinem neueren Lieblingsbuch: „Unser Teil der Nacht“ von Mariana Enriquez strotzt förmlich jede Seite des sehr umfangreichen Werkes vor Weisheit, Mut, Unerforschtem, Unbekanntem. Und für Rätsel ist ja Wolfgang Herrndorf bekannt, siehe den Fall mit der Leiter in „Sand“. Für Portale in andere Welten könnte ich noch Stephen King, Haruki Murakami oder auch Marianne Wiggins nennen.

    Zum Inhalt: Grace, die in ihrer Jugend Schlimmes erleben musste (und ja, auch das hatten wir schon) vermietet ihr Cottage am Meer an Touristen. Evan, ihr Mieter, hat ein Trauma im Gepäck. S. o. Später erscheint noch Evans tauber Sohn Luca. Der bringt im letzten Drittel dies skurrile Volk des Dörfchens in Hektik. Das war’s im Grunde schon.

    Fazit: Leider nichts für mich, ich habe mich unendlich gelangweilt, aber tapfer durchgehalten. Den zweiten Stern gibt es für die wirklich wunderbare Schreibe. Bzw. Übersetzung. Aber der Inhalt konnte mich nicht überzeugen. Nichts Neues unter der Sonne. **

  1. Ruhig, zart und einfühlsam

    In Ballybrady an der nordirischen Küste, nimmt Evan eine Auszeit von seinem kaputten Leben. Kaputt deshalb, weil nach einem Schicksalsschlag alles aus den Fugen geraten ist und der Familienzusammenhalt bröckelt. Er braucht Abstand, genau so auch seine Frau. In dem rauen Küstenort mietet er ein Cottage von Grace. Auch sie ist eine verletzte Person, die eigenbrötlerisch, aber selbstbewusst mit Hund in Ballybrady lebt und aufgrund ihrer ziemlich eigensinnigen, schroff-herzlichen Art allseits bekannt und respektiert ist.

    Plötzlich passiert das bis dahin Undenkbare: eine Pandemie bricht aus. Ein Lockdown folgt sofort. Und der zutiefst zerstörte Evan muss seinen Aufenthalt in Ballybrady bis auf weiteres verlängern. Ein wenig später kommt sein 8jähriger, tauber Sohn Luca zu ihm, weil die Mutter systemrelevant und extrem gestresst ist während der Pandemie…

    Es entwickeln sich zarte Bande zwischen den Einwohnern des Küstenortes und den „Urlaubern“. Insbesondere Grace kümmert sich ein ums andere Mal rührend um die zerbrechliche kleine Familie und heilt dabei selbst ein wenig in ihrem Innersten.

    Dieser Roman ist eine sehr berührende, sehr feinfühlige und liebenswerte Ode an die Nächstenliebe, die Offenheit und Menschlichkeit. Je weiter ich gelesen habe, desto intensiver hat mich die Geschichte eingesogen. Wundervoll die verschiedenen Charakterzeichnungen der Dorfbewohner und vorallem der Hauptpersonen Grace, Evan und Luca. Unheimlich authentisch wirkt alles auf mich.

    Ich gebe aber zu, dass der Roman sehr, sehr ruhig startet und mich tatsächlich erst so richtig ab der Hälfte in seinen Bann gezogen hat. Deshalb ein kleiner Punktabzug.

    Das Ende stimmt hoffnungsvoll.

    Für alle, die es ruhig und zart und einfühlsam lieben, sei dieser Roman ans Herz gelegt. Schönes Ding!

  1. Ein Herzensbuch

    Evan muss für eine Woche weg, raus aus der gemeinsamen Wohnung. Nicht weil er es so will, er entscheidet selten etwas. Lorna, die Mutter seiner Kinder erträgt ihn nicht mehr. Er sieht es ihr an, in den seltenen Momenten, in denen er seine Stimme an sie richtet, so wie jetzt: „Du willst, dass ich gehe? Für wie lange? Wohin?“

    Lorna kneift die Augen zusammen, sieht ihn nicht an, ihre Backenzähne mahlen. Sie atmet hörbar aus. Es ist ihr egal, sie braucht einfach eine Auszeit, trägt Evan nicht mehr mit, der sich schwerste Vorwürfe macht, weil seine kleine Tochter an seiner schlafenden Schulter erstickt ist.

    Er fährt an die Küste, für eine Woche denkt er. Mietet sich in Grace Cottage ein, eine derbe, ältere, großgewachsene Frau mit eigenwilligem Kleidungsstil, die meistens in Begleitung eines räudigen Köters ist.

    Die ersten Tage schläft Evan nur, liegt auf der Couch in dem düsteren kleinen Steinhaus, das nach Erde riecht und hört der Flut zu. Zuerst antwortet Lorna nicht auf seine unzähligen Mails und als sie sich doch äußert, ist Evan so überfordert, dass er das alte Kajak von Grace nimmt und entmutigt und ahnungslos in die Dunkelheit fährt, einzig von Grace beobachtet.

    Fazit: Diese Geschichte von Roisin Maguire ist genau nach meinem Geschmack. Der Erzählstil ist leicht, schnörkellos und direkt. Die Protagonistin so schön eigenwillig, wie ich selbst immer schon sein wollte. Sie ist raubeinig und schert sich nicht um Konventionen. Die Szenen sind wundervoll gezeichnet. Fast jeder Satz schafft Bilder und lässt mich eintauchen ins Meer, in Grace, Evan und in die schroffe Küstenlandschaft. Menschen und Umgebung gestaltet durch Jahrhunderte durchrüttelnde Gezeiten. Die Autorin hat mich das Meer schmecken und den Tang riechen lassen, mich vor Kälte mit den Zähnen klappern und das prickelnde Nass auf meiner Haut spüren lassen. Ich habe Liebe erlebt und tiefe Zuneigung empfunden. Eine durch und durch gelungene Aufführung, mit zartem Gespür für die Herausforderungen des Lebens, voller hoffnungsfroher Resilienz. Absolute Leseempfehlung.