Der israelische Autor Yaniv Iczkovits erzählt in seinem Roman „Fannys Rache“ eine Geschichte, die sich kaum beschreiben lässt. Es ist eine Mischung aus einem Roadmovie, einem historischen Roman, einem Roman über das Judentum, einem Agententhriller, einem Familiendrama, ein Roman über eine Verschwörung …. Es ist eine blutrünstige, eine komische, eine berührende, eine feministische Geschichte und vieles mehr. Aber egal, was es ist, es ist einfach nur gut!
Die Handlung findet im 19. Jahrhundert statt, Schauplatz ist ein Teil des damaligen Russischen Zarenreiches, das heute als Polesien bekannt ist und eine Landschaft in Polen, Belarus, der Ukraine und Russland bezeichnet.
Der Roman handelt von zwei jüdischen Schwestern und ihren Familien: Mende Speismans und Fanny Kajsman, beide geborene Shechter. Mende wohnt mit ihrer Familie in dem Städtchen Motele, Fanny ist nach ihrer Heirat in ein Dorf in der Nähe gezogen. Als Mendes Ehemann seine Frau und die Kinder verlässt und sich in das mehrere Tagesreisen entfernte Minsk absetzt, bricht für Mende ihre heile Familienwelt zusammen. Fanny will ihrer Schwester helfen und beschließt, ihren Schwager zurückzuholen. Begleitet wird sie dabei von Cicek Berschow, einem heruntergekommenen Kriegsveteranen, den die Menschen in der Gegend nur als wunderlichen Kauz kennen, von dem man sich besser fernhält. Bereits kurz nach Antritt ihrer Reise geraten die Beiden in blutige Schwierigkeiten, woraufhin sie als Mörder-Pärchen von der russischen Geheimpolizei gesucht werden. Ein Inspektor Novak, der hinter den Bluttaten eine politische Verschwörung von unvorstellbarem Ausmaß wittert, macht es sich zur Aufgabe, das Paar zur Strecke zu bringen.
Fanny ist alles andere als eine schwache Frau. Denn durch ihren Vater Meïr-Anschel Schechter hat sie den Umgang mit dem Schächter-Messer gelernt. Sie ist eine Meisterin dieses Fachs, hat ihr Messer immer an der Frau. Das Messer gehört zu ihr wie ein zusätzliches Körperteil. Fanny weiß sich also zu wehren, sofern die Umstände dies erforderlich machen.
Dieser Roman entwickelt sich zu einer rasanten Verfolgungsjagd quer durch das Russische Reich, wobei Fanny die eigentliche Absicht ihrer Reise nie aus den Augen verliert. Wie die Geschichte am Ende ausgehen wird, ob Fanny und Cicek gefasst werden oder nicht, ob der abtrünnige Ehemann wieder in den Schoß seiner Familie zurückkehren wird oder nicht, bleibt bis zum Ende offen.
In diesem Roman haben wir es durchweg mit verschrobenen Charakteren zu tun, anders lässt es sich kaum beschreiben. Hier sind ein paar Beispiele:
Fanny: Hausfrau und Mutter, die mir nichts, dir nichts mit ihrem Schächter-Messer Leute abmurksen kann, sofern es die Situation erfordert....
Cicek: ein abgetakelter, versoffener und entstellter Fährmann, der eigentlich ein Kriegsheld ist...
Ein unmusikalischer jüdischer Kantor, der sein Umfeld mit seinem kläglichen Gesang quält und dessen Lebensinhalt aus Fressen, Saufen und Glücksspiel besteht....
Ein ehrgeiziger Beamter und skrupelloser Geheimagent, der nur auf einem Fuß durchs Leben läuft....
Dies sind nur einige wenige Beispiele der originellen Charaktere dieses Romans. In dem der Autor jedoch im Verlauf der Handlung die persönlichen Geschichten der einzelnen Figuren erzählt, gelingt es, hinter die bizarren Fassaden zu blicken, so dass man trotz ihrer überzeichneten Darstellung Nähe zu diesen Figuren entwickelt.
Die Erzählperspektiven wechseln zwischen den Charakteren, wobei maßgeblich die Sicht von Fanny und ihrem Widersacher Inspektor Novak wiedergegeben wird. Doch auch Nebencharaktere haben ihren Anteil an der Erzählung, genauso wie ein auktorialer Erzähler, der die unterschiedlichen Geschichten der einzelnen Figuren und vielen Abschweifungen vom Handlungsverlauf wieder zusammenführt.
