Beeindruckende Vielfalt eines großen russischen Stilisten
Iwan Bunin (1870 – 1953) war ein bedeutender Schriftsteller seiner Zeit. Als Gegner der bolschewistischen Revolution sah er sich 1920 gezwungen, nach Frankreich zu emigrieren. Aufgrund seiner hohen Reputation, ihm wurde 1933 der Literatur-Nobelpreis verliehen, konnte er weiterhin vom Schreiben leben. Teile seines Werks wurden bis 1930 sogar noch in Russland verlegt, obwohl Bunin sich stets gegen eine politische Anerkennung der Sowjetunion aussprach.
Ich wurde über die Werksausgabe des Dörlemann Verlags auf Iwan Bunin aufmerksam, las bislang aber nur Erzählungen, die er vor seiner Emigration veröffentlichte. Offensichtlich haben sich Schwerpunkte und Themen dadurch verschoben, was sie aber nichts an Qualität einbüßen lässt. Früher lag der Fokus auf dem russischen ländlichen Raum mit seiner Bevölkerung. Hier wechseln die Schauplätze überwiegend in ein urbaneres Umfeld, beschäftigen sich intensiv mit Liebe, Schmerz und großen Emotionen. Doch dürfen wir auch an Erinnerungen und Figuren teilhaben, die den Erzähler offensichtlich zurück in die russische Peripherie führen und bei denen oft ein Hauch Nostalgie im Raum steht.
Der vorliegende Band enthält elf Erzählungen, die zwischen drei und 118 Seiten umfassen. „Mitjas Liebe“ ist die erste und längste, sie beginnt mit dem perfekten ersten Satz: „Mitjas letzter glücklicher Tag in Moskau war der neunte März. So zumindest kam es ihm vor.“ Mitja ist in die selbstbewusste Schauspielschülerin Katja verliebt. Die Handlung setzt ein, als sich Zweifel bei ihm einstellen, als er spürt, dass sich etwas nicht Definierbares in ihrer Beziehung eingenistet hat. Misstrauen und nagende Eifersucht bestimmen zunehmend seine Tage. Er lässt sich nicht von Katja beschwichtigen, für die „Eifersucht nur eine Geringschätzung desjenigen ist, den man liebt“. Was sich zunächst nur in Mitjas Kopf abzuspielen scheint, bekommt offenbar immer mehr Fundament. Die einzelnen Szenen beinhalten viel Innenleben, zeigen auch die Zerrissenheit der jungen Frau. Schließlich packt Mitja seine Koffer und flieht auf den ländlichen Gutshof seiner Eltern, wo er Geborgenheit und Abstand zu finden hofft. Die Ambivalenzen werden eindrucksvoll herausgearbeitet, wunderschöne Naturbeschreibungen korrelieren mit den wahnhaften Stimmungsschwankungen des romantisch verliebten Mannes, den Ablenkungen nicht erreichen. Ein Ende wie ein Paukenschlag erwartet den Leser in der Tradition großer tragischer Liebesgeschichten.
Bunin richtet seinen Blick mit Vorliebe auf willensstarke Frauen, die sich nicht an gesellschaftlich vorgegebene Rollenmuster halten und von betörten jungen Männern umschwärmt und begehrt werden. Moral und Integrität der meisten Frauenfiguren werden allerdings (vor dem zeitlichen Hintergrund!) in Frage gestellt, so dass ich schwer eine feministische Botschaft herauslesen kann. Trotzdem erfreue ich mich an der verheirateten kleinen Frau in „Der Sonnenstich“, die sich während einer Schiffspassage bewusst auf ein leidenschaftliches Téte-à-Téte mit dem schneidigen Leutnant einlässt, um anschließend in ihr Leben als Familienfrau zurückzukehren. Auch hier werden die widerstreitenden Gefühle des Zurückgewiesenen lebhaft und unterhaltsam geschildert. Berührend empfinde ich indessen die kuriose Verführungsszene in „Der mordwinische Sarafan“, in der zwar der Fokus auf dem Ich-Erzähler liegt, gleichzeitig aber die Nöte einer einsamen, vernachlässigten Ehefrau offengelegt werden.
Doch neben Liebesschmerz und Liebesleid gibt es weitere Themen zu entdecken. Überrascht und beeindruckt hat mich „Der Fall Kornett Jelagin“, der sich komplett im Gerichtssaal abspielt, in dem verschiedene Zeugen befragt werden und dem ein realer Fall zugrunde liegen soll. Kornett Jelagin hat offensichtlich die Schauspielerin Manja Sosnowskaja erschossen. Er war ihr, der außerordentlich schönen Femme fatale, restlos verfallen. War es tatsächlich Mord oder Tötung auf Verlangen? Die Erzählung liest sich spannend wie ein Krimi.