Der Autor Yaniv Iczkovits erzählt die Geschichte der jüdischen Bevölkerung, die im Russischen Reich unter Diskriminierungen und Ausgrenzungen zu leiden hatte. Allgemein herrschte eine feindselige Stimmung gegenüber den Juden, was natürlich die Reise von Fanny und Cicek umso schwieriger macht.
Bemerkenswert ist, dass der Autor in der Darstellung seiner Charaktere keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden macht. Die jüdischen Charaktere werden in diesem Roman nicht als die Guten dargestellt, die sich gegen die Anfeindungen der Welt behaupten müssen. Yaniv Iczkovits schreibt jedem seiner Charaktere, unabhängig von der religiösen Ausrichtung, menschliche Verfehlungen und Schwächen zu, die nicht unbedingt zu einem positiven Bild dieser Charaktere beitragen.
Der Sprachstil dieses Romans ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Im Text finden sich viele jiddische Formulierungen, die dem Text manches Mal einen archaischen Anstrich geben. Dies lässt jedoch nach, sobald es einen Wechsel in der Erzählperspektive auf einen nicht-jüdischen Charakter gibt.
Die Erzählweise ist durchweg von einem großartigen schwarzen Humor geprägt. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Autor diese Geschichte mit einem Augenzwinkern erzählt, was sich auch auf die Darstellung von Gewalt in diesem Roman auswirkt. Es gibt ein paar blutige Szenen, die ganz nebenbei und mit einer großen Selbstverständlichkeit in die Handlung eingebaut werden. Damit wird ihnen der Schrecken genommen und sie wirken daher eher grotesk als grausam, ähnlich einer Szenerie in einem Schauermärchen.
Fazit
Dieser Roman hat mich durch seine Originalität und seinen schwarzen Humor begeistert. Die knapp 600 Seiten sind natürlich nicht mal eben gelesen. Doch der Autor hat viel zu erzählen, und das auf eine sehr charmante und witzige Art, so dass hier keine Seite überflüssig ist. Ganz im Gegenteil. Große Leseempfehlung!
Quentin Tarantino meets Anatevka!
Der israelische Autor Yaniv Iczkovits erzählt in seinem Roman „Fannys Rache“ eine Geschichte, die sich kaum beschreiben lässt. Es ist eine Mischung aus einem Roadmovie, einem historischen Roman, einem Roman über das Judentum, einem Agententhriller, einem Familiendrama, ein Roman über eine Verschwörung …. Es ist eine blutrünstige, eine komische, eine berührende, eine feministische Geschichte und vieles mehr. Aber egal, was es ist, es ist einfach nur gut!
Die Handlung findet im 19. Jahrhundert statt, Schauplatz ist ein Teil des damaligen Russischen Zarenreiches, das heute als Polesien bekannt ist und eine Landschaft in Polen, Belarus, der Ukraine und Russland bezeichnet.
Der Roman handelt von zwei jüdischen Schwestern und ihren Familien: Mende Speismans und Fanny Kajsman, beide geborene Shechter. Mende wohnt mit ihrer Familie in dem Städtchen Motele, Fanny ist nach ihrer Heirat in ein Dorf in der Nähe gezogen. Als Mendes Ehemann seine Frau und die Kinder verlässt und sich in das mehrere Tagesreisen entfernte Minsk absetzt, bricht für Mende ihre heile Familienwelt zusammen. Fanny will ihrer Schwester helfen und beschließt, ihren Schwager zurückzuholen. Begleitet wird sie dabei von Cicek Berschow, einem heruntergekommenen Kriegsveteranen, den die Menschen in der Gegend nur als wunderlichen Kauz kennen, von dem man sich besser fernhält. Bereits kurz nach Antritt ihrer Reise geraten die Beiden in blutige Schwierigkeiten, woraufhin sie als Mörder-Pärchen von der russischen Geheimpolizei gesucht werden. Ein Inspektor Novak, der hinter den Bluttaten eine politische Verschwörung von unvorstellbarem Ausmaß wittert, macht es sich zur Aufgabe, das Paar zur Strecke zu bringen.
Fanny ist alles andere als eine schwache Frau. Denn durch ihren Vater Meïr-Anschel Schechter hat sie den Umgang mit dem Schächter-Messer gelernt. Sie ist eine Meisterin dieses Fachs, hat ihr Messer immer an der Frau. Das Messer gehört zu ihr wie ein zusätzliches Körperteil. Fanny weiß sich also zu wehren, sofern die Umstände dies erforderlich machen.
Dieser Roman entwickelt sich zu einer rasanten Verfolgungsjagd quer durch das Russische Reich, wobei Fanny die eigentliche Absicht ihrer Reise nie aus den Augen verliert. Wie die Geschichte am Ende ausgehen wird, ob Fanny und Cicek gefasst werden oder nicht, ob der abtrünnige Ehemann wieder in den Schoß seiner Familie zurückkehren wird oder nicht, bleibt bis zum Ende offen.
In diesem Roman haben wir es durchweg mit verschrobenen Charakteren zu tun, anders lässt es sich kaum beschreiben. Hier sind ein paar Beispiele:
Fanny: Hausfrau und Mutter, die mir nichts, dir nichts mit ihrem Schächter-Messer Leute abmurksen kann, sofern es die Situation erfordert....
Cicek: ein abgetakelter, versoffener und entstellter Fährmann, der eigentlich ein Kriegsheld ist...
Ein unmusikalischer jüdischer Kantor, der sein Umfeld mit seinem kläglichen Gesang quält und dessen Lebensinhalt aus Fressen, Saufen und Glücksspiel besteht....
Ein ehrgeiziger Beamter und skrupelloser Geheimagent, der nur auf einem Fuß durchs Leben läuft....
Dies sind nur einige wenige Beispiele der originellen Charaktere dieses Romans. In dem der Autor jedoch im Verlauf der Handlung die persönlichen Geschichten der einzelnen Figuren erzählt, gelingt es, hinter die bizarren Fassaden zu blicken, so dass man trotz ihrer überzeichneten Darstellung Nähe zu diesen Figuren entwickelt.
Die Erzählperspektiven wechseln zwischen den Charakteren, wobei maßgeblich die Sicht von Fanny und ihrem Widersacher Inspektor Novak wiedergegeben wird. Doch auch Nebencharaktere haben ihren Anteil an der Erzählung, genauso wie ein auktorialer Erzähler, der die unterschiedlichen Geschichten der einzelnen Figuren und vielen Abschweifungen vom Handlungsverlauf wieder zusammenführt.
Der Autor Yaniv Iczkovits erzählt die Geschichte der jüdischen Bevölkerung, die im Russischen Reich unter Diskriminierungen und Ausgrenzungen zu leiden hatte. Allgemein herrschte eine feindselige Stimmung gegenüber den Juden, was natürlich die Reise von Fanny und Cicek umso schwieriger macht.
Bemerkenswert ist, dass der Autor in der Darstellung seiner Charaktere keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden macht. Die jüdischen Charaktere werden in diesem Roman nicht als die Guten dargestellt, die sich gegen die Anfeindungen der Welt behaupten müssen. Yaniv Iczkovits schreibt jedem seiner Charaktere, unabhängig von der religiösen Ausrichtung, menschliche Verfehlungen und Schwächen zu, die nicht unbedingt zu einem positiven Bild dieser Charaktere beitragen.
Der Sprachstil dieses Romans ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Im Text finden sich viele jiddische Formulierungen, die dem Text manches Mal einen archaischen Anstrich geben. Dies lässt jedoch nach, sobald es einen Wechsel in der Erzählperspektive auf einen nicht-jüdischen Charakter gibt.
Die Erzählweise ist durchweg von einem großartigen schwarzen Humor geprägt. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Autor diese Geschichte mit einem Augenzwinkern erzählt, was sich auch auf die Darstellung von Gewalt in diesem Roman auswirkt. Es gibt ein paar blutige Szenen, die ganz nebenbei und mit einer großen Selbstverständlichkeit in die Handlung eingebaut werden. Damit wird ihnen der Schrecken genommen und sie wirken daher eher grotesk als grausam, ähnlich einer Szenerie in einem Schauermärchen.
Fazit
Dieser Roman hat mich durch seine Originalität und seinen schwarzen Humor begeistert. Die knapp 600 Seiten sind natürlich nicht mal eben gelesen. Doch der Autor hat viel zu erzählen, und das auf eine sehr charmante und witzige Art, so dass hier keine Seite überflüssig ist. Ganz im Gegenteil. Große Leseempfehlung!
© Renie