Doch auch die übrigen Erzählungen strahlen große Authentizität aus. Sätze wie „Der monotone, keine Sekunde nachlassende kristallene Klang, der über dieser ganzen schweigsamen, nächtlichen Welt liegt, gleicht einem klingenden Traum“ (S. 210) oder „Und unbeschreiblich schön sind die Silhouetten der Kirchen über dem Halbdunkel der Erde, vor dem zartgrünen, weiten Himmel im Sonnenuntergang.“ (S. 282) begeistern mich mit ihrer einfühlsamen Anschaulichkeit. Man muss an dieser Stelle die grandiose Übersetzungsleistung von Dorothea Trottenberg hervorheben, die Bunin eine eigene deutsche Stimme geschenkt hat.
Iwan Bunin ist einer der ganz Großen. In seine Erzählungen einzutauchen heißt, sich in vergangene Welten zu begeben. Zweifellos sind viele der beschriebenen Thematiken völlig zeitlos, man wird in seinen Erzählungen immer Relevanz für die Gegenwart entdecken. Bunin zeigt sich als empathischer, grandioser Stilist und sorgfältiger Beobachter, der sich offensichtlich auch mit Freud´scher Psychologie auseinandersetzte. Zu erwähnen ist an dieser Stelle die Erzählung „Zikaden“, die mich in ihrer Stimmung begeisterte, inhaltlich aber überforderte. Bunins politische Standpunkte blitzen in einzelnen Texten auf, er hat immer zu seiner Meinung als Exilant gestanden.
Große Leseempfehlung für Iwan Bunin! Die Werksausgabe besteht aus bibliophil gestalteten, wunderschönen Leinenausgaben. Der Literaturwissenschaftler und Herausgeber Thomas Grob hat ein höchst informatives Nachwort hinzugefügt. Ebenso ergänzen erläuternde Anmerkungen und eine editorische Notiz den großartigen Erzählband.
Beeindruckende Vielfalt eines großen russischen Stilisten
Iwan Bunin (1870 – 1953) war ein bedeutender Schriftsteller seiner Zeit. Als Gegner der bolschewistischen Revolution sah er sich 1920 gezwungen, nach Frankreich zu emigrieren. Aufgrund seiner hohen Reputation, ihm wurde 1933 der Literatur-Nobelpreis verliehen, konnte er weiterhin vom Schreiben leben. Teile seines Werks wurden bis 1930 sogar noch in Russland verlegt, obwohl Bunin sich stets gegen eine politische Anerkennung der Sowjetunion aussprach.
Ich wurde über die Werksausgabe des Dörlemann Verlags auf Iwan Bunin aufmerksam, las bislang aber nur Erzählungen, die er vor seiner Emigration veröffentlichte. Offensichtlich haben sich Schwerpunkte und Themen dadurch verschoben, was sie aber nichts an Qualität einbüßen lässt. Früher lag der Fokus auf dem russischen ländlichen Raum mit seiner Bevölkerung. Hier wechseln die Schauplätze überwiegend in ein urbaneres Umfeld, beschäftigen sich intensiv mit Liebe, Schmerz und großen Emotionen. Doch dürfen wir auch an Erinnerungen und Figuren teilhaben, die den Erzähler offensichtlich zurück in die russische Peripherie führen und bei denen oft ein Hauch Nostalgie im Raum steht.
Der vorliegende Band enthält elf Erzählungen, die zwischen drei und 118 Seiten umfassen. „Mitjas Liebe“ ist die erste und längste, sie beginnt mit dem perfekten ersten Satz: „Mitjas letzter glücklicher Tag in Moskau war der neunte März. So zumindest kam es ihm vor.“ Mitja ist in die selbstbewusste Schauspielschülerin Katja verliebt. Die Handlung setzt ein, als sich Zweifel bei ihm einstellen, als er spürt, dass sich etwas nicht Definierbares in ihrer Beziehung eingenistet hat. Misstrauen und nagende Eifersucht bestimmen zunehmend seine Tage. Er lässt sich nicht von Katja beschwichtigen, für die „Eifersucht nur eine Geringschätzung desjenigen ist, den man liebt“. Was sich zunächst nur in Mitjas Kopf abzuspielen scheint, bekommt offenbar immer mehr Fundament. Die einzelnen Szenen beinhalten viel Innenleben, zeigen auch die Zerrissenheit der jungen Frau. Schließlich packt Mitja seine Koffer und flieht auf den ländlichen Gutshof seiner Eltern, wo er Geborgenheit und Abstand zu finden hofft. Die Ambivalenzen werden eindrucksvoll herausgearbeitet, wunderschöne Naturbeschreibungen korrelieren mit den wahnhaften Stimmungsschwankungen des romantisch verliebten Mannes, den Ablenkungen nicht erreichen. Ein Ende wie ein Paukenschlag erwartet den Leser in der Tradition großer tragischer Liebesgeschichten.
Bunin richtet seinen Blick mit Vorliebe auf willensstarke Frauen, die sich nicht an gesellschaftlich vorgegebene Rollenmuster halten und von betörten jungen Männern umschwärmt und begehrt werden. Moral und Integrität der meisten Frauenfiguren werden allerdings (vor dem zeitlichen Hintergrund!) in Frage gestellt, so dass ich schwer eine feministische Botschaft herauslesen kann. Trotzdem erfreue ich mich an der verheirateten kleinen Frau in „Der Sonnenstich“, die sich während einer Schiffspassage bewusst auf ein leidenschaftliches Téte-à-Téte mit dem schneidigen Leutnant einlässt, um anschließend in ihr Leben als Familienfrau zurückzukehren. Auch hier werden die widerstreitenden Gefühle des Zurückgewiesenen lebhaft und unterhaltsam geschildert. Berührend empfinde ich indessen die kuriose Verführungsszene in „Der mordwinische Sarafan“, in der zwar der Fokus auf dem Ich-Erzähler liegt, gleichzeitig aber die Nöte einer einsamen, vernachlässigten Ehefrau offengelegt werden.
Doch neben Liebesschmerz und Liebesleid gibt es weitere Themen zu entdecken. Überrascht und beeindruckt hat mich „Der Fall Kornett Jelagin“, der sich komplett im Gerichtssaal abspielt, in dem verschiedene Zeugen befragt werden und dem ein realer Fall zugrunde liegen soll. Kornett Jelagin hat offensichtlich die Schauspielerin Manja Sosnowskaja erschossen. Er war ihr, der außerordentlich schönen Femme fatale, restlos verfallen. War es tatsächlich Mord oder Tötung auf Verlangen? Die Erzählung liest sich spannend wie ein Krimi.
Doch auch die übrigen Erzählungen strahlen große Authentizität aus. Sätze wie „Der monotone, keine Sekunde nachlassende kristallene Klang, der über dieser ganzen schweigsamen, nächtlichen Welt liegt, gleicht einem klingenden Traum“ (S. 210) oder „Und unbeschreiblich schön sind die Silhouetten der Kirchen über dem Halbdunkel der Erde, vor dem zartgrünen, weiten Himmel im Sonnenuntergang.“ (S. 282) begeistern mich mit ihrer einfühlsamen Anschaulichkeit. Man muss an dieser Stelle die grandiose Übersetzungsleistung von Dorothea Trottenberg hervorheben, die Bunin eine eigene deutsche Stimme geschenkt hat.
Iwan Bunin ist einer der ganz Großen. In seine Erzählungen einzutauchen heißt, sich in vergangene Welten zu begeben. Zweifellos sind viele der beschriebenen Thematiken völlig zeitlos, man wird in seinen Erzählungen immer Relevanz für die Gegenwart entdecken. Bunin zeigt sich als empathischer, grandioser Stilist und sorgfältiger Beobachter, der sich offensichtlich auch mit Freud´scher Psychologie auseinandersetzte. Zu erwähnen ist an dieser Stelle die Erzählung „Zikaden“, die mich in ihrer Stimmung begeisterte, inhaltlich aber überforderte. Bunins politische Standpunkte blitzen in einzelnen Texten auf, er hat immer zu seiner Meinung als Exilant gestanden.
Große Leseempfehlung für Iwan Bunin! Die Werksausgabe besteht aus bibliophil gestalteten, wunderschönen Leinenausgaben. Der Literaturwissenschaftler und Herausgeber Thomas Grob hat ein höchst informatives Nachwort hinzugefügt. Ebenso ergänzen erläuternde Anmerkungen und eine editorische Notiz den großartigen Erzählband.
Unbedingt lesen!